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Lyrische Texte interpretieren (Schulische Schreibform)
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Grundbegriffe zur Gedichtinterpretation
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Leitfragen und Aufgaben
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Sonett
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Überblick
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Grundtypen
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Textauswahl
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Rhetorische
Mittel
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Überblick
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Wirkungsbereiche
rhetorischer Figuren
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Überblick
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Klangfiguren
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Wortfiguren
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Satzfiguren
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Sinnfiguren
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TOP 25
- Basisauswahlliste
▪
Einzelne rhetorische
Mittel im Detail
▪ Text
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
setzt sich in seinem Gedicht mit der Kunstform des ▪
Sonetts
auseinander, das von den Romantikern (▪
Romantik (1798-1835), insbesondere von »August Wilhelm Schlegel
(1767-1845) zur idealen lyrischen Form dadurch stilisiert wurde,
dass er die formale Gliederung des Sonetts in Quartette und Terzette
dialektisch ausdeutete. (vgl.
Borgstedt 2007a, S.448).
Das Sonett galt mit
seiner strengen Form allerdings nicht erst seitdem "als Beispiel für
traditionsverpflichteten Kunstanspruch", sondern stand auch
seit der Aufklärung für eine
Künstlichkeit, die "als zu enges Korsett poetisch gewordener
Eingebung" empfunden wurde. Nachdem in der Aufklärung das Sonett im
Allgemeinen als zu artifiziell angesehen worden war und in der
lyrischen Dichtung dieser Zeit eigentlich keine Rolle mehr spielte,
hielt auch Goethe zunächst wenig von der romantischen Wiederbelebung
dieser Form, zumal das Ganze in seinen Augen zu einer regelrechten ▪»Sonettenwut«
ausartete.
Goethe und Schiller und die Gebrüder Schlegel
Dass Goethe seine
ablehnende Haltung gegenüber dem Sonett aufgab, lag aber wohl daran,
dass er mit den Vertretern der Jenaer Romantik, z. B. »August
Wilhelm Schlegel (1767-1845), »Friedrich
Schlegel (1772-1829)oder »Ludwig
Tieck (1773-1835) immer wieder persönlich in Kontakt kam oder mit
ihnen, wie dies in dieser Zeit üblich war, in Briefen über
ästhetische und philosophische Fragen kommunizierte.
▪ Friedrich Schiller (1749-1805)
stand der sogenannten »Jenaer
Romantiker-Wohngemeinschaft, zu der neben mit seiner Ehefrau »Caroline
(1763-1809) (nach ihrer Scheidung verheiratet mit »Friedrich
Schelling (1775-1854)) auch sein
Bruder »Friedrich
Schlegel (1772-1829), der dort in "wilder Ehe" mit »Dorothea
Veit (1764-1869) lebte, auf Kriegsfuß. Er lehnte die romantische
Ästhetik, vor allem die von Friedrich Schlegel ab, weil sie seiner
Ansicht nach alle Poesie töte. Seine außerordentliche ▪ "Gereiztheit"
(Safranski
2004, S.424) ihm gegenüber hatte verschiedene Gründe, bewegte
sich aber in der ▪
gegenseitigen Beurteilung beider stets zwischen Abneigung und
Bewunderung. Dass die Romantiker Schillers ▪
Lied von der
Glocke wegen ihres Spießertums und der darin zum Ausdruck
kommenden "geradezu primitive(n) Geschlechterphilosophie" (Hofmann
2005a, S.289) regelrecht verhöhnten, hat er ihnen, wenn ihm das
zu Gehör gebracht worden ist, sicher nicht mehr verziehen. Und
Friedrich Schlegels Rezension von Schillers Gedicht ▪ "Würde
der Frauen im Musen-Almanach von 1796, in der jener dem Gedicht
jede ästhetische Qualität absprach und das Frauenbild und
bürgerliche Pathos ihres Dichters öffentlich kritisierte, ging
Schiller so auf die Nerven, dass er ihn einmal einen "unbescheidenen kalten Witzling"
nannte (vgl.
ebd., S.423). Genau besehen aber bestätigte sich damit eigentlich
die seit ihrer ersten Begegnung
unüberwindlichen Antipathien,
die zwischen beiden Männern bestanden.
