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John Locke (1632-1704)

Vertragslehre

Aufklärung

 
GESCHICHTE
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Der englische Philosoph John Locke (1632-1704) ist einer der wichtigsten Vertreter der Aufklärung. Seine Beiträge zur Erkenntnistheorie machten ihn neben »George Berkeley (1684–1753) und »David Hume (1711–1776) zu einem der wichtigsten Köpfe des britischen »Empirismus seine Vorstellungen von Staat und Gesellschaft zu einem der Begründer des »Liberalismus. Wie Thomas Hobbes (1588–1679) und »Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) prägen seine Vorstellungen über den Gesellschaftsvertrag die Vertragstheorie.

Besonderen Einfluss haben die Vorstellungen von Jon Locke für die Unabhängigkeitsbewegung und die Verfassungsentwicklung der Vereinigten Staaten gehabt: Die »Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten und die Verfassung der Vereinigten Staaten, aber auch die Verfassung des »revolutionären Frankreichs sind ganz maßgeblich von Lockes politischer Philosophie beeinflusst. An diesen Vorbildern orientiert gelangten seine Vorstellungen auch darüber hinaus in zahlreiche liberale Verfassungen unserer Zeit.

John Lockes politische Theorie - darin besteht ihr neuer Denkansatz - legt in einer bis dahin nicht bekannten Art und Weise dar, "wie sich die Gesellschaft als eigenes Organisationsfeld vom Staat abspaltet und ein ökonomisches und soziologisches Eigengewicht erhält, das erlaubt, sie als die eigentlich staatstragende Basis zu verstehen." (Schneider1995, S.516).

Das Entstehen des Staates auf der Basis eines Gesellschaftsvertrages leitet auch Locke von einem vorstaatlichen Naturzustand ab. In seiner reinen Form ist er dadurch gekennzeichnet, dass die Menschen anders als in einem Kriegszustand miteinander zusammleben:

"Hierin liegt der deutliche Unterschied zwischen dem Naturzustand und dem Kriegszustand. [...] Das Zusammenleben der Menschen nach ihrer Vernunft, ohne einen gemeinsamen Oberherrn auf Erden mit der Macht, ihnen Recht zu sprechen, bedeutet den reinen Naturzustand. Gewalt aber oder die erklärte Absicht, gegen die Person eines anderen Gewalt zu gebrauchen, bedeutet, wo es keinen gemeinsamen Oberherrn gibt auf Erden, den man um Hilfe anrufen könnte, den Kriegszustand. Und gerade das Fehlen einer solchen Berufungsmöglichkeit gibt dem Menschen das Recht, Krieg zu führen gegen einen Angreifer, mag er auch in der Gesellschaft leben und gleich ihm Untertan sein. [...] Das Fehlen eines mit Autorität ausgestatteten gemeinsamen Richters versetzt alle Menschen in den Naturzustand; Gewalt ohne Recht, gegen jemandes Person gerichtet, erzeugt den Kriegszustand, ganz gleich, ob es einen gemeinsamen Richter gibt oder nicht." (aus: John Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of Government, 1689), Stuttgart: Philipp Reclam 1981, übersetzt von Dorothee Tidow, S.144 - 148 )

Dieser Naturzustand ist also nicht grundsätzlich Kriegszustand  (vgl. dagegen • Hobbes!); dieser tritt erst dann ein, wenn der Einzelne in die Freiheit des anderen eingreift. Aber dieser reine Naturzustand hat auch nach Locke ohne das positive Recht und ohne eine mit entsprechender Macht ausgestatteten Autorität, die Recht sprechen und damit den Frieden unter den Menschen garantieren kann, keine Aussicht auf Bestand. So ist der "Kriegszustand", der stets einhergeht mit dem Fehlen des positiven Rechts auch eher normal im Naturzustand.

Und um diesem Kriegszustand zu entgehen, so die Schlussfolgerung Lockes, bliebe den Menschen bei den naturgemäß und wegen der Vernunft zur Selbsterhaltung ständig auftretenden Streitigkeiten nur zwei Möglichkeiten: Entweder "den Himmel anzurufen" oder "sich zu einer Gesellschaft zu vereinigen und den Naturzustand zu verlassen". (John Locke, ebd.)

