Handlungsübergreifende Wissensunterschiede
Wissensunterschiede, die in einem
Drama eine Rolle spielen, können
▪ handlungsübergreifend (diachron) oder handlungsintern
(synchron) sein.
Handlungsintern sind sie, wenn sie sich auf
Wissensunterschiede bzw. den unterschiedlichen Grad der
Informiertheit der Figuren des Dramas beziehen. Handlungsintern
sind in diesem Sinne Intrigen, Anagnoris und die
Wissensunterschiede, die das ▪
analytische Drama auszeichnen. (vgl.
Asmuth
62004, S. 114)
Dass sich zwischen den handelnden Figuren eines Dramas
Wissensunterschiede ergeben, ist grundsätzlich nichts
Besonderes. Sie nehmen ja gewöhnlich nicht an allen Szenen teil
und so befinden sie sich meist in einem ▪
Zustand diskrepanter Informiertheit (Pfister
1977, S.81) Man kann derartige handlungsinterne
Wissensunterschiede, die sich auch einfach aus
Missverständnissen der Figuren ergeben können als auf der
Handlungsebene "unabsichtliche Wissensunterschiede" (Asmuth
62004, S. 124) bezeichnen, um sie von denen
abzuheben, "die auf Verheimlichung oder gar auf aktiver
Täuschung beruhen." (ebd.)
Intrigen und Verstellungen steuern auch die Aufmerksamkeit des
Publikums
Der Zuschauer bzw. die Zuschauerin hat durch sein Mitwissen
an der auf die Zukunft des dramatischen Geschehens
ausgerichteten Intrige einen klaren Informationsvorsprung
gegenüber der Figur, die Ziel der Täuschung werden soll.
Zugleich führt dieser handlungsinterne Wissensunterschied
gegenüber der betroffenen Figur auch dazu, dass sich "sein
Interesse (...) ebenso auf die unwissenden Figuren des Dramas
(richtet)" (Pütz
1970, S. 81, zit. n.
Asmuth
62004, S. 124) So will der Zuschauer/Leser z. B.
wissen, wie lange die Betroffenen so ahnungslos bleiben, und
stellt Vermutung darüber an, was sie wohl tun, wenn sie die
Wahrheit erfahren.
Der Begriff der Intrige
Intrige (frz. intrigue) steht im alltäglichen Sprachgebrauch
für "hinterhältige, heimtückische Machenschaften, mit denen
jemand gegen einen anderen arbeitet, seine Pläne o. Ä. zu
durchkreuzen, ihm zu schaden sucht" (Duden-Deutsches
Universalwörterbuch 2007, S.894). Diese Bedeutung spiegelt
sich in der Verwendung des Begriffes in Fügungen wider wie eine
böswillige, politische Intrige spinnen oder aufdecken oder
einfädeln oder einer Intrige zum Opfer fallen.
In dramatischen Texten steht sie für durch "Ränke,
Machenschaften, Verwicklungen und Vertauschungen" absichtlich
oder unabsichtlich und zufällig "herbeigeführte Komplikationen
im Drama" (v.
Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur
51969,
S.360), die "in der Tragödie zum Untergang (...), in der Komödie
zu heiterer Lösung und glücklichem Ende (führen)." (ebd.)
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Intrigen sind Planungen ein in der Zukunft angestrebtes Ziel,
sei es ein positives wie oft in der Komödie oder sei es ein
negatives wie meistens in der Tragödie. Wer intrigiert, macht
sich ein mehr oder weniger klares Bild davon, was in Zukunft
aufgrund seiner Intrige geschehen wird.
Die Bewertung einer Intrige kann dabei unter moralischen
Gesichtspunkten erfolgen oder danach, ob der Intrigant mit
seinen Handlungen eigenen oder fremden Interessen dient.
