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Der englische Philosoph John Locke (1632-1704)
ist einer der wichtigsten Vertreter der
Aufklärung. Seine Beiträge zur Erkenntnistheorie machten ihn neben »George
Berkeley (1684–1753) und »David
Hume (1711–1776) zu einem der wichtigsten Köpfe des britischen »Empirismus
seine Vorstellungen von Staat und Gesellschaft zu einem der
Begründer des »Liberalismus.
Wie Thomas Hobbes (1588–1679) und »Jean-Jacques
Rousseau (1712–1778) prägen seine Vorstellungen über den
Gesellschaftsvertrag die Vertragstheorie. Besonderen Einfluss haben die
Vorstellungen von Jon Locke für die Unabhängigkeitsbewegung und die
Verfassungsentwicklung der Vereinigten Staaten gehabt: Die »Unabhängigkeitserklärung
der Vereinigten Staaten und die
Verfassung der Vereinigten Staaten, aber auch die Verfassung des »revolutionären
Frankreichs sind ganz maßgeblich von Lockes politischer Philosophie
beeinflusst. An diesen Vorbildern orientiert gelangten seine
Vorstellungen auch darüber hinaus in zahlreiche liberale Verfassungen
unserer Zeit.
John Lockes politische Theorie - darin
besteht ihr neuer Denkansatz - legt in einer bis dahin nicht
bekannten Art und Weise dar, "wie sich die Gesellschaft als eigenes
Organisationsfeld vom Staat abspaltet und ein ökonomisches und
soziologisches Eigengewicht erhält, das erlaubt, sie als die eigentlich
staatstragende Basis zu verstehen."
(Schneider1995, S.516).
Das Entstehen des Staates auf der Basis eines Gesellschaftsvertrages
leitet auch Locke von einem vorstaatlichen Naturzustand ab.
(→Der
Naturzustand) In seiner reinen Form ist er
dadurch gekennzeichnet, dass die Menschen "nach
ihrer Vernunft, ohne einen gemeinsamen Oberherrn auf Erden mit der
Macht, ihnen Recht zu sprechen," zusammenleben. Dieser Naturzustand
ist also nicht grundsätzlich Kriegszustand (vgl. dagegen Hobbes!);
dieser tritt erst dann ein, wenn der Einzelne in die Freiheit des
anderen eingreift. Aber dieser reine Naturzustand hat auch nach Locke
ohne das positive Recht und ohne eine mit entsprechender Macht
ausgestatteten Autorität, die Recht sprechen und damit den Frieden unter
den Menschen garantieren kann, keine Aussicht auf Bestand. So ist der
"Kriegszustand", der stets einhergeht mit dem Fehlen des positiven
Rechts auch eher normal im Naturzustand. Und um diesem Kriegszustand zu
entgehen, so die Schlussfolgerung Lockes, bliebe den Menschen bei den
naturgemäß und wegen der Vernunft zur Selbsterhaltung ständig
auftretenden Streitigkeiten nur zwei Möglichkeiten: Entweder
den Himmel anzurufen oder
sich zu einer Gesellschaft zu vereinigen und den Naturzustand zu
verlassen. (John Locke, Über die Regierung (The Second
Treatise of Government, 1689), Stuttgart: Philipp Reclam 1981,
→Der
Kriegszustand)
Voraussetzung für die Herausbildung eines Staates ist für ihn die Entstehung von Eigentum, das die
Menschen im Naturzustand durch ihre Arbeit – andere Mittel besitzen sie
nicht – hervorbringen. (→Über
das Eigentum) Um das vom einzelnen durch Arbeit gewonnene
Eigentum vor willkürlichen Angriffen anderer zu schützen, drängen die
Menschen nach einer Art vertraglichen Regelung zur Sicherung ihres
Eigentums und damit letzten Endes auch nach einer überindividuellen, auf
die Gemeinschaft gegründeten staatlichen Gewalt. Insofern beruht der
Staat in der Theorie Lockes auf dem Privateigentum, das als
Voraussetzung der Staatsbildung angesehen werden muss. Die Grundlegung
des Staates auf dem Eigentumsinteresse hat insbesondere die liberale
Theorie nachhaltig beeinflusst. Sie hat nämlich unter Berufung auf John
Locke "das Eigentumsinteresse des Bürgertums zu einem
allgemeinmenschlichen und allgemeingeschichtlichen Prinzip" gemacht,
"aus dem nicht nur der bürgerliche Staat, sondern der Staat überhaupt
und seine Aufgaben gemeinhin zu erklären sind." (Döhn 1997, S.29f.)
