Kompetenz - was ist das eigentlich?
Der Begriff Kompetenz hat den öffentlichen Diskurs geflutet und
ist bis in Bereiche vorgedrungen, die man ursprünglich nicht damit
verbunden hat. Die inflationsartige Verbreitung des Begriffs und die
Liste von Kompetenz-Komposita,
die heute kursieren, geht gegen unendlich. Kompetenzen scheint es zu
geben wie Sand am Meer.
Ein paar wenige Beispiele müssen hier genügen: Sozialkompetenz,
Haarkompetenz, Medienkompetenz, Partnerschaftskompetenz,
Flirt-Kompetenz, Jeanskompetenz, Lesekompetenz, Webkompetenz,
Zählkompetenz, Gemüsekompetenz, Fußballkompetenz ...)
Kein Wunder also, dass man den Begriff Kompetenz sogar zu den "amöbenhaften
Wörtern" zählt, die extrem weitverbreitet sind, aber Kontur
bzw. Struktur vermissen lassen: "Es sind semantische
Wechseltierchen, die ihre Gestalt laufend ändern und deren Zellkern
kaum auszumachen ist. " (Thürmann
2008, S.1) Im Übrigen gibt eine einfache Google-Suche schon
hinreichend Aufschluss darüber, wie viele Millionen Treffer der
Suchdienst für den Begriff Kompetenz generiert.
Wirklich weiter hilft da auch kaum ein Blick in ein einschlägiges
Lexikon, auch wenn es natürlich aufzeigt, in welchen Kontexten man
auf den Begriff Kompetenz treffen kann.
Der allgemeine Kompetenzbegriff und der didaktische Kompetenzbegriff
Der
allgemeine Kompetenzbegriff sollte am besten "so gefasst
sein, dass er auf alle Menschen in allen Altersbereichen angewendet
werden kann. Kompetenz gibt es auf verschiedenen Stufen, je höher
diese ausgebildet sind, desto souveräner kann man sich in einem
Gebiet bewegen und desto effektiver kann man Aufgaben und Probleme
lösen. Kompetenz zeigt sich in der Flexibilität, mit der sich jemand
in einer Materie bewegt." (Ziegler/Stern/Neubauer
2012, S.14)
Kompetent ist man nicht einfach und dementsprechend ist Kompetenz
auch nicht einfach so etwas wie Wissen. Kompetent erweist man sich
im Tun bzw. Handeln. Und erst wenn wir handeln, erfahren wir uns
selbst und erleben uns andere als kompetent.
Und was darüber hinaus nicht übersehen werden darf: "Kompetenz
ist ein Teil des eigenen
Selbstkonzeptes, d. h. man definiert sich über das, was man
kann." (ebd.)
Im Übrigen ist die Kompetenz, die ein anderer hat, für uns auch ein
ganz wesentlicher Maßstab für die Beurteilung seiner Person. Wer
seine Kompetenzen zeigen und mit ihrer Hilfe Aufgaben und Probleme
bewältigen oder lösen kann, fühlt sich gut und ist auf kein anderes
Belohnungssystem angewiesen, wenn er auf diese Weise sein
Selbstwertgefühl erhöht. (vgl.
ebd.) Kompetenzerleben fördert aus diesem Grunde auch die
Motivation.
Der
didaktische Kompetenzbegriff
nimmt etliche Aspekte des allgemeinen, weit gefassten
Begriffs auf. Eine der wohl am meisten verbreiteten
Definitionen
geht auf den Psychologen »Franz
E. Weinert (1930-2001)
(2001,
S.28f.) zurück.
Er definiert Kompetenzen
als "die bei
Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und
Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu
lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und
sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen
in
variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu
können“ (Weinert 2001, S. 28f.,
Hervorh. d. Verf.)
Im Mittelpunkt
dieser Definition stehen der Anwendungsbezug und die Kombination von
Wissen (kognitive Fähigkeiten), Können (Fertigkeiten) und
Einstellungen (Werte,
▪ Motivation und Volition
): "Wo immer Menschen situativ Probleme lösen, nutzen sie ihr
Wissen (»kognitive Fertigkeiten«/»Kopf«), um ihr Handeln gezielt zu
gestalten (»Fertigkeiten«/»Hand«), und dieses Handeln ist immer von
Werten (»Haltungen“/»Herz«) getragen – Haltungen sind so etwas wie
die Grammatik des Verhaltens." (Walzik
2015, S.3) Weil Kompetenzen aber nur "Dispositionen oder
Potenziale von Menschen sind und folglich als solche nicht
beobachtet werden können", müssen kompetenzorientierte Aufgaben "so
gestellt sein, dass aus der beobachtbaren
Performanz
relativ valide auf die nicht beobachtbare Kompetenz geschlossen
werden kann." (ebd.,
S.4)
Ergänzt werden
können diese Fähigkeiten und Bereitschaften zur Problemlösung um die
Handlungskompetenz, wie sie von anderen Autor*innen und
Institutionen, z. B. der Kultusministerkonferenz (KMK 2007, S.10)
beschrieben wird als "die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen,
sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen
sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich
zu verhalten."
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Selbstbestimmtes und selbstverursachtes Handeln schafft ein Gefühl
von eigener Wirksamkeit
Natürlich sind der Wunsch nach Kompetenzerleben und das
gesteigerte Selbstwertgefühl, wenn man sich kompetent erlebt, keine
Selbstläufer, die uns jederzeit zu einem bestimmten Handeln
motivieren. Ein ganz wesentlicher Effekt geht dafür von der sozialen
Gruppe aus, in der wir unsere Kompetenzen zeigen wollen und können.
