teachSam- Arbeitsbereiche:
Arbeitstechniken - Deutsch - Geschichte - Politik - Pädagogik - PsychologieMedien - Methodik und Didaktik - Projekte - So navigiert man auf teachSam - So sucht man auf teachSam - teachSam braucht Werbung


deu.jpg (1524 Byte)

 

Entstehung des frühmodernen Territorialstaats im Absolutismus

Die Rolle der territorialen Konfessionskirchen

 
GESCHICHTE
Grundbegriffe der Geschichte Europäische Geschichte Frühe Neuzeit (1350-1789) Zeitalter der Renaissance (ca.1350-1450) Zeitalter der Entdeckungen (1415-1531) Reformation und Glaubenskriege (1517-1648) Absolutismus und Aufklärung (ca. 1650-1789) [ Entstehung des frühmodernen Territorialstaats im Absolutismus Didaktische und methodische Aspekte ÜberblickAusgangspunkt: Vielfalt sozialer Gruppen mit zahlreichen Sonderrechten und Lebensformen Schlüsselmonopole staatlicher Herrschaft Sozialdisziplinierung als Mittel der Staatsentwicklung Die Rolle der territorialen Konfessionskirchen] Beginn des bürgerlichen Zeitalters Deutsche Geschichte
 

 ▪ Dreißigjähriger Krieg (1618-1648)
Überblick
Zeittafel
Bevölkerungsverluste
Alltag zwischen Krieg und Frieden
Der Westfälische Friede 1648
Quellenauswahl

Die ▪´Entwicklung einer Staatlichkeit, wie wir sie heute kennen, ist ein langwieriger politischer, gesellschaftlicher und kultureller Transformationsprozess, der sich über mehrere hundert Jahre hingezogen hat und in sich dabei auch in verschiedenen Räumen und zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich vollzogen hat.

Eine besonders wichtige Rolle fiel dabei den territorialen Konfessionskirchen in den katholischen und den protestantischen Gebieten zu.

Sie mussten sich nach der langen Zeit militärischer Auseinandersetzungen im ▪ Dreißigjähren Krieg (1618-48) mit dem »Augsburger Religionsfrieden (1555) den neuen Territorialfürsten bzw. Landesherren beugen, die bei ihrem Streben nach Monopolisierung der Macht auch die Aufsicht und Kontrolle  Kirche bzw. Konfession als ▪ Schlüsselmonopol in ihre Hand bringen wollten. Die Angliederung und Aufsicht über die Kirchenverwaltung führte auch zur Übernahme von Aufgaben, für die bis dahin die da noch autonomen Kirchen zuständig waren.

Dazu zählten z. B. die "so wichtigen Aufsicht über Ehe- und Familie, der Übernahme des Schul- und Erziehungswesens sowie der Armen- und Sozialfürsorge." (Schilling 1987, S.154) Zugleich erschloss die direkte oder indirekte Aufsicht über das Vermögen der Kirche den Landesherren auch neue Finanzquellen, die sie dringend für den personellen und in institutionellen Aufbau staatlicher Behörden benötigten.

Wie bei allen einzelnen Prozessen, die damit zu tun hatten, vollzog sich diese Entwicklung allerdings nicht überall gleich. So erlangten die ▪ Herzöge von Württemberg zum Beispiel ▪ aus verschiedenen Gründen die Kirchenhoheit nicht und blieben damit in ihrem Streben nach unumschränkter fürstlich-absolutistischer Macht ohne Erfolg.

