teachSam- Arbeitsbereiche:
Arbeitstechniken - Deutsch - Geschichte - Politik - Pädagogik - PsychologieMedien - Methodik und Didaktik - Projekte - So navigiert man auf teachSam - So sucht man auf teachSam - teachSam braucht Werbung


deu.jpg (1524 Byte)

 

Literatur und Stil

Überblick

Literarische Stilistik

 
FAChbereich Deutsch
Glossar
LiteraturAutorinnen und Autoren Literarische Gattungen Literaturgeschichte Motive der Literatur Grundlagen der Textanalyse und Interpretation Überblick Hermeneutische Modelle Antihermeneutische Modelle [ Literatur und Stil Überblick Rhetorik und Stilistik in der AntikeStilprinzipienAusdruckswerte Rhetorische Stilmittel: Figuren und Tropen Stilanalyse im Rahmen der schulischen Textinterpretation ] Textauswahl Literaturunterricht Schreibformen  Operatoren im Fach Deutsch
 

Textlinguistik
Text und Stil
Überblick

Textstilistische Handlungsmuster
Stilregister
Stilzüge und Ausdruckswerte
Stiltypen
Stilmittel des Wortschatzes
▪ Satzbaustile

Rhetorik
▪ Geschichte 
Begriff und Theorie
Rhetorische Mittel
Überblick
Figuren und Tropen
Änderungsoperationen
 ▪
Wirkungsbereiche
Wirkungsakzente
Einzelne rhetorische Mittel
Auswahlliste

Stil und Kommunikation über Stile im Alltag

Dass wir in unserer Alltagskommunikation ohne Weiteres in zahlreichen Zusammenhängen von Stil sprechen und uns über Stile verständigen können, ist nicht so selbstverständlich, wie dies in der Praxis aussieht.

Wir sagen: "Das ist nicht mein Stil" und meinen damit: "Das ist nicht meine Art etwas zu tun". Wir sind bemüht, unseren eigenen Stil zu finden.  In unserer von »Singularisierung geprägten Gesellschaft, deren Institutionen ebenso wie ihre Mitglieder nicht mehr nach dem Allgemeinen, dem Standardisierten und Regulierten streben, sondern an das Besondere, das Einzigartige, das Singuläre ihre Hoffnungen heften und daran ihre Interessen und Anstrengungen ausrichten, erhalten Stilfragen immer mehr Gewicht. (vgl. Reckwitz 2019, S.7) Die Ausbildung eines das ganze persönliche Leben kennzeichnenden individuellen Stils wird damit zum Zielpunkt eines nur dann angeblich glückenden Lebens.

Es geht, wie auf einer einschlägigen, zufällig ausgewählten Internetseite eines »Lifestyle-Magazins, zu lesen ist, darum "seine eigene Persönlichkeit und Kreativität in den Vordergrund zu bringen. Mut zum eigenen Stil heißt mit Selbstbewusstsein durch den Tag zu laufen und stolz zu sagen: *Hey, das bin ich!'" (Hervorh. d. Verf.)

Wir sprechen von Kleidungsstil, Kommunikationsstil, Diskussionsstil, Führungsstil, schlechtem und gutem Stil, altmodischem und modernem Stil, Musikstil, Telegrammstil oder machen Geschäfte in großem Stil und - das ist das eigentlich Bemerkenswerte! - können uns damit miteinander verständigen. Das Stilverstehen, wie wir es aus unserer Alttagskommunikation kennen, stellt sich nämlich gewöhnlich intuitiv und zwanglos ein.