Dass Schiller und Friedrich Schlegel so sehr aneinandergeraten sind, lag
nicht nur am "Gegensatz zweier schwer zu vereinbarender Naturen und
ehrgeiziger Literaturpolitiker" sowie der "taktlose(n) kritische(n)
Schärfe" (Schulz
1998, S.39) Friedrich Schlegels, sondern eben auch daran, dass
dieser den Finger in eine Wunde legte, die in der Kritik an Schiller bis
heute immer wieder auftaucht: Sein Bemühen nämlich, "Pathos in den
Dienst bürgerlicher Bildung zu stellen" (ebd.).
Schiller scheute sich
aber auch nicht, dessen Bruder ▪
August
Wilhelm Schlegel (1767-1845) schlicht
in ▪ Sippenhaft zu nehmen, ihm kurzerhand die Freundschaft
aufzukündigen, die Geschäftsbeziehungen mit ihm abzubrechen und ihn
dadurch in finanzielle Schwierigkeiten zu bringen. (vgl.
Roßbeck
2009, S. 151) Erst als August Wilhelms Frau ▪
Caroline, die so überhaupt nicht,
in "Schillers konventionelles weibliches Rollenbild" (Alt,
Bd. II, 2004,
S.321) passte, Goethe um Vermittlung bat, darf ihr Mann zwar weiter beim
"Musenalmanach" (1796-1800) Schillers mitarbeiten, bleibt jedoch
"vom persönlichen Verkehr" mit ihm fortan ausgeschlossen (Safranski
2004, S.426).
Gut möglich, dass
Schiller damit auch "Madame Lucifer" treffen wollte. Diese Herabsetzung Caroline Schlegels
hatten er und seine Frau »Charlotte
(1776-1826) "einer geborenen Charlotte von Lengefeld, die durch die
Heirat mit Schiller gesellschaftlich abgestiegen war und diese Tatsache
wohl durch besonders stark aufgetragene Prätentionen im Bereich
gesellschaftlicher Vorgaben ausgleichen musste" (Appel
2013, S.156), in Jena selbst in Umlauf gebracht. Schillers Ehefrau
hat womöglich auch dafür gesorgt, dass »Christiane
Vulpius (1765-1816), die langjährige Lebensgefährtin in "wilder Ehe"
und spätere Ehefrau Johann Wolfgang von Goethes niemals am
Tisch sitzt, wenn Goethe Gäste bei sich zu Hause empfängt. (Dahm
2004, S.218)
Goethe hingegen traf
sich immer wieder mit den Schlegels. Vor allem schätzte er den
älteren der beiden Brüder, ▪
August
Wilhelm (1767-1845), der ja auch zeitweise an ▪
Schillers Zeitschrift
»Die Horen"
(1795 -1797)
mitarbeitete. So besuchte er schon im Jahre Juli 1796 das Ehepaar August
Wilhelm und ▪
Caroline
Schlegel (1763-1809) in Jena und empfing beide ein paar Monate
später im Dezember in Weimar.
Ein reger Briefwechsel zwischen Goethe
und A. W. Schlegel zeigt, dass Goethe über Jahre hinweg einen regen
Gedankenaustausch mit dem fast 20 Jahre jüngeren Professor für
Philologie an der Universität Jena pflegte, bis ihr Verhältnis
deutlich abkühlte. Weil dieser nach der Veröffentlichung des
Briefwechsels zwischen Goethe und Schiller Goethe geradezu verhöhnt
hatte, brach Goethe am Ende mit den Schlegel-Brüdern und urteilte
über sie, sie seien "bey so vielen schönen Gaben unglückliche
Menschen ihr Leben lang [...] wollten mehr vorstellen als ihnen von
Natur gegönnt war und mehr wirken als sie vermochten. daher haben
sie in Kunst und Literatur viel Unheil angerichtet." (Brief Goethes
an Zelter, 20.10.1831, zit. n.
Metzler Goethe-Lexikon 2016, S.384)
Goethes Diskurs mit August Wilhelm Schlegel über das Sonett
Am 23.3. 1800
schickte ▪
August Wilhelm Schlegel seine »"Gedichte" an Goethe. Unter
den 91 Gedichten des Bandes waren auch »62 Sonette,
darunter eines mit dem Titel ▪
Goethe. Wenige Tage
später war Schlegel bei Goethe in Weimar zu Gast und es kann
angenommen werden, dass sie sich auch über das Sonett unterhielten,
über das sie sich in der Folge auch brieflich ausgetauscht haben.
