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Handlungsfeld Literatur (Abraham/Kepser)
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Einen literarischen Text interpretieren (schulische Textinterpretation)
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Turbulenzen auf einem schwierigen Feld, Gert Egle (2014)
Auch wenn gegen den ▪
hermeneutischen Ansatz vielerlei berechtigte
Kritik vorgebracht wird, ist der besondere "Verstehens- und
Auslegungsprozess" der damit beschrieben wird, "die theoretische Basis
jeglicher Interpretation" und ihrer verschiedenen Zugänge und
Umgangsweisen von Literatur. (vgl.
Becker/Hummel/Sander 22018, S.193)
Insbesondere sein
"Anspruch, dem Text selbst und seiner Erscheinungsform in der
literaturwissenschaftlichen Analyse vordringliche Aufmerksamkeit zu
widmen, gilt nach wie vor. Die genaue Erfassung dessen, was im Text
steht und wie es sich vermittelt, gehört [...] zu den grundlegenden
philologischen Fähig- und Fertigkeiten, die unabhängig davon, welcher
methodische Ansatz oder welche erkenntnisleitende Fragestellung verfolgt
wird, die literaturwissenschaftliche Arbeit bestimmen." (Wagner-Egelhaaf
72006, S.200)
Literaturdidaktisch ist
dies unbestritten.
Hermeneutische Textzugänge im Literaturunterricht
sind für die überwiegende Mehrheit der Fachdidaktiker unverzichtbar.
(vgl. Kammler
2005, S.189) Dass "zeitlich und kulturell ferne Texte, deren
Welten dem gegenwärtigen Leser fremd sind" (Ehlers
2016, 4.1 Textverstehen), besondere "gewisser interpretatorischer
Anstrengungen bedarf" (ebd.)
und Interpretationshandlungen verlangen, "um eine solche Differenz
zwischen Text und Leser zu überbrücken" und auf diese Weise "die
andere Welt mit ihren Glaubens-/Normensystemen, Weltbildern und
Lebensformen" (ebd.)
zu erschließen, steht dabei außer Frage.
Und auch in den den
Einheitlichen Prüfungsanforderungen in
der Abiturprüfung Deutsch (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom
01.12.1989 i. d. F. vom 24.05.2002) (EPA)
wird sogar betont, dass "dem Erschließen von
literarischen Texten (...) vorrangige Bedeutung zu(kommt), denn das Verstehen
literarischer Texte eignet sich als Muster des Verstehens überhaupt." (S.5)
Dabei geht die Hermeneutik, wie sie
literaturdidaktisch modelliert wird, geht von der Praxis der
Texterschließung und Interpretation aus und muss sich daher den Vorwurf
eines fehlenden "kritische(n) Bewusstsein(s) seiner eigenen
Voraussetzungen", von "Theoriefeindlichkeit" oder gar
"mangelhafte(r) praxislose(r) Theorie" und "theorielosen Theorie" (Rusterholz
1996, S. 102) nicht anziehen. Dass die Geschichte "je nach
historischem und philosophischen Kontext" auch unterschiedliche
hermeneutische Konzepte entwickelt hat, die "implizit oder explizit von
völlig verschiedenen Modellvorstellungen der Sprache, der Kunst und des
Verstehensprozesses aus(gehen)" (ebd,
S. 102f.) wird dabei selbstverständlich nicht bestritten. Dieser
Hintergrund kann und soll hier aber nicht dargestellt werden.
Dennoch steht der
Umgang mit Literatur in der Schule häufig insbesondere auch wegen seiner
stark hermeneutischen Prägung immer wieder in der Kritik der
akademischen Fachwissenschaften. Das liegt unter anderem auch daran, so
hat es Jürgen
Förster (2002,
S.232) formuliert, dass der schulische Literaturunterricht in einem
Spannungsfeld von drei Welten steht: der Welt der Literatur, der Welt
der akademischen Literaturwissenschaft an den Universitäten und der
schulischen Welt, die Literatur zum Gegenstand unterrichtlicher
Lehr-/Lernprozesse macht.
Ihre Beziehungen
zueinander sind äußerst vielgestaltig, stehen aber, so Förster weiter,
oft in Konkurrenz zu einander und stoßen sich sogar gegenseitig
(voneinander) ab. Während nämlich die Welt der Literatur in Frage
stelle, "Gegensätze zum Wissenskult" entwerfe, sich gegenüber
Einordnungen sperre, gehen, so etwas pointierter als in den Ausführungen
Försters, vor allem Lehrerinnen und Lehrer nicht gerade zimperlich mit
Literatur um. So würden sie mit allen in dem komplexen Feld in
Erscheinung tretenden Akteuren Literatur "für ihr Erziehungsgeschäft
vereinnahmen und dies in Lehrplänen, Unterrichtshilfen und
Unterrichtseinheiten in Lesebüchern begründen." (ebd.)
