Werden Gattungen
zum Gegenstand des Literaturunterrichts, dann erscheint die
Unterscheidung
zwischen (historischen) Gattungen und (systematischen) Gattungsbegriffen
hilfreich.
(vgl.
Klaus
Müller-Dyes (1996)
Für
Klaus
Müller-Dyes (1996, S.324f.) steht dabei außer Frage, dass die Zuordnung von Texten zu
Gattungen immer nur sehr unvollkommen gelingen kann. Dennoch sieht er darin keinen "Hinderungsgrund, nicht wenigstens die Prinzipien und
logischen Regeln zu benennen und zu reflektieren" (ebd.,
S.324), nach denen die
Gattungstheorie verfahren ist und weiterhin verfährt.
-
Vom Standpunkt der Logik aus betrachtet,
seien Gattungen
demnach "Definitionsangebote, die unabhängig von der Erfahrung" (ebd.), also auf
deduktive Weise gewonnen
werden.
-
Aus der induktiven Textperspektive her gesehen
seien Gattungen
dagegen "durch Abstraktion gewonnene Merkmalkombinationen" (ebd.).
Nach Müller-Dyes müssen zwei grundlegend verschiedene
▪ Gattungskonzeptionen
strikt voneinander unterschieden werden, die unterschiedliche
Forschungsperspektiven darstellen:
Gattungsbegriffe |
Gattungen |
Aufgabe:
systematische Klassifikation von Texte
Dies erfolgt mit
"Klassenbegriffe(n), die über eine begrenzte Menge von mehr oder weniger
isolierten, obligatorischen wie fakultativen Merkmalen gebildet
sind" (ebd.,
S.326)
Rangfolge:
- Hauptgattungen: Epik,
Dramatik, Lyrik usw.*
- Untergattungen: Hymne,
Elegie, Sonett; Kurzgeschichte, Novelle, Roman; Komödie,
Tragödie, usw.*
- Typen: Liebesgedicht,
Bildungsroman, Bürgerliches Trauerspiel
usw.*
- konkreter Text
dabei keine Festlegung eines quasi überzeitlich konstanten Wesens
einer bestimmten Gattung
Kriterien:
- Trennschärfe
d.h. klare Definition der Klassifikationsmerkmale und klare
Abgrenzung
- Systematik
erkennbar logisches Verhältnis der Begriffe zueinander
|
Aufgabe:
Bildung von Textgruppen oder Textfamilien
unter historischem Gesichtspunkt
Gattungen als historische "Institutionen" mit mehr oder
weniger langer Geltungsdauer
Bildung von Gattungen durch:
-
explizite Regelanweisungen
-
immanente Poetik einzelner Werke
-
Zuschreibungen bzw. Zuordnungen, die vom Autor oder Verleger
vorgenommen werden, z. B. als Titel oder Untertitel eines
literarischen Textes
|
*Es gibt unter diesem Blickwinkel, was das
"usw." am Ende ausdrücken
will, wie
Müller-Dyes (1996,
S.327) betont, "zwar nicht unendlich viele, aber doch unzählige Klassen
von Texten" mit unzähligen Kombinationsmöglichkeiten, von denen die
historische Gattungspoetik ohnehin nur einen Bruchteil erfasst hat.
Der
vielfach geäußerte Einwand Gattungsbegriffe als Klassenbegriffe seien viel
zu unscharf und ließen sich auf einzelne Werke kaum anwenden, begegnet
Müller-Dyes (1996,
S.327) mit dem Argument, dass das klassifikatorische Verfahren auch gar
nicht auf den einzelnen konkreten Text und dessen Eigenschaften ziele,
sondern lediglich als "Ordnungsprinzip" zu verstehen sei.