Die Bedeutung des Eigentums

Voraussetzung für die Herausbildung eines Staates ist für ihn die Entstehung von Eigentum, das die Menschen im Naturzustand durch ihre Arbeit – andere Mittel besitzen sie nicht – hervorbringen. Dabei bezieht sich das Recht auf Eigentum auch auf den Menschen selbst:

"26. Gott, der die Welt den Menschen gemeinsam gegeben hat, hat ihnen auch Vernunft verliehen, sie zum größtmöglichen Vorteil und zur Annehmlichkeit ihres Lebens zu nutzen. Die Erde und alles, was auf ihr ist, ist den Menschen zum Unterhalt und zum Genuss ihres Daseins gegeben. Alle Früchte, die sie auf natürliche Weise hervorbringt, und alle Tiere, die sie ernährt, gehören den Menschen gemeinsam, weil sie wildwachsend von der Natur hervorgebracht werden; und niemand hat über irgendetwas, sowie es sich in einem natürlichen Zustand befindet, ursprünglich ein privates Herrschaftsrecht, welches das der übrigen Menschen ausschlösse. Da die Früchte der Erde dennoch den Menschen zu ihrem Gebrauch gegeben sind, muss es notwendigerweise, bevor sie dem einzelnen Menschen von irgendwelchem Wert oder nützlich sein könnten, Wege geben, auf irgendeine Weise in ihren Besitz zu gelangen. Die Frucht oder das Wildbret, die den wild lebenden Indianer ernähren, der sich keinerlei Land eingegrenzt hat und alles als Gemeingut besitzt, müssen sein Eigen sein, und zwar so sein Eigen, d.h. Teil des Seinen, dass kein anderer mehr ein Recht darauf haben kann. Erst dann vermögen sie ihm zur Erhaltung seines Lebens von irgendwelchem Nutzen zu sein.
27. Wenn die Erde und alle niederen Lebewesen wohl allen Menschen gemeinsam eignen, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person. Über seine Person hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände, so können wir sagen, sind im eigentlichen Sinne sein. Was immer er also jenem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und hat ihm etwas hinzugefügt, was sein eigen ist - folglich zu seinem Eigentum gemacht. Da er es jenem Zustand des gemeinsamen Besitzes enthoben, in den es die Natur gesetzt hat, hat er ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefügt, was das gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt. […]
30. [...] und kraft dieses Gesetzes wird der Fisch, den jemand im Ozean fängt - jenem großen fortdauernden Gemeingut der Menschheit -, oder der Bernstein, den jemand dort aufliest, durch seine Arbeit zum Eigentum dessen, der sich dieser Mühe unterzieht: Diese Arbeit nämlich enthebt ihn jenem Zustand des gemeinsamen Besitzes, in dem ihn die Natur belassen hat. […]" (aus: John Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of Government, 1689), Stuttgart: Philipp Reclam 1981, übersetzt von Dorothee Tidow, S.21f., S.24, S.39 )

Um das vom einzelnen durch Arbeit gewonnene Eigentum vor willkürlichen Angriffen anderer zu schützen, drängen die Menschen nach einer Art vertraglichen Regelung zur Sicherung ihres Eigentums und damit letzten Endes auch nach einer überindividuellen, auf die Gemeinschaft gegründeten staatlichen Gewalt. Insofern beruht der Staat in der Theorie Lockes auf dem Privateigentum, das als Voraussetzung der Staatsbildung angesehen werden muss. Die Grundlegung des Staates auf dem Eigentumsinteresse hat insbesondere die liberale Theorie nachhaltig beeinflusst. Sie hat nämlich unter Berufung auf John Locke "das Eigentumsinteresse des Bürgertums zu einem allgemeinmenschlichen und allgemeingeschichtlichen Prinzip" gemacht, "aus dem nicht nur der bürgerliche Staat, sondern der Staat überhaupt und seine Aufgaben gemeinhin zu erklären sind." (Döhn 1997, S.29f.) Dabei hat sich eine ideologische  Betrachtung von Staat und Gesellschaft entwickelt, mit der sich das Bürgertum angeblich zum "Anwalt der gesamten Menschheit" stilisierte "und die liberale Theorie seine gesellschaftlich-politische Herrschaft rechtfertigend verschleierte."“ (ebd.)

