In der alltäglichen Kommunikation verwenden wir eine Vielzahl
von Äußerungen, deren Sprechakt, d. h. Zuordnung zu einem
bestimmten ▪ Sprechakttyp durch die
üblichen sprachlichen ▪
Illokutionsindikatoren nicht oder nur zum Teil vorgenommen
werden kann. Die Bedingung, die Searle für die "normalen"
illokutionären Akte formuliert, wonach sie wörtlich zu verstehen
sind, gilt für manche ▪ Sprechakte eben
nicht.
So ist da eben bei den folgenden Äußerungen der Fall:
-
Hast du
Feuer?
-
Bist du von
allen guten Geistern verlassen?
-
Hier ist
dicke Luft.
-
Weißt du, wo
ich meine Brille hingelegt habe?
-
Könnt ihr mal
leise sein?
-
Ist Schweigen
nicht oft besser als Reden?
Natürlich können solche Äußerungen zu Missverständnissen führen.
So könnte jemand auf die in Frageform daherkommenden Äußerungen
mit Ja oder Nein antworten und sie damit als
Entscheidungsfragen verstehen.
In unserer sprachlichen Kommunikationspraxis kommt dies aber
wohl eher selten vor. So wissen wir also schon, dass jemand, der
uns fragt, ob wir Feuer haben, uns eigentlich bittet, ihm,
sofern wir im Besitz eines solchen sind, ein Streichholz oder
ein Feuerzeug zu reichen, mit dem er sich seine Zigarette
anzünden kann.
Und wenn jemand sagt, dass da, wo wir uns
befinden, dicke Luft herrscht, ist uns ebenso klar, dass er/sie
damit sagen will, dass Streit in der Luft liegt. Ob er/sie uns damit
auch auffordert, was dagegen zu tun, ist der Äußerung in dieser
kontextlosen Darbietung aber kaum zu entnehmen.
Und die
Bemerkung zum Schweigen und Reden wird wohl am ehesten als eine
rhetorische Frage
aufzufassen sein, die im Kern nichts anderes als eine
assertive Behauptung bzw. Feststellung darstellt.
Aber: auch
das entscheiden in letzter Konsequenz
Kontextindikatoren wie z. B. die konkrete
Verwendungssituation, die zu ihrer Bewältigung
konventionalisierten Rahmenbedingungen oder Schemata sowie die
psychischen und kognitiven Voraussetzungen, die der/die
Sprecher*in in die Sprachhandlung einbringt und die bei dem/der Hörer*in in den Verstehensprozess einfließen.
Betrachtet man
das, was passiert, wenn wir es mit Äußerungen zu tun, die alles andere
als wörtlich gemeint sind, unter der Perspektive der ▪
Sprechakttheorie, dann kann man dazu
»John R. Searle (geb. 1932)
Theorie der indirekten Sprechakte heranziehen. Mit ihrer Hilfe
kann man erklären, wie es uns gelingt, Äußerungen, in denen der
Sprecher offenkundig etwas anderes meint, als er sagt, zu
erkennen.
Für Searle
funktionieren solche indirekten Sprechakte im Grunde auf der
Grundlage der Bedingungen und
Regeln, die er für Sprechakte im
Allgemeinen formuliert.
Um eine Äußerung wie Hast du Feuer?
richtig zu verstehen, ordnen wir sie den
Einleitungsbedingungen zu, die für alle ▪
Direktive (z. B.
auffordern, befehlen, anordnen, bitten, vorschlagen, nahelegen)
gelten. Damit das gelingt, schließen wir von dem konkret
Geäußerten auf den dieser Äußerung tatsächlich zugrundeliegenden
Sprechakt, d. h. wir fassen die Äußerung Hast du Feuer?
also letzten Endes nicht als
Entscheidungsfrage auf, sondern
erschließen im Verstehen auf der Basis unseres
Hintergrundwissens und der Kenntnis entsprechender Regeln im
Gespräch, die tatsächlich gemeinte Illokution.
Im Grunde
genommen "neutralisiert die Verwendungssituation den in der
sprachlichen Form signalisierten illokutionären Zweck, jedoch
nur, um damit einen anderen illlokutionären Zweck hervortreten
zu lassen." (Krämer
2001, S. 69f.)
Searle spricht
im Zusammenhang mit diesem Erschließungsprozess von der wörtlich
ausgedrückten, primären
Illokution und der
sekundären,
d. h. der gemeinten Illokution. (vgl.
Meibauer
22001, S.102)
Indirekte Sprechakte zeichnen sich daher nach Searle dadurch
aus, dass ein Sprecher eine gemeinte Illokution dadurch
vollzieht, indem er einen anderen, d. h. die primäre Illokution
vollzieht.
Anders gesagt:
In den indirekten Sprechakten tritt zutage, was für den Status
von Sprechakten schlechthin gilt: Der Sprechakt ist nicht das
tatsächlich Gesagte, sondern etwas, das in der einzelnen
Äußerung angewendet wird. Daher ist das Verstehen der Bedeutung
von Sprechakten für Searle keine Interpretation, sondern ein
Erkenntnisvorgang." (Krämer
2001, S. 70)
Geht man alle
logischen Zwischenschritte durch, die bei indirekten Sprechakten
logisch durchlaufen werden, kann sich dieser
Schlussfolgerungsprozess über etliche Schritte hinziehen.
Müssten wir bei jedem Sprechakt, diese mentalen "Rechenaufgaben"
abwickeln, würde sich unsere Kommunikation nicht nur
verlangsamen, sondern wäre darüber hinaus auch noch für
"Fehlberechnungen" anfällig. Dementsprechend ist davon
auszugehen, dass solche Zwischenschritte beim Schlussfolgern
sprachlich und gesellschaftlich konventionalisiert sind. Wir
folgen dabei konversationellen Mustern (z. B.
konversationellen
Implikaturen) und kognitiven
Schemata, die wir
im Sprachgebrauch gelernt haben, und wenden sie ohne
zusätzlichen mentalen Schlussfolgerungsaufwand an.
Ohne den
Ansprüchen der linguistischen Pragmatik dabei entsprechen zu
wollen, ist die Illokutionsanalyse (▪
Illokutionsstrukturen analysieren) gerade der indirekten
Sprechakte eine äußerst reizvolle und und interessante Aufgabe,
die bei der Analyse mündlicher Äußerungen und schriftlicher
Texte verwendet werden kann.
Dabei kommt es natürlich nicht auf
den lückenlosen Nachweis logischer Schritte und Operationen an,
die ein/e Hörerin* beim Verstehen indirekter Sprechakte
durchführen muss, sondern vor allem um die Bewusstmachung in
Frage kommender
Kontextindikatoren, die den jeweils gemeinten Sprechakttyp
im Unterschied zu dem in der Äußerungen vollzogenen erkennen
lassen.
▪ Sprechen als Handeln
▪
Überblick
▪
Handlungsarten
▪
Sprechen als kommunikatives Handeln
▪
Kommunikationspsychologie
▪
Vier-Seiten-Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation