Die Liste der bedeutendsten Künstler, die visuelle
▪ Karikaturen gestaltet haben, ist
lang. Ihre Zusammensetzung hängt natürlich auch davon ab, ob man dazu
gleichermaßen Karikaturisten wie Cartoonisten zählt oder auch noch
andere, die sich in deren Grenzbereich bewegen. Eine eindeutige Trennung
ist jedenfalls schwierig und kann an dieser Stelle nicht geleistet
werden. (▪ Auswahl).
Karikaturisten in der Antike, im Mittelalter und der Renaissance
Mitunter lässt man die Geschichte der Karikatur schon in der Antike
beginnen. Doch einiges spricht dafür, einen strengeren Maßstab
anzulegen, denn nur auf Übertreibung und Verzerrung gründet sich das
▪ karikaturistische Verfahren
nicht
In der
klassischen Antike, im Mittelalter und der Renaissance kannte man
nämlich "die Karikatur als bewusste Zerstörung der Gesichtszüge
einer Person mit dem Ziel des Lächerlich-Machens" nicht (Plum
1998, S.43)
Und wenn in diesen Epochen "Bettler, Sklaven,
Bucklige oder Alte übertrieben dargestellt" wurden, dann seien diese
keine "Verzerrungen eines konkreten Vorbildes, sondern vielmehr
[...] Phantasien über groteske Typen [...], eher Genreskizzen"
gewesen, denn Karikaturen.
Diese hätten nämlich das Kriterium zu
erfüllen, "dass sie ein zeichnerisches Abkürzungsverfahren
darstellen, und dass sie außerdem auf bestimmte Personen zielen." (ebd.,)
Auch die Schmäh- und Spottbilder des Mittelalters, die das Mittel
der Verzerrung nicht bewusst einsetzten, gehören, so Plum (S.44),
nicht zu den Karikaturen.
Selbst die Bildsatiren des Franzosen »Jaques
Callot (1592 - 1635), von manchen zu den Karikaturen
gezählt, weil sie "das Phantastische und Groteske zum entscheidenden
Merkmal der Karikatur" machen (Rösch
2007, S.235), stellen nach
Plum (1998,
S.45) keine solchen dar.
Sie seien nicht mit der Absicht gestaltet,
mit Hilfe eines künstlerischen Abkürzungsverfahrens
Wesensmerkmale des Dargestellten herauszuarbeiten, sondern spielten
lediglich mit dem ornamentalen Charakter physiognomischer
Verzerrungen. Ihnen fehle, und das sei letzten Endes entscheidend,
der Bezug auf ein bestimmtes Ereignis, eine bestimmte Person oder
irgendeine weitere, z. B. moralische Zielsetzung. Zudem seien es
eben keine Reduktionen oder hyperbolische Zeichnungen, die aus
wenigen Strichen bestünden.
Und auch »Leonardo
da Vincis (1452 - 1519) Zeichnungen von grotesken "Charakterköpfen"
seien keine Karikaturen oder satirische oder verunglimpfende
Zeichnungen, die etwa komisch wirken sollten, sondern "Studien
absonderlicher Formen der Natur oder deren kombinatorischer
Möglichkeiten" (Plum
1998, S.45)
So spricht manches dafür, das Aufkommen der
Karikatur in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an bestimmten
Bedingungen festzumachen, die "durch einen vollständigen Wechsel der
Rolle des Künstlers und seiner Stellung in der Gesellschaft"
markiert werden.
Wer Künstler ist, ist fortan nicht mehr in erster
Linie Handwerker, sondern wird als ein kreativer Kopf bzw. Schöpfer
angesehen, der das, was er gestaltet, nach eigenem Ermessen Gestalt
gibt. Vorstellungskraft, Inspiration und Erfindungsgabe ersetzen
fortan die reine Nachahmung der Natur als ein mehr oder weniger
objektives Abbild der äußeren Wirklichkeit. Und dies schlägt sich
insbesondere bei der Karikatur nieder.
Denn diese, so
Plum
(1998, S.47), betone die die schwächsten Züge des Karikierten
und entlarve mit der Zerstörung der äußeren Form sein inneres Wesen.
