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Campe, Robinson der Jüngere im Projekt Gutenberg
Die wohl mit Abstand
erfolgreichste und auch folgenreichste Bearbeitung von »Daniel Defoes
(1660-1731) Roman »Robinson
Crusoe (The life and
strange surprizing adventures of Robinson Crusoe") (1719), im
deutschsprachigen Raum stammt von dem deutschen Schriftsteller,
Sprachforscher und Pädagoge »Joachim
Heinrich von Campe (1746-1818). Mit seiner Bearbeitung des
Robinsonmotivs mit dem Titel »"Robinson
der Jüngere, zur angenehmen und nützlichen Unterhaltung für Kinder"
(1779-80) griff er den Fingerzeig »Jean
Jacques Rousseaus auf, der dem Robinson Defoes das •
Prädikat eines "idealen Kinderbuchs" verliehen hatte.
Es war einmal eine zahlreiche Familie, die aus
kleinen und großen Leuten bestand. Diese waren teils durch die Bande der
Natur, teils durch wechselseitige Liebe genau vereiniget. Der Hausvater und
die Hausmutter liebten alle wie ihre eigenen Kinder, ungeachtet nur Lotte, die kleinste von allen ihre leibliche Tochter war; und zwei
Freunde des Hauses, R** und B**, taten dasselbe. Ihr
Aufenthalt war auf dem Lande, nahe vor den Toren von Hamburg.
Der Wahlspruch dieser Familie war: bete und
arbeite! und Kleine und Große kannten kein anderes Glück des Lebens, als
welches die Erfüllung dieser Vorschrift gewährt. Aber während der Arbeit und
nach vollendetem Tagewerke wünschte dann jeder von ihnen auch etwas zu
hören, das ihn verständiger, weiser und besser machen könnte. Da erzählte
ihnen nun der Vater bald von diesem, bald von jenem. Und die kleinen Leute
alle hörten ihm gern und aufmerksam zu.
Eine von solchen Abenderzählungen ist die
folgende Geschichte des jüngern Robinson.
Es war einmal ein Mann in der Stadt Hamburg, der
hieß Robinson. Dieser hatte drei Söhne. Der älteste davon hatte Lust zum
Soldatenstande, ließ sich anwerben und wurde erschossen in einer Schlacht
gegen die Franzosen.
Der zweite, der ein Gelehrter werden sollte,
hatte einmal einen Trunk getan, da er eben erhitzt war, bekam die
Schwindsucht und starb.
Nun war also nur noch der kleinste übrig, den man
Krusoe nannte, ich weiß nicht warum. Auf den setzten nun der Herr
Robinson und die Frau Robinson ihre ganze Hoffnung, weil er jetzt ihr
Einziger war. Sie hatten ihn so lieb wie ihren Augapfel: aber sie liebten
ihn mit Unverstand.
Gottlieb.
Was heißt das, Vater?
Vater.
Wirst es gleich hören. Wir lieben euch auch. wie ihr wisst; aber deswegen
halten wir euch zur Arbeit an und lehren euch viele angenehme und nützliche
Dinge, weil wir wissen, dass euch das gut und glücklich machen wird.
Krusoe's Eltern machten es nicht so. Sie ließen ihrem lieben Söhnchen in
allem seinen eigenen Willen, und weil nun das liebe Söhnchen lieber spielen
als arbeiten und etwas lernen mochte. so ließen sie es meist den ganzen Tag
müßig umherlaufen oder spielen und so lernte es denn wenig oder gar nichts.
Das nennen wir andern Leute eine unvernünftige Liebe.
Gottlieb.
Haha!
Vater.
Der junge Robinson wuchs also heran, ohne dass man wusste, was aus ihm
werden würde. Sein Vater wünschte, dass er die Handlung lernen möchte,: aber
dazu hatte er keine Lust. Er sagte, er wolle lieber in die weite Welt reisen
um alle Tage recht viel Neues zu hören und zu sehen.
Das war nun aber sehr unverständig gesprochen von
dem jungen Menschen. Ja. wenn er schon etwas rechts gelernt hätte gehabt!
