Für die ▪
Beschäftigung mit Gattungsfragen im schulischen
Literarunterricht können auch die Prinzipien zugrunde gelegt werden, die
Wilhelm
Voßkamp (1992, S.265) im Rahmen seiner sozial- und
funktionsgeschichtlich orientierten Gattungstheorie dargelegt hat.
Seine
Thesen werden hier zum Teil
reformuliert wiedergeben (vgl.
Köppe/Winko 2008, S.3).
Danach sind Gattungen Ergebnis von Konventionen, die sich unter den
Bedingungen bestimmter "institutionalisierte(r) Organisationsformen
literarischer Kommunikation" zu einem bestimmten Zeitpunkt gebildet
werden.
In ihnen schlagen sich bestimmte "Welterfahrungen" bzw.
Perspektiven auf die Welt nieder.
Damit ist die Zugehörigkeit eines
bestimmten Textes zu einer bestimmten Gattung nicht primär ein Ergebnis
seiner Textgestalt, sondern von Zuschreibungen im Rahmen der
literarischen Kommunikation.
Die Gattungszuordnung bestimmter Texte ist
selbst auf der Grundlage gemeinsamer Merkmale nicht unproblematisch und
die Frage, ob ein Rezipient diese schematisieren Merkmale auch
tatsächlich wiedererkennt, steht dazu noch auf einem anderen Blatt.
Gattungen sind nach diesem Verständnis "soziokulturelle
Verständigungsbegriffe", die immer "auch auf ihre Entstehungsbedingungen
im allgemeinen historischen Kontext und auf den
wissenschaftsgeschichtlichen Ort, in dem sie entstanden sind und
gebraucht werden", verweisen.
(ebd.)
Wer Gattungen bestimmt und von anderen abgrenzt, strukturiert die
Menge der in Frage kommenden Texte auf der Grundlage eigener kognitiver
Modelle. Gattungen sind also stets Konstrukte.
Aus diesem Grunde muss man – die Geschichte der
Gattungstheorien liefert dafür eine Vielzahl von Ansätzen, die heute als
Irrwege betrachtet werden – "die Standortgebundenheit des einzelnen
Kritikers, Theoretikers und Historikers"
(ebd.) stets
im Auge behalten.
Diese und andere
Überlegungen schieben überzeitlich kategorialen
normativen
Gattungskonzepten einen Riegel vor.
Zugleich können sie auch im schulischen
Literaturunterricht dem "Herunterbeten"
von Gattungsmerkmalen auf der Basis von Merkmalslisten bei der ▪
Textinterpretation entgegenwirken.