Wie konnte sich diese Auffassung durchsetzen? Zunächst einmal erklärt die liberale oder, allgemeiner formuliert, die bürgerliche Theorie das Interesse der besitzenden Bürger "zum allgemeinen und setzt es mit der menschlichen Vernunft in eins." (ebd..) Auf der Grundlage solcher anthropologischer und vernunftmäßig rationaler Festlegungen setzt sich das Bürgertum mit seiner ganz spezifischen Interessenlage an die Stelle der gesamten Menschheit und gewinnt mit dieser Gleichsetzung auf Grund bestimmter politökonomisch und sozialer Rahmenbedingungen den Kampf um die Deutungshoheit in diesen Fragen, so dass am Ende "die Geschichte des bürgerlichen Staates zur Geschichte des Staates überhaupt" wird. (ebd.) Das hat, wie Döhn (1997) weiter ausführt, zur Folge, dass "alles, was mit dem bürgerlichen Staat und seiner Geschichte nicht übereinstimmt, nur abgelehnt und als eine falsche, dem allgemeinmenschlichen Interesse und Glück zuwiderlaufende Herrschaftsordnung hingestellt" werden kann und "der bürgerliche Mensch (…) zum Menschen schlechthin (wird)."

Auch wenn das Bürgertum dies mit entsprechenden Theorien und Konzepten begründet, bleibt, wie Döhn (1997) betont, das Ganze ideologisch. Eine Ideologie freilich, die, wie sich schließlich auch in der Französischen Revolution gezeigt habe, "einen mitreißenden Schwung und große Anziehungskraft" besessen und auch tatsächlich befreiende Wirkung gehabt habe.

Auf John Locke gründet sich diese bürgerlich-liberale Theorie in ganz besonderer Weise, weil dessen Vorstellungen von Staat und Gesellschaft eng mit seiner Vorstellung vom Eigentum verbunden sind. John Lockes Staats- und Gesellschaftstheorie ist ein Konzept für die bürgerliche Eigentümergesellschaft, in dem das "Gemeinwesen (…) vor allem ein Staat der Eigentümer (ist), die allein Vollbürger sind und Vertreter ins Parlament entsenden können in Relation zu ihrer Nützlichkeit für das Gemeinwesen." (Schmidt-Liebich 1977, S.62)

Mündig ist für ihn der besitzende Bürger. Dieser erwirbt im Gegensatz zur adeligen Feudalaristokratie sein "Recht auf Eigentum durch selbständige Arbeit" und hebt sich "durch Kapitalakkumulation [Verzinsung erworbenen Gutes als Teil sozialer Verantwortung] nicht nur vom Adel sondern auch von der Klasse der Besitzlosen, den Lohnabhängigen, ab." (Schneider 1995, S.514).

So basiert auch Lockes Konzept des Gesellschaftsvertrags und der damit verbundenen Forderung nach Teilung der Gewalten in Exekutive und Legislative "auf einer Klassengesellschaft, die gerade ihren puritanischen Kinderschuhen zu entwachsen beginnt und Eigentum als ein »vernünftiges Gut«, als durch »vernünftige Arbeit« erworbenes politisches Anrecht begreift. Wer nichts hat, ist also an seiner politischen Unmündigkeit selbst schuld." (ebd.) Dementsprechend ist die Bildung von Eigentum für Locke auch eine Frage der Vernunft, die den Dingen ihren eigentlichen Wert durch die menschliche Arbeit verleiht, welche "absolut persönliches Eigentum des Menschen ist". Dadurch dass jeder vernünftig handelnde Mensch sein Eigentum beansprucht und, indem er daran arbeitet, auch Besitz als Mehrwert von Arbeit ansammelt, handelt der einzelne stets vernünftig, wenn er Besitz anstrebt, ansammelt und mehrt. "Damit war", wie Schneider betont, "jeder moralischer Makel, der dem Eigentum und der Verfügung über Kapital anhaftete, beseitigt." Wer dementsprechend unvernünftig war oder handelte, im Grunde waren das alle Besitzlosen, konnte auch nicht erwarten, in politischen Fragen mitentscheiden zu können, welche die Interessen der Besitzenden betrafen (vgl. ebd.)

Gewalteilung in Legislative und Exekutive

Die Staatstheorie i. e. S., die John Locke konzipiert, basiert auf der Gewaltenteilung in Legislative und Exekutive.

