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Venus-gärtlein (1656)
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Bausteine
Das Lied ist ein
zeittypisches Spottlied, dessen Melodie offenbar allseits bekannt war und
wird im ▪ Venus-Gärtlein ohne eigene
Liedüberschrift präsentiert. Hier wird der Liedanfang dazu genutzt. Noten,
wie sie in späteren Volksliedsammlungen dafür auftauchen, gibt es in dem
barocken Liederbuch aus dem Jahr 1656 nicht.
EIN Schneider und
ein Ziegenbock
EIN
Schneider1 vnnd ein
Ziegenbock2, ein
Leinweber3 vnd ein
Igelkopff4, Ein
Körschner5 vnnd ein
Katze, nun wollan, die tantzen auff einem Platze,
so mein Igel, so, so
mein Igel so.
Die Leinweber
hätten
sich eins vermessen6,
bey dem Bier7 vnnd das sie sessen8, sie wolten
in das
Holtz fahrn9, nun wohlan, sie
wolten den Igel tod schlagen, so mein Igel
so, so mein Igel so.
Und das erhörte die
Fledermauß, sie gieng wohl
für deß Igels Hauß, Igel lieber Herre, nun
wolan, die Leinwebers drewen10 dich sehre, so mein Igel so, so mein Igel
so.
Der Igel war ein
zorniger Mann, er zog zwey blancke Sporen an, blanck biß auff die Erden,
nun wolan, gegen die Leinnewebers wolte er sich wehren, so mein Igel so,
so mein Igel so.
Die Kurtzweil wehrt
nicht jhn dar nicht lang, die Schwerdter giengen klingen klang,
der Leinneweber wolt sich bücken, nun wolan, vor dem Igel must er sich
strecken, so mein Igel so, so mein Igel so.
Ach liber Igel laß mich
leben, ich wil dir meine Schwester geben,
meine Schwester Grete, nun wolan,
sie kan die Spulen schiessen11, so mein Igel so, so mein Igel so.
Und deine Schwester wil
ich nicht, sie ist eine lose böse Hure, sie ist
mir vngetrewe,
nun wolan, sie stillt mir das vierdte
Kläwen12, so mein Igel so, so mein Igel
so.
Sie stahl mir einen
Ummehang13, der war wohl vierzig
Elen14 lang,
sie nahm ihn auff den Rücken,
nun wolan, sie lieff damit über eine Brücken, so mein Igel so, so mein
Igel so.
Sie lieff wohl einen
Berg hinan, das sie die Frawe und auch der Mann,
das sahen all die
Leute, nun wolan, was wil vns das bedeuten, so mein Igel so, so mein
Igel so.
Sie lieffen wohl hinter
einen grünen Pusch,
da da spielten sie beyde ihres Hertzen=Lust,
da lebeten sie in Frewden,
nun wolan, damit hat die Lieb eine Ende, so mein
Igel so, so mein Igel so.
Wer ist der vns diß
Liedlein sang, ein freyer Igel ist er genandt, er hat es wol gesungen,
pfuy dich an, die Leinnewebers hat er überwunden, so mein Igel so, so
mein Igel so.
(Quelle: Venus-Gärtlein.
Ein Liederbuch des XVII: Jahrhunderts. Nach dem Drucke von 1656,
herausgegeben von Max Freiherrn von
Waldberg, Halle a. S.: Max Niemeyer 1890, S. 30-31) - pd -
gemeinfrei)
Worterläuterungen:
1
Schneider: Nach dem Verständnis früherer Zeiten
verrichteten Schneider Frauenarbeit. Dafür wurden jahrhundertelang
verspottet und in Spottliedern besungen. Im Großen und Ganzen galt der
Schneider oft als eine Verliererfigur. Das lässt sich auch heute noch
erahnen, wenn man bedenkt, dass es bei manchem Kartenspiel heißt, dass
derjenige einen "Schneider" hat, der besonders wenige Punkte erreicht hat.
2
Ziegenbock: Ziege und
Ziegenbock sind ein gängiges Symbol für a) edie nährende Natur und eines
bescheidenen Wohlstandes; b) der Hinterlist und der Bosheit; c) der
unkontrollierten Sexualität; d) des Rauschhaft-Dionysischen; e) der
unschuldig leidenden Kreatur; e) des (gläubigen) Christen (vgl.
Metzler Lexikon literarischer Symbole, 3. Aufl. 2021, S.731f.); das
Motiv des Schneiders und des Ziegenbocks wird auch immer wieder in
Handwerkerliedern gestaltet, die die Schneider verspotten, indem sie von
deren Kampf gegen den Ziegenbock oder die Geiß oder auch dem, Kampf gegen
die Schnecke erzählen (vgl. »O.
Schade, Deutsche Handwerkslieder 1865, S.251, 253);
3 Leinweber:
»Leineweber
= historische Berufsbezeichnung für »Weber
von Leinen, einem auf Handwebstühlen in »Leinwandbindung
hergestelltem Gewebe. Leinengewebe besteht ganz oder zu einem großen Teil
aus Leinengarn, einem aus »Flachsfasern
gesponnenen »Garn.
Bis in die Frühe Neuzeit hinein galt der Beruf des Leinewebers als ein
unehrlicher Beruf. Das bedeutete etwa "nicht ehrenwert", d. h. ohne
ständisches Ansehen und war entsprechend auch gesellschaftlich verachtet.
Leineweber werden oft mit dem Igel verspottet. So auch in einer Erzählung
von Pauli (Schimpf und Ernst 1522), in der von einem Weber erzählt wird, der
bei keinem Herrn dienen wollte, welcher einen Igel in seinem Haus hielt.
4 Igelkopff:
Kopf mit Igelschnitt, Haartracht im 16. Jahrhundert; im Ggs. zu heute ist
damit aber wohl nicht ein
Kurzhaarschnitt (Meckifrisur,
Stiftelkopf etc.) gemeint, sondern der so genannte Haarigel, ein lang
herabwallendes, oft auch kaum gekämmtes, struppiges Haar
5 Körschner: »Kürschner
= ein Handwerker, der Tierfelle zu Pelzbekleidung und anderen
Pelzprodukten verarbeitet. Trotz der Unreinheit ihres Handwerks gehörten
Kürschner in Europa zu den angesehensten und ratsfähigen Handwerkern.
6
sich eins vermessen: h. i. S. v. übers
Ziel hinausschießen,
7
bey dem Bier: h. s. S. von biertrunken,
betrunken, besoffen
8 sessen: h. i.
S. v. herumsitzen, herumlungern
9
in das Holtz fahrn: Holz schlagen im Wald,
könnte auch auf die Flachsernte bezogen sein
10
drewen: drohen, bedrohen
11
kan die spulen schiessen:
12
Kläwen: Knäuel;
denkbar auch: Bezeichnung für ein vierblättriges Kleeblatt, das als ein
Glücksbringer fungiert
13
Ummehang: Umhang,
14 Elen:
Längenmaßeinheit; ursprünglich von der Länge eines (die Röhrenknochen
Speiche und Elle enthaltenden) Unterarmes abgeleitet. Als Einheit besonders
unter Schneidern verbreitet. Wegen der Einheit sagt man auch
umgangssprachlich ellenlang. Noch heute werden die 50 cm oder 100 cm langen
Maßstäbe im Schneiderhandwerk Schneiderelle genannt.
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