Und: "Obwohl einzelne Züge übersteigert und gänzlich unrealistisch
dargerstellt werden, ähnelt das Ergebnis dem wahren Charakter des
Opfers." (ebd.)
Mit ihren überzeichneten
Porträtkarikaturen haben die beiden
Brüder »Agostino (1557 - 1602) und
»Annibale (1560 -1609)
Carracci wohl als erste bewusst mit dem herrschenden
Schönheitsideal der Renaissance gebrochen und damit das Hässliche
und Verzerrte in einem ästhetischen Gegenentwurf als künstlerische
Ausdrucksform, die man als Karikatur bezeichnen kann, konzipiert.
Dabei waren ihre Bilder nicht dazu gedacht, die Porträtierten zu
verspotten, sondern sollten als Zerrbilder vor allem zur
Erheiterung und Belustigung beitragen. (vgl.
Riszovannij
2008, S.17)
Karikaturen im Zuge der technischen Entwicklung
Damit Karikaturen Verbreitung finden konnten, mussten sich aber auch
technische Entwicklungen vollziehen, die die Zeichnungen
vergleichsweise leicht reproduzierbar machten.
Der englische Maler und Grafiker »William Hogarth (1697 - 1764) wurde
noch vor allem mit seinen Kupferstichserien, mit denen er soziale
Missstände, (Un-)Sitten und Modetorheiten im England seiner Zeit
anprangerte, zu einem Vorbild für die moderne Karikatur.
Seine
Nachfolger in den verschiedenen Ländern konnten indessen schon auf
die »Lithographie
zurückgreifen, die der österreichisch-deutsche Schauspieler und
Theaterschriftsteller »Alois
Senefelder (1771 - 1834) 1798 erfunden hat.
Ein paar Jahrzehnte
später gelingt den beiden Franzosen »Louis
Jaques Mandè Daguerre (1787 - 1851) und »Josephe
Nicéphore Niepce (1765 - 1833) 1839 die Entwicklung eines noch
einfacheren Verfahrens zur fotographischen Reproduktion, die so
genannte »Daguerreotypie,
die den »Offset-Druck möglich macht und der Karikatur den Weg in das
allgemeine Zeitungswesen öffnet.
Die Entstehung der politischen Karikatur
In
Frankreich waren es »Honoré Daumier (1808 - 1879),
»Grandville (1803 - 1847),
»Gustave Doré (1832 - 1883)
und »Paul Gavarni (1804 - 1866), die sozialkritischen und politischen Karikaturen zu großer
Popularität verhalfen. Der Spanier »Francisco de Goya (1746 - 1828)
gab mit seinen Zeichnungen wie den Desastres de la Guerra den
Gräueln der napoleonischen Truppen im Unabhängigkeitskrieg ein
karikaturistisches Gesicht.
In Deutschland ist - ohne Anspruch auf
Vollständigkeit - die Entstehung und Entwicklung der Karikatur mit
Namen verbunden wie »Wilhelm
Busch (1832 - 1908, »Paul Simmel (1887 - 1933),
dem Norweger »Olaf Gulbransson (1873 - 1958),
»Theo Matejko (1893 - 1946),
»George Grosz (1893 - 1959)
und »A. Paul Weber (1893 - 1980).
Zu den bedeutendsten deutschsprachigen Karikaturisten der Gegenwart
zählen u. a. »Marie Marcks (*1922),
»Rainer Schwalme (*1937),
»Walter Hanel (*1930),
»Franziska Becker (*1949),
»Gerhard Haderer (*1951),
»Thomas Plaßmann (*1960),
»Gerhard Mester (*1956),
»Jürgen Tomicek (*1957),
»Horst Haitzinger (*1939),
»Thomas
Körner alias ©TOM (*1960). Unvergessen auch: »F. K. Waechter (1937 - 2005),
»Chlodwig Poth (1930 - 2004),
»Rudolf Angerer (1923 - 1996)
und »Kurt Halbritter (1924 - 1978).