Konfessionalisierung und Territorialisierung

Der Wandel, der über die Monopolisierung der staatlichen Gewalt die innere Konsolidierung der neuen gesellschaftlichen Formierung ermöglichte, wurde durch die gleichzeitig stattfindende Konfessionalisierung und die seit dem »Augsburger Religionsfrieden (1555) geltende Territorialisierung von Kirche und religiösem Bekenntnis forciert. Viele Landesherren, sie z. B. die bayerischen Herzöge, setzten dabei die Konfessionalionisierung gezielt ein, um ihre Beamtenschaft und den Untertanenverband ideologisch zu vereinheitlichen und damit zugleich in weiten Bereichen des Alltags die Verordnungs- und Kontrollbefugnis zu etablieren". (Schilling 1994, S.348)

Seit dem »Augsburger Religionsfrieden (1555) waren die rechtlichen Voraussetzungen für das Kirchenmonopol der Landesherren geschaffen. Seitdem konnten sie nämlich bestimmen, welches konfessionellen Bekenntnis in ihrem Territorium gelten sollte (»Cuius regio, eius religio = "Wessen das Land, dessen der Glaube").

Die Instrumentalisierung der Konfessionalisierung durch Landesfürsten zum Zwecke des Ausbaus ihrer souveränen Herrschaft über den neuartigen Untertanenverband bedeutete hingegen nicht, "die persönliche innere Betroffenheit der Gläubigen in Zweifel zu ziehen, bei den Untertanen nicht und ebenso wenig bei den Fürsten und ihrer Beamtenschaft." (ebd.) Ihre Frömmigkeit, die sie mit Wallfahrten, Prozessionen und Heiligenfeiertagen öffentlich zelebrierten und barock inszenierten, waren stets auch "Inszenierungen einer inneren, privaten Religiosität". (ebd.)

Für die jeweilige Territorialkirche bedeuteten die Regelungen des Augsburger Religionsfriedens, dass sie sich der Aufsicht des jeweiligen Landesherren unterstellen musste. Darüber hinaus musste sie auch eine ganze Reihe traditionell von den Kirchen wahrgenommenen Aufgaben an die neue Staatsmacht abgeben, die daraus hoheitliche, d. h. staatliche Aufgaben machte.

Auch wenn dieser Prozess nicht immer reibungslos vonstatten ging, fügten sich die konfessionellen Territorialkirchen und profitierten durch die Ausschaltung der konfessionellen Konkurrenz (wer sich nicht zu der Konfession seines Territoriums bekannt, musste in der Regel auswandern)

Die Kirchen als Motor der frühneuzeitlichen Sozialdisziplinierung

Die Kirchen übernahmen eine herausragende Rolle bei der sogenannten ▪ Sozialdisziplinierung der Untertanengesellschaft und lieferten dafür nicht nur weltanschaulich-religiöse Argumente, sondern beteiligten sich auch ganz konkret an der Kontrolle von Sitte und Moral der Untertanen.

Schließlich waren sie ja auch bis dahin schon mit ihren kirchlichen »Zuchtordnungen in Erscheinung getreten und mit ihrem Streben "Policey und guter Ordnung" seit der Renaissance in den frühneuzeitlichen Policeyordnungen ihre christlichen Wertvorstellungen zu Sitte und Moral, der Sozialregulierung und Sozialdisziplinierung der Menschen, eingebracht, auch wenn diese, insbesondere im Bereich der ▪ Sexualmoral, nicht überall so durchgedrungen sind (z. B. bei der ▪ Zurückdrängung der Nacktheit aus dem öffentlichen Leben), wie es die christlichen Moralisten gerne gesehen hätten.

Solange es sich allerdings allein um Maßnahmen der Kirchendisziplin gegen sittliche und moralische Missstände handelte, waren es rein disziplinarische Sanktionen, die die Kirche bzw. die in ihrem Auftrag handelnden protestantischen Konsistorien verhängen konnten wie z. B. der Ausschluss vom Abendmahl oder bestimmte Kirchenbußen. Es waren also lediglich "geistliche Zuchtmittel, in keiner Weise kriminelle Strafen mit rechtlichen Folgen für die Bürger."  (Schulze 1987, S.280)