"143. Die legislative Gewalt ist jene, die das Recht hat zu bestimmen, wie die Macht des Staates zur Erhaltung der Gemeinschaft und ihrer Glieder gebraucht werden soll. Da aber jene Gesetze, die laufend vollzogen und die immer in Kraft bleiben sollen, während kurzer Zeit geschaffen werden können, muss sich die Legislative nicht notwendig immer im Amt befinden, weil sie nicht ständig beschäftigt ist. Bei der Schwäche der menschlichen Natur, die stets bereit ist, nach der Macht zu greifen, dürfte es jedoch eine zu große Versuchung darstellen, wenn dieselben Personen, die die Macht haben, Gesetze zu geben, auch die Macht in der Hand hätten, sie zu vollstrecken [...]. In wohl geordneten Staatswesen, in denen nach Gebühr das Wohl des Ganzen berücksichtigt wird, wird deshalb die legislative Gewalt in die Hände mehrerer Personen gelegt, welche nach ordnungsgemäßer Versammlung selbst oder mit anderen gemeinsam die Macht haben, Gesetze zu geben, sobald dies aber geschehen ist, wieder auseinander gehen und selbst jenen Gesetzen unterworfen sind, die sie geschaffen haben.[...]
144. Weil aber die Gesetze, die auf einmal und während kurzer Zeit geschaffen worden sind, von beständiger und dauernder Gültigkeit sind und fortwährend vollstreckt oder befolgt werden sollen, ist es notwendig, dass es eine dauernd im Amte befindliche Gewalt gibt, die darauf zu achten hat, dass die erlassenen und in Kraft bleibenden Gesetze vollzogen werden. So geschieht es, dass die legislative und die exekutive Gewalt oftmals getrennt sind.
145. Es gibt noch eine andere Gewalt in jedem Staat, die man natürlich nennen könnte, weil sie jener Gewalt entspricht, die jeder Mensch von Natur aus vor dem Eintritt in die Gesellschaft besaß. Obwohl nämlich in einem Staatswesen die Mitglieder in ihrem Verhältnis zueinander immer einzelne Personen bleiben und als solche auch kraft der Gesetze der Gesellschaft regiert werden, bilden sie doch der übrigen Menschheit gegenüber einen einzigen Körper, der sich, wie zuvor jedes seiner Glieder, weiterhin der übrigen Menschheit gegenüber im Naturzustand befindet. So kommt es, dass die Streitfälle, die zwischen den der Gesellschaft Angehörigen und anderen auftreten, die sich außerhalb von ihr befinden, von der Öffentlichkeit gehandhabt werden und das Unrecht gegen eines der Glieder ihres Körpers die Gesamtheit zur Wiedergutmachung verpflichtet. So betrachtet also, ist die ganze Gemeinschaft gegenüber allen anderen Staaten oder Personen, die sich außerhalb ihrer Gemeinschaft befinden, ein einziger Körper im Naturzustand.
146. Darin liegt deshalb die Gewalt über Krieg und Frieden, über Bündnisse und alle Abmachungen mit allen Personen und Gemeinschaften außerhalb des Staatswesens, und man kann, wenn man will, von einer föderativen Gewalt sprechen. So man nur das Richtige darunter versteht, soll mir der Name gleichgültig sein. (aus: John Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of Government, 1689), Stuttgart: Philipp Reclam 1981, übersetzt von Dorothee Tidow, S.111-112 )

Die Legislative, die zugleich die oberste Gewalt (Souveränität) im Staat darstellt, wird von den Häusern des Parlaments und dem König gebildet. "»King in Parliament« nennt sich das Konzept, bei dem beide um den Preis der Handlungsfähigkeit miteinander auskommen müssen. Zwar kann das Volk an dieser Konstruktion rütteln, "wenn es mit Mehrheit der Meinung ist, die Treuhänderschaft der Legislative sei seines Vertrauens nicht länger würdig." Im politischen Ernstfall freilich waren seine Möglichkeiten zu einer wirkungsvollen Intervention jedoch als sehr gering einzuschätzen, zumal die exekutiven Machtmittel in der Hand des Königs und seiner Beamten liegen. So besitzt er die so genannte Prärogative, die ihm eine Art Notstandvollmacht erteilt, sowie das Recht zum Schließen von Bündnissen und der Abgabe von Kriegs- und Friedenserklärungen. (vgl. Schmidt-Liebich 1977, S.62f.)

Im Gegensatz zur Gewaltenteilungslehre von Montesquieu wirkt die Gewaltenteilungslehre Lockes, die nur zwei Gewalten kennt, daher "unvollkommen, »gebremst«" (ebd.)

