Normative Gattungskonzepte sind in der Regel triadisch
Bei der Einteilung literarischer Werke in
▪
Gattungen
kann man nach
Wilhelm
Voßkamp (1992) die normativen Gattungskonzepte von den
▪ nicht-normativen
Gattungskonzepten unterscheiden.
Die normativen Gattungskonzepte betonen vor allem das gattungstheoretische
Dreiermodell mit seinen Hauptgattungen ▪
Epik,
▪ Lyrik und
▪ Drama. Kennzeichnend für die normativ-triadischen Konzepte sind im
Allgemeinen:
-
die geschichtsphilosophisch oder anthropologische Begründung des
Dreiermodells
-
Hauptgattungen als quasi »Naturformen« (Goethe)
oder aber »Grundbegriffe« (Emil Staiger)
-
Unter- bzw. Zuordnung aller literarischen Formen zu
diesen Hauptgattungen
Goethes klassifikatorischer Ansatz: Naturformen der Dichtung
Johann
Wolfgang von Goethe (1749-1832) glaubte, die verschiedenen
Dichtarten ähnlich klassifizieren zu können wie Pflanzen oder
Mineralien. So gelangte er zu der Vorstellung von den
"Naturformen" der Dichtung. Diese beruhen dabei nicht auf
Strukturmerkmalen. Stattdessen benutzt Goethe das Kriterium ihrer
rhetorisch-stilistischen Gestaltung, um diese voneinander zu
unterscheiden. Während die Epik klar erzählend sei, zeige sich Lyrik enthusiastisch aufgeregt und das
Drama persönlich-handelnd.
Ähnlich versuchte auch »Friedrich
Schlegel (1772-1829) Gattungen mit den Kriterien der äußeren
(objektiven) und inneren (subjektiven) Hinwendung voneinander zu
unterscheiden.
»Emil
Staiger (1908-1987), vielleicht der einflussreichste
deutschsprachige Literaturwissenschaftler des letzten Jahrhunderts und
Mitbegründer der so genannten
▪
werkimmanenten Interpretation, löste den
Gattungsbegriff aus seinen historischen Bezügen und wies das Epische,
das Lyrische und das Dramatische als überzeitliche anthropologische
Konstanten aus. (vgl.
Staiger
21951b) (vgl.
Abraham/Kepser
22006, S.32)
Diese wie die anderen normativen Gattungskonzepte gelten allerdings
in ihren Grundannahmen heute für überholt.
Kritik des normativen Ansatzes
Normative Gattungskonzepte werden aus verschiedenen Gründen
kritisiert. Dazu zählen u. a.:
-
Einige Dichtungsarten
und bestimmte Gebrauchsformen der Literatur (▪
literarische Zweckformen
wie Biographie, Traktat, ▪
Essay,
Feuilleton usw.) lassen sich
in das triadische Modell kaum einordnen. Zu solchen Texten zählen auch
diskontinuierliche Texte mit ihren Text-Bild-Kombinationen
wie z.B. Bilderbucherzählungen, Comic-Geschichten oder die didaktische
Lehrdichtung).
-
Normative Ansätze negieren grundsätzlich oder
tendieren zumindest dazu, die historische Bedingtheit der Gattungen zu
vernachlässigen.
(vgl.
Wilhelm
Voßkamp (1992), S.254f., vgl.
Abraham/Kepser 22006, S.33 )
Dementsprechend "[gelten] normativ, stilistisch oder anthropologisch
begründete Modelle [...] heute als überholt" (Abraham/Kepser
22006, S.32).
Dass man allerdings mit herkömmlichen, auch gattungstriadisch
fundierten Klassifikationskonzepten sinnvoll arbeiten kann, zeigt
Klaus
Müller-Dyes (1996) auf, der eine etwas andere Einteilung der
Gattungskonzepte vornimmt und dabei auch den klassifikatorischen,
systematischen Ansatz verteidigt. Er unterscheidet zwischen ▪
historischen
Gattungen und
▪ systematischen
Gattungsbegriffen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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