In
drei Gesamtsätzen, die durch mehrere, mit Semikola voneinander abgetrennten
Einzelsätzen oder satzartigen Gebilden (Ellipsen)
untergliedert sind, wird im ersten Abschnitt von
Franz Kafkas Erzählung
"Der Kübelreiter"
die Notlage eines Erzähler-Ichs aus der
Perspektive eines
personalen Ich-Erzählers dargestellt. Der erste Gesamtsatz schildert in
rein elliptischen
Satzgebilden die Notlage des Erzählers. Er hat alle Kohle aufgebraucht, der
Kohlenkübel ist leer und die Kohlenschaufel hat unter diesen Umständen
längst jeden Sinn verloren. (Z
1) Nüchtern und ohne jede Gefühlregung registriert das Ich damit eine
Lage, die auch durch die Unverbundenheit und Unvollständigkeit der Sätze in
ihrer ganzen Trost- und Aussichtslosigkeit entfaltet wird. Wie schlimm diese
Lage ist, machen jedoch erst die nachfolgenden, ebenfalls elliptischen
Satzgebilde deutlich: Der Ofen, der im Zimmer seht, "atmet" (Z
1), nämlich die Kälte ein, wo er doch sonst Wärme ausstrahlen müsste.
Kein Wunder, dass er vom Ich-Erzähler später "erbarmungslos" (Z
4) genannt wird. Das Zimmer, in dem sich der Ich-Erzähler aufhält, ist "vollgeblasen
von Frost" (Z
2), gerade so als ob die Kälte, die draußen vor dem Fenster die Bäume
hat im Reif erstarren lassen, ungehindert in das Zimmer eindringen könnte.
Jede Hoffnung darauf, dass sich von irgendwoher Hilfe einstellen könnte oder
vielleicht auch nur Trost, ist angesichts dieser Lage offenbar sinnlos. Denn
auch ein Hilfe suchender Blick zum Himmel, prallt dort an dem "silbernen
Schild" (Z
3) ab, das der Himmel vor sich hält, um sich vor dem Hilfesuchenden auf
der Erde zu verbarrikadieren. Wie es scheint, ist für das Erzähler-Ich, wie
man sagt, Gott und die Welt verloren.
Und doch rührt sich der kreatürlich unbeugsame Wille in ihm, den
Überlebenskampf aufzunehmen. Das Erzähler-Ich, das seinem Schicksal offenbar
vollkommen alleine und ohne jede soziale Bindungen entgegensieht, weiß um
die existenzielle Notwendigkeit, sich Kohle gegen die Kälte und den
drohenden Erfrierungstod zu besorgen: "Ich darf doch nicht erfrieren" (Z
3f.), äußert er im inneren Monolog und hält sich damit die schreckliche
Gefahr vor Augen. Mit der Abtönungspartikel "doch" gibt der Erzähler zu
verstehen, dass er sein Schicksal nicht einfach hinnehmen will. Auch wenn
sich Ofen und Himmel gleichermaßen erbarmungslos zeigen, so bleibt doch die
Chance, dem drohenden Schicksal zu entkommen. Zwischen diesen beiden, in
ihrem aktuellen Zustand seine physische Existenz bedrohenden Polen, führt
"in der Mitte" (Z
5) der Weg zum Kohlenhändler, von dem allein er sich noch etwas
erwartet.