Werden diese von der Gruppe anerkannt und darf man sie dort zeigen,
dann hat dies weitere positive Auswirkungen.
Der Wunsch nach Kompetenzerleben ist stets auch Ausdruck des
Bedürfnisses nach Autonomie.
Wer sich als kompetent erlebt und auch so gesehen wird, "möchte
seine Ziele und seine Handlungen selbst bestimmen können." (ebd.,
S.15)
Wer Kompetenzen erwerben will, braucht eine förderliche Lernumgebung
Wer Kompetenzen erwerben will, braucht eine förderliche
Lernumgebung, in der man sich von den anderen akzeptiert fühlt und
"in der man seine Entscheidungen als autonom erlebt." (ebd.)
Der Selbstbestimmungsaspekt ist bei allen Lernprozessen von
Bedeutung und wirkt motivationsfördernd, ohne dass eine intrinsische
Motivationslage vorliegt. (vgl.
Deci/Ryan 1985)
Kompetenz als Brücke zwischen dem deklarativen Wissen und der
Anwendung dieses Wissen
Mit dem Begriff der Kompetenz lässt sich die notwendige Brücke
schlagen zwischen dem
deklarativen
Wissen und seiner dynamischen Anwendung (Handlungswissen,
Anwendungswissen,
prozedurales Wissen).
(vgl.
Wissensklassifikation von Ryle (1969) und Baumgartner (1993))
Als Bindglied zwischen Wissen und Können stellt die Kompetenz
einer Person die Befähigung dar, unterschiedliche Situationen zu
bewältigen. (Klieme
2004). So verstanden bezieht sich der Begriff der Kompetenz auf
zweierlei, nämlich
Beides wird in einem bestimmten Handlungskontext konkret, in dem
sich kognitive und motivationale Aspekte miteinander verbinden. (Weinert
1999).
Pures Auswendiglernen und der einfache Abruf von Fakten aus dem
Gedächtnis stellen demnach per se keine Kompetenzen und helfen auch
nur sehr bedingt beim Kompetenzerwerb.
Kompetenzen sind bereichsspezifisch
Wer Kompetenzen erwirbt, tut dies stets in bestimmten Kontexten,
die bestimmte Anforderungen enthalten. Daraus ergibt sich, dass
Kompetenzen nicht so einfach transferiert werden können. Wer z. B.
jahrelang Latein gelernt hat, zeigt deshalb in anderen Bereichen
keine besseren Fähigkeiten beim logischen Denken. Es gibt also
"keine Lern- oder Denkkompetenz", mit deren Hilfe wir "unsere
Lernfähigkeit unspezifisch trainieren können." (Ziegler/Stern/Neubauer
2012, S.19)
Dafür steht gewöhnlich der Intelligenzbegriff, mit dem "die
allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit" bezeichnet wird. (ebd.,
S.16)
Kognitive Kompetenzen zielen auf das Verstehen von Konzepten
Der Erwerb von Wissen und Kompetenzen ist ein konstruktiver
Vorgang. Wer neues Wissen erwirbt, dockt dieses Wissen an sein
vorhandenes Vorwissen an. Auf diese Weise entsteht ein Netz von
Wissensrepräsentationen, das von Kompetenzen weitergeknüpft wird
oder den Erwerb von Kompetenzen fördert. Die dabei erworbenen
kognitiven Konzepte können, wenn sie möglichst vielfältig anwendbar
sein sollen, ohne dass sie auch verstanden werden, kaum nachhaltig
wirken. Selbst wenn die zu einem Konzept gehörenden Fakten und
Lösungswege auswendig gelernt und bis zu einem gewissen Grad auch
automatisiert werden können, wird das Ziel des Verstehens damit
nicht erreicht.
Konzepte können auf unterschiedlichen Stufen verstanden werden.
-
Man kann über ein
Konzept implizit (implizites
Wissen) verfügen und damit z. B. eine bestimmte
Problemlösung nachvollziehen und anwenden.
-
Man kann über ein
Konzept aber auch explizit verfügen (explizites
Wissen) und kann dann z. B. eine bestimmte Problemlösung
beurteilen, einordnen, erklären und dazu noch so automatisieren,
dass komplexeres Wissen erworben und komplexere Zusammenhänge
erkannt werden können.
Motivationale, volitionale und soziale Bereitschaften und
Fähigkeiten als Teil von Kompetenzen
Dass es sich bei Kompetenzen nicht nur um kognitive handelt,
sondern auch motivationale, volitionale (= willentliche Steuerung
von Handlungen und Handlungsabsichten) und soziale Bereitschaften
geht, hat Franz E.
Weinert (2001,
S.28f.) in seiner Definition von Kompetenzen berücksichtigt.
Weinert (2001,
S.28f.) definiert Kompetenzen
als
"die bei
Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu
lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und
sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in
variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu
können“ (Weinert 2001, S. 28f.)
Volition sorgt im
Allgemeinen dafür, dass man seine Absichten auch dann umsetzen kann,
wenn man eigentlich keine oder nicht ausreichend Lust dazu hat.
vgl. ▪
Motivation und Volition
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.03.2023
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