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Aspekte der Erzähltextanalyse

Interpretationsansätze

Franz Kafka Parabeln Eine kaiserliche Botschaft

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
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Stereotype Deutungsansätze vs. Analyse von Codes

Franz KafkasParabel • "Eine kaiserliche Botschaft" ist ein Text, der sehr unterschiedlich gedeutet werden kann.

Kurzüberblick über verschiedene Deutungsansätze

Der nachfolgende Überblick stellt lediglich eine Auswahl gängiger Deutungsansätze dar, die aber die Anzahl individueller Lesarten erschöpfend abbilden kann.

  • Prinzipielle Unmöglichkeit der Kommunikation

Die Botschaft des Kaisers erreicht den Empfänger nie. Sie geht im Labyrinth der Bürokratie und der unendlichen Weiten des Reiches verloren. Diese symbolisiert die grundsätzliche Schwierigkeit zwischenmenschlicher Kommunikation überhaupt.

Dabei stehen einer erfolgreichen Nachrichtenübermittlung unterschiedliche Hindernisse im Weg wie die Weite des Reiches, die Dichte der Menschenmassen und die Strukturen des kaiserlichen Machtszentrums  mit den im Umfeld des Kaisers agierenden Großen des Reiches, die allesamt verhindern, dass die Botschaft ihr Ziel erreicht.

Dies kann als Metapher für die menschliche Existenz gedeutet werden, in der wahre Verständigung oft unerreichbar scheint,

  • Unüberwindbare Distanz zwischen Trägern der Macht und dem Volk

Der Kaiser, als Symbol der Macht und Autorität, ist unerreichbar für den Einzelnen und agiert in seinem nach außen abgeschotteten Palast und umgeben von seinen Ratgebern ohne jede Berührung mit dem Volk.

Selbst eine von ihm autorisierte Botschaft dringt nicht zu seinen Untertanen durch, sondern bleibt im unmittelbaren Umfeld des Kaisers stecken.

Dies kann als Metapher für die Entfremdung des Individuums in der modernen Gesellschaft und die Ohnmacht gegenüber übermächtigen Systemen gedeutet werden.

  • Kritik an der Bürokratie

Die komplexe und undurchdringliche Struktur des Kaiserreichs kann als Kritik an bürokratischen Systemen interpretiert werden, die den Einzelnen entmachten und die Kommunikation behindern. Der Bote scheitert an den endlosen Hierarchien und Vorschriften, die den Zugang zum Kaiser und die Übermittlung der Botschaft verhindern.

  • Ohnmacht des Individuums

Der vom Erzähler direkt angesprochene Einzelne ("Du") ist im sozialen und politischen System vollkommen unbedeutend angesichts der scheinbar unbegrenzten Macht des (kaiserlichen) Systems. Um seine Lage aushalten zu können, kompensiert er seine Ohnmacht mit einer Wunschfantasie, dass er vom System der Macht als einzelner mit seinen Sorgen, Nöten und Interessen gesehen wird.

  • Existenzielle Isolation des Einzelnen

Der Mensch ist in seiner Existenz allein und von den anderen isoliert. Die unüberbrückbare Distanz zwischen Kaiser und Empfänger spiegelt die existenzielle Einsamkeit des Menschen wider.

Die menschliche Existenz erscheint dabei als sinnlose Suche. Der Bote, der die Botschaft überbringen soll, scheitert an der Unmöglichkeit seiner Aufgabe. Sein Bemühen wird als absurd und sinnlos dargestellt, was an die existenzialistische Philosophie erinnert.

Daher kann die Parabel als Reflexion über die menschliche Sehnsucht nach Sinn und die Erfahrung der Absurdität des Daseins interpretiert werden.

  • Religiöse Deutung

Bei dieser Deutung steht der Kaiser für Gott und seine Botschaft für die göttliche Gnade. Der Mensch ist unfähig, die göttliche Botschaft zu empfangen und zu verstehen, da er in seiner irdischen Existenz gefangen ist.

Die Parabel kann als Allegorie für die menschliche Sehnsucht nach Transzendenz und die Erfahrung der Gottesferne interpretiert werden.

  • Biografische Deutung

Der Kaiser steht in seiner Unnahbarkeit für den übermächtigen Vater Franz Kafkas, Hermann Kafka, der seinem Sohn immer das Gefühl von Nichtigkeit vermittelt hat. Die nicht-ankommende Botschaft drückt aus, dass es bis zum Tode des Vaters nicht zu einer wirklichen Aussprache und Versöhnung zwischen Vater und Sohn gekommen ist.

  • Psychoanalytische Deutung

Die Botschaft des Kaisers kann als unbewusster Wunsch oder Trieb gedeutet werden, der den Empfänger nicht erreicht. Die Hindernisse auf dem Weg des Boten symbolisieren die Widerstände des Ichs gegen die Impulse des Es.

Literaturwissenschaftliche Deutungsansätze

Wie • " Der Prozess", in den "•"Vor dem Gesetz" eingebettet ist, stellt auch •"Beim Bau der chinesischen Mauer", zu der die kaiserliche Botschaft gehört, ein größeres Fragment dar. Dabei handelt es bei diesem Fragment um einen "Text, der sich zwischen Erzählung, Legende, politischer Reflexion und fiktiven Erinnerungen bewegt, ohne dass völlig klar würde, auf was der Ich-Erzähler hinauswill. Offenbar geht es ihm vor allem um die Funktion des Kaisers, der als allgegenwärtiges Symbol das riesige Volk der Chinesen zusammenhält – freilich ohne direkte Verständigung zwischen Oben und Unten, die selbst dann nicht funktioniert, wenn sie, ausnahmsweise, von ›oben‹ gewollt ist." (Stach 2011/42015, Kafka - Die Jahre der Erkenntnis, kindle-Version, S.653f.)