Der mittellose und vom Erfrierungstod bedrohte Mann weiß offenbar nach
mehreren Anläufen beim Kohlenhändler in der Vergangenheit, dass er nur mit
seinen "gewöhnlichen Bitten" (Z
6), ohne unmittelbare Bezahlung, bei dem Händler keine Kohlen mehr
erhalten werde. Dieser sei nämlich gegen derartige Bitten "abgestumpft". (Z
7). Dieses Urteil über den Kohlenhändler bestimmt die Strategie, mit der
der Mann unter dem Eindruck existenzieller Bedrohung auf den Kohlenhändler
einwirken will. Sicher ist er sich dabei über zwei Elemente seiner
Strategie. Erstens darf nicht der geringste Zweifel darüber aufkommen, dass
er noch über ein "einziges Kohlenstäubchen" (Z
7f.) verfügt. Zweitens muss er den Gestus seines Bittens verändern. Es
reicht, soviel weiß der Mann, nicht aus, seine Bitte um kostenlose Kohlen
einfach mit der Kälte und seiner vorübergehenden finanziellen Not zu
begründen. Hinzukommen muss eine Veränderung der Beziehung zwischen Mann und
Kohlenhändler. Nur wenn er diesem quasi übermenschlich-mythische oder gar
göttliche Züge zuschreibt ("Sonne am Firmament",
Z 8f.), kann, so glaubt der Mann, gelingen, was er sich wünscht. Diese
idealistische Überhöhung eines nur geschäftsmäßigen Entgegenkommens ist in
den Augen des Mannes ein probates Mittel, den solcherart an idealistische
bzw. religiöse Maximen gebundenen Kohlenhändler quasi auf die erwünschte
Handlung zu verpflichten. So soll dem Kohlenhändler letztlich gar keine
andere Wahl bleiben, als den Wunsch des Mannes, wenn auch "wütend" (Z
12), zu erfüllen. Die Begegnung der beiden soll sich nach Auffassung des
Mannes auf der Grundlage eines klar definierten, komplementären
Beziehungsmodells abspielen, das ihm eine klar inferiore, jenem eine
superiore Position verleiht. Die zweimalige Verwendung des Modalverbs
"müssen" (vgl. Z 9, 11) bei der Beziehungsdefinition, der drastische
Vergleich mit dem Bettler, der "verenden" (Z 10) "will"" (Z 10) und der
metaphorische Verweis auf den "Strahl des Gebots"" (Z 12) zeigen, wie klar
die beiden Verhaltensweisen von Bettler und "Herr" in der Vorstellung des
Ich-Erzählers aufeinander bezogen sind. Bezeichnenderweise ist es auch nicht
nur ein allgemeiner Appell zur Nächstenliebe, der den Kohlenhändler
beeinflussen soll, sondern das christliche Gebot "Du sollst nicht töten" (Z
12). Wenn die Strafe für einen Gläubigen, der dieses fundamentale religiöse
Gebot übertritt, in höchstem Maße furchtbar ist, wird also auch der
ansonsten abgestumpfte Kohlenhändler zähneknirschend klein beigeben müssen.
Damit wird der Kohlenhändler aber auch in eine ganz andere Verantwortung
gebracht. Denn während das Nichtbefolgen des Nächstenliebegebots ihn
lediglich in eine passive Rolle bringt, wird er unter dem Blickwinkel des
transitiven Gebrauchs des Verbs "töten" zum aktiven "Täter", der die
maßgebliche Schuld am möglichen Erfrierungstod des Mannes auf sich lädt.
Um seine strategischen Ziele umzusetzen, bedient sich der Ich-Erzähler der
dargestellten Taktik, die den Kohlenhändler mit seiner Bitte auf ein
bestimmtes Verhalten festlegen soll. Dazu muss es ihm aber zunächst einmal
gelingen, die Aufmerksamkeit des seinen "gewöhnlichen Bitten" (Z
6) gegenüber abgestumpften Kohlehändlers zu erlangen. Was aber bleibt,
wenn die "nackte" und lebensbedrohliche Not des Einen nicht mehr ausreicht,
um den Anderen moralisch zu erreichen?
Die kühne, aber auch keineswegs mehr realistische Antwort des Ich-Erzählers,
auf seinem leeren Kohlenkübel zum Kohlenhändler zu reiten, stellt daher eine
- zumindest in seiner Vorstellungskraft noch mögliche - Steigerung dar.
Dabei ist der Ritt auf dem Kübel eine Assoziation, die an die letztlich
unmotivierte Verwendung des Verbs "reiten" (Z
14) anknüpft und in mehr oder weniger schwungvoll gestaltetem
hypotaktischen Satzbau die
düstere Statik der Zustandsschilderungen der zuvorgehenden
parataktisch-elliptischen
Sätze überwindet. Von dieser absurden Gestaltung seines Bittgestus erhofft
der Ich-Erzähler sich, die für ihn existenziell nötige Aufmerksamkeit zu
erregen. Und so hat auch der Verweis auf seinen absurden Ritt bei seiner
ersten Ansprache an den Kohlenhändler die Funktion einer Begründung, die
seine neuerliche Bitte um Kohlen von seinen und denen anderer abheben soll.
