Einen Erzählkern ausgestalten
Wer einen literarischen Text ▪
weitererzählen will, stellt vor einer komplexen Schreibaufgabe,
die nicht nur Fantasie für das Fortschreiben verlangt, sondern auch
die Fähigkeit, den Inhalt des Vorlagentextes zu erfassen und seine ▪
Erzählstrukturen zu erkennen.
Vom Schwierigkeitsgrad der Vorlage und seiner ▪
Erzählstrukturen hängt dementsprechend auch ab, für welche
Altersstufe und für welches das Anforderungsniveau die jeweilige
Schreibaufgabe gedacht ist.
Zur
Bewältigung der Schreibaufgabe sind die grundlegenden ▪
Schreibkompetenzen erforderlich, die man in vier
Kompetenzbereichen sehen kann
▪
Zielsetzungskompetenz: Warum und
für wen schreibe ich?
▪
Inhaltliche Kompetenz: Was
schreibe ich?
▪
Strukturierungskompetenz: Wie baue
ich den Text auf?
▪
Formulierungskompetenz: Wie
formuliere und überarbeite ich?
Der Vorlagentext aus Grundlage
Wer einen Text weitererzählen soll, muss sich an den Inhalten und
Strukturen des Ausgangstextes orientieren und mit diesen als Material für
die eigene Fortführung weiterverarbeiten (transformieren).
Der Vorlagentext ist damit nicht nur einfach Impulsgeber für die
eigene Fantasie, sondern Grundlage der kreativen Fortführung der
Geschichte.
Das kann, wenn dies nicht als Schreibauftrag ohnehin präzisiert
worden ist, im Einzelnen z. B. bedeuten:
-
Sich an die
Erzählperspektive halten
Die Erzählperspektive, die in der Textvorlage gestaltet ist (z.B.
Ich-Erzählung oder
Er-Erzählung, Perspektive einer Figur, die das
Geschehen erzählt), muss, wenn nichts anderes gefordert ist, beibehalten
werden.
-
Die raumzeitlichen
Rahmenbedingungen berücksichtigen Zeit- oder Ortswechsel bei der
Weitererzählung müssen also deutlich gemacht werden und plausibel an das
vorgegebene Raum-Zeit-Gerüst anschließen.
-
Die handelnden Figuren
weiter agieren lassen Wenn in
der Textvorlage bestimmte Figuren (bis
zu einem bestimmten Punkt) miteinander in Beziehung treten, sollte die
Weiterführung der Geschichte diese Beziehung in ihrer Entwicklung fortführen. Ganz neue
Figuren einzuführen, die wie vom Himmel gefallen, dieser Entwicklung
oder dem Geschehen eine bestimmte Wendung geben, sind dazu oft nicht so
gut geeignet.
-
Einen vorhandenen Konflikt
aufgreifen Besteht zwischen bestimmten Figuren ein Konflikt oder
sieht sich eine Figur in einem (inneren) Konflikt, sind diese Konflikte
oder Problemlagen aufzugreifen und in ihrer weiteren Entwicklung darzustellen.
-
Die
sprachlich-stilistische Gestaltung des Ausgangstextes fortführen Die Art und Weise, wie das Geschehen im Ausgangstexts gestaltet ist,
sollte sprachlich auch die Weitererzählung kennzeichnen. Das bedeutet z.
B., dass ein Text, der, insgesamt gesehen, in der Standardsprache
verfasst worden ist, bei der Weitererzählung nicht einfach in die
Umgangssprache abgleiten darf. Eine vorgegebene Geschichte kann ihren Inhalt in unterschiedlichem
"Grundton" darbieten. Sie kann dabei vergnüglich, spannend oder seltsam
wirken und das Geschehen mit einem Augenzwinkern, mit ernstem Blick oder
eher unbeteiligt erzählen. Dieser genretypische Grundton wird auch an
der verwendeten Sprache sichtbar. Beim Weitererzählen sollte man daher versuchen, diesem Grundton zu
folgen (wenn die vorgegebene Geschichte also eher humorvoll ist, auch
humorvoll weitererzählen). In erzählerisch gut begründeten Fällen kann
man selbstverständlich auch
davon abzuweichen.
Eine
Geschichte weitererzählen oder zu Ende erzählen? - Kein zwanghaftes Happy
end
Wenn zu einem Text eine Fortsetzung geschrieben werden soll, wird am
häufigsten verlangt, einen Text (z. B. eine kurze Erzählung, eine
Zeitungsnachricht oder einen Zeitungsbericht) weiterzuerzählen.
Manchmal
lautet der Arbeitsauftrag auch: "Schreiben Sie die Geschichte zu Ende". Ein
solcher Arbeitsauftrag ist eigentlich nicht geeignet, weil er die
Vorstellung erzeugt, als müsste eine Geschichte ein Ende haben oder in jedem
Fall, sagen wir mal, abgerundet sein..
Weitererzählen muss aber nicht unbedingt heißen, dass eine vorgegebene
Geschichte und die darin enthaltenen Probleme oder Handlungsstränge zu einem
"richtigen" Ende kommen, das die Geschichte, z. B. mit einem Happy end,
"abschließt".
Weitererzählen bedeutet lediglich, dass eine vorgegebene
Geschichte unter Beibehaltung der maßgeblichen Erzählstrukturen wie z. B.
Ich-Erzählung oder Er-Erzählung so fortgeführt wird, dass sie plausibel an
die raumzeitlichen Daten, die Charakteristik der Figuren und das Geschehen
im Ausgangstext anknüpft und das Ganze oder bestimmte Teilaspekte fortführt
und mit erzählerischen Mitteln gestaltet.
- An die vorgegebene Geschichte plausibel anschließen
Wer eine vorgegebene Geschichte weitererzählen will, sollte darauf
achten, dass die Weitererzählung plausibel daran anschließt. Das
bedeutet, das die weitererzählte Handlung zu der vorgegeben passt, indem
sie an bestimmte Handlungsmomente anknüpft und diese weiterführt.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
31.12.2023
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