▪
Strukturen
dramatischer Texte
▪
Figurengestaltung
▪
Kontrast-
und Korrespondenzbeziehungen der Figuren
▪
Figurencharakterisierung
▪
Überblick
▪ Techniken der
Figurencharakterisierung im dramatischen Text
▪
Überblick
▪
Auktoriale Techniken
▪
Figurale Techniken
•
Einen dramatischen Text
analysieren und interpretieren (Textinterpretation)
•
Literarische
Charakteristik dramatischer Figuren
In
• Goethes
• Drama
•»Egmont«
(1775/1788)
ist der Schneider Jetter eine der Figuren, die sich in den
Volksszenen des Dramas lautstark zu Wort melden. Solche Szenen mit Figuren, die in dem an der
Ständeklausel orientierten Drama auf der
Bühne nichts zu suchen hatten, hatte Goethe schon in seinem Drama »Götz
von Berlichingen (1773) mit den Massenszenen bühnenwirksam
hinter sich gelassen. Das Volk, nicht zu verwechseln mit dem
Pöbel,
konnte sich mit seinen Ansichten über Gott und die Welt, über die
Unterdrückung durch adlige Obrigkeiten auf der Bühne artikulieren. Das
Drama des • Sturm
und Drang nahm in vielen seiner Stücke einfach Partei für das
(bürgerliche) Volk.
"Wegen der Präzision und der Leichtigkeit der Zeichnung", die "die
niederländische Lebensart anschaulich (machen), die Egmont
repräsentiert" (Reinhardt
1992, S.190) sind die Volksszenen seit Schiller immer wieder
bewundert worden.
Jetter tritt in allen 4 Szenen auf, in denen das Volk in der dramatischen
Handlung auf die Bühne gerufen wird.
Er zählt zu einer Gruppe von Brüsseler Bürgern und Soldaten, "die mit
wenigen Zügen individualisiert sind" (Schulz
1997, S,157)
Jetter stellt wie die anderen Figuren, die man zu dieser Gruppe
zusammenfassen und zu •
Rand- oder Hilfsfiguren des Dramas zählen kann (•
Figurenkonstellation), eine der Figuren dar, deren hauptsächliche
Funktion ist, die Zentral- und Titelfigur des Dramas, den
•
Grafen Egmont, und seine
Handlungen in das perspektivische Licht der Wahrnehmung des Volkes zu
setzen.
Jetter
ist von Anfang an "dabei" und gehört zu den Brüsseler Bürgern und
Soldaten, die sich im
• 1. Aufzug
zu Beginn des Dramas beim •
Ambrustschießen (I,1) auf einem Platz in Brüssel versammeln und
nimmt am Wettkampf teil.
In der Eingangszene des
• 2. Aufzugs
•
Platz in Brüssel (II,1), als
es zu tumultartigen Szenen kommt, weil sich die Bürger darum streiten,
ob sie angesichts der Unruhen in Flandern Ruhe bewahren oder die für die
spanische Krone angespannte Lage selbst nutzen sollten, um sich von der
spanischen Herrschaft zu befreien, nimmt Jetter eine gemäßigte Position
ein, wenngleich ihn die
•
"verfluchten
Exekutionen" der Inquisition kaum mehr zur Ruhe kommen lassen. Er
sorgt mit seiner
mehrfachen
Intervention im aufbrechenden Streit zwischen •
Vansen, dem gelehrten • "Doktor"
und Advokaten, der die Bürger unter Berufung auf alte verbriefte Rechte
zum Aufstand gegen die spanischen Herrscher bewegen will, dafür, dass
Vansen seine Ansichten vortragen kann, ohne dass ihn die erbitterten
Gegner eines solchen Vorhabens,
•
Seifensieder und der Zimmermann, daran hindern können. Jetter ist
von den Ausführungen Vansens über verbriefte Privilegien der
niederländischen Stände gegenüber ihrer Obrigkeit, die nach Ansicht
Vansens auch die spanischen Krone binden würden, sichtlich beeindruckt,
schließt sich aber der Umsturzstimmung nicht an, die sich unter der
Mehrheit der versammelten Leute auf dem Platz vergleichsweise schnell
verbreitet, ehe • Egmont mit seinem
Gefolge selbst die Szene betritt.
Mit seinem Auftreten, der Versicherung, dem bilderstürmenden Mob in
Flandern werde energisch Einhalt geboten, und der Aufforderung, Ruhe zu
bewahren, kann • Egmont die Wogen
wieder schnell glätten. Dass Egmont Jetter als den Mann, •
sogar namentlich, wiedererkennt, der in seinem Auftrag Livreen
angefertigt hat, schmeichelt dem Schneider gewiss. Zudem ist es wohl
auch ein Grund dafür, dass sich Jetter einen Mann wie den •
Grafen Egmont als Regenten wünscht, der
sich zu alledem auch noch - ganz aus dem Blickwinkel des Schneiders
gesehen, aber auch ohne Gespür dafür, dass •
Egmont die neueste spanische Mode trägt - für den Lebensstil Egmonts
erwärmen kann.
Bestärkt wird diese Einstellung aber noch durch die Ausführungen Vansens über die den niederländischen Ständen, nicht zu verwechseln mit
dem Pöbel bzw. • "Pack".
d. h. dem • "Volk,
das nichts zu verlieren hat", (•
Zimmermeister) oder den • "Tagdiebe(n)",
• "Söffer(n"
und • "Faulenzer(n)"
(•
Seifensieder), zustehenden Privilegien, die den niederländischen Adel in einem besonderen gegenseitigen Treueverhältnis
zu den von den Bürgern repräsentierten Ständen gebunden sehen.
