▪ Surfbrett: Erzähler
Auf der ▪ Ebene der Figuren können verschiedene
Techniken zur impliziten Figurencharakterisierung verwendet werden. Diese
▪ Charakterisierung einer Figur
ist in der
▪
wörtlichen Rede oder der
Gedankenwiedergabe einer Figur (▪
erlebte
Rede,
▪
innerer Monolog,
▪ Bewusstseinsstrom) in
Innensicht mitenthalten und
erfolgt damit als ▪
Showing.

Wird eine Figur
implizit charakterisiert, dann werden
in der
Figurenrede der Figur
selbst oder der anderer Figuren Informationen über die Figur mitgeliefert,
die nicht ausdrücklich erwähnt werden. Im Gegensatz dazu stehen
explizite
Äußerungen auf der Figurenebene.
Figuralstil
Figurencharakterisierung durch die Figuren selbst in Form ihrer
eigenen
charakteristischen Redeweise bei direkter
Redewiedergabe oder auf
Innensicht
beruhender Gedankenwiedergabe
z.B. durch a) historisch und sozial geprägte Sprachvarianten
b) individuelle Dispositionen und Spracheigenheiten
(vgl.
Vogt
1990, S.152) |
Äußert sich die Figur in
einer für sie typische Weise, wenn sie spricht oder etwas denkt?
-
Wodurch zeichnet sich
die Art und Weise aus, in der die Figur spricht oder denkt?
-
Spricht die Figur
Hochsprache, Umgangssprache oder Dialekt?
-
Verwendet die Figur mit
Vorliebe bestimmte Redewendungen oder Floskeln?
-
...
|
"Verdammtes
Schwein!", rutschte Antonia heraus, nachdem sie den unglaublichen
Vorschlag von Martin gehört hatte.
→Weitere Beispiele |
Beziehungsstil Figurencharakterisierung durch die Figuren selbst in Form
charakterisierender Redeweise anderer Figuren über eine bestimmte
Figur in direkter Redewiedergabe oder in auf
Innensicht
beruhender Gedankenwiedergabe. Zu unterscheiden ist, ob
|
Äußern sich andere Figuren über die Figur in einer dafür typischen
Art und Weise?
-
Wodurch zeichnet sich
die Art und Weise aus, in andere Figuren über die Figur sprechen
oder denken?
-
Sprechen Sie z.B. in
Gegenwart der Figur anders über sie als in ihrer Abwesenheit?
-
...
|
Martin Bach holte tief
Luft: "Im Endeffekt willst du das ja doch, nicht
wahr. Du kannst nämlich im Endeffekt gar nicht anders." - "Im
Endeffekt, im Endeffekt ... Du kannst mich mal - im Endeffekt." |
Thematik
Figurencharakterisierung durch die Figuren selbst, indem sie
charakteristischerweise bestimmte Inhalte bei der direkten
Redewiedergabe oder der auf
Innensicht beruhenden Gedankenwiedergabe bevorzugen.
|
Drehen sich die Äußerungen und Gedanken einer Figur immer wieder um
bestimmte Themen?
-
Welches Thema bzw.
welche Themen beschäftigen eine Figur immer wieder?
-
Erfolgt die
Beschäftigung mit diesem Thema aus freien Stücken, ist sie durch
etwas aufgezwungen oder erfolgt sie aus anderen Gründen irgendwie
zwanghaft?
|
Martin Bach thematisiert
immer dann die "bürgerliche Verklemmtheit", wenn er seine
Sexualität nicht so ausleben kann, wie er es möchte. |
T. C. Boyle
(geb. 1948) hat in seinem Roman "Wenn das Schlachten vorbei
ist" (München 2012) ein eindrückliches Beispiel für den
Figuralstil verfasst. In dem Roman, in dem mehrere der
kalifornischen Küste vorgelagerte Inseln Schauplatz eines
erbitterten Kampfes verschiedener Umweltschützer gegeneinander
ist, thematisiert Boyle u. a. die Ausbeutung der natürlichen
Ressourcen durch den Menschen und deren katastrophale Folgen.
Zugleich zeigt er in satirischer Absicht auf, in welche
Widersprüche sich die Umweltschützer der verschiedenen Lager
immer wieder verstricken, so dass am Ende "die Guten" auf keiner
Seite zu finden sind. Dave Lajoy ist einer der Protagonisten,
die sich geradezu fanatisch dem unbedingten Schutz von Tieren
verschrieben haben, selbst wenn sie durch menschliche Eingriffe
in das natürliche Ökosystem andere Arten vollständig verdrängen.
So geschieht es auf den Santa Barbara-Inseln, wo es einmal
Ratten, ein andermal verwilderte Schweine sind, die von den
Menschen dorthin gebracht, das ursprüngliche Ökosystem zugrunde
richten und nach dem Willen der umweltschützerischen Gegenseite
beseitigt werden sollen, damit sich das ursprüngliche Ökosystem
wieder einpendeln kann. Seine innere Widersprüchlichkeit, wie
auch die der anderen Figuren arbeitet Boyle immer wieder mit der
Verwendung durch Figuralstil beim personalen Erzählen heraus.