Damit soll die soziale Kontrolle, die kirchliche Institutionen über ihre Gläubigen ausübten, indessen nicht kleingeredet werden. Es waren nämlich ihre Priester und Pfarrer, "deren alltägliche Tätigkeit das letzte Haus im entlegendsten Weiler erreichte" (Schilling 1987, S.155) die mit ihren Hausbesuchen und Visitationen neben den Amtmännern, die die Policeyordnungen exekutierten, ein mehr oder weniger strenges Auge auf Leben und Moral der Menschen hatten. Dabei hatten sie auch allem das ▪ sexuelle Verhalten der Bevölkerung im Visier, das im Zuge der ▪ Sakramentalisierung und Klerikalisierung der Ehe streng am Ideal der Keuschheit vor und in der Ehe ausgerichtet war. (vgl. Schilling 1994, S.368f.)

Die Konfessionskirchen griffen disziplinierend in alle Bereiche des zivilen Alltagslebens ein, die den komplizierten und vielgestaltigen ▪ Transformationsprozess der Sozialdisziplinierung ausmachten. Sie "(betrieben) mit gleicher Energie die Erziehung zu Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Fleiß, Verträglichkeit, Pflichterfüllung in Ehe und Beruf sowie zu Achtung und Gehorsam gegenüber Eltern und Ranghöheren, vor allem gegenüber der Obrigkeit und ihren Amtsträgern – Tugenden also, auf denen die Lebenshaltung der Neuzeit ganz allgemein beruhen sollten." (Schilling 1987, S.156) Dazu "bekämpften (sie) das Fluchen, Raufen, Trinken und verlangten, dass jeder sich in Wort und Tat zügele. Sie predigten und kontrollierten die Pflichterfüllung in der Familie, also bei der Betreuung und Beaufsichtigung von Kindern und Gesinde, ebenso im Beruf, sei einer nun Staatsdiener, Arbeiter, Handwerker, Unternehmer oder Kaufmann. Und sie achteten auf Gehorsam und Ehrerbietung gegenüber Vater und Mutter, Hausvater und Meister, Amtmann und Pfarrer und nicht zuletzt gegenüber dem Fürsten und jeder Art von Obrigkeit." (vgl. Schilling 1994, S.370)

Alles dies waren Elemente des Ensembles kultureller, sozialer und mentaler Voraussetzungen ohne deren Ordnung ein gesellschaftliches Miteinander im aufziehenden Untertanenstaat nicht möglich gewesen wäre. Auch wenn es Tugenden des Untertans waren, zu deren rationaler Begründung auch auf antike Lehren wie z. B. die römische ▪ disciplina militaris den ▪ Stoizismus zurückgegriffen wurde, waren es doch "Tugenden, auf denen die Lebenshaltung der nächsten Jahrhunderte sowie die Dynamik und Effektivität der Neuzeit ganz allgemein beruhen sollten." (ebd.)

Auch wenn es immer wieder zu Spannungen mit der Staatsmacht kam, hatten die territorialen Konfessionskirchen ein großes eigenes Interesse daran, den politisch-gesellschaftlichen Transformationsprozess nach Kräften zu stützen und, wo es ging, eigene Akzente zu setzen. Die erforderliche Sozialdisziplinierung der neuen "Untertanengesellschaft" war neben den staatlichen Institutionen vor allem ihr ureigenes Geschäft und wurde ganz entscheidend von ihr mit religiösen Konzepten mitgestaltet.

Die ideologische Integration und Stabilisierung der Fürstenherrschaft durch das Gottesgnadentum

Die von den Kirchen vertretenen Tugenden wurden auch in anderen europäischen Gesellschaften im Zuge der Modernisierung wichtig. Insofern stellt dies keine Besonderheit in der deutschen Mentalitätsgeschichte dar. Was aber die Geschichte der Sozialdisziplinierung in der frühen Neuzeit in Deutschland von den der Entwicklung in anderen Gebieten unterscheidet, ist die enge Verknüpfung von Sozialdisziplinierung und Territorialisierung. Es ging um "die Einfügung des einzelnen und gesellschaftlicher Gruppen in den homogenen Untertanenverband" sowie um "das Abschleifen von regionalen und partikularen Interessen zugunsten eines territorialstaatlich definierten »gemeinen Besten«." (ebd.)