Wir halten uns dabei gewöhnlich an stereotypisierte, meistens auf gesellschaftlichen Konventionen beruhende Beschreibungen oder Bewertungen, mit denen wir ein bestimmtes Kommunikationsziel möglichst gut erreichen wollen. (Sandig 22006, S.2ff.) Neben den sprachlichen Stilen (z. B. Schreibstil, Argumentationsstil, Amtsstil, eingängiger Stil, guter Stil etc.) werden in der deutschen Sprache auch "eine Vielzahl sozial relevanter Handlungsweisen mit Stil benannt: Stil sich zu kleiden, Führungsstil, Schwimmstil, politischer Stil, Lebensstil, Fahrstil ..." (ebd., S.9). Bei diesen Begriffen geht es immer - wie auch bei vielen Stilen, die mit sprachlichem Handeln in Verbindung stehen, "um eine unter mehreren Arten, etwas zu tun, wobei diese unterschiedlichen Arten in der Gemeinschaft bedeutsam sind." (ebd.)

Der Stilbegriff im Wandel

Im Deutschen geht der Begriff des Stils auf das lateinische Wort stilus zurück, das Schreibgerät bzw. »Griffel bedeutet. Mit dem Schreibgriffel ritzten die Schreiber der Antike und zum Teil noch des Mittelalters, ihre Zeichen in Schreibplättchen, die mit Wachs überzogen waren. Im übertragenen Sinn wird der Begriff seit dem 15. Jahrhundert in der Bedeutung Schreibart verwendet.

In der Antike drehte es sich bei der Beschäftigung mit Stilistischem stets um die Angemessenheit eines sprachlichen Ausdrucks im rhetorischen Sprachgebrauch.

Dabei werden bei der sprachlichen Gestaltung (elocutio), die als Ausformulieren von Gedanken verstanden wird,  ▪ vier Sprach- oder Stilqualitäten (virtutes elocutiones) unterschieden.

Ab dem 18. Jahrhundert verliert die antike rhetorische Tradition bei der Beschäftigung mit Stilfragen zusehends an Bedeutung. Stilistik verliert als allgemeine Theorie der Beredsamkeit an Bedeutung und wird mehr und mehr zu einer "Anleitung zum angemessenen Gebrauch der Schriftsprache" (Czapla 2007, S.516)

Im Zusammenhang "mit dem nun aufkommenden Interesse sowohl am Individuellen als auch am historisch Charakteristischen bei der Beschäftigung mit Kunst und Literatur" (Anderegg 22006, S.375) wurde "unter dem Einfluss des Geniekultes und der durch ihn beförderten Individualisierung des Werkbegriffs (Originalität) die präskriptive Stilistik abgelöst von einer persönlichkeitsgebundenen, nach heutigem Verständnis 'deskriptiven' Auffassung der Stilistik." (Czapla 2007, S.516) Der Stilbegriff löste sich damit "vom rhetorisch reglementierten Sprachdekor zu einem Verständnis von Stil als subjektivem Persönlichkeitsausdruck." (Becker/Hummel/Sander 22018, S.47)

Stil als Abweichung von einer Norm, als Ausdruck von Individualität oder Wahl

Was einen Stil ausmacht, wird oft als Abweichung von einer Norm beschrieben. Wer den Stil eines Autors bzw. einer Autorin als Individualstil beschreiben will, kann dies also unter vergleichender Bezugnahme auf einen Kollektiv-, Epochen- oder Zeitstil tun, wer einen bestimmten Epochenstil identifizieren will, muss diesen von anderen Epochenstilen abgrenzen. Allerdings sind die in der Literaturwissenschaft oft verwendeten Kategorien wie Epochenstil und Gattungsstil problematisch und im Allgemeinen eine "kollektive Generalisierung" (Spillner 1996, S.241), die vom konkreten individuellen Stil in einem Text abstrahiert. Zugleich ist es auch mehr als fraglich, "ob es einen homogenen Epochenstil oder Gattungsstil überhaupt gibt." (ebd.) Aus diesem Grund plädiert Spillner (1996) dafür, in solchen Fällen "von Stiltendenzen, zeitgenössischen Konventionen, literarischen Moden zu sprechen und nicht von einem »Stil«." (ebd.) Ob es also so etwas wie einen "gemeinsamen Nenner einer Vielzahl von Individualstilen" (Rommel 32004, S.628) gibt, der als Grundlage für einen National- oder Epochenstil dienen kann, ist zumindest umstritten.