Zugleich werden Legislative und Exekutive in Lockes, auf dem Konzept der Eigentümergesellschaft beruhender Gewaltenteilung "konsequent den beiden mächtigsten gesellschaftlichen Gruppierungen zugeordnet, die sich gegenseitig kontrollieren sollen (System der checks and balances): die Legislative liegt in der Hand des frühkapitalistischen, liberalistischen Besitzbürgertums und des dazu gehörenden verbürgerlichten, weil sozial abgestiegenen Landadels, der Gentry; die Exekutive beim König, den Kronbeamten und Kronjuristen, die zumeist dem mittleren und Hochadel angehörten; Krieg erklären konnte der König nach Lockes System; ob er in führen konnte, war eine Frage der Geld- und Steuerbewilligung seitens des Parlaments. Alles in allem schuf Locke nicht, wie oft vereinfachend dargestellt, eine Art parlamentarischer Demokratie mit monarchischer Spitze, sondern eine modifizierte gemäßigte Monarchie, der zur »konstitutionellen Monarchie« nicht nur die unabhängige Jurisdiktion fehlte." (ebd.)

Das Widerstandsrecht gegen die staatliche Gewalt

Während noch Hobbes als Anhänger der absoluten Monarchie nicht im entferntesten an ein Widerstandsrecht gegen die staatliche Gewalt, den Leviathan, denkt, ist dies, zumindest für des älteren Locke von grundlegender Bedeutung.

221. So gibt es zum zweiten noch einen anderen Weg, wie Regierungen aufgelöst werden können - nämlich, wenn die Legislative oder der Fürst wider das in sie gesetzte Vertrauen handelt.
Zunächst handelt die Legislative dem in sie gelegten Vertrauen entgegen, wenn sie versucht, sich an dem Eigentum der Untertanen zu vergreifen und sich selbst oder irgendeinen Teil der Gemeinschaft zum Herrn oder willkürlichen Gebieter über Leben, Freiheit und Vermögen des Volkes zu machen.
222. Der Grund, aus dem die Menschen in die Gesellschaft eintreten, ist die Erhaltung ihres Eigentums und das Ziel, um dessentwillen sie eine Legislative wählen und ihr Autorität verleihen, ist, dass Gesetze und Vorschriften geschaffen werden, um über das Eigentum aller Glieder der Gesellschaft zu wachen und es zu schützen und so die Macht und die Herrschaft jedes Teiles oder Gliedes der Gesellschaft zu beschränken und zu mäßigen. [...] Wann immer deshalb die Gesetzgeber danach trachten, dem Volk sein Eigentum zu nehmen oder zu zerstören oder es als Sklaven in ihre willkürliche Gewalt zu bringen, versetzen sie sich dem Volk gegenüber in den Kriegszustand. Dadurch ist es jeden weiteren Gehorsams entbunden und der gemeinsamen Zuflucht überlassen, die Gott für alle Menschen gegen Macht und Gewalt vorgesehen hat. Wann immer daher die Legislative dieses grundlegende Gesetz der Gesellschaft überschreiten und aus Ehrsucht, Furcht, Torheit oder Verderbtheit den Versuch unternehmen sollte, entweder selbst absolute Gewalt über Leben, Freiheit und Besitz des Volkes an sich zu reißen oder sie in die Hände eines anderen zu legen, verwirkt sie durch einen solchen Vertrauensbruch jene Macht, die das Volk mit weit anderen Zielen in ihre Hände gegeben hatte, und die Macht fällt zurück an das Volk, das dann ein Recht hat, zu seiner ursprünglichen Freiheit zurückzukehren und durch die Errichtung einer neuen Legislative (wie sie ihm selbst am geeignetsten erscheint) für seine eigene Sicherheit und seinen Schutz zu sorgen - denn zu diesem Ziel befinden sie sich in der Gesellschaft. Was ich hier über die Legislative im Allgemeinen gesagt habe, gilt auch von dem höchsten Träger der Exekutive. Da man in ihn ein zweifaches Vertrauen gesetzt hat, einmal als Teil der Legislative und zum anderen durch die höchste Vollziehung der Gesetze, handelt er beidem zuwider, wenn er sich unterfängt, den eigenen Willen nach Belieben zum Gesetz der Gesellschaft zu erheben. Ebenfalls wider das in ihn gesetzte Vertrauen handelt er, wenn er entweder die Staatsgewalt, den Staatsschatz oder die Ämter der Gesellschaft dazu benützt, die Abgeordneten zu bestechen und für seine Absichten zu gewinnen, oder aber wenn er offensichtlich die Wähler beeinflusst und ihrer Wahl Männer vorschreibt, die er sich durch dringende Vorstellungen, Drohungen, Versprechungen oder sonst wie willfährig gemacht hat und die er gebraucht, um andere durchzubringen, die ihm im Voraus versprochen haben, wofür sie stimmen und was sie beschließen werden. [...] 
223. Hier wird man vielleicht einwenden, dass das Volk unwissend sei und immer unzufrieden; wenn man daher die Grundlage der Regierung in die unbeständige Meinung und den Wankelmut des Volkes lege, so liefere man es dem sicheren Verderben aus. Auch werde keine Regierung lange bestehen können, wenn das Volk eine neue Legislative einsetzen darf, wann immer es an der alten Anstoß nimmt. Darauf antworte ich: Ganz im Gegenteil, das Volk lässt sich nicht so leicht aus seinen alten Formen lösen, wie mancher uns gerne einreden möchte. Es lässt sich kaum dazu bewegen, den anerkannten Missständen im Rahmen des Gewohnten Abhilfe zu schaffen. [...]
224. Man wird jedoch sagen: Diese Hypothese enthält einen Gärstoff häufiger Rebellion. Darauf ist meine Antwort:
Zum ersten: Nicht mehr als irgendeine andere Hypothese. Denn wenn das Volk ins Elend gebracht wird und sich dem Missbrauch willkürlicher Gewalt ausgesetzt sieht, so mögt ihr seine Regierenden, so viel ihr wollt, die Kinder des Jupiter nennen, lasst sie geheiligt und göttlich sein, abstammend oder bevollmächtigt vom Himmel, gebt sie aus, für wen oder was ihr wollt, es wird doch immer dasselbe geschehen. Das allgemein und wider alles Recht misshandelte Volk wird bei jeder Gelegenheit bereit sein, sich von der Bürde zu befreien, die schwer auf ihm lastet. [...]
225. Zum zweiten , antworte ich, kommt es zu solchen Revolutionen nicht bei jeder kleinen Fehlhandlung in öffentlichen Angelegenheiten. […]
226. Zum dritten antworte ich: Diese Lehre von einer Gewalt im Volke, durch eine neue Legislative wieder von Neuem für seine Sicherheit zu sorgen, wenn seine Gesetzgeber auf sein Eigentum übergegriffen und damit entgegen dem in sie gesetzten Vertrauen gehandelt haben, ist der beste Schutz gegen Rebellion und das sicherste Mittel, sie zu verhindern. (aus: John Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of Government, 1689), Stuttgart: Philipp Reclam 1981, übersetzt von Dorothee Tidow, S.166-170 )

