Das alte
Regierungssystem in Deutschland ist zusammengebrochen, drei Millionen Tote
und Invalide, die Einbuße des größten Teiles unseres Volksvermögens, der
Verlust von Schifffahrt und Außenhandel, Hunger und Elend kennzeichnen das
Trümmerfeld, das uns eine verfehlte innere und äußere Politik hinterlassen
hat. Die Bahn zum freien Volksstaat ist offen. Aber allzu lange dauert die
mit der Revolution verbundene Unordnung und Gesetzlosigkeit. Erleben wir
nicht die tägliche Bedrohung durch die Spartakus-Leute, die Zerrüttung
unseres Wirtschaftslebens durch politische Streiks und sinnlose
Lohnforderungen, die Losreißung deutscher Reichsgebiete durch die Polen, die
würdelose Zersplitterung des Reiches im Innern? Wahrlich, die Geschicke
Deutschlands sind schlecht aufgehoben, so lange nicht Ordnung und
Gesetzmäßigkeit wiederkehren.
In dieser
Not können nur große Parteien wirksam am Wiederaufbau unseres Vaterlandes
mitarbeiten. In der Deutschen Demokratischen Partei haben sich alle
zusammengeschlossen, die, auf dem Boden der Republik stehend, bei den Wahlen
zur Nationalversammlung das Schicksal Deutschlands weder der Reaktion
ausliefern, noch der Sozialdemokratie allein überlassen wollen.
Wir
verlangen, dass die Wahlen zur Nationalversammlung mit größter
Beschleunigung anberaumt werden.
Wir wollen
die errungenen politischen Freiheiten nicht wieder preisgeben. Wir treten
deshalb bei den Wahlen ein für die Errichtung einer deutschen Republik, in
der alle öffentliche Macht allein auf dem Willen des souveränen Volkes ruht.
In ihr sollen die einzelnen deutschen Stämme ihre Eigenart selbständig und
frei entwickeln können. Wir fordern die völlige Gleichheit aller
Staatsbürger und Staatsbürgerinnen vor dem Gesetz und in der Verwaltung ohne
Rücksicht auf Stand, Klasse oder Bekenntnis, und verlangen die Freiheit des
Gewissens und der Religionsübung. Eine Trennung von Staat und Kirche ist nur
denkbar unter voller Wahrung und Würde und unter Sicherung der finanziellen
Selbständigkeit der Kirche.
Der
ordentlichen Arbeit gebührt als Lohn ein auskömmliches, lebens- wertes
Dasein und Teilnahme an den Gütern der Kultur. Staatliche Anerkennung der
Arbeiter- und Angestelltenverbände, obligatorisches Schiedsgericht sowie
Gewährleistung der durch Tarifverträge festgesetzten Arbeitsbedingungen,
insbesondere auch der vereinbarten Mindestlöhne und Mindestgehälter, müssen
hierzu helfen. Auch den wirtschaftlich Schwachen, vor allen den
Kriegsbeschädigten, den Witwen und Waisen unserer Gefallenen, muss der Staat
eine menschenwürdige Existenz schaffen. Den Tüchtigen dürfen weder
Standesvorrechte noch Bürokratismus, weder Geldmacht noch Klassenvorurteile
am Aufstieg hindern. Der Staat hat allen Befähigten die gleiche Ausbildung
jeder Art auf Schule und Hochschule zu verbürgen. Denn nur der Tüchtige hat
in einer freien Demokratie gerechten Anspruch auf Vorwärtskommen.
Notwendig
ist eine wirklich soziale Steuerpolitik. Einmalige progressive
Vermögensabgabe, auf angemessene Zeit verteilt, gestaffelte Ein-
kommensteuer unter möglichster Schonung der kinderreichen Familien, des
Arbeitseinkommens und der kleinen Vermögen. Allgemeine Erbschaftssteuer für
jeden größeren Nachlass. Vor allem aber schärfste Erfassung der
Kriegsgewinne. An diesem Kriege darf kein Deutscher sich bereichert haben.
Solche
Lasten aber können nur getragen werden bei Aufrechterhaltung des
Privateigentums und einer Wirtschaftsordnung, die das Interesse des
einzelnen am Erwerb lebendig hält und ihn zu höchster Tätigkeit an- spornt.
Die unerhörte Verschuldung, der Mangel an Rohstoffen und die Zerstörung
unseres Außenhandels bedrohen uns mit einer Wirtschaftskrise sondergleichen.
Nur die gemeinsame Anspannung aller Kräfte von Unternehmern und Arbeitern,
von Selbständigen und Angestellten kann an Zusammenbruch verhindern. Darum
verwerfen wir die von der Sozialdemokratie angestrebte Überführung aller
Produktionsmittel in das Eigentum der Gesellschaft. Das Beispiel der
Kriegsgesellschaften schreckt! Die Frage der Sozialisierung ist rein
sachlich für jeden Einzelfall danach zu entscheiden, ob eine Steigerung der
Erwerbsmöglichkeiten der breiten lassen und eine Erhöhung des
Produktionsertrages erzielt werden kann. Keinesfalls dürfen Staatseingriffe
in der Form der Bürokratisierung des Wirtschaftslebens erfolgen.
