Schon aus
»Roman Ingardens (1893-1970) im Jahre 1931
erschienen Werk »Das literarische Kunstwerk« stammt die Kategorie der Unbestimmtheitsstelle,
von der »Wolfgang Iser
(1926-2007) bei seiner
▪
Konstanzer
Antrittsvorstellung im Jahre 1969 den Leserbezug des literarischen
Werkes ableitet.
Roman Ingardens Theorie der Werkerfassung in
Konkretisation
und
Rekonstruktion
stellt aber einen eigenen von der
Phänomenologie
Edmund Husserls bestimmten Ansatz dar, der nur in manchem gemeinsame
Grundzüge mit der
Konstanzer Schule der
Rezeptionsästhetik besitzt.
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Unbestimmtheitsstellen ergeben sich nach Ingarden aus der
Aspekthaftigkeit intentionaler Gegenstände, zu denen literarische
Texte zählen. In diesen kommen keine wirklichen, sondern nur
vorgestellte (intentionale) Objekte zur Darstellung.
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Diese Objekte können nur in einzelnen Aspekten dargestellt werden,
werden unter bestimmten Perspektiven entfaltet und bleiben damit im
Vergleich zu realen Objekten "lückenhaft". Anders gesagt:
Die dargestellten Objekte (Gegenstände, Figuren, Geschehnisse usw.)
sind in einem Text niemals allseitig bestimmt, sondern immer nur
teilbestimmt.
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Die Stellen, an denen das "Fehlen von etwas" festgestellt
werden kann, bezeichnet man als
"Unbestimmtheitsstellen".
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Unbestimmtheitsstellen bringen den Leser in eine "aktive"
Rolle bei der Herstellung der Sinnbildung, in dem sie ausgehend von
suggestiven Textstrukturen zur Schließung dieser Lücken anhalten
können (Komplettierungsnotwendigkeit).
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Erst durch die
Konkretisationsleistungen des aufnehmenden
Bewusstsein des Lesers entfaltet der literarische Text seine Wirkung.
Unbestimmtheitsstellen sind nicht die "Lücke im Schema, die der
Leser mechanisch ausfüllt", sondern "Ausgangspunkt für
eine produktive Tätigkeit" (Zima
1995, S.255)
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Literarische Texte können aufgefasst werden als Partituren,
"die ohne die bedeutungsproduzierende Interpretation des Lesers
ohne Sinn bleiben müssen" (Lensch
2000, S.30)
Vgl. in der ▪
Textauswahl:
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023
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