Goethe
hatte in der Tradition der Aufklärung, die das Sonett als im
Allgemeinen als zu artifiziell angesehen
hatte, gegenüber der romantischen Wiederbelebung dieser Form zunächst einmal deutliche
Vorbehalte, zumal ihm das Ganze zu einer
regelrechten »Sonettenwut« ausartete, die auch ihn unter Druck
setzte, solche Gedichte zu verfassen.
Wie die Romantiker (▪
Romantik (1798-1835), insbesondere »August Wilhelm Schlegel
(1767-1845) das Sonett zur idealen lyrischen Form stilisieren
konnten, erschloss sich ihm jedenfalls nicht.,
Unter Umständen als
Reflex auf den mit A. W. Schlegel geführten Diskurs schrieb Goethe
selbst wohl etwas später sein Gedicht "Das Sonett" (wahrscheinlich
1800), in dem er sich kritisch, zumindest in einer Art skeptischer
Distanz, über die Kunstform äußerte. Allerdings kommen in seinem
Gedicht Gegner und Befürworter des Sonetts, wenn man so will,
die Klassiker und die Romantiker, zu Wort.
Wenig
später aber hat er, wie sein wohl kurz danach entstandenes Gedicht
▪
Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen
deutlich macht,
seine Skepsis überwunden. Dieses Sonett kann als eine Art
Gegengedicht zum vorangegangen gelesen werden kann, weil es darin um
"den klassischen Ausgleich der Gegensätze" geht. (Inge
Wild, in:
Metzler
Goethe Lexikon 2016, S.402). In der Folge hat Goethe auch eine
Reihe eigener »Sonette
gestaltet.
Sein Zyklus mit dem
Titel »Sonette
ist im Winter 1807/1808 entstanden und 15, später insgesamt 17
Sonette kamen in seine Werksammlung, die zu seinen Lebzeiten
veröffentlicht wurden, hinein. In dieser Zeit genoss Goethe bei
seinen häufigen Besuchen im Haus des Jenaer Verlegers und
Buchhändlers »Carl
Friedrich Ernst Frommann (1765-1837) dessen Gastfreundschaft und
lernte dort dessen achtzehnjährige Pflegetochter »Christiane
Friederike Wilhelmine (Minchen) Herzlieb (1789-1865) kennen.
Vor allem ihre
Gegenwart - aber auch seine "schwärmerisch-enthusiastische Verehrung
der jungen »Bettine
Brentano (spätere von Arnim)" (1785-1847) (ebd.,
S.403) - scheint ihn erotisch angesprochen zu haben und für
eine Atmosphäre gesorgt zu haben, die ihn inspirierte in der
Auseinandersetzung mit den Sonetten »Francesco
Petrarcas (1304-1374) (sie waren 1806 im Verlag von
Fromann erschienen), mit seinen eigenen Sonetten "den Wechsel von
Ferne und Nähe, Anziehung und Abstoßung, männlicher und weiblicher
Stimme" (ebd.,
S.403) zu thematisieren. Dabei, und das ist ihr besonderes
Gestaltungsprinzip, "(bleibt) der männliche Sprecher nicht in diesen
Dialog eingebunden", sondern geht über ihn hinaus, "in dem er über »Sonettenwut
und Raserei der Liebe" (Sonett XI) reflektiert." (ebd.,)
Mit dem poetischen Verfahren, das Sonett und den seinen
Gestaltungsprozess selbstironisch zum Thema zu machen, zeigt sich
Goethe auch als ein souveräner Beherrscher dieser Form. (vgl.
ebd.)
"Das Sonett" und seine gedankliche Struktur
Mit
seinem "Sonett" dichtet sich Goethe
wohl auch ein wenig den "Frust" über die beklagte »Sonettenwut« von
der Seele und zeigte, dass er, sofern er wollte, natürlich in der so
populären lyrischen Form zu dichten wusste.
-
Das erste
Quartett liest sich wie eine Aufforderung an das lyrische Ich,
seiner "heil'ge(n) Pflicht" nachzukommen und von dieser
Kunstform auch Gebrauch zu machen. Einwände, es könne sich dann
nicht mehr kreativ "austoben", wenn es sich den Formgesetzen
unterwirft, lassen die sich im "Wir" direkt an das Ich wendenden
Mahner (die Romantiker) nicht gelten, zumal sie selbst doch den
Beweis dafür antreten könnten, dass dem nicht der Fall ist, wenn
man so "nach Tritt und Schritt" schreibt, wie es eben
"vorgeschrieben ist.
-
Im zweiten
Quartett wird die Begründung nachgeliefert: Die Form diene
letzten Ende auch dazu einer überbordenden Fantasie zu erliegen
und zwinge sie in eine Form, die besser nicht sein kann.