Das Abweichungsparadigma hat allerdings einen Haken. Auf diese Weise lassen sich die Texte, die nach den vorherrschenden Normen verfasst worden sind, eigentlich nicht mehr als Stil beschreiben. (vgl. Anderegg  22006, S.375) Und streng genommen "müssten nach dieser Auffassung alle Fehler »Stil« sein und dürften normale Texte keinen Stil haben." (Spillner 1996, S.241) Wenn also die Abweichungsstilistik widerlegt ist und als Stiltheorie nicht taugt, kann das Abweichungsparadigma durchaus dazu dienen, in einem ersten Schritt auffällige Textmerkmale zu identifizieren.

Wird Stil über seinen Ausdruck des Individuellen definiert oder als Resultat eines Auswahlprozesses, der das Ziel hat, als "Spezialfall schöpferischen Handelns" (Antos 1982, S,42) dem konzipierten Textrahmen bei der Textformulierung "jene sprachliche Form zu geben, die die erfolgreiche Realisierung der vom Schreiber verfolgten Grundintention am wahrscheinlichsten macht" und dessen Prozesse "nicht in jedem Fall bewusst ablaufen" (Heinemann/Viehweger 1991, S.255), dann tun sich ebenfalls Probleme auf. In diesem Fall könnte nämlich ignoriert werden, "dass die Sprachgestalt von Texten oder Sprachhandlungen nicht nur durch individuelle Intentionen, sondern ebenso durch individuell nicht steuerbare Faktoren der Kommunikation und der jeweiligen Textsorte bestimmt wird." (Anderegg  22006, S.375) Zudem wird im Rahmen der Auswahlstilistik, so wichtig sie auch als Baustein für eine kohärente Stilkonzeption ist, die Rolle des Lesers bei der literarischen Kommunikation nicht berücksichtigt. (Spillner 1996, S.245)

Dieser Einwände zum Trotz ist die Annahme der Auswahlstilistik, "dass der Autor eines Textes prinzipiell mehrere sprachliche Möglichkeiten hat, einen Sachverhalt auszudrücken" (ebd., S.244) und dabei seine Auswahlentscheidung bewusst oder auch unbewusst gemäß seiner "Ausdrucksabsichten (Stilintentionen)" (ebd., Hervorh. d. Verf.) gestaltet, eine wichtige Komponente der Stiltheorie. Dass die Auswahl, die ein Autor vornimmt, nicht rundherum frei ist, "sondern bis zu einem gewissen Grade durch gesellschaftliche Normen, sprachliche Regeln, stilistische Konventionen determiniert (ist)" ebd., S.245), Textmuster und Textsortenstile diese freie Auswahl einschränken wird, dabei durchaus gesehen.

Literarische Stilistik

Im Allgemeinen versteht man unter Stil in der Literaturwissenschaft ebenso wie in der Kunstwissenschaft "besondere, in hohem Grade unverwechselbare Grundmuster, die das Kunstschaffen von Völkern (National- oder Regional-St.), historischen Zeitabschnitten (Epochen-St.), einzelnen Künstlern (Personal-, Persönlichkeits- oder Individualstil) und die Ausprägungsformen bestimmter Werktypen (Gattungs-St.) oder einzelner Kunstprodukte (Werk-St.)" (Metzler Literatur Lexikon 21990, S.443)

Stilistik ist dabei ein Begriff, der auf sehr verschiedene Gebiete angewendet wird und sich, abgesehen von der Verwendung des Begriffs Stil im Alltag oder im Zusammenhang mit anderen Künsten, im Kontext der Literaturwissenschaft als Lehre von den Formen der sprachlichen, besonders der literarischen Rede und ihrer Anwendung definiert werden kann. (vgl. Czapla 2007, S.515)