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Einen internationalen Konflikt mit Teilen der islamischen Welt
und zugleich einen weltweit beachteten Diskurs im "Karikaturenstreit"
(Unwort des Jahres 2005) haben die so genannten »Mohammed-Karikaturen
ausgelöst, die die dänische Tageszeitung »Jyllands-Posten
am 30. September 2005 unter dem Titel »Das
Gesicht Mohammeds am 30. September 2005 veröffentlicht hatte.
Durch die Darstellungen auf den den insgesamt zwölf Karikaturen
sahen sich zahlreiche Muslime und muslimische Staaten beleidigt.
Motivgeschichte und Karikatur
Auch
wenn der politischen Karikatur im Zeitalter ihrer vergleichsweise
leichten Reproduzierbarkeit, wegen ihrem mitunter mit ein paar
Pinselstrichen gestalteten Reduktionsverfahren und ihrer aus der
Aktualität resultierenden Kurzlebigkeit lange der Kunstcharakter
abgesprochen worden ist, gibt es doch auch eine Reihe von
Karikaturen, die als Kunstwerk bis heute weitgehend unbestritten
Bedeutung haben.
Dazu zählt, so
Plum (1998,
S.649 u. a. die von »John
Tenniel (1820 - 1914) für die englische Satirezeitschrift
Punch geschaffene Karikatur zur Entlassung des deutschen
Reichskanzler »Otto
von Bismarck (1815 - 1898) im Jahre 1890 mit dem Titel "Dropping
The Pilot". Ihre Bedeutung wird mitunter in Superlativen
gemessen: Johan
von Soeren (2004, S.52) nennt sie "die berühmteste Karikatur der
Welt".
Als Motiv findet es sich heute immer wieder in Karikaturen
und die deutsche Übersetzung "Der
Lotse geht von Bord" ist inzwischen sogar ein geflügeltes
Wort geworden, das in einem anders gelagerten Sinn das Ende
des Netscape-Navigators, einem in der Anfangsphase des World Wide
Web bekannten
Browsers, kommentiert hat (vgl.
Riedl 2008).
Dabei beruht dieses davon abgeleitete geflügelte Wort indessen auf
einer falschen Übersetzung. Denn in Wahrheit geht der Lotse eben
nicht freiwillig von Bord, sondern "er wird 'gegangen', fallen
gelassen." (ebd.)
(to drop = engl. herabtropfen, übertragen: jemanden fallen
lassen)
Wie auch immer verstanden, mit der Vorlage Tenniels wird
seit mehr als hundert Jahren "gespielt": Sie wird verändert und
verfremdet, lässt aber stets das Bild, auf das es verweist, mit
bestimmten Merkmalen wie Titel, Schiff, Person(en) oben, Person(en)
unten, Fallreep, Beiboot, Details auf Deck, Brücke, Steuerruder und
Wasser wieder aufleben. (vgl.
ebd., S.54)
Es wird geschätzt, dass sich im deutschen Schrifttum inzwischen weit
mehr als 100 Zeichnungen finden lassen, die das Motiv des Lotsen
benutzen. (vgl.
ebd., S.53)
Der besondere Stil eines Karikaturisten
Die Künstler, die Karikaturen schaffen und schufen, zeigen in in
ihrem karikaturistischen Tun in der Regel eine spezifische "Handschrift",
die ihren Karikaturen etwas Eigentümliches und Zeittypisches
verleihen.
Für moderne Karikaturisten, deren Werke, von Ausnahmen
abgesehen, im Allgemeinen nur für kurze Zeit, meist als aktueller
visueller Beitrag zu einem bestimmten Diskurs, im Bewusstsein der
Zeitgenossen haften bleiben, ist eine unverwechselbare "Handschrift"
mehr als nur ein Erkennungsmerkmal.
Als ein unverwechselbarer
Stil (▪ Handschriften
der Karikaturisten) erfüllt sie die Funktion einer Marke,
mit der sich das Werk verkaufen lässt.
Und: "In der
Identifizierbarkeit der Karikatur liegt der Gradmesser nicht nur für
den existentiellen Erfolg des Zeichners, sondern auch für die
Wirksamkeit seiner Zeichnungen." (Plum
1998, S.72, vgl.
Fecht 1974,
S.25, Anm. 45)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.01.2024
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