Dabei ist das, was in
der Schule mit Literatur "getrieben" wird, längst
ins Visier der
akademischen Fachwissenschaft geraten und zur Zielscheibe grundlegender
Kritik geworden. Wie dort mit Literatur umgegangen wird, so der Vorwurf,
sei nicht mehr sachangemessen, weil sie einer althergebrachten "kulturpolitische(n)
Mythenbildung" (ebd.)
Vorschub leisteund "Literaturlegende(n)" (ebd.)
bediene. Im Zentrum der Kritik: "das kulturtragende Bild der Literatur
als Sinnangebot und sein theoretisches Fundament, die Hermeneutik und
deren Fixpunkte - Botschaft der Literatur, Autorität des Autors,
Wirklichkeitsbezug des Themas, Perspektive der Darstellung".
Insbesondere
Vertreterinnen und Vertreter anti- oder nicht-hermeneutischer
literaturwissenschaftlicher Konzepte laufen Sturm gegen die "institutionenspezifischen
Lesartenproduktionen". (ebd.)
Dabei sei es ihnen egal, ob diese "werkerschließend, Kontexte
analysierend, interpretierend modelliert oder dialogisch als
Kommunikation zwischen Text und Leser, wie sie in der
rezeptionspragmatischen Orientierung zum Ausdruck kommen und in den
unterschiedlichsten produktions- und handlungsorientierten Konzepten
eine spezifische Gestalt angenommen haben." (ebd.)
Schweres Geschütz wird
aufgefahren und entlässt Lehrkräfte, die sich bemühen, Literatur für
schulische Lehr- und Lernprozesse fruchtbar zu machen, in "Turbulenzen"
(ebd.), aus
denen sie, um im Bild solcher Erschütterungen zu bleiben, aber nicht wie
ein Flugzeug unbeschadet hindurchfliegen können. Selbst angeschnallt und
damit in der Hoffnung auf eine sichere Fixierung, erzeugen Turbulenzen
Ängste, weil sie aller wissenschaftlicher Erklärung zum Trotz, stets neu
aufkommen, besonders schlimm dann, wenn ein Flugzeug einem "Luftloch"
absackt.
So ergeht es wohl auch
einem großen Teil von Lehrkräften, denen wegen der
längst zerbrochenen
Geschlossenheit der Literaturdidaktik früherer Jahre und dem
fortschreitenden fachwissenschaftlichen Diskurs und seiner Moden
Orientierung, und damit eben auch Halt, verloren geht.
Ein Blick auf die
Schulwirklichkeit offenbart darüber hinaus weitere Heterogenität, von
den Biografien der Lehrkräfte angefangen, über deren jeweils
unterschiedliche (wissenschaftliche) Sozialisation, ihr grundsätzliches
Verhältnis zur Literatur und ihren verschiedenen Genres bis hin zu
unterschiedlichen pädagogischen Konzepten. (vgl.
ebd.,
S.232) Wenn dazu das, was wissenschaftlich und literaturdidaktisch
umstritten ist, auf den Nenner schulischen Umgangs mit Literatur
gebracht werden soll, erzeugt dies, davon ist auszugehen, zunächst
einmal Verunsicherung und Angst mit dem pragmatischen Ausweg, eben so
"weiterzuwursteln", wie man es gelernt hat oder gewohnt ist.
Dass sich hinter den
neuen Entwicklungen, die Literatur stärker auf die Bedingungen hin
befragt, unter denen das Wissen darüber erzeugt wird, auch neue
Spielräume im schulischen Umgang mit Literatur eröffnen, die den
schulischen Literaturunterricht vom viel zu eng gewordenen Korsett der
hermeneutischen und werkimmanenten Interpretation befreien, tritt dabei
zunächst einmal in den Hintergrund.
Damit Lehrkräfte diese
"Heterogenität" wirklich "als eine Chance" begreifen können, wie
Förster (2002,
S.233) meint, muss sich sicher sehr viel ändern. Dazu gehört, den
Anspruch des Leitmusters hermeneutischer Praxis zurückzuweisen, der
einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Das Weltbild, das hinter dessen
Interpretationspraxis und dem Glauben an das "Gespenst der so genannten
richtigen Interpretation" (Steinmetz (1995,
S.476) steht, passt nicht mehr zur Welterfahrung heutiger Leserinnen und
Leser. Während diese sich in einer multipolaren, in unterschiedlichster
Weise miteinander vernetzten, auf wechselnden Identitäten und globaler
Sinnhaftigkeit entbehrenden Welt zurechtfinden müssen, gaukelt die
hermeneutische Interpretation "die Vorstellung einer sinnvollen Ordnung"
(ebd,
S.237) vor, die sich zwischen den Polen Autor, Werk und Leser
konstituiert.
