▪
Barock (1600-1720)
▪
Lyrik des Barock
▪
Überblick
▪
Formtypologische Elemente der
Barocklyrik
▪
Vanitas-Lyrik
▪
Barocke Liebeslyrik
▪
Überblick
▪
Petrarkismus und barocke Liebesauffassung
▪
Textauswahl
Liebeslyrik
▪ Textauswahl
▪
Bausteine
▪
Sonett
▪
Überblick
▪
Grundtypen
▪
Textauswahl
▪
Bausteine
»Christian Hofmann von Hofmanswaldau (1616 -1679) war einer der bedeutendsten Dichter des
▪
Barock (1600-1720), (auch: C. Hoffmann von Hoffmannswaldau), Sohn
eines Breslauer Patriziers, Vater schlesischer Kammersekretär, ab 1622
Kaiserlicher Rat; Besuch des »Breslauer
Elisabeth-Gymnasiums; 1636
Akademisches Gymnasium in »Danzig, dort mit »Martin
Opitz (1597-1639)
bekannt;
1638 Immatrikulation im niederländischen »Leiden, dort Bekanntschaft mit
»Andreas Gryphius
(1616-1664); in »Amsterdam Besuch verschiedener Kollegs; 1639
mit einem Fürsten Reise nach England, Frankreich und Italien;1641 Rückkehr
nach »Breslau; dort 1647 Ratsschöffe, 1657 Senator, 1677 Präses bzw.
Bürgermeister; bei Legationen an den Wiener Hof (1657, 1660 und
1669/70) sehr erfolgreich; 1657 vom Kaiser zum Kaiserlichen Rat
ernannt.
Hofmannswaldaus erotische Lyrik wird häufig als galante Lyrik bezeichnet,
was insofern zutrifft, "dass die Texte in ihrem überwiegenden Anteil als
Kompliment, werbende Epistel, Schönheitsbeschreibung, petrarkistische Pose
und erotischer Scherz Scherz gestaltet sind" (Fröhlich
2005, S.203), resultierend aus Erfahrungen, die er auf seiner
Kavlierstour zu verschiedenen europäischen Residenzen im Zusammenhang mit
dieser Spielart höfischer Literatur machen konnte. Mit dem nachfolgenden
Gedicht, in dem die petrarkistische Körperschreibung mit ihrer
Körperzergliederung aufgehoben zu scheint, richtet der voyeristische
Sprecher geradezu in frivoler Manier seinen Blick auf einzelne primäre
Geschlechtsmerkmale in ihrer nackten Blöße von den Brüsten, über die Beine
(Schenkel, Waden) und den Schambereich der beobachteten Frau. Ob man das
Gedicht als eine Parodie der petrarkistischen Körperbeschreibung betrachten
kann, das "die jahrhundertealte Bemäntelung eines Begehrens" aufdecken will
und zugleich verraten möchte, "dass aller Petrarkisten Sinn eigentlich nach
»dorthin«" steht, ist jedenfalls auch dann nicht von der Hand zu weisen und
daher lässt sich das Gedicht wohl als ein "frivoles Spiel mit der
petrarkistischen Situation" verstehen, die hier dem traditionell zuständigen
Fernsinn des Schauens alles gestattet, um alles andere zu verwehren." (ebd.,
S.207). Und das Gedicht nimmt den Leser mit seinem voyeristischen Blick
durch das "loch" mit, und macht ihn selbst zum Voyeur, dem es anheimgestellt
bleibt, darüber zu reflektieren.
Es dachte Lesbie1/
sie sässe gantz allein/ Indem sie wohl verwahrt die fenster und die thüren; Do ließ sich Sylvius den geilen
fürwitz2
führen/ Und schaute durch ein loch in ihr gemach3
hinein. Auff ihrem lincken knie lag ihr das rechte bein/ Die hand war höchst bemüht/ den
schuch4
ihr zuzuschnüren/ Er schaute/ wie der moß5
zinnober weiß zu zieren/ Und wo Cupido
6
will mit lust gewieget seyn. Es ruffte Sylvius: wie zierlich sind die waden Mit warmem schnee bedeckt/ mit
helffenbein7
beladen! Er sahe selbst den ort!/ wo seine hoffnung stund. Es lachte Sylvius/ sie sprach: du bist verlohren/ Zum schmertzen bist du dir/ und mir zur pein erkohren: Denn deine hoffnung hat ja gar zu schlechten grund.
(aus: Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und
bißher ungedruckter Gedichte erster Teil, Tübingen 1961, S. 45.
