Inhalt und Aufbau des Textes im Überblick erfassen
Mit
dem Begriff des "Kreativen Schreibens", das in einem engen Bezug zu den
anderen Methoden des handlungs- und produktionsorientierten
Literaturunterrichts steht (z.B. der
▪ produktiven Textarbeit),
hat im Anschluss an die außerschulische Schreibbewegung in den USA (= creative writing) auch im Deutsch- bzw. Literaturunterricht an deutschen
Schulen ein, zumindest in Teilen, neuartiges Schreibkonzept Eingang
gefunden.
Kreatives Schreiben als schulische Schreibform
Als
▪ schulische Schreibform
gehören Aufgabenstellungen zum kreativen Schreiben inzwischen zu den gängigen
▪
Schreibaufgaben im Deutsch- und insbesondere im
Literaturunterricht. Sie sind, in der Regel unter besonderen
Bedingungen, auch Teil von Prüfungen in verschiedenen Schularten
geworden.
Im schulischen
Umfeld handelt es sich jedoch nicht um
eine literaturdidaktische Adaption des amerikanischen "creative writing",
sondern um ein
textbezogenes,
produktiv-kreatives gestaltendes Schreiben ausgehend von Texten, bei
dem literarische Qualitäten des Produkts (▪
Kreatives
Schreiben als Stilaneignung) jedenfalls nicht im Mittelpunkt stehen,
genau so wenig wie das
freie
Spiel oder gar
therapeutische Gesichtspunkte.
Kreatives Schreiben in der Schule
ist in diesem Sinne auch kein freies Schreiben, sondern arrangiert die
Zugänge zum Schreiben und lässt die subjektiven Prozesse damit nicht völlig
ungesteuert laufen. (vgl.
Spinner 2001,
S. 108, vgl. Fix
2006/2008, S.116)
Stattdessen richtet sich der Blick
beim gestaltenden Schreiben auf die Struktur, Semantik und die verfolgten
Intentionen" (Matthießen
2006, S.129)
In diesem Sinne ist kreatives Schreiben auch Teil der
schriftlichen Abiturprüfung im Fach Deutsch geworden und wird als "Gestaltendes
Erschließen" oder, wenn es das ▪
Erschließungsverfahren auf literarische Texte bezieht, als
"▪ Gestaltende
Interpretation" bezeichnet.
Gestaltendes Schreiben im Rahmen der KMK-Bildungsstandards
Die
▪
KMK-Bildungsstandards für das Deutschabitur (BISTA-AHR-D
2012) halten im ▪
Kompetenzbereich
▪
Sich mit Texten und
Medien auseinandersetzen für das
Gestaltende Schreiben
fest:
"Die
Schülerinnen und Schüler halten
eigene Ideen, Fragestellungen, Ergebnisse von Textanalysen
und -interpretationen in kreativ gestalteten Texten
fest.
Die
Schülerinnen und Schüler können
Die neue Schreibbewegung des "creative writing", die in den siebziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts auch in Deutschland aufkeimte, hat den
Diskurs über Kreativität im Allgemeinen und seine Bedeutung für die Didaktik
und Methodik beflügelt.
Zugleich hat das "Kreative Schreiben",
wie Ulf Abraham und Matthis Kepser (22006,
S.116) feststellen, auch "für eine Abwertung der analytischen und eine
Aufwertung der stilmimetischen Anteile solcher Schreibhandlungen gesorgt".
Zur Begründung werde dafür auf ihre Kreativität fördernde Wirkung oder auf
einen rezeptionsästhetischen Zusammenhang verwiesen.
In der Wirklichkeit des Literaturunterrichts an deutschen Schulen muss
indessen das so genannte "Kreative Schreiben" für vieles herhalten, was sich
nach dem Verständnis von manchem einfach als irgendwie fantasiereich und zum
eigenen Schreiben über Literatur motivierend erwiesen hat. "Kreativ" wird
dann ähnlich wie der Begriff "frei" im Terminus "Freies Schreiben" lediglich
zu einem "plakativen Hochwertbegriff [...], der für ein Sammelsurium
methodischer Vorschläge gebraucht wird". (Fix
22008, S.117)
Hinzu kommt noch, dass die Begriffe "Freies
Schreiben" und "Kreatives Schreiben" häufig synonym verwendet
werden, auch wenn es deutliche Unterschiede gibt. Denn "während [...] beim
Freien Schreiben eine freie Themenwahl
erfolgt, sind die Anlässe beim Kreativen Schreiben, bei dem eine bewusst
inszenierte Manipulation der Sprache stattfindet, vorgegeben." (Wildemann
32007, S.37)
Die Wissenschaft hat sich in den siebziger und
achtziger Jahren nach
Lutz von Werder (21993, S.25) vor allem mit drei Ansätzen dem
"Kreativen Schreiben" genähert. Entsprechend ihrer jeweiligen Prämissen
betrachteten sie das
"Kreative Schreiben" "als Stilaneignung, als Spiel und als
Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung." [Hervorh. d. Verf.]
