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Intelligenz, so hat es
E. G. Boring (1923) wohl erstmals in ironischer Weise formuliert, sei das,
was Intelligenztests messen. Auch wenn zum Teil stimmt, dass
Intelligenzkonzepte eng mit Intelligenztests verbunden sind, zeigt die
Aussage doch, dass wir heute noch unendlich weit davon entfernt sind, genau,
und vor allem verbindlich sagen zu können, was Intelligenz eigentlich ist.
In der Psychologie konkurrieren dementsprechend etliche Definitionen von
Intelligenz miteinander. Aber immerhin haben sich 52 Forscher, die sich mit
Intelligenz beschäftigen, auf die nachfolgende
Definition geeinigt:
"Intelligenz ist eine sehr allgemeine geistige Fähigkeit, die unter anderem
die Fähigkeiten zum schlussfolgernden Denken, zum Planen, zum Problemlösen,
zum abstrakten Denken, zum Verstehen komplexer Ideen, zum raschen Auffassen
und zum Lernen aus Erfahrung einschließt." (Gottfredson
1997, S. 13, zit. n.
Zimbardo/Gerrig 2004, S.405)
Natürlich haben wir uns längst einen eigenen Begriff davon gemacht, was wir
persönlich für intelligent halten. Vielleicht ist es in unserem
Sprachgebrauch auch ein Allerweltswort geworden, dessen genaue Bedeutung wir
gar nicht kennen. Dann steht es unter Umständen einfach als fremdwortliches
Synonym für schlau, tüchtig, klug, begabt, gescheit, clever und so
weiter. Der Begriff Intelligenz stammt,
etymologisch betrachtet, aus dem Lateinischen (intelligentia, von inter
legere = ein Ding/einen Begriff richtig einordnen, indem seine relevanten
Merkmale erkannt bzw. ausgewählt werden).
Wir kommen mit dem Begriff allerdings auch in Berührung in anderen
Zusammenhängen. Vielleicht sind wir gezwungen, bei einem Einstellungstest
einen Intelligenztest zu machen oder wir kommen in den Medien mit
Informationen in Berührung, die uns über unseren und ander Leute IQ, was
Intelligenzquotient bedeutet, nachsinnen lässt. Vielleicht kommt uns aber
auch bei der Bewertung eines besonders begabten Menschen der Begriff
"Intelligenzbestie" über die Lippen. Warum aber machen wir einen Menschen,
der eine besondere Begabung zeigt oder vielleicht nur eine größere geistige
Leistungsfähigkeit aufweist, als wir sie haben zur "Bestie", zum
lebensbedrohlichen, menschenfressenden, skrupellosen Ungeheuer? Was macht
uns vor Intelligenz eigentlich Angst? Ganz im Gegensatz zu solchen
Befürchtungen und Abwertungen, wonach ein hochbegabter Mensch stets Defizite
in anderen Bereichen aufweise, sind solche Menschen "eher
überdurchschnittlich gut an ihre Umgebung angepasst, sind psychisch gesund
und setzen ihre Fähigkeiten so ein, dass sie bedeutenden Einfluss auf die
Gesellschaft ausüben." (Bourne/Ekstrand
1992/2005, S, 240) Und entgegen weitverbreiteter Vorstellungen sind
Genies, Menschen mit einem weit überdurchschnittlichen IQ zwischen 120 und
200, keineswegs von Geburt an "Wunderkinder". So weiß man, das Albert
Einstein erst im Alter von vier Jahren sprechen konnte, Wolfgang Amadeus
Mozart allerdings schon mit sechs Jahren sein erstes Stück komponierte.
(vgl.
ebd.)
Es gibt auch Menschen, die in vielen
Bereichen manchmal weit unterdurchschnittliche Fähigkeiten haben, in einem
Bereich aber ganz und gar außerordentliche Fähigkeiten aufweisen, die uns einfach fremd
und unerklärlich erscheinen. Solche Menschen haben
Inselbegabungen, man
spricht auch vom
Savant-Syndrom.
Wer ist schon so intelligent wie
Emil Krebs, der 68 Sprachen perfekt in Wort und Schrift beherrschte und
sich mit 120 Sprachen befasste?