Grundsätzlich beziehen sich Fragen nach dem Stil in der Alltagssprache ebenso wie in den verschiedenen Wissenschaften "auf die Art und Weise, in der etwas vollzogen, von etwas Gebrauch gemacht, mit etwas umgegangen wird." (Anderegg 22006, S.375) In der Regel handelt es beim Stil "um Manifestationen von rekurrenten Formen menschlichen Verhaltens in den verschiedenen Materialien und Medien insbesondere den Künsten." (Gumbrecht 2007, S.509)

Man kann Stil auch als eine Art "Epiphänomen an gesprochenen oder geschrieben Texten" (Spillner 1996, S.234) auffassen, "das von einem Sprecher oder Schreiber bewusst oder unbewusst hervorgebracht und das in der Rezeption von einem Leser oder Hörer konstituiert oder aktualisiert wird." (ebd.) Und Stil basiert darauf, dass die Sprache unterschiedliche Möglichkeiten besitzt, etwas auszudrücken. Denn: wenn "es nur eine einzige Möglichkeit (gäbe), einen Gedanken oder eine Information zu übermitteln, dann könnte es in der Tat keinen Stil geben. Jeder weiß aber, dass man ganz verschiedenen formulieren kann, ohne die Bedeutung der Aussage prinzipiell zu verändern. Und in der Literatur wird besonders variabel und kreativ von solchen konkurrierenden Ausdrucksmöglichkeiten Gebrauch gemacht." (ebd.)

Die literarische Stilistik, die als Bindglied zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft fungiert, besitzt "kein einheitliches Kategoriensystem" (Czapla 2007, S.515). Literarischer Stil ist nur interdisziplinär beschreibbar, die auf mindestens drei verschiedenen und ineinander greifenden Komponenten beruht: einer linguistischen, einer kommunikationswissenschaftlich-pragmatischen und einer literaturwissenschaftlich-ästhetischen Komponenten. (vgl. Spillner 1996, S.235) Da es keine einheitliche Stilbeschreibungssprache gibt, werden Termini aus so unterschiedlichen Bereichen wie der ▪ Rhetorik, der ▪ Grammatik, der ▪ (Text-)Linguistik oder der Semiotik verwendet.

Die literarische Stilanalyse ist dabei heutzutage darum bemüht, dichterische Qualitäten im Rahmen eines deskriptiven Ansatzes zu erfassen. um  den Stil eines literarischen Textes, Autors, einer ▪ literarischen Gattung oder ▪ Literaturepoche usw. zu beschreiben. Dabei kommen auch Termini der literaturwissenschaftlichen ▪ Erzähl-, ▪ Dramen- oder ▪ Lyrikanalyse zum Zuge.

Stil in der hermeneutisch orientierten Werkinterpretation

In der älteren Literaturwissenschaft glaubte man bis zu den 1970er Jahren vor allem im Rahmen der ▪ hermeneutisch orientierten Werkinterpretation im Stil "nicht nur das Eigen- und Einzigartige eines Werkes fassen zu können, sondern auch das, was das Werk zum Kunstwerk macht." (Anderegg 22006, S.374)

Dabei ließ sie sich von der auf die ▪ klassische Rhetorik zurückgehende Auffassung leiten, "dass im Prozess der Textproduktion zunächst eine neutrale, unmarkierte Textfassung entsteht, die dann in der Produktionsstufe der elocutio einer besonderen Bearbeitung unterzogen wird" (Spillner 1996, S.242) Um einen Text stilistisch zu ▪ "schmücken" (ornatus) kann bei dieser Bearbeitung auf ein großes Repertoire von Stilfiguren und Tropen (ornatus in verbis singulis) zurückgegriffen werden.

Die hermeneutisch orientierte textimmanente Interpretation sieht, abgesehen vom Text selbst, von jeder Berücksichtigung historischer Komponenten und den weiteren Komponenten der literarischen Kommunikation ab und glaubt, "Stil im Werk und nur im Werk (...) dingfest machen und analysieren zu können." (ebd.) Diese Vorstellung von einem "»Stil an sich«" (ebd.) ist indessen überholt.