Für sich betrachtet freilich entbehrt die Formulierung "Mein Kübel ist schon
so leer, dass ich auf ihm reiten kann" (Z
24) jeder, nicht bloß argumentativen Logik.
Im Hochgefühl seiner Hoffnung auf die Erfüllung seiner Wünsche stilisiert
der Ich-Erzähler seinen Kübelritt zu einem Ritt auf einem Kamel (vgl.
Z 17), das gewöhnlich unter genau entgegengesetzten Extrembedingungen –
unerträgliche Hitze und Wüste – seine Überlebensfähigkeit beweist. Die
Situation, in der der Kübelreiter also draußen der größtmöglichen Kälte
trotzen muss, um überhaupt zum Kohlenhändler zu gelangen, bedarf einer
Umdeutung, die krasser kaum die Realität verzerren könnte. Das
verhängnisvolle Nicht-Wahrhaben-Wollen der Realitäten, das durch die Idee
mit dem Kübelritt begann, setzt sich damit in verhängnisvoller Weise fort.
Noch schlimmer: Die emotionale Stilisierung des im Grunde zutiefst
jämmerlichen Bildes eines auf einem leeren Kohlenkübel daher reitenden
Mannes macht die Absurdität der Hoffnungen deutlich und lässt das Scheitern
seines Unterfangens von Anfang an erwarten. Daran können auch die im
inneren Monolog
dahergesagten, fast selbst-suggestiv wirkenden Worte ("prächtig, prächtig",
Z 16) nichts ändern, ja im Grunde verstärken sie den Eindruck eines in
seiner Notlage gänzlich getrübten Bewusstseins.
Und in dieser Trübung des Bewusstseins, positiver: in diesen Traumfantasien,
vollzieht sich der Ritt des Kübelreiters zu seinem Kohlenhändler. Ohne
Kontakt zu irgendjemandem oder irgendetwas – der Bodenkontakt zur fest
gefrorenen Gasse geht ihm dabei völlig verloren (vgl.
Z 18f.) – lassen diese Fantasien den Mann auf seinem Eimer "in
ebenmäßigem Trab" (Z
18f.) wie auf einer warmen Strömung dahinschweben. Die räumliche
Entfernung zwischen ihm und dem Kohlenhändlerpaar im Kellergewölbe bei der
Ankunft des Kübelreiters bringt dies besonders anschaulich zum Ausdruck.
Denn als der Ich-Erzähler dort am Kellergewölbe eintrifft, schwebt er sogar
"außergewöhnlich" (Z
20) hoch, während der Kohlenhändler "tief unten an seinem Tischchen
kauert" (Z
21). So weit hat die Fantasie den Ich-Erzähler schon davongetragen, dass
er die "Sonne am Firmament" (Z
8f.), zu der er den Kohlenhändler machen wollte, in einem Kellerloch
hausen lässt. Und scheinbar lapidar nur, aber mit einem unübersehbaren
Fingerzeig auf die Realität, findet die Tatsache Erwähnung, dass der
Kohlenhändler wegen übergroßer Hitze im Keller, die Türen geöffnet hält (Z
21f.). Dieser kurze Hauptsatz ist es, der die absurd euphorische
Stimmung des Kübelritts mit einem Schlag beendet. Nun ist es daran, die
zuvor entworfene Strategie und Taktik in die Tat umzusetzen, nun, so
erwartet man, wird der Überlebenskampf des Ich-Erzählers beginnen. Die "vor
Kälte hohl gebrannte Stimme" (Z
23) des Ich-Erzählers, rhetorisch ein
Oxymoron, mit der er den
Kohlehändler ruft, lässt freilich nichts Gutes erwarten.
Der Schlüssel zum Erfolg, so nimmt der Ich-Erzähler an, ist dabei, dass er
als Kübelreiter überhaupt von dem Kohlenhändler wahrgenommen wird, und zwar
gehört und gesehen wird. Nur wenn auch dessen Blick auf ihn fällt, kann der
Ich-Erzähler den neuen und veränderten Bittgestus, auf dem Kübel sitzend und
reitend, Erfolg versprechend anbringen. Die "Rauchwolken des Atems"(Z
23) – ein weiteres Oxymoron, das zwei gänzlich entgegengesetzte
Vorstellungen miteinander verknüpft – hüllen seine an den Kohlenhändler
adressierte Bitte ein, mit der er an dessen Hilfsbereitschaft ("Sei so gut."