Unter diesem
Blickwinkel werden auch die "Spielräume" klarer, von denen schon die
Rede war, wenn Literatur nicht mehr zur Sinnstiftung herhalten muss.
Wenn unter postrukturalistischer Perspektive "Texte keine Bedeutung von
»innen« (haben), sondern lediglich aufgrund konventioneller Regelungen
in bestimmten historischen und sozialen Kontexten" (ebd.,
S.240), dann wird der Umgang mit literarischen Texten auch von der
Aufgabe befreit, die Textbedeutung im Wesen des Textes selbst zu suchen.
Stattdessen wird in poststrukturalistischen Ansätzen der Blick darauf
gerichtet, wie und unter welchen Bedingungen die Zuschreibungen zustande
kommen, die einem Text im Laufe seiner Produktions- und
Rezeptionsgeschichte widerfahren. Damit wird, so stellen
Köppe/Winko (2008, S.98) heraus, auch die "Möglichkeit der
Rekonstruktion einer stabilen Bedeutung verneint."
Das ist also der Wind
aus der Fachwissenschaft, der herkömmlicher Praxis des
Literaturunterrichts mitten ins Gesicht bläst, wenn gegen einen
Erkenntnisbegriff Front gemacht wird, "der vor allem im interpretationsleitenden
Konzept der Autorintention
verortet wird." (ebd.)
Und wer will, kann spüren, dass dieser Wind aus allen Richtungen immer
wieder die gleiche Botschaft bläst: "Die Suche nach dem Sinn oder der
Bedeutung »hinter« den Texten" ist, so die These, "ein uneinlösbares
Unterfangen [...], das die Literatur in prinzipieller Weise, moderne
Literatur aber auch in historischer Hinsicht verfehlt" (ebd.)
Die moderne Literatur
seit Beginn des 20. Jahrhunderts jedenfalls sperre sich mehr oder
weniger erfolgreich gegen diese Art von Sinnsuche und entlarve damit
auch das gängige "Objektivitätsideal", mit seiner "Fixierung auf
Rationalität und Wahrheit" als "»Machtstrategien«".
Wenn Texte also "nicht
als eigenständige, Bedeutung tragende Größen" angesehen werden können (ebd.,
S.102), kann auch die schulische Literaturarbeit nicht mehr, jedenfalls
nicht mit der bisher geübten Dominanz, nach einer "substanzierbaren
Sinnhaftigkeit" (Förster
2002, S.245) im Text Ausschau halten, sondern sollte sich den
"literarischen Gegenständen in ihrer sprachlichen, rhetorischen,
diskursiven, im engeren Sinne ihrer poetischen und ästhetischen
Verfasstheit" (ebd.)
nähern und sich dabei dafür interessieren, wie "kulturell geprägte
Denkmuster, Verhaltensweise, soziale Praktiken und deren institutionelle
Verankerung [...] an der Konstitution von »Sinn« beteiligt sind". (ebd.,
S.245)
Die »Diskursanalyse
»Michel Foucaults
(1926-1984) hat diesen postrukturalistischen Denkansatz begründet.
Dabei steht der Diskursbegriff im Zentrum, den Foucalt in seinen
Schriften selbst freilich "bewusst uneinheitlich verwendet hat"
Köppe/Winko (2008, S.99), indem er "eine weite, unklare und eine
engere, wissensoziologische Begriffsverwendung" (ebd.)
vorgab.
Titzmann
(1991, S.406, zit. n.
ebd., S.101) hat als kleinsten gemeinsamen Nenner für den
mittlerweile inflationär verwendeten Begriff "Diskurs" folgende
Definition formuliert, die wir hier in der Fassung von
Köppe/Winko (2008, S.101) wiedergeben:
"Unter »Diskurs« wird ein »System des Denkens und Argumentierens«
verstanden, das durch einen gemeinsamen »Redegegenstand«, durch
»Regularitäten der Rede« und durch »Relationen zu anderen Diskursen«
bestimmt ist."
