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Auf der Galerie

Didaktische und methodische Aspekte

Franz Kafka (1883 - 1924)

 
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Kaum deutlicher als mit Hilfe der beiden "Oldenbourg Interpretationen" von Meurer (1988/31998) und Niehaus (2010) kann kaum verdeutlicht werden, wie sich der Umgang mit Literatur in den dreißig Jahren, die zwischen der Erstveröffentlichung der Darstellung Meurers und der von Niehaus liegen, verändert hat.

Während sich Meurer (1988/31998)Franz Kafkas Prosastück • "Auf der Galerie" dem Text mit ausgesprochen großer philologischer Akribie nähert, und sich stark auf grammatische und sonstige Strukturen konzentriert, um eine möglichst textnahe Interpretation des Textes vorzulegen, die in dem von der Rezeptionsforschung als "literarische(n) Rorschachtext" (ebd., S.75) inszenierten Wettstreit unterschiedlicher Rezeptionsmöglichkeiten des Textes bestehen zu können, sucht Niehaus (2010) von Anfang an einen Zugang, der von der Parabelstruktur des Textes ausgeht und diese als "Parabel über Sein und Schein" (ebd., S.70), um sich mit dieser These kritisch auseinanderzusetzen. Dabei greift seiner Ansicht nach dieser Ansatz letzten Endes zu kurz.

Auch das Unterrichtsmodell, das das »Institut der Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Jahr 2015 entwickelt hat, setzt mit seiner Arbeitsanweisung zur Interpretation des Textes auf die Interpretationshypothese von Sein und Schein. Dabei werden die Schülerinnen und Schüler ausdrücklich aufgefordert, bei ihrer Interpretation auf die Aspekte "Wirklichkeitsdarstellung, Verhalten und Rolle des Galeriebesuchers und des Publikums, ggf. Übertragbarkeit auf die heutige Medienwelt" einzugehen.

Ob allerdings diese vereindeutigende textexterne Sinnkonstruktion dem Text gerecht wird, ist mehr als zweifelhaft, zumal der Text weniger eine Erzählung im Sinne einer narrativen Zustandsveränderung bzw. Situationsveränderung (vgl. Schmid 2005, S.13) als eine "literarische Versuchsanordnung"  (Sudau 2021, S.16) darstellt. Das wiederum könnte auch dafür sprechen, sie eher als • "Denkbild" (Zymner (2010, S. 456), denn • als Parabel aufzufassen, auch wenn die Grenzen zwischen beiden nicht einfach zu ziehen sind.

Ob es sich bei  überhaupt • um eine Parabel oder um ein Denkbild handelt, bleibt gewöhnlich außen vor, weil der Bedeutungstransfer von den meisten Ansätzen unabhängig davon, ob sie • religionsphilosophisch, • gesellschaftskritisch, • feministisch, • biografisch, • existenzialistisch, • literaturästhetisch oder wahrnehmungspsychologisch orientiert sind, selbstredend vorausgesetzt wird.

Für Peter Bekes (1988a, S.19f.) ist es hingegen im Literaturunterricht wenig hilfreich, "den Sinn dieser Parabel durch Allegorisierung erschließen zu wollen." Damit komme man zwar den Verlangen von Schülerinnen und Schülern entgegen, "Bedeutungen festzulegen, verbindliche Erkenntnisse zu formulieren, doch zerstört man auch die artistische Komposition des Textes." So ist es seiner Auffassung nach verständlich, dass Schülerinnen und Schüler dazu neigen, der Parabel mit unterschiedlichen Ansätzen durch einen textexternen Bedeutungstransfer Sinn verleihen wollen. So könnten der existenzielle Ansatz (Zirkus als 'theatrum mundi'), ebenso wie der religiöse (Beziehung von Gott und Mensch), oder der sozialkritische (Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen in der industriell-kapitalistischen Gesellschaft) sowie der biografische Ansatz (entfremdete Vater-Sohn-Beziehung) die grundsätzliche Offenheit der parabolischen Struktur des Textes des Textes in keiner Weise ausdeuten. Für Bekes (1988a, S.20) seht daher fest: "Der ambivalente Status dieser Geschichte besteht gerade darin, daß sie sich gegenüber Sinnfestlegungen jedweder Art verschließt, diese aber gleichzeitig herausfordert. Einen solchen Widerspruch sollten auch Schüler aushalten können."