,
Z 35), aber auch Geschäftstüchtigkeit ("Sobald ich kann, bezahl ich's."
Z 25) appelliert.
Als sich der Kohlenhändler bei seiner Frau rückversichern will, ob er
tatsächlich etwas und dazu einen möglichen Kunden reden gehört habe, bekommt
er von seiner Frau, die entspannt auf der warmen Ofenbank, "wohlig im Rücken
gewärmt" (Z
29), strickt, eine abschlägige Antwort.
Dem Kübelreiter dringt dieser kurze Dialog des Kohlenhändlerpaares zu Ohren
und er ist wohl froh darüber, überhaupt registriert worden zu sein, aber
auch in höchstem Maße besorgt, dass er nicht wirklich wahrgenommen bzw. (an-)gehört
worden ist. Er ruft erneut hinunter in das Kellergewölbe. Dabei knüpft er an
die Äußerung des Kohlenhändlers an, und bestätigt laut, dass er ein Kunde,
dazu ein alter Kunde, sei. (Z
30) Die atemlos und schon hektisch vorgetragenen, nur durch Semikola
getrennten satzartigen Gebilde (meist Ellipsen) zeigen, in welcher Unruhe
sich der personale Ich-Erzähler befindet. Mit dem Hinweis, er sei dem
Kohlenhändler "treu ergeben" (Z
30f.), verstärkt er seinen Bittgestus daher noch, indem er die Stellung
des Kohlenhändlers noch weiter überhöht. Zugleich weiß er aber auch um die
geschäftsmäßige Grundlage ihrer Beziehung. Mit der Äußerung, er sei
"augenblicklich mittellos"
(Z 30f.) stellt er dabei erneut seine grundsätzliche
Zahlungsbereitschaft heraus und die Hoffnung, dass sich seine
Zahlungsfähigkeit schon bald wieder einstellen werde.
Der Kohlenhändler sieht sich entgegen der Behauptungen seiner Frau in seinen
akustischen Wahrnehmungen bestätigt und beharrt ihr gegenüber darauf, dass
oben auf der Gasse jemand sein müsse. Dabei greift er sogar die Bemerkung
des Kübelreiters auf, es handle sich um eine "alte, eine sehr alte
Kundschaft" (Z
33). Denn nur so erklärt sich für ihn, warum die Worte des bloß gehörten
Sprechers auf ihn eine Wirkung gehabt haben. "Zum Herzen gesprochen" (Z
33) habe man zu ihm, wie es eben nur sehr alte Kunden fertig brächten.
Mit dieser Feststellung hat der Kohlenhändler eigentlich jene
Beziehungsdefinition angenommen, die der Kübelreiter von Anfang an
angestrebt hat. Dabei zeigt die Begründung des Kohlehändlers aber auch, dass
seine Rührung nur auf der Basis klarer geschäftlicher Beziehungen möglich
ist. Seine Hilfsbereitschaft bedarf geschäftlicher Grundlage, zielt darauf
Geschäfte zu machen. Ihr fehlt damit auch letztlich jene religiöse
Fundierung, auf die der Kübelreiter mit dem Verweis auf das göttliche Gebot
so sehr vertraut. Dies erklärt auch, neben der besonderen Beziehung zwischen
dem Kohlenhändler und seiner Frau, weshalb der Kohlenhändler, dessen
Aussagen ja belegen, dass er den Kübelreiter gehört hat, eben nicht jenem
"Strahl des Gebots" (Z
12) folgt, auf dem unter anderem die Hoffnungen des Kübelreiters
beruhen.
