An eine liebe Jungfrau
1.
Jungfrau, wollet jhr mich
lieben, Gelt vnd Gut ist nicht bey mir,
Edel wird mir nicht geschrieben,
auch ist sonsten keine Zier, an den Kleidern, die ich trage, weil ich
nichts nach Hoffart1 frage.
2.
Viel zu prahlen, viel zu
lügen, viel zu buhlen weiß ich nicht,
ich weiß mehr von Felder pflügen,
wie man säet, wie man bricht2. Was mein Vater hat getrieben, Ist auch
noch bey mir geblieben.
3.
Ich kan nichts von
Schlachten sagen, aber wol dem Helicon3. Mancher
hat ein Huhn erschlagen schreyet von Occasion4.
Lützen5 liegt auff vieler Zungen, wenig haben da
gerungen.
4.
Was ich hab ist junges Leben,
frisches Hertze, freyer Muht, Sinne, die nach Ehren streben,
bin darbey ein ehrlichs Blut:
Was ich kan, kan Brod erwerben,
läst mich leichtlich nicht verderben.
5.
Zwar die Warheit nicht zu
sparen, ich hab etwas schlecht studirt, weil mir niemahls Mittel waren,
Mars6 hat all mein Haab entführt. Und wer kan den
Pierinnen7
Sonder8
Gelt was abgewinnen.
6.
Ich hab auch nicht viel
gesehen, Pein9 ist mir unbekant. Ich kan auch kein
Fransch10 verstehen, weder das von
Wälisch-Land11, ich kan auch nicht
Englisch sprächen, Noch das Spanisch Radebrechen12.
7.
Hat es aber einen Nutzen,
was man bey den Teutschen sieht; So kan ich fürwahr was
stutzen13. Zwar
ich bin vielmehr bemüht, eure Liebe zu erwerben als ein
grosser Hanß14 zu sterben.
8.
Wie ich bin habt jhr
erfahren, Weiber Schönheit hab
ich nicht. Frisch von Augen, schwartz von Haaren, braun in meinem
Angesicht, vnd darbey gesundes Leibes, dürfftig eines jungen Weibes.
9.
Wollet jhr nun meine
werden, schlagt in diese Hand herein, jhr solt mir auff dieser Erden,
meine liebste Freude seyn,
wolt jhr nicht, so last es bleiben so wil ich mich sonst beweiben.
(Quelle: Venus-Gärtlein.
Ein Liederbuch des XVII: Jahrhunderts. Nach dem Drucke von 1656,
herausgegeben von Max Freiherrn von
Waldberg, Halle a. S.: Max Niemeyer 1890, S. 193-194 - pd -
gemeinfrei)
Worterklärungen
1
Hoffart: Hochmut, Angeberei
2
wie man bricht: h. wohl gemeint das
Brechen der Halme beim Schroten von Getreide und Malz
3 Helicon:
Name eines Gebirges in der griechischen Landschaft von in »Böotien
nördlich des »Golfes
von Korinth; in der
griechischen Mythologie Sitz der »Musen
gilt, den Schutzgöttinnen der Künste
4
Occasion: Gelegenheit, Anlass
5 Lützen:
»Schlacht
bei Lützen: eine der Hauptschlachten des »Dreißigjährigen
Krieges (1618-1648) am 16. November 1632; Gegner: ein
protestantisches, überwiegend schwedisches Heer unter Führung des
schwedischen Königs
»Gustav
II. Adolf (1594-1632) und den überwiegend katholischen kaiserlichen
Truppen unter »Albrecht
von Wallenstein (1583-1634) statt; Gustav Adolf stirbt auf dem
Schlachtfeld; militärisch gesehen war die Schlacht ohne entscheidende
Bedeutung für den Ausgang des Krieges.
6 Mars:
römischer Gott des Krieges
7
Pierinnen: unter diesem Namen (auch
Pieriden) sind die 9 Töchter des Pierus bekannt, die es wagten, mit
den »olympischen
Musen einen Wettkampf anzustellen; werden auch die
»sieben oder neun pierischen Musen
genannt; als sie ihren Gesang anfingen, wurde alles dunkel und
finster, aber sobald die »olympischen
Musen ihren Gesang anstimmten, standen Himmel, Gestirne, Flüsse
und Meere still; die Pieriden wurden nach ihrer Niederlage zur
Strafe für ihre Anmaßung in Elstern verwandelt;
8
Sonder: außer, es sei denn
9
Pein: in »Georg
Greflingers (1620-1677) Liederbuch »Seladons
Weltliche Lieder (1651, Vierte Dutzend, Nr. 5, S.160), aus dem das
Venusgärtlein dieses Lied entnommen hat, lautet Vers 2 in
Strophe 6 "Peru ist mir unbekannt".
10
Fransch: Französisch
11
Wälisch-Land: »wallonisch,
französisch, italienisch, überhaupt fremdländisch Welsch (wälsch);
welschen (wälschen), fremdländisch oder überhaupt unverständlich
reden; übertragen auch auch für die (fremdländischen) romanischen
Sprachen überhaupt
12
Radebrechen: mangelhaftes Sprechen einer
fremden Sprache
13
stutzen: etwas hermachen, prangen, Staat
machen,
14
grosser Hanß: abwertend für:
einflussreicher, bedeutender, reicher, feiner Herr
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