So unterschiedlich das Vorgehen, so unterschiedlich auch die beiden kurzen Unterrichtsvorschläge von Meurer (1988/31998) und Niehaus (2010). Während es Meurer (1988/31998, S.102) darum geht, dass die Schülerinnen und Schüler "das paradoxe Verhältnis von Wirklichkeit und Schein" in seiner erzählerischen Gestaltung durch möglichst genaue "Detailanalyse(n)" der beiden Texthälften erkennen sollen, um sich am Ende mit der Frage zu befassen, welche der beiden Versionen wahr ist, will Niehaus (2010, S.160) die Rezeption und die Anschlusskommunikation über den Text mit der Hypothese steuern, dass der Text häufig als "Parabel von Schein und Wirklichkeit" bezeichnet werden. Diese Hypothese soll bei der Textanalyse durch die Herausarbeitung der "antithetische(n) Struktur des Prosastücks" mit "möglichst viele(n) einzelne(n) Details" auf inhaltlicher Ebene überprüft werden. Ziel ist es dabei, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende verstehen, dass es in den beiden Versionen zu einer "Entgegensetzung von Wiederholung des Immergleichen und einmaliger Geschichte" komme, die verdeutliche, dass die übliche Vorstellung Interpretation der "Parabel über Sein und Schein" zumindest nicht zwingend ist. Mit der Lesart von Niehaus können bestimmte Stolpersteine (Kohärenzlücken) gewissermaßen auf Textebene geschlossen werden, ohne dass die textexterne Bedeutungskonstruktion nötig ist.

So löst sich seiner Auffassung nach auch das Rätsel um das innerliche Weinen des Galeriebesuchers am Ende in einer anderen Art und Weise als in der üblichen Sein-Schein-Interpretation. Als Teil des Publikums vergesse man, dass die Darbietung der Kunstreiterin nicht einmalig sei, von der nächsten Nummer einfach abgelöst werde und am nächsten Tag wieder inszeniert werde, als sei sie einmalig. Der junge Galeriebesucher erlebe dies aber völlig anders. Zwar habe er verschiedene Gründe, weshalb er am Ende weine, doch liefen sie alle auf dasselbe hinaus: "Er weint, weil das Einmalige zu Ende ist und weil es sich wiederholen wird. Er weint, weil er sich hat mitreißen lassen wie die anderen und weil er nicht dazu gehört. Aber all das heißt nur, dass er weint, weil er nicht nur gesehen hat, was er zu sehen bekommen hat, sondern irgendwie auch die unsichtbare Kehrseite, die sich ihm vielleicht in dem schweren Traum zeigt, Denn die erste Version ist im strengen Sinne die Kehrseite der zweiten. Sie bedingen einander." (ebd., S.173)

So weit verbreitet die parabolische Deutung von • Franz Kafkas Prosastück • "Auf der Galerie" auch sein mag, ist ein kritischer Umgang damit angeraten. Dies könnte auch dadurch erreicht werden, dass man sie mit jenen Texten vergleicht, die • gemeinhin als moderne Parabeln verstanden und die als Prototypen beim Vergleich herangezogen werden können. Als Prototyp der Parabel taugt • "Auf der Galerie" im Übrigen wohl auch dann nicht, wenn aus der Vielzahl unterschiedlicher • Interpretationsansätze der eine oder andere als Kontextmaterial eingebracht wird, mit dem sich die Schülerinnen und Schüler zusätzlich auseinandersetzen können, um eine Vorstellung von der die prinzipiellen Vieldeutigkeit des Textes zu gewinnen.

Grundsätzlich sollen auch in diesem Bereich den Schülerinnen und Schülern unterschiedliche didaktisch fundierte Zugänge zum Text mit verschiedenen • Bausteinen angeboten werden.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 16.10.2024

 
 

 
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