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Einen literarischen Text interpretieren (schulische Textinterpretation)
Wenn von Hermeneutik in
der Literaturwissenschaft gesprochen wird, ist meistens die
hermeneutische Methode der Interpretation gemeint. Daneben gibt es aber auch
die sogenannte philosophischen Hermeneutiken. Sie interessieren sich dafür,
wie die Menschen sich und die Welt erfahren und gehen dabei über den
engeren methodischen Anspruch der eigentlichen Texthermeneutik hinaus.
Der Begriff Hermeneutik
(gr. hermeneuein = auslegen, übersetzen) wird seit dem 17. Jahrhundert
als Bezeichnung für die Theorie des Verstehens von Texten und ihrer
Interpretation verwendet.
Als
Lehre vom Verstehen hat die Hermeneutik, auch wenn sich ihre Wurzeln bis in die
griechische Antike verfolgen lassen, einen religiösen Ursprung. Die von
ihr in hermeneutischen Regeln zur Sicherung eines ädaquaten
Textverständnisses praktizierten Methoden dienten vor allem der
Bibelauslegung und anderer "überlieferter Texte mit kanonisiertem Sinn
(z. B. Kirchenväter, römisches Recht, klassische antike Dichtung." (Baasner
1997/22006, S.159)
Es dauerte, bis man
verstand und akzeptierte, dass der Sinn und die Bedeutung eines Textes
nicht allein auf Textebene oder den darin rekonstruierten Intentionen
des Autors zu finden ist, sondern dass auch der Leser aktiv bei der
Sinnkonstruktion beteiligt ist. Ob man im Rahmen des weiterhin
hermeneutischen Konzepts dabei die Autorintentionen zu rekonstruieren
versucht, sich der Vieldeutigkeit des Textes über Einfühlung und
Intuition nähert und darüber zu seinem Wesen vordringt oder ob es in
diesem Prozess zu einer Art Neuschöpfung des Textes kommt, ist dabei
zunächst nicht so wichtig, denn in allen diesen "Fällen geht es darum,
den Autor letztlich besser zu verstehen, als er sich selber verstanden
hat." (ebd.)
Auch wenn gegen den ▪
hermeneutischen Ansatz vielerlei berechtigte
Kritik vorgebracht wird, ist der besondere "Verstehens- und
Auslegungsprozess" der damit beschrieben wird, "die theoretische Basis
jeglicher Interpretation" und ihrer verschiedenen Zugänge und
Umgangsweisen von Literatur. (vgl.
Becker/Hummel/Sander 22018, S.193)
Insbesondere sein
"Anspruch, dem Text selbst und seiner Erscheinungsform in der
literaturwissenschaftlichen Analyse vordringliche Aufmerksamkeit zu
widmen, gilt nach wie vor. Die genaue Erfassung dessen, was im Text
steht und wie es sich vermittelt, gehört [...] zu den grundlegenden
philologischen Fähig- und Fertigkeiten, die unabhängig davon, welcher
methodische Ansatz oder welche erkenntnisleitende Fragestellung verfolgt
wird, die literaturwissenschaftliche Arbeit bestimmen." (Wagner-Egelhaaf
72006, S.200)
Literaturdidaktisch ist
dies unbestritten. Dass "zeitlich und kulturell ferne Texte, deren
Welten dem gegenwärtigen Leser fremd sind" (Ehlers
2016, 4.1 Textverstehen), "gewisser interpretatorischer
Anstrengungen bedarf" (ebd.)
und Interpretationshandlungen verlangen, "um eine solche Differenz
zwischen Text und Leser zu überbrücken" und auf diese Weise "die
andere Welt mit ihren Glaubens-/Normensystemen, Weltbildern und
Lebensformen" (ebd.)
zu erschließen, steht für die Literaturdidaktik außer Frage.
Und auch in den den
Einheitlichen Prüfungsanforderungen in
der Abiturprüfung Deutsch (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom
01.12.1989 i. d. F. vom 24.05.2002) (EPA)
wird sogar betont, dass "dem Erschließen von
literarischen Texten (...) vorrangige Bedeutung zu(kommt), denn das Verstehen
literarischer Texte eignet sich als Muster des Verstehens überhaupt." (S.5)
Dabei geht die Hermeneutik, wie sie
literaturdidaktisch modelliert wird, von der Praxis der
Texterschließung und Interpretation aus. Sie muss sich daher den Vorwurf
eines fehlenden "kritische(n) Bewusstsein(s) seiner eigenen
Voraussetzungen", von "Theoriefeindlichkeit" oder gar
"mangelhafte(r) praxislose(r) Theorie" und "theorieloser Theorie" (Rusterholz
1996, S. 102) nicht anziehen. Dass die Geschichte "je nach
historischem und philosophischen Kontext" auch unterschiedliche
hermeneutische Konzepte entwickelt hat, die "implizit oder explizit von
völlig verschiedenen Modellvorstellungen der Sprache, der Kunst und des
Verstehensprozesses aus(gehen)" (ebd,
S. 102f.) wird dabei selbstverständlich nicht bestritten. Dieser
Hintergrund kann und soll hier aber nicht dargestellt werden.
Hier geht es vor allem
um die Darstellung der Prinzipien der ▪
werkimmanenten Interpretation bzw.
Werkinterpretation, die in modifizierter Form als ▪
kontextualisierte werkimmanente Interpretation im
Literaturunterricht auch vor allem deshalb weiter eine zentrale Stellung
einnimmt, weil andere antihermeneutisch ausgerichtete Ansätze wie z. B.
strukturalistische Literaturtheorien, es nach wie vor nicht überzeugend
geschafft haben, das Verstehen alternativ zur Hermeneutik zu
konzeptualisieren. (vgl.
Baasner
1997/22006, S.162)
Daneben werden auch die
Prinzipien des werktranszendierenden, aber auch hermeneutisch
ausgerichteten ▪
Rezeptionsästhetik dargestellt, weil sie ihre ▪
literaturdidaktische
Bedeutung auch im Rahmen handlungs- und produktionsorientierter
Konzepte des Literaturunterrichts, z. B. im Zusammenhang mit der so
genannten
Gestaltenden Interpretation entfaltet.
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Einen literarischen Text interpretieren (schulische Textinterpretation)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.07.2024