Wenn vom idealtypischen Spannungsverlauf eines ▪
geschlossenen Dramas die Rede ist,
ist damit nicht gemeint, ob ein Zuschauer die Abfolge der
szenisch präsentierten Ereignisse spannend findet. Es geht also
dabei nicht um die affektiv-emotionale Reaktion des Zuschauers,
die von vielen Faktoren abhängig ist.
Im Fall des geschlossenen Dramas kann bei einem kompetenten Leser oder Zuschauer
Spannung auch schon dadurch aufkommen, dass er bestimmte Gattungserwartungen
hat, weil er z. B. weiß, dass in einer
Tragödie der
tragische Held am Ende "abstürzen" wird, und das je tiefer, je
größer die entsprechende
Fallhöhe ist.
Die Figuren müssen dabei bestimmtes Risiko
auf sich nehmen und der sich mit ihnen identifizierende Zuschauer
erlebt dies mit.
Die ▪ dramatische Spannung
hingegen, die bei der textorientierten Dramenanalyse im
Vordergrund steht, "bezieht sich auf die linearsequentielle
Ablaufstruktur des Textes". (Pfister
1977, S.142f.) Sie speist sich aus der Tatsache, dass
Figuren und Rezipienten eines Dramas immer nur einen begrenzten
Einblick in das haben, was in der Zukunft des dramatischen
Geschehens liegt. Wer schon über alles Bescheid weiß, wird also
keine derartige Spannung empfinden, und wer sich überhaupt nicht
ausmalen kann, wie es weitergeht, dem ergeht es kaum anders.
Insofern beruht das Spannungspotential eines dramatischen
Textes, wenn darunter eine Kategorie der linearsequentiellen
Ablaufstruktur des Textes versteht, "immer aus einer nur
partiellen Informiertheit von Figuren und/oder Rezipienten in
bezug auf folgende Handlungssequenzen" (ebd.)
Die
epistemologische Position der Figuren und der Rezipienten
bleibt damit stets auf den erreichten Wissenshorizont und die
vorhandenen Wahrnehmungsmöglichkeiten beschränkt.
Die dramatische Spannung kann sich aber durchaus auch auf das
Spannungsempfinden der Zuschauer*innen auswirken, insbesondere
dann, wenn er sich mit dem (tragischen) Helden identifiziert.
Begriff aus der Dramentheorie und Dramaturgie; Unterbrechung
eines Handlungsverlaufs durch Ereignisse, die dazu führen, dass
zeitweilig das vorgezeichnete Handlungsziel abgeändert oder gar
umgekehrt wird; 1. nach ▪
Gustav Freytags (Technik des Dramas,
1863) im Drama (der
geschlossenen Form) das »Moment der letzten Spannung«; in der
▪Tragödie: trügerische Hoffnung auf die noch denkbare Rettung des
Helden; in der Komödie: die Befürchtung, das das Ganze letztlich
doch nicht gut ausgehen könnte; 2. auch an anderen Stellen des
Dramas und in anderen literarischen Gattungen (Novelle, Ballade,
Kriminalroman ...) verwendet.
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023