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Aspekte der Analyse und Interpretation

Ein Gedicht mit großem Identifikationspotential

Fleming, Wie Er wolle geküsset seyn


FAChbereich Deutsch
Glossar
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Text
Text (modernisierte Sprachfassung)

Aspekte der Analyse und Interpretation

Natürliche Begegnung der Geschlechter vs. petrarkistisches Liebeskonzept

▪  Inhaltliche, bildliche und rhetorische Aspekte
Bausteine

Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf

Das Gedicht  Wie er wolle geküsset sein Paul Fleming (1609-1640) gehört mit zu den bekanntesten Gedichten der ▪ barocken Liebeslyrik und ist in zahlreichen Schulbüchern abgedruckt. Die Gründe dafür dürften vielfältig sein.

Einer der Gründe, weshalb dieses Gedicht von Fleming gerade zum Kanon von Textzusammenstellungen zur Literaturepoche ▪ Barock, der Barocklyrik und insbesondere der barocken Liebeslyrik gehört, dürfte sein, dass sein Thema in den Bereich einer der wichtigsten ▪ Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz fällt, nämlich den ▪ Umgang mit Sexualität lernen. Probleme, die im Zusammenhang mit dem Sich-Verlieben in einen Partner oder eine Partnerin stehen, gehören dabei zu den wichtigsten ▪ Alltagsproblemen, mit denen sich Jugendliche beschäftigen. Wo also besser anknüpfen?

Das Sprechen über Dinge, die damit zusammenhängen, insbesondere das ▪ Sprechen über Sexualität, ist dabei, auch wenn es längst nicht mehr "verklemmt" von statten geht, eine Problemzone der Kommunikation. Selbst wenn mittlerweile, z. B. über die unterschiedlichen sexuellen Orientierungen vergleichsweise offen geredet wird, das Thema auch in den Schulen kein Tabu mehr ist, und das Verständnis von der sozialen Konstruktion des sexuellen Subjekts zugenommen hat, fehlen jungen Leuten oft einfach die Worte, um sich individuell so über Sexualität ausdrücken zu können, wie sie sich das eigentlich vorstellen. Das Angebot von "Plastikwörtern", von Begriffen die "ausgelutscht" sind oder einfach nur als unpassend empfunden werden, ist zwar groß, macht das eigene Sprechen über Sexualität nicht leichter.

Unter den heutigen Bedingungen der Mediengesellschaft, dem konsumorientierten Sexgebot und einer erzwungenen Liberalisierung, einer Zeit, in der "die sexuelle Begierde neu konstruiert (wird): als Wunsch nach Nähe und Geborgenheit in einer Gesellschaft, in der die Sexualmoral abgeschafft und durch eine Verhandlungs- bzw. Konsensmoral ersetzt wurde; als Verlangen nach Echtheit in einer Erlebniswelt, in der es mehr Befriedigungsangebote als Wunschpotentiale gibt und in der die Übersexualisierung dazu führt, dass erotische oder sexuelle Stimulationen an Wirksamkeit verlieren" (Eder 2002, S.225) kommt der Sprache als Mittel der Verständigung und Hilfe, sich im Bereich der Sexualität zu verstehen, eine besonders große Bedeutung zu.

Zieht man diesen Kontext in Betracht, dann wird schnell klar, dass ein Text wie das Kussgedicht von Paul Fleming viele Leser*innen zu einer schnellen und bequemen Identifikation führt und damit eine einer Lesart fördert, die das Fremde dieses Textes nicht erschließen kann und damit der Erfahrung von Alterität aus dem Weg geht. Die Leichtigkeit, mit der Fleming, das Thema "Knutschen" behandelt und die pointierte Antwort, die er am Ende gibt, deckt sich mit dem, was ▪ viele Jugendliche über das Küssen denken, ein Identifikationsangebot besser geht's kaum.

Während andere Texte aus dem Barock bei der Lektüre bei zahlreichen Leser*inneneine »kognitive Dissonanz auslösen können, weil man das, was man gelesen hat, einfach nicht so kognitiv verarbeiten kann, wie man das gewohnt ist, dürfte dies bei Flemings Kussgedicht also kaum der Fall sein. Allenfalls ist davon auszugehen, dass eine gewisse Verwunderung darüber entsteht, wie man vor vierhundert Jahren schon so witzig und frei über das Thema hat sprechen können

Vielleicht ist aber genau dieser Anflug ▪ struktureller Fremdheit das, was zum Anknüpfungspunkt der Spurensuche werden kann, zu der im didaktischen Setting des Literaturunterrichts hingeführt werden soll, um die ▪ literarästhetische Rezeptionskompetenz zu entwickeln und zu fördern und es u. a. darum geht,  ▪ subjektive Involviertheit und genaue Wahrnehmung miteinander ins Spiel bringen (vgl. Abraham/Kepser (42016, S.27, S.117f.)

