An eine
vortreffliche schöne vnd Tugend begabte Jungfraw
1.
Gelbe Haare, güldne
Stricke, Tauben-Augen, Sonnenblicke,
schönes Mündlein von Corallen,
Zähnlein, die wie Perlen fallen.
2.
Lieblichs Zünglein in dem
Sprachen, süsses Zörnen, süsses Lachen Schnee- und Lilgen weisse Wangen,
die voll rohter Rosen hangen.
3.
Weisses Hälßlein, gleich
den Schwanen, Aermlein, die mich recht gemahnen,
wie ein Schne, der
frisch gefallen, Brüstlein wie zween Zucker-Ballen.
4.
Lebens voller Alabaster,
grosse Feindin aller Laster, frommer Hertzen schöner Spiegel, aller Freyheit güldner Zügel.
5.
Außbund aller schönen
Jugend, auffenthaltung aller Tugend,
Hoff=statt aller edlen Sitten, jhr
habt mir mein Hertz bestritten.
Gegen=Satz
An eine sehr häßlicheJungfraw
In voriger Melodey
1.
Grawes Haar voll Läuß vnd
Risse, Augen von Schablack1, von Flüsse, blawes Maul voll kleiner
Knochen, halt verrost vnnd halb zerbrochen.
2.
Blatter=Zunge2, kranck zu
sprachen, Affischs=zörnen3, Narren=lachen, Runtzel volle mager Wangen,
die wie gelbe Blätter hangen.
3.
Halß=Haut gleich den
Morianen4, Arme, die mich recht gemahnen, wie ein Kind ins
Koth5 gefallen,
Brüste wie zween Drucker=Ballen6 .
4.
Du bist so ein Alabaster7,
als en wohlberegntes Pflaster, aller Ungestalt ein Spiegel,
aller
Schönen Steigebügel8.
5.
Schimpff der Jungfern vnd
der Tugend, Unhuld aller lieben Tugend,
Einöd aller plumpen Sitten,
lästu dich zum freyen bitten.
(Quelle: Venus-Gärtlein.
Ein Liederbuch des XVII: Jahrhunderts. Nach dem Drucke von 1656,
herausgegeben von Max Freiherrn von
Waldberg, Halle a. S.: Max Niemeyer 1890, S. 178-179 - pd -
gemeinfrei,)
Worterklärungen
1
Schablack: Zum Restaurieren von alten
Möbeln wird Schellack verwendet. Lackharz bezeichnet, ist
eine harzige Substanz, die aus den Ausscheidungen der Lackschildlaus
Kerria lacca (Pflanzenläuse, Familie Kerridae) nach ihrem Saugen an
bestimmten Pflanzen gewonnen wird.
2
Blatter-Zunge:
Zunge, die von den Pocken entststellt ist; Pocken sind eine für den Menschen äußerst gefährliche und
lebensbedrohliche, sehr ansteckende Infektionskrankheit, die von
Pockenviren (Orthopox variolae) verursacht wird; das für die
Erkrankung typische und namensgebende Hautbläschen wird als
Pocke oder Blatter bezeichnet; typischer Krankheitsverlauf:
"Nach einer anfänglichen Fieber-phase, der eine Inkubationszeit
von durchschnittlich zwölf Tagen vorausgeht, zeigen sich kleine
bis linsengroße rötliche Flecken, die sich vom Kopf ausgehend
über den ganzen Körper ausbreiten. Diese entwickeln sich im
Verlauf weniger Tage zu Knötchen (Papeln) und dann zu
perlmutterartig glänzenden Bläschen (Vesikeln). Die zunächst mit
klarer, eiweißhaltiger Flüssigkeit (Lymphe) gefüllten Blattern
beginnen um den achten Krankheitstag herum zu vereitern."
