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Fremdheitserfahrungen thematisieren
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Vanitas-Motiv und Vanitas-Symboli
Kaum ein Schulbuch, welches das Kapitel ▪
Barock nicht mit mindestens einer bildlichen Darstellung aufschlägt, die
einen Totenschädel oder ein Gerippe im Kontext anderer Bildelemente zeigt.
Besser, so hat es den Anschein, lässt sich das Lebensgefühl in einer
Zeit, die im besonderen Maße von Krieg, Seuchen und Hungersnöten
gekennzeichnet war, nicht demonstrieren und besser die
volitionale Bereitschaft
von Schülerinnen und Schülern kaum unterstützen, sich auf die literarischen
Zeugnisse einer vergangenen und in vielerlei Hinsicht fremden Zeit
einzulassen.

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Das ▪
Motiv der
Vergänglichkeit (Vanitas), wie es derartige Bilder, vor allem die im
Barock so populären
»Vanitas-Stillleben mit ▪
unterschiedlichen Symbolen gestalten, steht dabei in der Regel vor der
Rezeption und der Arbeit mit den literarischen Zeugnissen, z. B. in der
Barock-Lyrik und strukturiert diese in starker Weise vor.
Unstrittig
können über
entsprechende Darstellungen auch für den Literaturunterricht
interessante Zugänge geschaffen werden. Allerdings sollte man sich dabei
auch darum bemühen, diese Abbildungen zu rekontextualisieren, um sie
nicht nur als eine Art "Advance Organizer" für die sich anschließende
Anlyse und Interpretation barocker Texte zu nutzen.
Vor allem
sollte man bei der Behandlung der Bilder im Unterricht, vorschnellen Analogien
zu heutigen "Endzeitstimmungen"
entgegenwirken, mit denen die ▪
strukturelle Fremdheit der oft sehr eindringlich-plakativ
Darstellungen eingeebnet wird, ehe die Spurensuche nach ihrem Sinn
und ihrer Funktion überhaupt begonnen hat.

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In diesem Zusammenhang sollte auch herausgearbeitet werden, dass solche
Bilder, denen, die sie sich leisten konnten, schließlich auch
für repräsentative Zwecke dienten. Das allein verweist auf die strukturelle
Fremdheit, die solche Bilder auszeichnet.
Sie hingen in speziellen Bildergalerien
adeliger oder gut betuchter bürgerlicher Mäzene oder zierten ihre
Repräsentationsräume stets in Konkurrenz zu anderen Fürsten, die ihre
Prunkräume ähnlich ausstaffieren konnten.
Und in diesem räumlichen und
gesellschaftlichen Kontext schufen nicht zuletzt die ein Bild umgebenden
anderen Bilder und der Ort selbst, wo sie die Wände zierten, einen eigenen
Bedeutungsrahmen, der mit der isolierten Betrachtung, mit der solche
bildlichen Darstellungen häufig im Literaturunterricht zur Illustration
eines vorher feststehenden Lernziels eingesetzt werden, wenig zu tun hat.

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Natürlich konnten Vanitas-Stillleben durchaus auch christliche Andachtsbilder sein.
Trotzdem waren sie oft eben eher dazu da, einer
Kultivierung des
"»Bekümmertseins«" zu dienen, als der Mahnung über die Vergänglichkeit
irdischen Daseins.
Und auch die Aufforderung zu einer christlichen
Lebensführung, die die letzten Dinge im Sinne der christlichen Eschatologie
stets vor Augen hat, dürfte dabei eher von untergeordneter Bedeutung gewesen
sein.
Das Vanitas-Motiv war, so sehr es auch als Ausdruck eines
allumfassenden, allzu leicht verständlichen Lebensgefühls erscheint, eben
auch en vogue, war eine Mode, die der adeligen und bürgerlichen
Selbstdarstellung offensichtlich gut tat, wie denen, die so gestaltete Werke
als Auftragskunst angefertigt haben.
Wer diesen Aspekt entsprechend gewichtet, wird über den Zugang weniger über
Bilder wählen, die Vanitas im Sinne der allgemeinen Memento-mori-Forderung
"liest", sondern über Porträts, in denen Vanitas-Motive wie z. B. der fast
obligatorische "Totenschädel" zu den fast unabdingbaren Stilelementen der
Selbstdarstellung gehörten. Der Gedanke den Vergleich mit Profilfotos der
Jugendlichen für ihre Accounts in den sozialen Netzwerken mit
"Vanitas-Porträts" der Bildenden Kunst zu vergleichen, liegt dabei nahe.

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Im
Unterricht könnten solchen Darstellungen mit anderen Formen
von Stillleben verglichen werden, die mit weitaus weniger plakativen,
dafür aber verschlüsselt
erscheinenden Bildelementen gearbeitet werden. Da diese ähnliche christliche Botschaften von
ohne den unmittelbaren Fingerzeig wie z. B. die Totenschädel auskommen, um
die "Auseinandersetzung zwischen dem Guten und Bösen" oder
"zwischen Tod und
Auferstehung" (van Lil 2007, S.470)
zu vermitteln, konnte, wenn den Schülerinnen und Schülern Unterstützung bei
der Enträtselung solcher Darstellungen gewährt wird, eine motivierende Spurensuche beginnen.
In Frage kämen dafür auch die sogenannten »Bücherstillleben,
die immer wieder zeigen, wie die Bücher dem Zahn der Zeit genauso unterworfen sind
wie alles andere auch: "Oft sind die Bücher in den Stillleben selbst
bereits arg in Mitleidenschaft gezogen, und man weiß, dass das Papier
bald zerfallen wird." (van Lil
2007, S.470) So ist eben im Sinne der allegorischen Auslegung
solcher Bilder auch alles Wissen letzten Endes hinfällig
und besitzt vor allem im Rahmen der christlichen Eschatologie, dem Ende
aller Tage und dem Jüngsten Gericht, ein
Zerfallsdatum, dessen Zeitpunkt zwar nicht vorhersehbar, aber dessen
ungeachtet für die Christen dieser Zeit vollkommen gewiss ist.

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Mit solchen Vanitas-Bücherstillleben,
in denen die Bücher selbstverständlich auch Symbole für Gelehrsamkeit
waren,"führten sich die Gelehrten die Grenzen ihres
wissenschaftlichen Strebens vor Augen und mahnten sich selbst zur
Bescheidenheit."
(ebd.)
Dabei waren derartige Darstellungen an die Gelehrten adressiert, die
über den gemeinsamen Code verfügten, mit denen solche Bilder
verständlich waren. (vgl. auch:
Bergström 1956)
Vanitas-Motive gehörten
aber auch oft zur Selbstdarstellung der belesenen Gelehrten und ihre
Symbole tauchten daher auch immer wieder in Porträts auf, die als
Auftragsmalerei entstanden sind. Bei alller Mahnung der Symbolik vor
gelehrtem Hochmut, die den oft auftauchenden Totenschädeln innewohnt,
kann doch nicht übersehen werden, dass solche Requisiten auch
einem "modischen" Zeitgeist entsprachen, gelehrte Selbstdarstellung ohne
ein solches Requisit offenbar kaum vorstellbar war und in den Kreisen,
in denen sie präsentiert wurde, auch erwartet worden ist.

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▪ Fremdheitserfahrungen thematisieren
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.01.2022