Dabei hat sich eine ideologische Betrachtung von Staat und Gesellschaft
entwickelt, mit der sich das Bürgertum angeblich zum "Anwalt der
gesamten Menschheit" stilisierte "und die liberale Theorie seine
gesellschaftlich-politische Herrschaft rechtfertigend verschleierte."“
(ebd.)
Wie konnte sich diese Auffassung durchsetzen? Zunächst einmal erklärt
die liberale oder, allgemeiner formuliert, die bürgerliche Theorie das
Interesse der besitzenden Bürger "zum allgemeinen und setzt es mit der
menschlichen Vernunft in eins." (ebd.) Auf der Grundlage solcher
anthropologischer und vernunftmäßig rationaler Festlegungen setzt sich
das Bürgertum mit seiner ganz spezifischen Interessenlage an die Stelle
der gesamten Menschheit und gewinnt mit dieser Gleichsetzung auf Grund
bestimmter politökonomisch und sozialer Rahmenbedingungen den Kampf um
die Deutungshoheit in diesen Fragen, so dass am Ende "die Geschichte des
bürgerlichen Staates zur Geschichte des Staates überhaupt" wird. .“
(ebd.) Das hat, wie
Döhn (1997) weiter ausführt, zur Folge, dass "alles,
was mit dem bürgerlichen Staat und seiner Geschichte nicht
übereinstimmt, nur abgelehnt und als eine falsche, dem
allgemeinmenschlichen Interesse und Glück zuwiderlaufende
Herrschaftsordnung hingestellt" werden kann und "der bürgerliche Mensch
(…) zum Menschen schlechthin (wird)." Auch wenn das Bürgertum dies mit
entsprechenden Theorien und Konzepten begründet, bleibt, wie
Döhn (1997)
betont, das Ganze ideologisch. Eine Ideologie freilich, die, wie sich
schließlich auch in der Französischen Revolution gezeigt habe, "einen
mitreißenden Schwung und große Anziehungskraft" besessen und auch
tatsächlich befreiende Wirkung gehabt habe.
Auf John Locke gründet sich diese
bürgerlich-liberale Theorie in ganz besonderer Weise, weil dessen
Vorstellungen von Staat und Gesellschaft eng mit seiner Vorstellung vom
Eigentum verbunden sind. John Lockes Staats- und Gesellschaftstheorie
ist ein Konzept für die bürgerliche Eigentümergesellschaft, in
dem das "Gemeinwesen (…) vor allem ein Staat der Eigentümer (ist), die
allein Vollbürger sind und Vertreter ins Parlament entsenden können in
Relation zu ihrer Nützlichkeit für das Gemeinwesen." (Schmidt-Liebich
1977, S.62) Mündig ist für ihn der besitzende Bürger. Dieser
erwirbt im Gegensatz zur adeligen Feudalaristokratie sein "Recht auf
Eigentum durch selbständige Arbeit" und hebt sich "durch
Kapitalakkumulation [Verzinsung erworbenen Gutes als Teil sozialer
Verantwortung] nicht nur vom Adel sondern auch von der Klasse der
Besitzlosen, den Lohnabhängigen, ab."
(Schneider 1995, S.514). So basiert auch Lockes Konzept des
Gesellschaftsvertrags und der damit verbundenen Forderung nach Teilung
der Gewalten in Exekutive und Legislative "auf einer
Klassengesellschaft, die gerade ihren puritanischen Kinderschuhen zu
entwachsen beginnt und Eigentum als ein »vernünftiges Gut«, als durch
»vernünftige Arbeit« erworbenes politisches Anrecht begreift. Wer nichts
hat, ist also an seiner politischen Unmündigkeit selbst schuld." (ebd.)
Dementsprechend ist die Bildung von Eigentum für Locke auch eine Frage
der Vernunft, die den Dingen ihren eigentlichen Wert durch die
menschliche Arbeit verleiht, welche "absolut persönliches Eigentum des
Menschen ist". Dadurch dass jeder vernünftig handelnde Mensch sein
Eigentum beansprucht und, indem er daran arbeitet, auch Besitz als
Mehrwert von Arbeit ansammelt, handelt der einzelne stets vernünftig,
wenn er Besitz anstrebt, ansammelt und mehrt. "Damit war", wie Schneider
betont, "jeder moralischer Makel, der dem Eigentum und der Verfügung
über Kapital anhaftete, beseitigt." Wer dementsprechend unvernünftig war
oder handelte, im Grunde waren das alle Besitzlosen, konnte auch nicht
erwarten, in politischen Fragen mitentscheiden zu können, welche die
Interessen der Besitzenden betrafen (vgl.
ebd.)