Der Intelligenzbegriff hat es also in sich, auch wenn seine
gesellschaftlich-kulturelle Ausprägung mitunter seltsame Blüten treibt: Wo
sonst außer in Deutschland gelten Menschen, die Probleme mit der
Rechtschreibung haben, als minder intelligent? Es wird aber auch deutlich, in
welchem Bereich das Interesse an Intelligenz über lange Jahre angesiedelt
geblieben ist, nämlich im Bereich schulischer Leistungen und Hochleistungen.
Damit zeigt sich der Intelligenzbegriff zugleich in seiner historischen und
gesellschaftlich-kulturellen Bedingtheit, demonstriert, dass Intelligenz
"ein theoretisches Konstrukt (ist), nichts real Existierendes[...] ein
Begriff, der von der Gesellschaft erschaffen wurde."
(Myers
2005, S.459)
Die Grundfrage, um die sich alle
Intelligenzforschung dreht, lässt sich leicht formulieren: Ist Intelligenz
etwas wie eine einzige, einheitliche Fähigkeit oder besteht sie aus
verschiedenen besonderen Fähigkeiten, die wiederum jede für sich oder
miteinander wirken?
Dass
es als "intelligent" angesehene Menschen gibt, die sich in der Art der ihnen
eigenen Intelligenz voneinander unterscheiden, hat wohl als erster der
deutsche Philosoph und Wissenschaftler »Gottfried
Wilhelm Leibniz (1646-1716) geahnt (vgl.
Hofstätter 1957, S. 174). Seine und auch die Annahmen anderer
Wissenschaftler vor und nach der
Epoche der Aufklärung wurden jedoch erst Anfang des 19. Jahrhunderts so
konzipiert, dass sie in empirischen Untersuchungen analysiert werden
konnten.
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Im Jahre 1904 entwickelte
Charles
Spearman (1863-1945) seine
Zwei-Faktoren-Theorie der
Intelligenz. Er nahm an, dass es eine generelle Intelligenz gibt,
die "unserem ganzen intelligenten Verhalten, vom Navigieren auf dem Meer bis
zum Erzielen hervorragender Schulleistungen, zugrunde liegt." (Myers
2005, S. 460)
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Schon der amerikanische
Ingenieur und Psychologe
Louis
Leon Thurnstone (1887-1955) kritisierte seit Mitte der zwanziger Jahre
des vorigen Jahrhunderts den Ansatz der Zwei-Faktoren-Theorie Spearmans.
Seine Versuche mit Testpersonen ergaben, dass es seiner Ansicht nach eine
begrenzte Anzahl von Begabungsfaktoren gibt, die sich aber nicht zu einer
einzigen generellen Fähigkeit zusammenfassen lassen. Stattdessen unterscheidet er
sieben
Primärfaktoren
intelligenter Leistungen (primary
mental abilities).
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G. H. Thomson und
Edward
Lee Thorndike (1874-1949), der zu den Begründern des »Behaviorismus
zählt, vertreten mit "Sampling-Theorie" der
Intelligenz die Ansicht, dass "alle Leistungen (...) aus einer
großen Anzahl nicht näher identifizierter, elementarer Begabungsfaktoren
(schöpfen), von denen sie aber jeweils nur einige in Anspruch nehmen;" (Hofstätter
1957, S. 175f.)
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Der US-amerikanische Persönlichkeitsbiologe
Raymond
Cattell (1905-1998) geht bei seiner Faktorenanalyse von einer anderen
Einteilung der Intelligenz in zwei sehr unterschiedliche Kategorien aus, die
er fluide oder flüssige und kristalline oder kristallisierte Intelligenz
nennt.
Neuere Forschungen haben die Bindung der Intelligenzforschung an
schulische Leistungen und Hochleistungen überwunden und den Begriff der
Intelligenz auf andere Bereiche angewendet. Dabei nimmt das Konzept der
multiplen Intelligenz des amerikanischen Psychologen
Howard Gardner eine
herausragende Rolle ein.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet:29.09.2013
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