Dies kommt auch dem Kübelreiter allmählich zu Bewusstsein. Als er nämlich
hören muss, dass die Frau erneut bestreitet, dass sich jemand oben auf der
Gasse befinde und dies auch noch mit dem Argument, alle Kundschaft sei schon
versorgt, begründet, läuten seine inneren Alarmglocken. Und während ihm
selbst "gefühllose Tränen der Kälte" (Z
38) den Blick verschleiern, ruft er hinunter, dass er "doch hier auf dem
Kübel" (Z
38) sitze. Er will und kann nicht wahrhaben, dass seine Existenz von der
Kohlenhändlerin geleugnet wird, geht aber doch auch auf ihr Argument ein,
indem er es für sich und seine Interessen umdreht. Wenn nämlich die übrige
Kundschaft schon versorgt ist, glaubt er, sei es um so leichter für den
Kohlenhändler, ihm zu helfen. Und wie zum Zeichen dafür, dass seine Bitten
den gewünschten Erfolg haben, will sich der Kohlehändler kurzerhand und
entschlossen in Richtung Treppe in Bewegung setzen, als er von seiner
dominierenden Frau im Befehlston zum Bleiben aufgefordert und sogar am Arm
festgehalten wird. (Z
42) Ihre Begründung, ihr Mann riskiere in seinem "Eigensinn" (Z
45) für jedes, sogar ein "eingebildetes" Geschäft (Z
46) seine Gesundheit und das Wohlergehen seiner Familie, zielt darauf,
ihren Mann vor weiteren „Gefühlsduseleien“ zu bewahren, auch wenn sie sich
der Tatsache wohl bewusst ist, dass auch diese sich bei ihm nur nach den
Regeln des Geschäftsverkehrs entfalten. Was die zuvor "Zum-Herzen-Sprechen",
Z 33) genannten Wirkungen anbelangt, zeigt sich nämlich schnell, als der
Kohlenhändler seiner Frau, die nach oben geht, auffordert, dem Kunden alle
möglichen Angebote zu unterbreiten. (Z
47f.)
Als die Frau des Kohlenhändlers oben auf der Gasse ankommt, registriert der
Ich-Erzähler sogleich, dass sie ihn sieht. Er ist sich seiner Sache
vollkommen sicher, wobei die eindringliche, im inneren Monolog geäußerte
Bemerkung: "Natürlich sieht sie mich gleich" (Z
49) ganz offenbar mehr zur Selbstberuhigung gereicht, denn auf einem
tatsächlich stattfindenden Blickkontakt beruht. So bleibt denn zunächst auch
unbeantwortet, ob die Kohlenhändlerin den Kübelreiter tatsächlich sieht oder
eben nicht. Seine ein weiteres Mal vorgetragene Bitte um etwas Kohle,
erreicht die Kohlenhändlerin jedenfalls nicht. Und sein Versprechen, die
Kohle auf jeden Fall nur "nicht gleich, nicht gleich" (Z
52) zu bezahlen, geht dazu in dem Sechs-Uhr-Läuten der nahen
Kirchturmglocken unter. "Sinnverwirrend" (Z
53) kommt dem Kübelreiter vor, wie sich der "Glockenklang"" (Z
52) seiner beiden Worte "nicht gleich" (Z 52) mit dem "Abendläuten" (Z
52) des Kirchturms vermischen. Mit gutem Grund: Denn während der
"Glockenklang" der Worte des Kübelreiters sich auf keinen Zeitpunkt festlegt
und lediglich unbestimmt und zwar relativ zur Gegenwart zukünftiges
Verhalten in den Blick nimmt, ist das Abendläuten der Kirchenglocken um
Punkt sechs Uhr konkret: Es bedeutet für den Kohlenhändler und seine Frau
Geschäftsschluss. Das Urteil, das die Kirchenglocken über den Kübelreiter zu
fällen scheinen, ist endgültig. Es entzieht damit auch den von
geschäftlichen Interessen getragenen, in moralische Form gekleideten
Anrührungen des Kohlenhändlers die Geschäftsgrundlage. Dass dieses Signal
dabei noch vom Kirchturm ausgeht, nimmt das Motiv des jede Hilfe von sich
weisenden Himmels vom Beginn der Erzählung wieder auf. In einer von
Geschäften und Geld geprägten Welt haben damit auch andere (Zeit-)Begriffe
keinen Platz und gewähren keinen Halt, ist die bittere Erkenntnis, die ein
weiteres Mal die Illusionen des Kübelreiters zerstört.
So ist es kein Wunder, dass die Kohlenhändlerin ihrem Mann, auf dessen
Nachfrage hin, erneut erklärt, sie sehe und höre nichts (vgl.