Am Beginn des
4. Aufzugs hat
•
Margarete von Parma abgedankt und an ihrer Stelle ist
•
Herzog Alba
an der Spitze eines spanischen Heeres in Brüssel angekommen. Damit hat
sich die Lage der Bürger, die darauf gehofft hatten, die insgesamt doch
gemäßigte Regentin werde weiterhin die spanische Gegenreformation und
Inquisition mildern, grundlegend geändert. So erfährt auch Jetter vom •
Zimmermeister auf einem •
Platz in Brüssel
zu seinem Erschrecken von den neuesten Erlassen Albas, mit denen dieser
die aufkeimende Opposition gegen die spanische Krone unterdrücken will.
Allein schon der Gestus, mit dem die spanischen Truppen, die in den
Augen Jetters •"Maschinen",
gleichen, •"in
denen ein Teufel sitzt", auftreten, macht ihm Angst. Als er dann
noch vom dazukommenden
•
Soest erfährt,
dass die • Regentin und
•
Wilhelm von Oranien
"weg"
seien, ist dies für Jetter der Anfang vom Ende weiteren •
Exekutionen. Nur, die Tatsache, dass • Egmont
noch da sei, gibt ihm, wie auch den anderen eine gewisse Hoffnung. Als
dann noch •
Vansen hinzukommt, •
distanziert sich Jetter sofort von ihm und seinen vormals geäußerten
aufrührerischen Ansichten. Er verwehrt sich gegen die Ironie, mit denen
Vansen die Kleinmütigkeit und das Duckmäusertum der Bürger kritisiert
und glaubt, trotz der Prophezeiungen Vansens, dass auch Egmont das Opfer
Albas werden könne, weiter an die Gerechtigkeit und damit an die
Tatsache, dass dem •
rechtschaffenen Grafen Egmont als •
Ritter des Ordens vom heiligen Vlieses von den Spaniern keine Gefahr
drohe. Dieses Narrativ, wonach Egmont •"so sicher wie der Stern am Himmel",
das mit Egmonts Selbsteinschätzung korrespondiert, ist auch er trotz der
Einwände Vanses, mit denen dieser verdeutlicht, dass die •
Justiz und Inquisition noch jeden zu Fall gebracht habe, nicht
bereit aufzugeben. Auch Vansens Ratschlag, jetzt erst einmal
innezuhalten und abzuwarten, bis Alba, wie alle Statthalter, sich, weil
ihm seine eigenen persönlichen Interessen schon bald wichtiger sein
würden als die der spanischen Krone, sich beruhigen werde, kann er wenig
abgewinnen. Egmont ist und bleibt seine einzige Hoffnung in einer
ansonsten aussichtlosen Lage, auch wenn er, wie alle anderen offenbar •
nicht bereit wäre, Leben
und soziale Existenz für den "Volkshelden" Egmont einzusetzen, wenn
er von den Spaniern verhaftet würde.
Zu Beginn des
• 5. Aufzugs
ruft • Klärchen auf einer •
Straße (V,1) nach der Verhaftung • Egmonts
auf Veranlassung von •
Herzog Alba
die Bürger Brüssels auf, Egmont, dessen Leben sie unmittelbar bedroht
sieht, aus dem Gefängnis zu befreien, findet aber keinerlei Gehör. Dabei
ist es ausgerechnet Jetter, der Vansen früher auf seine Frage, ob er
bereit sei, im Falle der Verhaftung Egmonts seine "Rippen
für ihn (zu) wagen" (IV,1),
schon ausweichend geantwortet hatte, der jetzt überhaupt nichts mehr
davon wissen will und schon fürchtet, dass das Aussprechen des Namens
von Egmont in der Öffentlichkeit, von den Spaniern als Aufruhr
ausgelegt, •
tödliche Konsequenzen haben könne. Als er und die anderen von
Klärchen, in der Hoffnung die Bürger doch noch zur gewaltsamen Befreiung
Egmonts zu bewegen, daran erinnert wird, wie sie ihrem vordem
bewunderten "Volkshelden" ihre Referenz erwiesen haben, fordert Jetter
von Brackenburg, die enttäuschte und über die Reaktion der Bürger
verzweifelte junge Frau endlich zum Schweigen zu bringen und beiseite zu
schaffen, ehe die auf dem Platz zusammengekommenen Bürger sich wieder
verlaufen, um nicht den geringsten Anschein zu erwecken, sie könnten
irgendwie zur Tat schreiten.
Dass Jetter sein Fähnchen nach dem Wind hängt und mit verschiedenen
Bekundungen von einem der entschiedensten Anhänger Egmonts, solange er
an die Chance glaubt, dieser könne alles im Sinne der Bürger richten,
zum Sprecher aller derjenigen wird, die aus Angst vor den Spaniern sich
ganz so, wie früher einmal von •
Vansen beschrieben, im Grunde jedes "Regiment"
sich "schalten
und walten" lassen, "wie es kann und mag"
(II,1), solange es ihnen nicht an die wirtschaftliche Existenz geht.
Dabei zeigt sich Jetter von Anfang an als derjenige unter den Bürgern,
den seine Ängste immer wieder zu düsteren Vorahnungen verleitet und von
daher bedarf es auch keiner "Wandlung", wenn er am Ende als Wortführer
der Bürger dasteht, die sich von Egmont distanzieren und sich der
spanischen Herrschaft offenkundig weiter unterwerfen.
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Charakteristik dramatischer Figuren
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
29.01.2024