Nach Reinhard Meurer (1988/31998, S.70f.) spiegelt der Text "modellhaft die Gesamtkonstruktion der Weltordnung". Dabei seien die wesentlichen Elemente dieses Modells auch in anderen Parabeln Franz Kafkas zu finden wie z.B. Vor dem Gesetz, Auf der Galerie oder Heimkehr: "Unmöglichkeit jeder existenziellen Kommunikation des Einzelnen mit der Zentralinstanz (obwohl dies der einzige Weg zur Existenzerfüllung zu sein scheint." (ebd., S.71) Damit stünde auch die allgemeine Beziehungslosigkeit des Ich – als sekundäres Phänomen – im Zusammenhang. Der Einzelne, der sich allen über seine Beziehung zum Kaiser definiere, sei dabei in die paradoxe Beziehung, die zwischen ihm und dem Kaiser als Zentralfigur bestehe, wobei er allerdings, da seine Sicht perspektivisch eingegrenzt sei, von seinem Standpunkt aus keine verlässlichen Aussagen über die Verfassung der Außenwelt machen könne und deshalb auf die "Sage" vertrauen müsse. Die Bedeutungslosigkeit des "jämmerlichen Untertanen" und die einer hierarchischen Ordnung und einer gewissermaßen komplementären Beziehung von Kaiser und Untertan im Bild der "Zusammengehörigkeit und Unvereinbarkeit von Sonne und Schatten" (ebd.) zum Ausdruck komme, stellt für Meurer eine "Analogie zum Muster der kafkaschen Urerfahrung – der Beziehung zum Vater" dar, allerdings dürfe der Text angesichts des in ihm gestalteten Welterklärungsmodells nicht einfach beim "biografischen Röntgenverfahren" (ebd., S.72) stehen bleiben.

Barbara Neumeyr (1994/2003, S.350) ist der Handlungszusammenhang "von der projektiven Phantasie des Träumenden, die als Medium der Entwirklichung den gesamten Text umkodiert und seinen Realitätsanspruch von der Randzone her auflöst", global abhängig. Dabei werde diese Entwirklichung in der Parabel "Eine kaiserliche Botschaft" durch ein "vage(es) ›On Dit‹" (so heißt es), ein "durch bloßes Hörensagen in zweifelhafter Hinsicht beglaubigte kaiserliche Botschaft" schon zu Beginn ausgedrückt. Im Kontext des Erzählfragments ›Beim Bau der chinesischen Mauer‹, der die Parabel als Binnenerzählung eingefügt ist, wird die Geschichte von der kaiserlichen Botschaft vom Ich-Erzähler des Textes als "Sage" eingeführt. Für Neymayr "konstituiert (dieser Begriff) insofern ein Spannungsverhältnis zwischen kollektiven und individuellen Wünschen, als die sehnsüchtigen Phantasien des einzelnen Ausdruck in kollektiven Mythen finden und durch sie in die kulturelle Tradition eingehen." (ebd., S.351) So repräsentiere der zeitübergreifende Überlieferungszusammenhang, in dem die "Sage" stehe, "mithin auch die Bedürfnislage des Individuums, das sein Nichtigkeitsgefühl durch Erwähltheitsanspruch und Einzigartigkeitsphantasma kompensieren möchte." (ebd., S.351) Der Gattungsbegriff "Sage", der allerdings nur in dem größeren Erzählfragment verwendet wird, unterstreiche – sofern dieser Kontext herangezogen wird – die in der herausgelösten Parabel "Eine kaiserliche Botschaft" "die so markant hervortretende Tendenz zur Entwirklichung."

Für Benno Wagner (2010, S.251) "ist es nicht die Ausdehnung des Raumes (das ›freie Feld‹), die den Boten des Kaisers daran hindert, den Adressaten der Nachricht, den einzelnen Untertanen, zu erreichen. Es ist vielmehr die Faltung des Raumes, die unüberwindbare Staffelung der Gemächer, Höfe und Treppen des Kaiserpalastes, die es unmöglich macht, die ebenso unüberwindbare Staffelung der Wohnstätten der Hauptstadtbewohner auch nur zu erreichen." Daher "bleibt [...] das Verhältnis der Chinesen zu ihrem Schutzherren ein imaginäres (›erträumtes‹)."

Für Ralf Sudau (2021, S.121f.) zerstört Kafkas Text die Hoffnungen, die sich die im Text in Du-Form angesprochene Person am Ende über ihre Situation macht. Dabei erfolge diese Illusionszerstörung auf dreierlei Art und Weise. Erstens erweise sich die Hoffnung auf eine kaiserliche Botschaft, die an ihn, den nichtswürdigen Untertanen, in der Ferne gerichtet sei, als absurd. Zweitens beruhe diese Hoffnung ohnehin nur auf einem Gerücht. Und drittens, wäre die Hoffnung falls dies alles nicht zuträfe, deshalb absurd, weil eine solche kaiserliche Botschaft nie zu dem Angesprochenen durchdringen könnte. Und doch schwinge im Bild des in der Abenddämmerung an seinem Fenster sitzenden Du, das sich ja die an ihn gerichtete Botschaft aktiv "erträumt", auch mit, dass "das unendlich widrige Dasein (...) den nicht erschüttern kann, der in Traum oder Glauben seine Seinseinheit" und damit Trost  findet.

Stereotype Deutungsansätze vs. Analyse von Codes

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 19.01.2025

 
 

 
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