-
Im ersten Terzett
erklärt das Ich, sich an den den "künstlichen Sonetten" zu
versuchen und dabei alle seine schöpferische Kraft und
Sprachgewalt darauf zu verwenden, seine Gefühle in die Reimform
eines Sonetts zu bringen.
-
Die letzte
Strophe, das 2. Terzett, aber zeugt davon, dass das Ich mit
diesem Vorhaben aber scheitert. Die Verse gehen ihm nicht von
der Hand, der schöpferische Prozess stockt, weil ihm bei aller
Formorientiertheit das ästhetische Ganze aus den Augen und dem
Sinn gerät.
Schon bald nach seiner Veröffentlichung wurde das Gedicht in einem "Sonettenkrieg"
zwischen dem bei Cotta erscheinenden "Morgenblatt" und den
Heidelberger Romantikern Arnim, Brentano und Görres als Munition
benutzt – ohne Goethes Wissen und Wollen. Denn Goethe war längst
infiziert. Im wesentlichem im Dezember 1808 schreibt er einen Zyklus
"Sonette", darin das selbstironische "Nemesis", in dem über seine
eigene "Sonettenwut", "vier- und dreifach reimend", als eine Art
Seuche spottet. " Im Jahr 1802 schrieb Goethe eine Art Widerruf,
ebenfalls als Sonett über das Sonett. Darin erhebt er keine Einwände
mehr gegen die befürchtete Einschränkung durch die Gedichtform und
sieht gerade darin eine Chance für die Kunst: ▪ Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen (1802)
Am 22.6. 1808 sendet Goethe einen Brief mit sechs seiner Sonette
an seinen Freund »Carl
Friedrich Zelter (1758-1832). Darin äußert er sich kritisch über
»Johann
Heinrich Voß (1751-1826) und dessen publizistischen Kampf gegen
die Sonettreform. Voß hatte, um seine Position literarisch zu
verdeutlichen, das folgende Sonett An Göthe verfasst, mit dem
sich dieser, wie man gut verstehen kann, gar nicht anfreunden
konnte.
Johann Heinrich Voß (1751-1826)
An Göthe
März 1808
Auch
du, der, sinnreich durch Athenes Schenkung,
Sein
Flügelroß, wenn′s unfügsam sich bäumet,
Und
Funken schnaubt, mit Kunst und Milde zäumet,
Zum
Hemmen niemals, nur zu freier Lenkung:
Du
hast, nicht abhold künstelnder Beschränkung,
Zwei
Vierling′ und zwei Dreiling′ uns gereimet?
Wiewohl man hier Kernholz verhaut, hier leimet,
Den
Geist mit Stümmlung lähmend und Verrenkung?
Laß,
Freund, die Unform alter Trouvaduren,
Die
einst vor Barbarn, halb galant, halb mystisch,
Ableierten ihr klingelndes Sonetto;
Und
lächle mit, wo äffische Naturen
Mit
rohem Sang′ und Klingklang′ afterchristisch,
Als
Lumpenpilgrim, wallen nach Loretto.
(aus; Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S.
346) In seinem Urteil gegenüber Voß zeigt sich Goethe
unerbittlich, wie sein schon erwähnter Brief
an seinen Freund »Carl
Friedrich Zelter (1758-1832) verdeutlicht: "Wenn Ihnen das Vossische Sonett zuwider ist, so
stimmen wir auch in diesem Puncte völlig überein. Wir haben schon in
Deutschland mehrmals den Fall gehabt, daß sehr schöne Talente sich
zuletzt in den Pedantismus verloren. Und diesem geht’s nun auch so.
Für lauter Prosodie ist ihm die Poesie ganz entschwunden.
Und was soll es nun gar heißen, eine einzelne rhythmische Form, das
Sonett z. B., mit Haß und Wuth zu verfolgen, da sie ja nur ein Gefäß
ist, in das jeder von Gehalt hineinlegen kann was er vermag. Wie
lächerlich ist’s, mein Sonett, in dem ich einigermaßen zu Ungunsten
der Sonette gesprochen, immer wiederkäuen, aus einer ästhetischen
Sache eine Parteysache zu machen und mich auch als Parteygesellen
heranzuziehen, ohne zu bedenken, daß man recht gut über eine Sache
spaßen und spotten kann, ohne sie deswegen zu verachten und zu
verwerfen."
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
02.12.2021
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