Daraus folgt, so
Köppe/Winko (2008, S.101), dass Diskurse "also keine Einzeltexte
oder Textgruppen (sind), sondern Komplexe, die sich aus Aussagen und den
Bedingungen und Regeln ihrer Produktion und Rezeption in einem
bestimmten Zeitraum zusammensetzen." Ob ein Text zu einem Diskurs gehört
oder nicht, hängt dabei davon ab, ob er die Regeln des Diskurses befolgt
und "zum spezifischen Thema des Diskurses Wissenselemente" beiträgt. (Baasner
2005, S,137)
Diskursanalytisch
gesehen sind Texte "»Knotenpunkte«
im Netz verschiedener Diskurse" (Köppe/Winko
(2008, S.102), die keine festen Grenzen haben und nicht auf eine
außertextliche Wirklichkeit verweisen, "sondern auf Sprache, mithin auf
andere Texte und Diskurse" (ebd.),
die allein den (intertextuellen)
Kontext darstellen, den die Diskursanalyse berücksichtigt.
Literarische Texte haben in einem Diskurs "nichts spezifisch
Literarisches, sondern sind beliebige Texte, die sich einem Thema
widmen." (Baasner
2005, S.143)
Entsprechend geht es
bei der Diskursanalyse auch nicht darum, quasi über die Hintertüre
"durch Einbettung in einen geeigneten Kontext »die Bedeutung« eines
Textes interpretativ zu erschließen." (Köppe/Winko
2008, S.104) Stattdessen ordnet die literaturwissenschaftliche
Diskursanalyse "die Inhalte literarischer Texte in thematisch verbundene
Kontexte ein und bestimmt so ihre Abhängigkeit oder ihre Abgrenzung von
vorhandenen Diskursen". (Baasner
2005, S.146)
Indem Texte bzw.
"Textpassagen durch die Identifikation relevanter Diskurse in einen
erhellenden historischen Bezug gestellt werden und Verbindungen
aufgezeigt, die zwischen Figuren, Bildern oder Handlungselementen in
einem oder mehreren literarischen Texten und zeitgenössischen
diskursiven Einheiten bestehen" (ebd.),
lässt sich "z. B. die Abhängigkeit der literarischen Texte von
bestimmten zeitgenössischen Diskursen belegen." (ebd.)
Pädagogisch legitimiert
erscheint der diskursanalytische Umgang mit Literatur dabei allemal,
wenn man einem Literarunterricht, der sich daran orientiert, die Potenz
zuschreibt, auf diesem Weg Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen,
"die prinzipielle Relativität eigener oder fremder Sinnzuweisungen auf
ihre Grundlagen hin zu durchschauen." (Förster
2002, S.245)
Dass die Diskursanalyse
naturgemäß, wie bei den hermeneutischen Verfahren eben auch, nicht den
"Normalleser" im Blick hat, sondern "mit wenigen Ausnahmen allein die
dezidiert theoriegeleitete rezipierenden, professionellen Leser, meist
aus dem akademischen Umfeld" (Köppe/Winko
(2008, S.104), macht die Sache für die (schulische)
Literaturdidaktik auch nicht unbedingt einfacher, wenngleich es auch für
den Literaturunterricht in der Schule brauchbare Modelle postrukturaler
Lektürepraxis gibt, die "quer zum hermeneutischen Einsammeln von Sinn
(stehen)" (Förster
2002, S.241)
Ob, und damit sind wir
wieder am Ausgangspunkt der eingangs geschilderten Turbulenzen mit ihren
Folgen für Lehrkräfte und Schüler angelangt und der Frage, ob sich Literaturwissenschaft
und Literaturdidaktik letzten Endes wirklich "auf ein Diskursmodell
einlassen muss", das auf der Annahme beruht, "dass Literatur nur eine
Wissensmenge ist" (Baasner
2005, S,137). Diese kann hier jedenfalls nicht beantwortet werden.
In diesem
teachSam-Arbeitsbereich geht es vor allem
um die Darstellung der Prinzipien der ▪
werkimmanenten Interpretation bzw.
Werkinterpretation, die in modifizierter Form als ▪
kontextualisierte werkimmanente Interpretation im
Literaturunterricht auch vor allem deshalb weiter eine zentrale Stellung
einnimmt, weil andere antihermeneutisch ausgerichtete Ansätze wie z. B.
strukturalistische Literaturtheorien, es nach wie vor nicht überzeugend
geschafft haben, das Verstehen alternativ zur Hermeneutik zu
konzeptualisieren. (vgl.
Baasner
1997/22006, S.162)
▪
Handlungsfeld Literatur (Abraham/Kepser)
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Einen literarischen Text interpretieren (schulische Textinterpretation)
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Turbulenzen auf einem schwierigen Feld, Gert Egle (2014)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
24.07.2024