Die Staatstheorie i. e. S., die John Locke
konzipiert, basiert auf der
Gewaltenteilung in Legislative und
Exekutive. (→Die
legislative, exekutive und föderative Gewalt des Staates) Die Legislative, die zugleich die oberste Gewalt
(Souveränität) im Staat darstellt, wird von den Häusern des Parlaments
und dem König gebildet. "„King in Parliament" nennt sich das Konzept,
bei dem beide um den Preis der Handlungsfähigkeit miteinander auskommen
müssen. Zwar kann das Volk an dieser Konstruktion rütteln, "wenn es mit
Mehrheit der Meinung ist, die Treuhänderschaft der Legislative sei
seines Vertrauens nicht länger würdig." Im politischen Ernstfall
freilich waren seine Möglichkeiten zu einer wirkungsvollen Intervention
jedoch als sehr gering einzuschätzen, zumal die exekutiven Machtmittel
in der Hand des Königs und seiner Beamten liegen. So besitzt er die
sogenannte Prärogative, die ihm eine Art Notstandvollmacht erteilt,
sowie das Recht zum Schließen von Bündnissen und der Abgabe von Kriegs-
und Friedenserklärungen. (vgl.
Schmidt-Liebich
1977, S.62f.)
Im Gegensatz zur Gewaltenteilungslehre von
Montesquieu wirkt die
Gewaltenteilungslehre Lockes, die nur zwei Gewalten kennt, daher
"unvollkommen, »gebremst«" (ebd.)
Zugleich werden Legislative und Exekutive in Lockes,
auf dem Konzept der Eigentümergesellschaft beruhender Gewaltenteilung
"konsequent den beiden mächtigsten gesellschaftlichen Gruppierungen
zugeordnet, die sich gegenseitig kontrollieren sollen (System der checks
and balances): die Legislative liegt in der Hand des
frühkapitalistischen, liberalistischen Besitzbürgertums und des dazu
gehörenden verbürgerlichten, weil sozial abgestiegenen Landadels, der
Gentry; die Exekutive beim König, den Kronbeamten und Kronjuristen, die
zumeist dem mittleren und Hochadel angehörten; Krieg erklären konnte der
König nach Lockes System; ob er in führen konnte, war eine Frage der
Geld- und Steuerbewilligung seitens des Parlaments. Alles in allem schuf
Locke nicht, wie oft vereinfachend dargestellt, eine Art
parlamentarischer Demokratie mit monarchischer Spitze, sondern eine
modifizierte gemäßigte Monarchie, der zur »konstitutionellen Monarchie«
nicht nur die unabhängige Jurisdiktion fehlte." (ebd.)
Während noch Hobbes als Anhänger der absoluten
Monarchie nicht im entferntesten an ein
Widerstandsrecht gegen die
staatliche Gewalt, den Leviathan, denkt, ist dies, zumindest für des
älteren Locke von grundlegender Bedeutung. (→Die
Auflösung der Regierung) Aber bei der oft zu
unkritischen Verklärung des Widerstandsrechts bei Locke muss doch immer
wieder betont werden, dass auch das Widerstandsrecht in den sozialen
Strukturen der bürgerlichen Eigentümergesellschaft eingeschlossen ist.
So bleibt sein Widerstandsrecht für die große Mehrheit der Bevölkerung
eben "nur leere Theorie, denn die besitzlose Masse des Volkes, der
»Pöbel«, war nicht zur Revolution legitimiert. 50 bis 60% der
Bevölkerung konnten und durften sich also nicht wehren, mussten weiter
dumpf dahinleben und mit ihrer Situation als Objekte der Politik
vorliebnehmen; Subjekt der Politik und zum Widerstand berechtigt waren -
wenn schon - die aufstrebenden »potenten« protestantisch-puritanischen
bankers, traders und merchants. Nicht auf dem Weg
über verfassungsrechtliche Institutionen war Widerstand möglich, sondern
durch die Umsetzung ökonomischer in politische Machtmittel.“ (Schmidt-Liebich
1977, S.62f.)
Abbildung: John Locke, Gemälde von
Gottfried Kneller, Geburtsname: Gottfried Kniller
(1697)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
29.09.2013
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