Präskriptive Stilistik in der modernen Literaturwissenschaft

Die moderne Literaturwissenschaft verfolgt im Allgemeinen keinen normativen Ansatz, bei dem es darum geht, "eine gegebene Form so zu modifizieren, dass sie einem vorgegebenen Form-Ideal näherkommt" (Gumbrecht 2007, S.509). Ihr Ziel ist es nicht, bestimmte stilistische Vorgaben für die Literatursprache zu machen. Ein normatives Verständnis von Stilistik findet sich allerdings immer noch in zahlreichen Schreibratgebern und -anleitungen für Sachtexte (pragmatische Texte, Gebrauchstexte, expositorische Texte, nichtfiktionale Texte). Und auch im Deutschunterricht werden für bestimmte schulische Schreibformen (z. B. ▪ Textwiedergabe, ▪ Formen des schriftlichen Erörterns, ▪ private Geschäftsbriefe, ▪ Formen des  schriftlichen Erzählens oder ▪ Berichtens etc.) bestimmte Regeln für das textmusterkonforme Schreiben,die gleichzeitig als Kriterien zur Leistungsmessung herangezogen werden.

Diese Aufgabe aufzuzeigen, wie Texte stilistisch produziert werden sollen, verfolgt die in der Regel didaktisch orientierte, präskriptive Stilistik. Mit ihren Regeln und Regelwerken und Zusammenstellungen der sprachlichen Möglichkeiten, mit denen sich, so die Annahme, bestimmte Stilwirkungen erzielen lassen, orientiert sie sich an der klassischen Rhetorik und folgt deren Grundprinzipien (z. B. grammatische Korrektheit, Verständlichkeit/Klarheit, Angemessenheit, Schmuck)

Die Literaturwissenschaft beschäftigt sich vor allem in literaturgeschichtlicher Perspektive mit der präskriptiven Stilistik. Dazu zieht sie z. B. Dokumente heran, die mit denen analysiert und beurteilt werden kann, an welche zeitgenössischen Regeln und Regelwerke sich Autoren gehalten, angelehnt oder von denen sie sich bei ihrer sprachlichen Gestaltung abgegrenzt haben.

Der typologische Stilbegriff der modernen Literaturwissenschaft

Statt eines normativen Stilbegriffs geht die Literaturwissenschaft von einem typologischen Stilbegriff, einem "Beobachtungsbegriff" (Gumbrecht 2007, S.509) aus, der zur "Analyse und Beschreibung synchron wie diachron beobachtbarer Stile" (Czapla 2007, S.515) verwendet wird. Er erlaubt, "aus einer thematisierten Form Rückschlüsse auf ihren Produzenten oder auf die soziale Gruppe (die Epoche, die Kultur, die Nation), der er oder sie angehört (haben), zu ziehen (vgl. Gumbrecht 2007, S.509).

In der modernen Literaturwissenschaft ist der Begriff des Stils, nachdem man sich eine Weile lang ziemlich erfolglos bemühte, zu einer einheitlichen Definition zu gelangen, heute vor allem im Kontext fächerübergreifender vergleichender kulturell orientierter Ansätze von Bedeutung.

Wer sich z. B. "vor dem Vergleichshintergrund der strengen, hierarchischen und statischen Gliederung des Barock" mit der "Architektur und Stukkatur des Rokoko" beschäftigt, wird vielleicht beim Rokoko "ein ähnliches Bemühen um Leichtigkeit und Bewegtheit erkennen wie in der Rokokolyrik." (Anderegg 22006, S.376)

Dennoch ist die Stil-Frage auch in der Literaturwissenschaft keineswegs vom Tisch. Schließlich können Wissenschaftler*innen aber auch Leser*innen "Texte aufgrund ihres S(tils) mit großer Sicherheit einem Autor, einer Gattung, einer literarischen Strömung oder einer Epoche" (ebd., S.375) zuordnen. Sie tun dies, weil sie aus Erfahrung wissen, "dass die Bedeutung oder der Sinn von Texten nicht nur durch das Vorhandensein bestimmter sprachlicher Zeichen entsteht, sondern auch, gewissermaßen auf zweiter Ebene, durch die spezifische Art und Weise, in der mit den sprachlichen Zeichen bzw. mit den sprachlichen Möglichkeiten umgegangen wird." (ebd.)

