In seinem Roman »Die verlorene
Ehre der Katharina Blum« (1974) lässt Heinrich Böll den
auktorialen Erzähler im 18. Kapitel über die Vernehmung von Katharina
Blum berichten:
"Die
Dauer der Vernehmungen ließ sich daraus erklären, dass Katharina Blum mit
erstaunlicher Pedanterie jede einzelne Formulierung kontrollierte, sich
jeden Satz, so wie er ins Protokoll aufgenommen wurde, vorlesen ließ. Z. B.
die im letzten Abschnitt erwähnten Zudringlichkeiten waren erst als
Zärtlichkeiten ins Protokoll eingegangen bzw. zunächst in der Fassung »dass
die Herren zärtlich wurden«; wogegen sich Katharina Blum empörte und
energisch wehrte. Es kam zu regelrechten Definitionskontroversen zwischen
ihr und den Staatsanwälten, ihr und Beizmenne, weil Katharina behauptete,
Zärtlichkeit sei eben eine beiderseitige und Zudringlichkeit eine einseitige
Handlung, um letztere habe es sich gehandelt. Als die Herren fanden, das
sei doch alles nicht so wichtig und sie sei schuld, wenn die Vernehmung
länger dauere, als üblich sei, sagte sie, sie würde kein Protokoll
unterschreiben, in dem statt Zudringlichkeiten Zärtlichkeit stehe. Der
Unterschied sei für sie von entscheidender Bedeutung, und einer der Gründe,
warum sie sich von ihrem Mann getrennt habe, hänge damit zusammen; der sei
eben nie zärtlich, sondern immer zudringlich gewesen."
(aus: Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie
Gewalt entstehen und wohin sie führen kann, München: Deutscher Taschenbuch
Verlag 1976, S. 27)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.12.2023