Was ein Zuschauer eines
Theaterstückes von einem ▪ dramatischen Text mitbekommt, erschöpft sich
meistens in dem, was auf der Bühne gesprochen wird.
-
Wahrscheinlich kennt er
dazu aus irgendeiner Programmankündigung den Titel des Stücks (▪
Dramentitel)
und dessen Gattungsbezeichnung (z. B. Schauspiel, Tragödie oder Komödie).
-
Verfügt der Zuschauer über ein Programmheft, bekommt er gewöhnlich noch eine
kombinierte Liste von Personenverzeichnis und Besetzung der Rollen zu
Gesicht, die auf dem, einem Dramentext gemeinhin vorangestellten, ▪
Personen-
bzw. Figurenverzeichnis beruht.
Wer dagegen ein Drama liest, bemerkt sehr schnell, dass der Text des ganzen
Stückes eine Menge mehr und anderen Text enthält als das, was auf der Bühne
gesprochen wird.
Textschichten: Haupt- und Nebentext
Um die verschiedenen Textsegmente eines dramatischen Textes unterscheiden
und begrifflich fassen zu können, unterscheidet man zunächst einmal zwei "Textschichten"
(Pfister
1977, S.35ff.) voneinander, die als ▪
Haupt-
und ▪
Nebentext
bezeichnet werden.
Die beiden Textschichten lassen sich im
Allgemeinen leicht erkennen, da sie in der Regel auch
typografisch (Schriftbild,
Schriftstärke etc.) voneinander abgehoben werden.
Die auf
Roman Ingarden
(21960,S.220) zurückgehende und von Wolfgang
Pfister
(1977, S.35ff.) wieder aufgenommene Unterscheidung von Haupt- und
Nebentext ist heute im
Bereich der literaturwissenschaftlichen Dramenanalyse allgemeingebräuchlich
geworden. (vgl. u. a.
Fricke/Zymner 1993, S,184,
Waldmann 2003, S.183ff.,
Asmuth 2004 (1980), S.51ff.)
Die vereinzelt vorgetragene Befürchtung, dass sich mit Hilfe des
Nebentextes und der impliziten Bühnenanweisungen eine
Vorstellung befördert werden könnte, wonach man so "etwas wie
eine virtuelle ideale szenische Realisierung" (Lehmann
1992/82004, S.349) daraus entnehmen kann, hat
sich wohl inzwischen verflüchtigt.
Insbesondere die
▪ Bühnenanweisungen
im Nebentext, häufig auch als Regiebemerkungen bezeichnet, haben
dabei einen, literaturhistorisch interessanten Wandel durchgemacht und sind
diesem auch im modernen Drama weiter unterzogen. Und natürlich spiegeln sie,
ob hauptsächlich oder auch nicht, Theaterkonventionen einer
Epoche (vgl.
ebd.)
Zugleich verweisen
Bühnenanweisungen besonders klar auf die
▪ Plurimedialität
des dramatischen Textes und damit auch den
"Partiturcharakter" des dramatischen Textes, die Tatsache, dass ein solcher
Text auf seine Inszenierung hin konzipiert ist.

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Haupttext heißt nicht, dass diese Textschicht grundsätzlich wichtiger
ist
Die Bezeichnungen Haupttext und Nebentext können indessen auch leicht für
eine gewisse Verwirrung sorgen.
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Sie legen nämlich auf den ersten Blick
nahe, dass die beiden Textschichten, grundsätzlich gesehen,
unterschiedliches Gewicht für den dramatischen Text besitzen.
-
Zugleich kommt es leicht zu der Vorstellung,
dass zwischen beiden Textschichten auch quantitativ ein grundlegender
Unterschied besteht: Der Haupttext müsste dann mehr
Text umfassen als der Nebentext.
Beide Annahmen sind allerdings falsch, ungeachtet dessen,
dass dies im Einzelfall so sein kann.
Weder das
qualitative noch das quantitative Verhältnis der Textschichten zueinander
lässt sich gattungsübergreifend für alle dramatischen Texte bestimmen.
Wie sich Haupt- und Nebentext zueinander verhalten, ob sie sich
z. B. ergänzen oder miteinander kontrastieren oder ob der Nebentext in einem Falle
größer ausfällt und in einem anderen Falle kleiner, hängt z. B. davon ab,
-
um welchen Dramentyp es sich handelt
-
wie die jeweils geltenden Konventionen dramatischer Gestaltung
aussehen
-
welche Wirkungen dadurch hervorgerufen werden sollen.
Haupt- und Nebentext aufeinander beziehen
Nicht selten erschließt sich dem Leser eines Dramas der Sinn des Ganzen
erst durch die Lektüre und das Aufeinanderbeziehen von Haupt- und Nebentext,
verleiht erst der Nebentext dem Gesagten eine bestimmte Bedeutung und
umgekehrt.

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vgl.
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
26.08.2020
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