Dabei ist die Rolle, die der Stil unter ▪ kognitionspsychologischer Perspektive beim Textverstehen für die ▪ Inferenzbildung bei der Konstruktion der ▪  Makrostruktur und des ▪ Situationsmodells spielt, noch keineswegs hinreichend erforscht.

Integrative Stiltheorie und deskriptive Stilistik in der modernen Literaturwissenschaft

Wenn in der Literaturwissenschaft heute von Stil die Rede ist, dann geht es um "die Art und Weise des Sprachgebrauchs" (ebd.), was sehr weit gefasst bedeutet, dass damit alle gestalterischen Möglichkeiten in Texten eingeschlossen sind.

Dieser ▪ weite Stilbegriff, der "die gesamte Textgestaltung in ihren kommunikativen Verwendungs-Relationen" (Sandig 22006, S.150) umfasst, stellt die Basis der "integrativen Stiltheorie", wie sie von »Bernd Spillner (*1941) (1996, S.246) konzipiert wird.

Sie versteht Stil "als das Resultat aus der Auswahl des Autors aus den konkurrierenden Möglichkeiten des Sprachsystems und der Rekonstituierung durch den textrezipierenden Leser/Hörer. »Stileffekte« ergeben sich erst im dialektischen Wechselspiel zwischen den im Text kodierten Folgen der durch den Autor getroffenen Auswahl und der Reaktion durch den Leser. Stil ist eine Erscheinung an Texten, die im Kommunikationsprozess konstituiert wird – also keine statische Eigenschaft eines Textes, sondern eine virtuelle Qualität, die im Rezeptionsvorgang rekonstruiert werden muss. Am Text erkennbar sind nur die Folgen der einmal erfolgten Auswahl und die Voraussetzungen für die durch die Rezipientenerwartung determinierte Reaktion des Lesers/Hörers." (Spillner 1996, S.246f., Hervorh. d. Verf.)

Diese grundlegenden Annahmen der integrativen Stiltheorie dienen zur Beschreibung jener durch die sprachliche Form eines literarischen Textes der lexikalischen Wort- und Satzbedeutung hinzugefügten zusätzlichen Bedeutungselemente.

Alle Textelemente, die dies leisten, gelten als stilistisch relevant. Sie werden in einem Text auf verschiedene Art und Weise markiert. Dazu wird eine "spezifische Auswahl und Anordnung graphischer und phonischer sprachlicher Zeichen" vorgenommen, "wobei das Mittel der Rekurrenz (Wiederkehr, Wiederholung eines sprachlichen Zeichens im Text) die wichtigste Rolle spielt." (ebd., S.249)

In diesem Sinne richtet sich das Interesse "auf das, was im Vielfältigen eines Textkorpus in charakteristischer Weise gleich bleibt oder wiederkehrt." (Anderegg 22006., S.375) und dabei vor allem auf die Wahlmöglichkeiten des Autors im Bereich des Wortschatzes und des Satzbaus (besonders der Satzstellung)". (Spillner 1996, S.249) So betrachtet manifestiert sich im Stil eine Zusammengehörigkeit von Textteilen oder Texten, die "sich in der Art von wiederkehrenden Mustern" (Anderegg 22006., S.375) zeigt.

Stil kann dabei stets als eine durch Abstraktion zustande gekommene Zusammenfassung aufgefasst werden, die sich auf Prinzipielles ausrichtet. Dies wird z. B. deutlich, wenn vom spielerisch-bewegten und leichten Rokokostil gesprochen wird.

Stil kann aus verschiedenen sprachlichen Phänomenen abstrahiert werden. Das können Besonderheiten im Satzbau, bei der Wortwahl, beim Tempusgebrauch, bei Argumentation, Beschreibung, oder anderen Formen der Darstellung sein.

