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Die ▪
textproduktiven Gestaltungen der
Schülerinnen und Schüler zu
der ▪
Kurzgeschichte
▪ »Ich
bin ein Kumpel« von
▪
Angela Stachowa lassen sich mit folgenden Gesichtspunkten Jungen oder
Mädchen zuordnen.
Gut erkannt wird von den SchülerInnen in der Regel, dass alle
Gestaltungen schwerlich mit dem Text von Stachowa harmonisiert werden
können, weil sie entweder im Stil nicht recht passen, oder aber ihre
inhaltliche Gestaltung der von Stachowa gewählten Schlussperspektive (Ich-Erzählerin
ist keineswegs entschieden) zu sehr widersprechen würde.
Beispiel 1:
Letzte Woche sah ich im Waschraum ein seltsames Gesicht. Ich erkannte es
nicht. Irgendwie kam es mir trotzdem sehr bekannt vor. Vor zehn Jahren
hatte dieses Gesicht noch lange Wimpern, dunkelrot geschminkte Lippen und
schwarzumrahmte Augen. Es sah frisch und lebendig aus, so wie die
Gesichter der Frauen, denen die Männer noch nachschauen. Es strahlte
Weiblichkeit, Sanftheit, Wärme aus. Heute ist es bleich, es umrahmen
keine lange Haare das Gesicht, sondern streichholzkurze Stoppeln. Es wirkt
hart, cool, eben richtig kumpelhaft. Wo sind meine sanften, warmen Züge?
Ich weiß es nicht. Sie müssen sich genauso wie ich verändert haben. Im
Spiegel sehe ich nun nicht mehr das sanfte Lächeln einer Frau von einst,
sondern einen harten maskulinen Blick. Nicht mehr Zufriedenheit, sondern
Unlust.
Kommentar zu Beispiel 1:
In der Besprechung mit SchülerInnen wird meist relativ schnell erkannt,
dass der erste Text von einer Schülerin verfasst ist. Dabei wird vor
allem betont, dass die Detailtreue bei der Beschreibung des früheren
"weiblichen" Zustandes ("dunkelrot geschminkte Lippen und
schwarzumrahmte Augen") den weiblichen Blick verrate. Ganz deutlich
verrate sich die weibliche Handschrift des Textes bei der Beschreibung
weiblicher Eigenschaften wie Wärme, Sanftheit, sanftes Lächeln, die sich
von den streichholzkurzen Stoppeln in einem harten maskulinen Blick
unterschieden. Insgesamt gesehen kann man wohl mit der gebotenen Vorsicht
festhalten, dass die Art und Weise wie Weiblichkeit und Gefühle in dem
Text beschrieben sind, eine weibliche Handschrift ausweisen.
Beispiel 2:
Ich schaue in den Spiegel und sehe einen Mann. Einen gestellten Mann. Und
langsam wird mir klar, dass ich diese männliche Gestalt bin. Wie tief bin
ich gesunken? Ich fühle schon wie ein Mann habe nichts mehr mit der Frau
zu tun, die ich einmal war. Wie komme ich zu dieser Männergruppe? War ich
so alleine? Wahrscheinlich schon, sonst wäre ich jetzt nicht hier. Ich
hatte keine Familie und keine Freunde. Scheiße aber auch! Jetzt habe ich
eine Familie, die Kumpelrunde. Sie verstehen mich, aber sie wissen nicht,
wie sehr ich mich verändert habe. Sie wissen auch nicht, dass ich aus dem
Teufelskreis rauswill. Oder doch? Vielleicht fühlen sie sich genauso!
Also los, mein Bier wartet.
Kommentar zu Beispiel 2:
Im zweiten Text fehlen Verweise auf eine positiv gelebte und empfundene
Weiblichkeit. Im Vordergrund der Reflexionen der Ich-Erzählerin stehen
rhetorische Fragen, die wie ein Aufschrei nach rationaler Erklärung für
ein fast schon bewältigt scheinendes Schicksal gelesen werden könnten.
Dieser männliche rationale Denkansatz wird mit der Suche nach den
Ursachen für das eigene Verhalten unterstrichen. Hinzukommt, dass die
gewählte Sprachebene bei der Verwendung von Schimpfwörtern nicht so
recht die Gefühlslage der Ich-Erzählerin widerspiegelt. Die Aufforderung
am Ende: "also los, mein Bier wartet" wird von den SchülerInnen
darüber hinaus als eindeutig männliches Verhalten gesehen, das von der
widersprüchlichen Empfindung der Ich-Erzählerin wenig erkennen lässt.