Im
Gegensatz zum Parteiprogramm der Sozialdemokratie sind wir von dem Wert und
der Unentbehrlichkeit des Handwerks und Kleinhandels überzeugt. Wir
erstreben die Wiederaufrichtung des Handwerks durch schleunige Zuführung von
Rohstoffen, Kreditbeschaffung und Für- sorge für das Lehrlingswesen.
Die
politische und wirtschaftliche Stellung der Beamten muss auf zeitgemäßer
Grundlage gesetzlich aufgebaut werden. Ihre Freiheit muss durch Ausbau des
Beamtenrechts gesichert, die Erreichung auch der höchsten Rechte, besonders
Ruhegehälter und Hinterbliebenenbezüge, müssen gewahrt, die Organisationen
der Beamten anerkannt werden.
Auch die
Bauern sind nicht untergegangen, wie die Sozialdemokratie prophezeit hat.
Mehr denn je brauchen wir heute einen starken Bauernstand. Darum verlangen
wir Beschränkung des Großgrundbesitzes, Beseitigung der Fideikommisse und
aller ähnlichen feudalen Vorrechte. Der planmäßige Siedlungspolitik
erleichtert werden. Kein Wirtschaftszweig ist weniger geeignet zur
Verstaatlichung als die Landwirtschaft. Der freie Bauer auf freiem Boden!
Militärische Gewaltpolitik hüben und drüben hat uns in diesen Krieg geführt.
Das Recht muss unter den Völkern herrschen. Wir verlangen eine auswärtige
Politik, die getragen ist vom Geiste dauernden Friedens und Deutschlands
Geltung in der Welt sichert.
Wir treten
ein für einen Bund gleichberechtigter Völker, für inter- nationale
Schiedsgerichte und für eine gleichmäßige Beschränkung der Rüstungen. Im
Heere verlangen wir die Beseitigung aller Privilegien.
Wir
fordern Freiheit der Meere und freie Entwicklung von Handel und Schifffahrt.
Der Außenhandel ist unentbehrlich zum Wiederaufbau der Wirtschaft und zur
Vermehrung der Erwerbsgelegenheiten unseres Volkes.
Vorbedingung für eine gute Auslandspolitik ist eine durchgreifende Reform
des auswärtigen Dienstes. Die Rechte der Auslandsdeutschen und die
Kolonialinteressen des deutschen Volkes müssen gewahrt werden. Wir verlangen
bei den Friedensverhandlungen auch für uns das volle freie
Selbstbestimmungsrecht, das wir den anderen Völkern zugestehen. Wir fordern,
dass bei der Regelung der Nationalitätenfrage in Elsaß-Lothringen und in der
Ostmark neben den nationalen auch die wirtschaftlichen, geographischen und
kulturellen Beziehungen voll berücksichtigt werden. Gegen jede Verletzung
dieses Selbstbestimmungsrechtes, das auch den Deutschösterreichern gebührt,
werden wir uns dauernd wehren. Wir treten ein für den gesetzlichen Schutz
fremdsprachlicher Minderheiten in Deutschland und verlangen das gleiche
Recht für die deutschen Minderheiten im Ausland.
Die Welt
soll wissen, dass die Kraft der deutschen Nation in aller Zukunft nicht
ausgeschaltet werden kann. Wir wollen, dass die Vertreter des deutschen
Volkes stolz und aufrecht zur Friedenskonferenz gehen. Wir wollen, dass sie
so sprechen, wie es den Abgesandten eines ungeheurer Übermacht unterlegenen,
heute freien und selbständigen Volkes geziemt.
Wähler und
Wählerinnen!
In Eure
Hand ist Eures Volkes Schicksal gelegt. Wer mit uns eintritt für eine
demokratische Republik, für volle politische Gleichberechtigung, für die
Abwehr jeder Gewaltherrschaft, für den Wiederaufbau des einigen deutschen
Vaterlandes in freiheitlichem Geiste, zu wirtschaftlicher und kultureller
Größe, der stimme für die
Deutsche
Demokratische Partei!
(in:
Hohlfeld, Dokumente, Bd. III,
S. 1-3, dort zit. n. F. Salomon, Die deutschen Parteiprogramme, Heft 3, 3.
Aufl., 1920, S. 71ff.)
Abbildung: Wahlplakat der DDP zur Wahl der Weimarer Nationalversammlung,
Entwurf: F. Witte, 1919 ,
DHM, Berlin, P57/1326
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
07.12.2024