In jedem Fall aber ist Stil als "eine dynamische Kategorie" zu verstehen, "die historischen Veränderungen unterworfen ist und bei der Lektüre jeweils bis zu einem gewissen Grad unterschiedlich aktualisiert werden kann." (Spillner 1996, S.247, Hervorh. d. Verf.)

Makrostilistische und mikrostilistische Ebene

Im Rahmen der deskriptiven Stilanalyse lassen sich eine makro- und eine mikrostilistische Ebene unterscheiden.

Da es, wie schon erwähnt, keine einheitliche Stilbeschreibungssprache gibt, werden Termini aus so unterschiedlichen Bereichen wie der ▪ Rhetorik, der ▪ Grammatik, der ▪ (Text-)Linguistik oder der Semiotik, aber auch Termini der literaturwissenschaftlichen ▪ Erzähl-, ▪ Dramen- oder ▪ Lyrikanalyse herangezogen, um den Stil eines Textes zu beschreiben.

Stilfiguren in der Rhetorik

Der Terminus der Stilfiguren ist als eine Kategorie der Rhetorik immer noch üblich und hat für die mikrostilistische Analyse eine wichtige Bedeutung.  Er umfasst aber, wenn er nicht in der Unterscheidung von ▪ (Stil-)Figuren und Tropen für eine große Zahl ▪ rhetorischer Mittel, mit unterschiedlichen ▪ Änderungsoperationen, ▪ Wirkungsbereichen, Wirkungsakzenten und ▪ weiteren Mitteln zur Stilbildung verwendet wird, im engeren, rein textstilistischen Sinne diejenigen, welche auf Repetitionen (Rekurrenz) beruhen.

Ziel ist es dabei die Zusammengehörigkeit von Textteilen oder Texten aufzuzeigen, die "sich in der Art von wiederkehrenden Mustern" (Anderegg 22006., S.37) manifestiert.

Rhetorische Stilmittel, die dies vor allem leisten, sind z. B. die Anapher (Wiederholung derselben Ausdrücke am Anfang mehrerer Sätze oder Absätze), die Epipher (Wiederholung derselben Ausdrücke an Ende mehrerer Sätze oder Absätze) und der (grammatische) Parallelismus (Wiederholung einer bestimmten syntaktischen Struktur). Sie müssen aber im Hinblick auf ihre Funktion im Kontext und im Vergleich zu anderen Möglichkeiten sowie im Blick auf den Leser betrachtet werden. (vgl. Spillner 1996, S.253)

Der grammatische Parallelismus kann (stilistisch gesehen) "für Klarheit und logische Gliederung sorgen, er kann Aufzählungen strukturieren, er kann die leichte Einspeicherung ins Gedächtnis und Merkfähigkeit sichern, er kann – vor allem in politischen und religiösen Texten – dem Zweck intensiver Überredung dienen." (ebd.)

Textlinguistik
Text und Stil
Überblick

Textstilistische Handlungsmuster
Stilregister
Stilzüge und Ausdruckswerte
Stiltypen
Stilmittel des Wortschatzes
▪ Satzbaustile

Rhetorik
▪ Geschichte 
Begriff und Theorie
Rhetorische Mittel
Überblick
Figuren und Tropen
Änderungsoperationen
 ▪
Wirkungsbereiche
Wirkungsakzente
Einzelne rhetorische Mittel
Auswahlliste

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 23.12.2023

    
 

 
ARBEITSTECHNIKEN und mehr
Arbeits- und Zeitmanagement Kreative Arbeitstechniken Teamarbeit ▪ Portfolio ● Arbeit mit Bildern  Arbeit mit Texten Arbeit mit Film und VideoMündliche Kommunikation Visualisieren PräsentationArbeitstechniken für das Internet Sonstige digitale Arbeitstechniken 

 
  Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International License (CC-BY-SA)
Dies gilt für alle Inhalte, sofern sie nicht von
externen Quellen eingebunden werden oder anderweitig gekennzeichnet sind. Autor: Gert Egle/www.teachsam.de
-
CC-Lizenz