Dass das »gemeine Beste« "nicht von unten, im »staatsfreien« Spiel gesellschaftlicher Kräfte bestimmt, sondern von oben verordnet wurde" (ebd.), verlieh der Fürsten- bzw. Staatsgewalt eine übermächtige Rolle. Während in Staaten wie England, Holland oder in der Adelsrepublik Polen, das »gemeine Beste« von mehr oder weniger breiten Gesellschaftsgruppen immer wieder neu ausgehandelt, mit- und aufeinander abgestimmt werden musste und sich bestimmte Vorstellungen oft in einem Interessenkampf durchzusetzen hatten (vgl. ebd.), war es im deutschen fürstlichen Territorialstaat die Obrigkeit, mitunter auch in einem Dualismus von Fürst und Land, die das »gemeine Beste« vorgaben.

Das dem so war, war auch Folge kirchlicher Politik, die über ihre allgemeinen Beiträge zur Sozialdisziplinierung auch auf andere Weise zur Stabilisierung und Konsolidierung der Fürstenherrschaft beigetragen haben. Diese hatten sich nämlich auf der Grundlage ihrer neuen und herausragenden Stellung im religiösen System eine neue, gegenüber dem Personenverband und seiner personenrechtlichen Beziehungen (Treuverhältnis) grundlegend andere Legitimation ihrer Gewalt gegeben, um das von ihnen errungene neue Gewaltmonopol ideologisch legitimieren.

Als "Retter des Glaubens (praecipua fidei)" wurde ihnen fortan eine "sakrosankte Dignität" zugesprochen, "was den Untertanen durch den Gottesgnadentitel, den nun jeder Fürst trug, sowie durch die allsonntägliche Fürbitte für den Landesherrn und seine Familie stets aufs neue vergegenwärtigt wurde." (Schilling 1987, S.154) Das sogenannte Gottesgnadentum führte mit seiner religiösen Übersteigerung dabei auch zur "Entpersonalisierung des Staatsprinzips" (ebd.).

Die Stärkung der äußeren Souveränität der Territorialherren

Nach außen hin trug die Konfessionalisierung ebenfalls zur Stabilisierung der Landesherrschaft bei. Sie förderte nämlich die Abgrenzung von anderen Territorien, die eine andere Konfession hatten und bewirkten die Entwicklung von distinktiven sozial-kulturellen Mentalitäten und Verhaltensformen, die sich in manchen Dingen zwischen katholisch oder protestantisch geprägten Regionen, aller Modernisierungsprozesse zum Trotz, sogar noch bis heute beobachten lassen.

Noch gerade 70 Jahre ist es her, dass etliche protestantische Flüchtlinge aus dem Osten, die man in erzkatholischen Gebieten Bayerns auf Anweisung der Behörden unterbrachte, sozial in einer Weise ausgegrenzt wurden, wie man sich das heute kaum mehr vorzustellen vermag.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 30.01.2024

 
 

 
ARBEITSTECHNIKEN und mehr
Arbeits- und ZeitmanagementKreative ArbeitstechnikenTeamarbeit ▪ Portfolio ● Arbeit mit Bildern  Arbeit mit Texten Arbeit mit Film und VideoMündliche KommunikationVisualisierenPräsentationArbeitstechniken für das Internet Sonstige digitale Arbeitstechniken 
 

   
  Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International License (CC-BY-SA)
Dies gilt für alle Inhalte, sofern sie nicht von
externen Quellen eingebunden werden oder anderweitig gekennzeichnet sind. Autor: Gert Egle/www.teachsam.de
-
CC-Lizenz