Wir "hirnen"
vielleicht, aber das Gehirn denkt nicht
Umgangssprachlich
haben wir eine ziemlich klare Vorstellung davon, wenn wir sagen,
dass wir aus irgendeinem Grunde "hirnen". Damit meinen wir
gewöhnlich ein mehr oder weniger gleichermaßen anstrengendes wie
auch angestrengtes Nachdenken über einen Sachverhalt, ein Ereignis
oder ein Problem, das uns aus einem bestimmten Grund, den wir mal
wissen, mal nicht wissen, beschäftigt, genauer gesagt, die Gedanken
beeinflusst, die wir uns darüber machen. Auch wenn es klingt, als
würden wir damit nur die Arbeit mit der "Hardware" des Gehirns,
seine biologische Natur und das Zusammenwirken seiner Bauteile
nutzen, meinen wir dies mit der Redewendung jedoch nicht. Hirnen so
verstanden wäre dann rein mechanistisch und käme einer Vorstellung
gleich, dass ein Computer, der aus vielen elektronischen Bauteilen
besteht, einfach nur eingeschaltet werden muss, um zu funktionieren
und seine Berechnungen anzustellen.
Ein Computer
"rechnet" aber genau so wenig so, wie das ▪
Gehirn
des Menschen etwa denkt. Denn das Gehirn selbst kann genau so wenig
denken, wie die elektronischen Bauteile eines Computers rechnen,
schreiben, zeichnen, Musik und Videos wiedergeben können. Auch wenn
das Gehirn hinter allen Denkvorgängen steckt und damit auch die
"Maschine (ist), die hinter diesen Prozessen steckt", ist das Gehirn
eben zunächst einmal "nichts anderes als ein biologisches System,
dessen Prozesse naturgesetzlich ablaufen." (Wentura/Frings
2013, S.10) Was beim Denken passiert, ist ein intrapsychischer
Prozess, dessen "Programme" auf der Grundlage dieser biologischen
"Hardware" ablaufen und damit unser Denken bestimmen.
Für die Frage, wie
diese Denkprozesse physiologisch ablaufen, untersuchen die
Neurowissenschaften, die Art und Weise, wie wir die Reize, die wir
aus der Umwelt empfangen, im Gehirn verarbeiten, ist im Allgemeinen
Gegenstand der Kognitionspsychologie, wobei die Grenzen zwischen
diesen und anderen Wissenschaften, die sich mit den biologischen und
kognitiven Bedingungen unseres Denkens befassen, naturgemäß fließend
sind und nahezu jedes Fachgebiet in diesem Bereich zieht heute in
unterschiedlichem Maße Erkenntnisse der Nachbardisziplinen heran. In
einem allerdings sind sich alle einig: "Das Gehirn denkt nicht.
Ein Gehirn nimmt nicht wahr." (ebd.,
Hervorh. d. Verf.)
Vor- und Nachteile der
Computermetapher
In unserem
Alltagsverständnis über das, was man gemeinhin als den menschlichen
Geist bezeichnet, kursieren immer wieder Vergleiche mit dem
Computer, wenn es darum geht, bestimmte Denkvorgänge zu erklären.
Das Computermodell des Geistes ist dabei, so anschaulich und
eingängig diese Computermetapher
auch sein mag, nicht unproblematisch, selbst wenn man den Menschen
damit insgesamt nicht mit einem Computer und dessen vergleichbar
"einfach" strukturierten Bauteilen vergleicht.
Was der Vergleich
allerdings leistet, ist zunächst einmal die Vorstellung, dass
psychische Vorgänge, die sich in uns abspielen, "als das
Zusammenspiel von Modulen beschrieben (werden), die durch ihre
Funktionen definiert sind" (ebd.,
S.19), ohne dass genau thematisiert und dargestellt werden muss,
wie diese Module im Einzelnen physiologisch funktionieren. Dazu
kommt ein weiterer Vergleichsaspekt: Die Computermetapher impliziert
auch die Vorstellung, dass man beim menschlichen Denken, ganz
ähnlich, wie man das bei Computern tut, am besten "zwischen
Datenstrukturen (den mentalen Repräsentationen) und Prozessen, die
auf diese Strukturen zugreifen und verändern" (ebd.)
unterscheidet. So allgemein, so gut.
Allerdings, und das
ist wohl das Hauptproblem einer derartigen Betrachtungsweise, lässt
sich das Verhältnis der neurobiologischen und neurophysiologischen
Grundlagen des Denkens und ihrer kognitiven Verarbeitungsprozesse
aber in der Praxis keineswegs so einfach so isoliert voneinander
betrachten, wie dies bei Software und Hardware in einem Computer der
Fall ist. Wer die intrapsychischen Vorgänge des Denkens verstehen
will, muss sich auch bis zu einem gewissen Grad mit dem Gehirn und
seiner Funktionsweise auskennen, ohne sich damit in die (Un-)Tiefen
der neurologischen Hirnforschung zu begeben, die mit unzähligen
meist funktionsorientierten Studien ganz spezieller Vorgänge erst
allmählich Licht in das Dunkel unseres Gehirns bringt, dessen
Wirkungsweise uns selbst in keiner Weise bewusst wird. So wenig wie
das Gehirn denkt, können wir sagen, wie wir denken.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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