Allerdings muss bei der oft zu unkritischen Verklärung des Widerstandsrechts bei Locke doch immer wieder betont werden, dass auch das Widerstandsrecht in den sozialen Strukturen der bürgerlichen Eigentümergesellschaft eingeschlossen ist.

So bleibt sein Widerstandsrecht für die große Mehrheit der Bevölkerung eben "nur leere Theorie, denn die besitzlose Masse des Volkes, der »Pöbel«, war nicht zur Revolution legitimiert. 50 bis 60% der Bevölkerung konnten und durften sich also nicht wehren, mussten weiter dumpf dahinleben und mit ihrer Situation als Objekte der Politik vorliebnehmen; Subjekt der Politik und zum Widerstand berechtigt waren - wenn schon - die aufstrebenden »potenten« protestantisch-puritanischen bankers, traders und merchants. Nicht auf dem Weg über verfassungsrechtliche Institutionen war Widerstand möglich, sondern durch die Umsetzung ökonomischer in politische Machtmittel.“ (Schmidt-Liebich 1977, S.62f.)

Abbildung: John Locke, Gemälde von Gottfried Kneller, Geburtsname: Gottfried Kniller (1697)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 30.01.2024


   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, wodurch nach John Locke der Kriegszustand gekennzeichnet ist.

    • Zeigen Sie dabei auf, worin sich der Naturzustand vom Kriegszustand unterscheidet.

    • Zeigen Sie dabei auf, welche Gesetze den Naturzustand regieren.

    • Erläutern Sie dabei, welcher Art ein Vertrag sein muss, der diesem Naturzustand ein Ende setzen kann.

  2. Zeigen Sie, welche Bedeutung das Recht auf Eigentum in Lockes Vertragslehre hat?

  3. In welchen Fällen sieht es Locke für legitim an, Gesetzen und ernannten Richtern den Gehorsam zu verweigern?

 
 

 
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