Z 56) (das Läuten allerdings vernimmt sie). Ihre Ankündigung, sie werde
den Laden schließen und ihre an ihren Mann adressierten Erwartung, man werde
wegen der ungeheuren Kälte draußen anderntags wieder gute Geschäfte machen,
setzt den Hoffnungen des Kübelreiters ein klares Ende. Was folgt, ist die
offene Demütigung des Hilfe suchenden Kübelreiters. Völlig desillusioniert
muss er im inneren Monolog konstatieren: "Sie sieht nichts und hört nichts."
(Z
68) Dabei muss er erleben, dass diese Feststellung in klarem Gegensatz
zu ihren Handlungen steht. Mit der abgenommenen Schürze (Z
58f.) – ein weiteres Zeichen für den Geschäftsschluss – kann sie den
Ich-Erzähler einfach fortwehen. Und resigniert muss der Kübelreiter
erfahren, dass sein Kübel nicht über jene "Widerstandskraft" " (Z
60) verfügt, die nötig wäre, um dies zu verhindern. So wird der zu
Beginn zum Symbol der Hoffnung gewordene Kübel wieder in jenen Zustand
zurückversetzt, in dem er sich am Anfang befunden hat: er ist einfach leer,
"zu leicht" (Z
60) und, so sehr der Kübelreiter sich auch um einen festen Halt bemüht:
"eine Frauenschürze jagt ihm die Beine vom Boden" (Z
60).
Wenig bleibt am Ende von jenem fast trotzigen "Ich darf doch nicht
erfrieren" (Z
4f.), das den Lebenswillen des Ich-Erzählers zu Beginn ausdrückt. Seine
Verurteilung der Kohlenhändlerin als "böse" (Z
62) wirkt im Kontext einer nüchternen Zusammenfassung ihres Verhaltens
so trost- und hilflos wie die Situation zu Beginn der Geschichte und
wahrscheinlich ist dies auch der tiefere Grund für die nun geradezu
apathische Hinnahme des Schicksals durch den Kübelreiter. Während er noch
seinen Blick auf die wieder in den Keller zurückkehrende Kohlenhändlerin
richtet, bemerkt er wie diese "halb verächtlich, halb befriedigt mit der
Hand in die Luft schlägt" (Z
62f.). Erst hier scheint sich zumindest zu klären, dass die
Kohlenhändlerin den Kübelreiter wirklich wahrgenommen, und zwar gehört und
gesehen hat, und trotzdem seinen Tod bewusst in Kauf genommen hat. Aber auch
daran bleibt ein Zweifel: Denn die Art, wie das weitere Schicksal des
Kübelreiters erzählt wird ("steige ich in die Regionen der Eisgebirge und
verliere mich auf Nimmerwiedersehen" (Z
65), stellt der Wirklichkeitswahrnehmung des Kübelreiters in dieser
Situation kein besonders gutes Zeugnis aus. In diesem Falle bliebe der ganze
Kübelritt und die vermeintliche Begegnung, das eine wie das andere, reine
Phantasmagorie eines um sein Überleben gegen die akute Gefahr des Erfrierens
kämpfenden Individuums, das bar jeder sozialer Beziehungen seinen Tod
erwartet.
Der parabolische Charakter der Erzählung, die mancherorts auch einfach der
Textsorte Kurzgeschichte zugeordnet wird, wird auf dem Hintergrund dieser
Überlegungen sichtbar.
Das in sozialer Isolation (Kälte) lebende Individuum strebt, um nicht den
sozialen Tod zu erleiden, nach Integration und Kontakt (Wärme), die ihm die
Gesellschaft und ihre Institutionen (Kirche, Religion usw.) schenken können,
aber aus unbegreiflichen Gründen nicht gewähren. Die fortwährende
Enttäuschung darüber und der strukturell anhaltende Entzug dieser sozialen
Wärme zieht die psychische und physische Vernichtung des Einzelnen nach
sich, wenn er die Bindung an die Gesellschaft verliert. Wer als
individualisiertes Ich die Gesetze des Marktes bzw. der Geschäftswelt nicht
erfüllen kann und nicht über den Konsum selbst für seine Vergesellschaftung
sorgen kann, kommt unter die Räder einer Gesellschaft, deren Kitt nicht mehr
gemeinsame Wertvorstellungen, sondern die Teilhabe am Konsum ist.
(Der
Nachweis der Belegstellen bezieht sich auf das entsprechende
teachSam-OER-Dokument.)
(2002, überarbeitet und leicht verändert 2014)