Hier charakterisiert sich Dave Lajox selbst, indem er in einer
auf
Innensicht
beruhenden Gedankenwiedergabe einen "Penner" beschreibt und
charakterisiert.
"Er [Dave Lajoy, d. Verf.] hat sich weitgehend aus dem Geschäft
zurückgezogen. Das ist sein wohlverdienter Status. Er hat schwer
gearbeitet und eine Menge Geld verdient, und jetzt hat er ein
Haus in Montecito, seine zwei Wagen, sein Boot und Anise, und er
hat Zeit, so wie er immer wollte - wie der Penner, den er an
seinem BMW stehen sieht, als er um die Ecke biegt, einen
schlanken, philosophisch wirkenden weißhaarigen Penner, der da
steht, als überlegte er, ob er ein Angebot auf den Wagen machen
soll. Das ist bei ihm ganz automatisch: Ein Penner ist für ihn ein
Penner und nicht ein Obdachloser oder ein weniger vom Glück
Begünstigter oder ein Bedürftiger oder ein nichtsesshafter
Mitbürger oder wie immer man es gerade auszudrücken hat, auch
wenn Anise ihn in diesem Punkt immer korrigieren will, aber
seine Sympathien gehören eben den Tieren, die gar keine Wahl
haben - den Schweinen, die mit Elektroschocks zur Schlachtbank
getrieben werden, den Hühnern, die am Fließband zerlegt werden,
obwohl sie noch halb am Leben und bei Bewusstsein sind, den
Kaninchen und Eseln und Schafen, die der Park Service auf Santa
Barbara, San Miguel und Santa Cruz hat abschlachten lassen, ohne
mit der Wimper zu zucken -, und nicht irgendeinem weißhaarigen,
aufrecht gehenden Primaten, der nicht in einem Land der Dritten
Welt aufgewachsen ist, sondern alle Vorzüge eines Lebens ins
Amerika genossen hat und trotzdem in infantiler
Regression den
ganzen Tag auf einer Wiese herumliegen und an einer Flasche
nuckeln will. Ist das ein fundamentaler Widerspruch: für Tiere,
gegen Menschen? Und wennschon - das ist nicht schlimmer als die
Haltung dieser Ökopolizisten, und mit dem Geld, das die für das Brodifacoum [Rattengift, d. Verf.] und die Hubschrauber
ausgeben, könnten sie jeden Penner in der Stadt für einen Monat
im Holiday Inn unterbringen. Sein Lieblingspenner - obwohl er ihm nie etwas geben würde und
sehr erfreut wäre, wenn ihn jemand in den Bus nach Echo Park
oder San Jose setzen würde, zurück in das Loch, aus dem er
irgendwann gekrochen ist - ist ein Typ, der mindestens
dreihundert Pfund wiegt und immer Shorts, Arbeitsstiefel und ein
schmutziges weißes T-Shirt trägt, so groß wie das Segel eines
Hobie Cat. Seine Beine sind wie Betonpfeiler, und sein Bauch
wölbt sich unter dem T-Shirt wie ein Wesen mit einem eigenen
Leben, das im Begriff ist, sich abzuspalten. Er stellt sich vor
ein Restaurant seiner Wahl und bettelt den dicken, gesättigten,
leicht benebelten Tourristen die Tüten mit den mitgenommenen
Resten der Mahlzeit ab. Und wenn ihm nach italienischer Küche
ist, nimmt er kein Sushi. O nein. Er nicht. Er weiß, was er
will. Er hat Geschmack. Er ist ein Gourmet. Inzwischen hat dieser Penner, der Philosoph gemerkt, dass er
nicht mehr allein ist. Es ist als, als wäre er aus einem Traum
erwacht, seine Augen bekommen etwas Suchendes, wie Finger, die
im Dunkeln nach einem Halt tasten, und als Dave um den Wagen
herum zur Fahrerseite geht, sagt er mit einer Stimme voller
Schleim und Teer: »Ham Sie ma'n Dollar?« Der Schlüssel ist im Schloss, der Regen fällt auf die Dreads,
der Kragen ist aufgestellt, und er verspürt keine Wut, denn er
hat etwas zu erledigen, er hat einen Termin, und kein Penner,
der ja nicht mal die Zeit wert ist, die man braucht, ihn
anzusehen, sie stumpfen Augen, die verdrehten Handgelenke, das
irgendwo abgestaubte, schwarz-rot karierte regennasse
Flanellhemd, das wie eine abgestreifte Haut an ihm hängt, wird
je auch nur fünf Cent von ihm kriegen, geschweige denn ihn so
auf die Palme bringen - Ham Sie ma'n Dollar? -, dass er
ihm sagen würde, wie der das moralische Gewicht dieser kleinen
Bewegung beurteilt. Er hebt also lediglich die rechte Hand, als
wäre sie ein Stoppschild, und lässt sich auf den Fahrersitz
gleiten, und schon wird die Szenerie beherrscht von Leder, dem
sanften Schein der Armaturenbeleuchtung und der herrlichen
Präzisionsmusik des Motors, die den Penner, die nassen
Zeitungen, die toten Würmer und den ganzen Rest zu nichts
zerstieben lässt. (S.91-93, Übersetzung aus dem Amerikanischen
von Dirk van Gunsteren)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
04.12.2022
|