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 Nicht nur Kinder, auch Erwachsene brauchen Wunder. Und die beschert uns
die Adventszeit - wenn wir es zulassen. Der Zauber weihnachtlicher
Illusionen ist rings um uns; wir müssen ihn nur erkennen. Versuchen Sie
es doch mal!
"Von drauß' vom Walde komm ich her, ich muss euch sagen, es
weihnachtet sehr '' - mit dem polternden Knecht Ruprecht, der in
unserer Gegend bereits am Andreasabend, am 29. November also, an die Türen
klopft, ist sie wieder mal da, die schöne Adventszeit. Rein optisch ist
sie ja nicht zu übersehen. Die Weihnachtsmärkte haben ihre Pforten geöffnet,
die "öffentlichen'' Weihnachtsbäume sind aufgestellt. Zur üblichen
Straßenbeleuchtung haben sich Millionen von Glühbirnen für die
weihnachtliche Illumination gesellt. Schaufenster locken mit Kaufideen,
jedes Gartencenter, jedes Kaufhaus, jedes Möbelhaus quillt über von
weihnachtlichen Dekorationsvorschlägen: Schöne Sachen, edle Dinge,
zusammen mit Unmengen an Weihnachtskitsch. Weihnachtslieder dudeln ans
Ohr, rotbemäntelte Weihnachtsmänner, die für Umsatz sorgen sollen, bevölkern
die Städte.
Die Adventszeit wird oft als stille Zeit bezeichnet. Doch so still ist
sie gar nicht. Geschenke kaufen, die Wohnung schmücken, Plätzchen
backen, Weihnachtskarten schreiben, einen Christbaum aussuchen, Päckchen
verschicken - wo bleibt da die Muße, die Adventszeit zu genießen? Gerät
der weihnachtliche Rummel zum Spaß oder zum Stress? Empfinden wir das
Ganze als pflichtgemäße Plackerei, als unnötige Geldausgabe, oder überwiegt
die Freude, anderen mit einem Geschenk eine wirkliche Freude zu machen?
Sind wir doch ehrlich: im Grunde wissen wir, dass die Vorbereitungen auf
das schönste Fest des Jahres eben dann in Missmut und Hektik ausarten,
wenn wir es zulassen. Wenn wir uns verzetteln, wenn wir planlos in die
Stadt rennen, um Einkäufe zu tätigen, wenn wir uns eines unnötigen
Putzfimmels unterwerfen. Und wenn wir uns nicht fallen lassen wollen, um
die Magie der vier Wochen vor Weihnachten zu verinnerlichen. Voller
Sehnsucht erwarten wir, dass uns die Lichterketten in den Straßen und der
Duft nach gebrannten Mandeln noch genauso entzücken wie damals, als wir
Kinder waren. Wir erwarten es, ja, und sind dann bitter enttäuscht, wenn
uns der Glanz und die Gerüche kalt lassen.
Doch der Grund dafür ist hausgemacht. Denn das kindliche Sich-freuen-können
muss man schon pflegen, damit es nicht verloren geht. Wem beim Gang durch
den Weihnachtsmarkt einer kleinen Gemeinde nichts anderes einfällt als über
mangelndes großstädtisches Flair zu meckern und darüber, dass hier halt
auch Filzpantoffeln und Wela-Brühe verkauft werden, braucht sich nicht zu
wundern, wenn so gar keine weihnachtlichen Gefühle aufkommen wollen. Doch
der Zauber weihnachtlicher Illusionen, den wir auch brauchen, wenn wir
erwachsen sind, ist rings um uns. Nur müssen manche anscheinend üben, um
die kleinen Wunder der Tage vor Weihnachten wieder erkennen zu können.
Weich fallender Schnee, wenn die Dämmerung beginnt. Das Funkeln von
Christbaumkerzen hinter einer Fensterscheibe. Die Wärme eines fröhlichen
Nikolausabends zusammen mit den Kindern. Die Gemütlichkeit eines
Adventssonntages, wenn das erste Stück Stollen angeschnitten wird. Das
heiße Glas Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, das die klammen Finger und
die Seele wärmt. Der Spaß einer gemeinsamen Backerei zusammen mit der
ganzen Familie, wenn lautstark die alten Weihnachtslieder gesungen werden.
Die stolze Freude, den Christbaum festlich zu schmücken.
Psychologen wissen, dass es vor allem die alten Rituale in der
Adventszeit sind, die weihnachtliche Erwartungen mit Leben erfüllen.
Traditionen rund um die Adventszeit kennt jeder. Nur: wer sie in die
hinterste Schublade verbannt, soll sich nicht wundern, wenn keine
weihnachtliche Freude aufkommen will. Und: auch heutzutage brauchen Kinder
Wundersames. Die schöne Mär vom Christkind, das vom Himmel
herunterfliegt und Geschenke bringt, die Geschichten von kleinen Engeln,
die hinter rosanen Winterwolken Plätzchen backen - solche Illusionen sind
wichtig für die kindliche Fantasie, für den Glauben an eine wunderbare
Welt, der früh genug erschüttert wird.
Die Sehnsucht nach Licht, nach Liebe, nach Geborgenheit steckt tief in
jedem Menschen, begleitet uns ein Leben lang. In den Wochen vor
Weihnachten wird sie uns besonders deutlich bewusst. Genießen wir also
den Lichterglanz und den Erwartungsrausch der Adventszeit.
(aus:
frankenpost online, 27.11.1999, veröffentlicht mit freundl. Genehmigung der Frankenpost
Verlag GmbH)
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