-
Kreatives
Schreiben als Stilaneingung: Ausgangspunkt dieses Ansatzes war das Bemühen, sich "aus den Fesseln der
bloßen Literaturrezeption und Literaturkritik" zu befreien. (ebd.,
S.25) An den vorgegebenen literarischen Mustern orientiert sollten
Schülerinnen und Schüler, sich an den Stil der jeweiligen Vorlage
halten. Indem sie so analog literarische Vorbilder nachgestalteten,
sollte der dabei erfahrene Unterschied zum täglich Gesprochenen die
Alltagssprache erweitern bzw. bereichern. (vgl. z. B.
Waldmann 1998, S.232)
-
Kreatives Schreiben als Spiel: Die stilmimetische Ausrichtung des "Kreativen Schreibens" rief bald
schon Kritiker auf den Plan, die den Spielcharakter des Kreativen
Schreibens in den Mittelpunkt rückten. "Arkadische
Schreibspiele" (Mattenklott
1985), die eine "neue Form der Geselligkeit" mit "Spiel, Spaß, Lust
und Heiterkeit" etablieren sollten, zielten darauf, "den Schreibgenuss
und die Erkenntnismöglichkeiten der Dichter" gleichermaßen dem
schreibenden Subjekt zu eröffnen.
(von Werder
21993, S.26) Mit dem Schreiben nach
Spielkarten, dem Tarot oder auch mit Hilfe des I-Ging sollte "das
Spielen mit Worten, Buchstaben, Sätzen, Texten ... ein praktisches
Experimentieren" (Mattenklott, zit. n.
ebd.,
S.26) im Raum eines gewissermaßen herrschaftsfreien Dialogs
die (gesellschaftliche) Zukunft bewältigen helfen. Auch ohne den
gesellschaftstheoretischen Hintergrund gehören
Schreibspiele heutzutage zum festen
Inventar von Schreibwerkstätten und dem Literaturunterricht an der
Schule.
-
Kreatives Schreiben als Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung: Ausgehend von Erfahrungen zahlreicher Teilnehmer und Teilnehmerinnen von
Schreibwerkstätten, dass beim Schreiben oftmals tiefgehende psychische
Prozesse in Gang kamen und über das Schreiben eine therapeutische
Wirkung einsetzte, gewann das "Kreative Schreiben" in dem jeweils
individuellen autobiographischen Schreibumfeld nach und nach größere
Bedeutung.
Die psychischen "Kettenreaktionen" (Schuster,
1977, S.206, zit. n.
von Werder
21993, S.27), die beim "Kreativen Schreiben"
im Wechsel von
regressiven und progressiven Phasen im Schreibprozess ausgelöst
werden können, zeigten dabei auch die Grenzen bzw. die Gefahren auf, die
der regressiven "Wiederbegegnung mit sich selbst" (Schuster
1979, S. 164, zit. n.
ebd., S.27) folgen konnten (z.B. Verstärkung von
Einsamkeitserfahrungen, Einrasten von Schreibblockaden etc.). Um nicht
in der Regression zu verharren, konnte,
so die Erfahrung der Schreibwerkstätten, die Schreibgruppe wichtige
therapeutische Funktionen übernehmen. Auf diese Weise sollte es im Sinne
der Progression zu einer "neuen
Integration der so freigewordenen Kräfte in der Gesamtpersönlichkeit des
Schreibens" (Fröchling
1989, S. 27, zit. n.
ebd.)
Im Anschluss an die amerikanische Schreibbewegung kam es auch in
Deutschland zu Bemühungen, die verschiedenen Ansätze zu einem
integrativen Konzept des "Kreativen Schreibens" zu verbinden.
Der integrative Ansatz nimmt das "kreatives Schreiben sowohl als Stil,
als Spiel und als Theorie" ernst
(von Werder
21993, S.28) und will damit auch die
rationalen und emotionalen Aspekte im Prozess des Schreibens miteinander
verbinden.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023
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