Aber was wollte ein so unwissender Bursche, als dieser Krusoe war, in der
weiten Welt machen? Wenn man in fremden Ländern ein Glück machen will, so
muss man sich erst viele Geschicklichkeiten erworben haben. Und daran hatte
er bisher noch nicht gedacht.
Er war nun siebzehn Jahr alt und hatte seine
meiste Zeit mit Umherlaufen zugebracht. Täglich quälte er seinen Vater, dass
er ihn doch möchte reisen lassen: sein Vater aber antwortete: er sei wohl
nicht recht gescheit; und wollte nichts davon hören. "Söhnchen! Söhnchen!",
rief ihm dann die Mutter zu, "bleibe im Lande und nähre dich redlich!"
Vater.
Eines Tages, als er, seiner Gewohnheit nach, bei dem Hafen umherlief, sah er
einen seiner Gespielen, der eines Schiffers Sohn war und der eben mit seinem
Vater nach London abfahren wollte.
Fritzchen.
In der Kutsche?
Dietrich.
Nein, Fritzchen, nach London muss man zu Schiffe
fahren über ein großes, großes Wasser, das die Nordsee heißt. Nun?
Vater.
Der Sohn des Schiffers fragte ihn, ob er mitreisen wolle. "Gern", antwortete
Krusoe, "aber meine Eltern werden es nicht haben wollen!" "I", sagte der
andere wieder, "mache einmal den Spaß und reise so mit! In drei Wochen sind
wir wieder hier und deinen Eltern kannst du ja sagen lassen, wo du geblieben
bist."
"Aber ich habe kein Geld!", sagte Krusoe. ‑ "Schad't
nichts", antwortete der andere: "ich will dich schon frei halten unterwegs."
Der junge Robinson bedachte sich noch ein paar Augenblicke; dann schlug er
jenem auf einmal in die Hand und rief aus: "Topp, ich fahre mit dir, Bruder!
Nur gleich zu Schiffe!" Darauf bestellte er, dass nach einigen Stunden
jemand zu seinem Vater gehen und ihm sagen solle: er sei nur ein bisschen
nach England gefahren und werde bald wieder kommen. Dann gingen die beiden
Freunde an Bord.
Johannes.
Fi! Den Robinson mag ich nicht leiden.
Nikolas.
Ich auch nicht!
Freund G.
Warum denn nicht?
Johannes.
Ja, weil er das tun kann, dass er so von seinen
Eltern weggeht, ohne dass sie's ihm erlaubt haben! (...)
Vater.
Es war ein angenehmer Tag und der Wind blies so günstig, dass sie in kurzer
Zeit die Stadt Hamburg aus den Augen verloren. Am folgenden Tage kamen sie
schon bei Ritzebüttel an, wo die Elbe sich ins Meer ergießt.
Und nun ging's hinaus in die offene See!
Was für Augen der Robinson nun machte als er vor
sich nichts als Luft und Wasser sah! Das Land, wo er hergekommen war,
verschwand schon nach und nach auch aus seinen Augen. Jetzt konnte er nur
noch den großen Leuchtturm sehen, den die Hamburger auf der Insel
Heiligenland oder Helgoland unterhalten. Jetzt verschwand auch
dieser und nun sah er über sich nichts als Himmel und um sich her nichts als
Wasser.
Gottlieb.
Das mag aussehen!
Freund R.
Kannst es vielleicht bald einmal zu sehen kriegen!
Gottlieb.
O, wollen wir hingehen?
Freund R.
Wenn ihr recht aufmerksam seid, indem wir euch die Erdbeschreibung lehren,
dass ihr lernt, wo man hingehen muss, um von einem Orte zum andern zu
kommen.
Vater.
Ja. und wenn ihr durch Aufmerksamkeit und Mäßigkeit im Essen und Trinken
euch täglich abhärtet, dass ihr so eine Reise aushalten könnt, so machen wir
schon einmal einen kleinen Ausflug nach Travemünde, wo die Ostsee angeht.
Alle.
Oh! oh! (…)
(aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere,
Braunschweig 1848)
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