(Jütte
(2013): Krankheit und Gesundheit in der Frühen Neuzeit,
Kindle-Version); wenn die Krankheit besonders schwer und
meistens tödlich verläuft (variola haemorrhagica), kommt es zu
heftigen Blutungen, die auf der Haut als blauschwarze Flecken in
Erscheinung treten (volkstümliche Bezeichnung: »Schwarze
Blattern«); Erkrankte starben dabei meistens binnen einer Woche;
bei der häufigsten Form der Pocken (variola major) lag die
Sterblichkeit, als es noch keine Immunisierung durch eine
Schutzimpfung gab, bei 20 bis 40 Prozent; Pocken galten
jahrhundertelang neben der Pest als die Hauptgeißel der
Menschheit, weil die Sterblichkeitsrate ziemlich hoch war und
die Krankheit insbesondere unter Kindern wütete; wer die
Krankheit überlebte, war oft für das ganze Leben entstellt. Der
englische Geschichtsschreiber Thomas Macaulay (1800–1859)
liefert eine dramatische Schilderung dieser Seuche: »Die Pocken
waren immer da, füllten die Kirchhöfe mit Leichen, peinigten den
Verschonten mit ständiger Angst, hinterließen an dem mit dem
Leben Davongekommenen die scheußlichen Spuren ihrer Macht,
verwandelten den Säugling in einen Wechselbalg, vor dem die
eigene Mutter zurückprallte und ließen die Wangen der Verlobten
dem Bräutigam zur Abscheu werden.« (zit. n.
Jütte 2013, ebd.); es waren neben den für jeden sichtbaren
Spätfolgen vor allem der schnell eintretende Tod, den die
Menschen früher besonders fürchteten; das einzige wirksame
Mittel gegen die Pocken ist bis heute die »Pockenimpfung;
Menschen, die in der Frühen Neuzeit ein wegen einer früheren
Pockenerkrankung von zum Teil kraterförmigen Narben (= sog.
"Blattersteppen") entstelltes Gesicht hatten, gab es viele, und
die anderen Menschen bekamen sie oft zu sehen; wer ein
pockennarbiges Gesicht hatte, besaß sowohl als Frau als auch als
Mann geringere Heiratschancen; verringerte übrigens nicht nur
bei Frauen, sondern auch bei Männern die Heiratschancen;
im Übrigen wütete die Krankheit unter allen
Bevölkerungsschichten.
3
Affischs=zörnen: affisch = affenartrig, läppisch; zörnen = mürrisch,
beleidigt sein
4
Morianen: Moriane = von Mohr (= Menschen mit schwarzer bzw.
dunkler Hautfarbe); im 16. Jahrhundert in Gelehrtenkreisen verwendete
Weiterbildung des Wortes Mohr
5 Koth: h.
wohl im Sinne von: Dreck, Modder
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6
Drucker-Ballen:
»Druckerballen
sind mit glattem Leder überzogene Ballen, mit welchem die Drucker
die aufgestrichene Farben auf die Formen, besonders beim Buch- und
Kupferdruck, bringen;
7
Alabaster:
»Alabaster:
ist eine sehr häufig vorkommende, mikrokristalline Varietät
des Minerals Gips, je nach Fundort weiß, hellgelb, rötlich, braun
oder grau; besitzt optisch eine gewisse Ähnlichkeit mit Marmor,
fühlt sich aber als schlechter Wärmeleiter im Gegensatz zu diesem
warm an; außerdem ist er im Unterschied zu Marmor nur bedingt
wetterfest, zersetzt sich also witterungsbedingt schnell und wird
dann unansehnlich; in der Bildhauerei ausschließlich für
Innenraumobjekte genutzt.
8
Steigebügel:
»Steigbügel
(Reiten) die Fußstütze für einen Reiter, die in Höhe der Füße
seitlich vom Reittier (z. B. einem Pferd) herabhängt; als Rolle (»Steigbügelhalter),
Bezeichnung für eine Person, die einem anderen die Steigbügel
festhält, um es diesem zu erleichtern, in den Sattel zu kommen.
heute in der Politik häufig abwerten verwendet für Politiker, die
selbst eine geringere Rolle spielen, aber der als Gegner angesehenen
Partei helfen, an die Macht zu kommen;