Beispiel 3:
Oh, mein Gott! Das bin ich nicht, das kann ich nicht sein. Dieser harte
Ausdruck in meinen Augen, wo kommt er her? Wo ist die Farbe in meinem
Gesicht geblieben? Waren meine Haut und meine Lippen denn wirklich immer
so blass und farblos? Meine Wangen, kam das zarte, lebendige Rot wirklich
nur vom Rouge? Was ist bloß mit meinem Gesicht und mit mir passiert?
Alles ist so fremd, als wäre es nicht mein Körper, in dem ich lebe, und
nicht mein Geist, mit dem ich denke.
Kommentar zu Beispiel 3:
Der dritte Text wird vor allem wegen der Detailtreue des Blickes in das
eigene Gesicht und die Verwendung von Weiblichkeit positiv stilisierenden
Adjektiven (zartes, lebendiges Rouge, Wangen) schnell als weibliche
Schülerarbeit identifiziert.
Beispiel 4:
Ich liebte einen, der mit in der Runde sitzt. Ich wollte immer in seiner
Nähe sein. Ich setzte mich in seinen Kreis und gedachte, ihn so zu
gewinnen. Dadurch, dass ich kein Make-up mehr benutzte, mir nicht mehr die
Haare färbte usw., verlor ich damals womöglich meinen Reiz, eine Frau zu
sein. Wahrscheinlich wurde ich für ihn damals als Frau uninteressant,
wurde für ihn mehr zum "männlichen" Begleiter. Er suchte eine
Frau, und ich konnte sie ihm in dieser Gesellschaft nicht bieten. Er
hätte einfach nicht gepasst. Nachdem er geheiratet hatte, war er nur noch
selten bei uns, so dass sich der eigentliche Grund für meine Anwesenheit
aufgelöst hat. Eigentlich könnte ich jetzt daheim bleiben, aber ich habe
mich schon zu stark an die Runde gewöhnt, so dass ich dabei bleibe.
Kommentar zu Beispiel 4:
Der vierte Text ist relativ schwer zuzuordnen. Auf der einen Seite ist ihm
das Bemühen eigen, sich in die Gedankenwelt der Ich-Erzählerin zu
versetzten und ebenso wie diese, dem Geschehen in relativ distanzierter
Weise gegenüberzutreten. Auf der anderen Seite scheint die Distanz vielen
SchülerInnen doch zu weit zu gehen. Außerdem wirkt die Tatsache, dass
sich die Ich-Erzählerin nur als Anhängsel eines Mannes versteht, dessen
Ansprüche sie leider nicht erfüllen konnte, auf das mitunter
emanzipierter wirkende Frauenbild der Schülerinnen zu befremdlich.
Beispiel 5:
Was, er hat geheiratet. Wie konnte er mir das nur antun? Ich liebe ihn
doch so sehr. Deswegen bin ich doch die ganze Zeit zu dieser Runde
gekommen, um mir sein Herz zu erobern. Und nun? Er heiratete irgend so
eine alberne Tussi. Was hat die denn mehr als ich? Was hat er an der nur
so toll gefunden, dass er sie geheiratet hat? Die hat doch nichts im Kopf.
Ich seh’ doch allemal besser aus als sie. Wir haben doch so viel mehr
gemeinsam. Wir haben die gleichen Interessen. Die hat ihn sich nie und
nimmer verdient. Das ist nicht fair. Wie konnte er mir das nur antun? Wie
soll es nur weitergehen? Ich habe ihn für immer verloren. Er wird von nun
an wegen dieser Frau seltener zur Runde kommen. Was soll ich denn jetzt
nur machen?
Kommentar zu Beispiel 5:
Der fünfte Text wird schnell einer weiblichen Verfasserin zugeschrieben,
weil die Ich-Erzählerin in einem eifersüchtigen Zustand gezeigt wird.
Allerdings weist diese Eifersucht doch auch Züge auf, die nur phrasenhaft
wirken, ohne dass den verbalen Äußerungen entsprechende Gefühle
gegenüberstünden. In die Geschichte von Angela Stachowa lässt dieser
Text wohl kaum bruchlos fügen.