Wenn also hier von den Tücken des großen Identifikationspotentials die Rede ist, das der Text entfalten kann, soll diese Feststellung indes nicht heißen, dass solche Lesarten nicht möglich und legitim sind und auch unter didaktischen Aspekten ist gegen solche Zugänge, die von solchen Erstleseeindrücken des Gedichts ausgehen, natürlich nichts einzuwenden.

Die Orientierung am Oberflächensinn des Gedichts, der kurz gefasst, darin besteht, dass trotz aller Unklarheiten darüber, wie man eigentlich "richtig" küsst, die Frage allein von den Liebenden selbst zu beantworten ist, kann, darf und muss vielleicht sogar als erster Zugang zum Text möglich sein. Eine solcherart aktualisierende Rezeption, die den Text zwischen einer witzig daher kommenden Schilderung von Techniken beim Küssen und seiner der romantischen Verortung in der Innigkeit einer Liebesziehung sieht, hat also durchaus eine didaktische Berechtigung, wenn man diese Lesart unter dem Blickwinkel der möglichen Anschlusskommunikation betrachtet, die das Thema Liebe im weitesten Sinne, und vor allem das Sprechen über Liebe, Erotik und Sexualität, möglich machen.

Geht es aber um die Dekonstruktion des Textes, dann kann die Analyse des Gedichts von Fleming eben nicht dabei stehen bleiben. Wer sich genauer damit befasst, wird auch schnell feststellen, dass das Gedicht eben mehr hergibt, als im Kontrast mit anderen Gedichten, die die Vergänglichkeit allen Daseins (Vanitas, memento mori) thematisieren, das Motiv des barocken Lebensgenusses (carpe diem) literaturdidaktisch "abzudecken".

Die Schüler*innen für die "Spurensuche" zu motivieren und sie dabei zu unterstützen ist eine große und äußerst wichtige didaktische Aufgabe, die weit über das Vermitteln von Epochen-, Gattungs- und Genrewissen hinausführt, in den Bereich der Erfahrung und den Umgang mit Alterität. Das Zulassen von ▪ Fremderfahrung, das Fremde in diesem Text zu erschließen, um es dann in seiner spezifischen Eigenart auf das Eigene beziehen zu können, das ist das Ziel der Spurensuche mit Hilfe des Gedichts von Paul Fleming.

Bei dieser Spurensuche müssen, wie immer bei Texten aus dieser entrückten Zeit, sprachliche Hürden überwunden werden, aber es geht auch stets darum, sich mit den "Lebensformen, die sich deutlich von dem unterscheiden, was ein heutiger Leser gewohnt ist", auseinanderzusetzen. Der "Alltag der Menschen in einer Welt, die noch nichts vom Fortschritt, von moderner Wissenschaft, technisch-industrieller Produktionsweise und bürokratischem Rechts- und Sozialstaat wusste, die in allem auf Tradition und Religion setzte, in ständische Hierarchien gegliedert war und von Landwirtschaft und Handwerk lebte," (Willems 2012, Bd. I, S.29) ist eine in vielem andere, ja geradezu fremde Welt und wird es durch den rasanten technologischen und sozialen Wandel im 20. und 21. Jahrhundert immer mehr.

Und so bekommt man es auch bei Paul Fleming mit einem Autor zu tun, der für ein Publikum geschrieben hat, "dessen Welt- und Menschenbild wesentlich durch die christliche Religion und das Erbe der Antike geprägt war und das insofern in einem Maße mit den Geschichten, Lehren, Bildern und sprachlichen Wendungen der Bibel, mit den Viten der Heiligen und den Dogmen und Normen der christlichen Theologie sowie mit den Mythen, den Götter- und Heldengeschichten vertraut war" (ebd. S.29), das heute den meisten Menschen abgeht.

Vom besonderer Bedeutung sind dabei auch unsere Maßstäbe, wenn wir mit Bildern und Texten dieser Zeit in Berührung kommen, die in irgendeiner Weise Themen wie ▪ Liebe, Erotik, Sexualität und Schamgefühl betreffen. Bei diesen kommen nämlich oft unserem Bewusstsein gänzlich entzogene (Be-)Wertungen ins Spiel, die wir im Laufe eines lang anhaltenden "Zivilisationsprozesses" (Elias) internalisiert haben.

Dies und anderes mehr, wie z. B. die Frage, ▪ wie sich Flemings Gedicht eigentlich zu den sonst so beliebten petrarkistischen Gedichten ihrem konstitutiven Liebeskonzept verhielt, ist dabei nur eine der Fragen, die sich bei der Dekonstruktion des Textes stellen können und von einem entsprechenden didaktischen Arrangement von Textangeboten zur Beantwortung unterstützt werden können.

Text
Text (modernisierte Sprachfassung)

Aspekte der Analyse und Interpretation

Natürliche Begegnung der Geschlechter vs. petrarkistisches Liebeskonzept

▪  Inhaltliche, bildliche und rhetorische Aspekte
Bausteine

Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 23.12.2023

 
 

 
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