- In ▪ Tragödien
empfindet das Publikum Intrigen in der Regel als moralisch
"verwerflich", weil sie oftmals auch für das schlimmen
Ausgang des dramatischen Geschehens verantwortlich gemacht
werden. (Asmuth
62004, S. 125) Der Wermutstropfen: Auch der
"böse" Intrigant kommt am Ende in dem von ihm selbst
gestrickten Netz von raffiniert ausgedachten und hinterrücks
und heimtückisch, oft auch gewaltsam oder mit bloß
kaschierter Gewaltanwendung durchgeführten Manövern unter die Räder und
"findet ein klägliches Ende" (Pütz
1970, S. 80, zit. n.
ebd., S. 125) Auch wenn Intrigen in der Tragödie meisten
zum schlimmen Ende beitragen, gibt es aber auch Fälle in
denen dies nicht der Fall ist, wie z. B. in ▪
Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Drama ▪
Iphigenie auf Tauris (1786).
Dennoch ist der Intrigant in einer Tragödie gewöhnlich
ein "schlimmer Intrigant", der, auch wenn er als sogenannter
"Pflicht-Intrigant" (Knorr
1951, S.20, zit. n. Asmuth
62004, S. 126) in seiner Funktion als mehr
oder weniger heruntergekommener Höfling nur aus Loyalität
gegenüber seinem moralisch mindestens ebenso fragwürdigen
Herrn heraus handelt, ein schlimmer Helfer bleibt. In dieser
Rolle spielt er mehr oder weniger virtuos aus, was ihm seine
Position als quasi legitimierte Verstellung in der
politischen Praxis und in der modisch-manirierten
Verstellungslogik rhetorischer Uneigentllichkeit seiner Zeit
erlaubte. Beides machte ihn lange zu einer Bühnenfigur, die
als Folie und als "personifizierte(s) Angriffsziel
gegenhöfischer Kritik" (Asmuth
62004, S. 128) an den Lebensformen des Adels
herhalten konnte.
Dabei wandelt sich die Bewertung der Intrigantenrolle im
Laufe der historischen Entwicklung. Je mehr der Intrigant
nach dem Barock-Theater "aus dem Schatten seines Herrn
heraus(tritt)" und zum "Verführer auch weniger tyrannischer
Fürsten" wird (Asmuth
62004, S. 128), desto mehr er damit eine
ureigene Amoralität zeigt, desto mehr rückt er "in die Nähe
des Teufels, dem er durch seine Verwirrung stiftende
Tätigkeit schon vorher verwandt erschien". (ebd.,
S. 129)
- In der Komödie findet man hingegen meistens den "guten
Intriganten", der mit seinen Ränkespielen "vorwiegend einem
guten Zweck, dem Liebesglück der Helden" (Asmuth
62004, S. 125) zuarbeitet. Dieser rundum
sympathisch auf das Publikum wirkende Intrigant braucht, um
am Ende über ungerechte Mächte zu obsiegen, keine Gewalt
einzusetzen, was er tut ist meist nicht mehr als den
Zielsubjekten seiner Intrige ein Schnäppchen zu schlagen. In
den meisten Fällen verfolgt ein solcher Intrigant keine
eigenen Interessen. Erst in der späteren Entwicklung des
Intrigantenschemas werden auch Handlungen dieses Typus
psychologisch motiviert, so dass zumindest dessen eigene
Interessen bei der Verfolgung der Intrige eine Rolle
spielen.
Im neueren Drama ist die ehemals grundlegende
Uneineigennützigkeit des Intriganten dahin. Wo individuelle
Charaktere agieren und ihren jeweils eigenen psychischen
Dispositionen gemäß handeln, hat der Typus des Intriganten
ausgespielt. Was diesen ehemals in unterschiedlicher Kombination
ausmachte ("Untergebenstatus, Helferfunktion, findiges
Organisationstalent, Intellektualität, Gefühllosigkeit,
Amoralität" (ebd.,
S.129), konstituiert hier keinen Typus mehr und das
entsprechende "Merkmalbündel des Intriganten" wurde "mehr und
mehr in seine Bestandteile aufgelöst." (ebd.)
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
22.01.2024
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