Worterklärungen:
1
Lesbie:
auf den römischen Dichter »Catull
(um 82-50 v. Chr.) zurückgehender Name, der in Gedichtzyklus, dem
sogenannten Lesbia-Zyklus (»Lesbia/Clodia)von
Lesbia als einer Geliebten spricht; viel weiter scheint die Forschung
darüber allerdings nicht gekommen zu sein; wichtiger in diesem
Zusammenhang dürfte aber sein, dass Catull die Kussgedichte dieses
Zyklus gegen den Vorwurf der Unmännlichkeit und Unsittlichkeit selbst
verteidigt hat und dabei betont hat, dass der Dichter stets keusch und
züchtig sein müsse, nicht aber seine Gedichte, die erst »dann Witz und
Charme haben, wenn sie anstacheln können, was juckt« ("qui tum denique
habent salem ac leporem, si […] quod pruriat incitare possunt");
allerdings geht es Catull dabei auch nicht um das vordergründige
Vergnügen an Obszönität
2 fürwitz:
Vowitz, Neugierde
3 gemach:
Gemächer, Zimmer
4 schuch:
Schuh
5 moß:
Moos
6
cupido:
auch Amor; in der römischen
Mythologie der Gott und die Personifikation der Liebe;
im Grunde ist der Gott des Sichverliebens; in bildhaften Darstellungen
wird er oft als halbwüchsiger Knabe dargestellt, dessen Pfeile mitten
ins Herz treffen, um die Liebe in einem Menschen zu erwecken; dagegen
kann niemand etwas tun: Omnia
vincit Amor ("Amor besiegt alles"); in der gr. Mythologie ist
es »Eros,
der Gott der begehrlichen Liebe, in der römischen Mythologie
unterscheidet Plautus später zwischen dem für die Liebe zuständigen Amor
und dem Gott der Begierde Cupido; eine der bekanntesten mythischen
Erzählungen über Amor bzw. Cupido ist die von »Apuleius (um
123-nach 170 n. Chr.) in seinen Roman Metamorphosen
eingebettete Erzählung von »Amor
und Psyche, deren mythologischer Stoff einer
Liebesbeziehung zwischen dem Gott Amor und
der Königstochter Psyche das Lesepublikum
schon seit der Renaissance fasziniert und in allen Künsten als
Motiv eine
außerordentlich hohe Verbreitung gefunden hat;.
7 helffenbein: Elfenbein Reinigung der Lichtquelle
▪
Barock (1600-1720)
▪
Lyrik des Barock
▪
Überblick
▪
Formtypologische Elemente der
Barocklyrik
▪
Vanitas-Lyrik
▪
Barocke Liebeslyrik
▪
Überblick
▪
Petrarkismus und barocke Liebesauffassung
▪
Textauswahl
Liebeslyrik
▪ Textauswahl
▪
Bausteine
▪
Sonett
▪
Überblick
▪
Grundtypen
▪
Textauswahl
▪
Bausteine
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
03.01.2022
|
|
Arbeitsanregungen:
Interpretieren Sie das Gedicht von
Hofmannswaldau
(1616-1679).
- Beschreiben Sie dazu die äußere Form des Gedichtes.
- Zeigen Sie auf, welche typischen Gedanken und Motive der
Barockliteratur von
Hofmannswaldau verwendet werden.
- Zeigen Sie auf, inwiefern das Gedicht als Parodie auf die
petrarkistische Köperbeschreibung verstanden werden kann.
- In der Anfang des 20. Jahrhunderts publizierten "Geschichte der
Öffentlichen Sittlichkeit in Deutschland" von Wilhelm
Rudeck (21905) sieht der Autor das Gedicht von
Hofmannswald als typisches Beispiel für "schamlose und unzüchtige
Produkte" (S.488) in der Literatur und bezeichnet sie als
"phallische Poesie" (ebd.),
der nicht nur "jeder frische Lebenshauch" abgehe (ebd.),
sondern die als "Dichtung, voll unglaublicher Frivolität und
durch und durch verfault" (ebd.,
S.482), eine "Sittenverderbnis (sei), »gegen welche der unbefangene
Schmutz der Nürnberger Schwank- und Fastnachtsspiele noch unschuldig
erscheinen kann. Die Dichter dieses Zeitraums schrecken nicht nur
vor keinem Gedanken unreinster Art zurück, sondern sind, so
vornehmer, desto mehr beflissen, die Sinne der Leser durch
umschreibende lüsterne Andeutungen zu entzünden. Da sie nicht rund
heraussagen, was sie wollen, nehmen sie eine ungewählte Masse von
Gleichnissen, Anspielungen und Bildern zu Hilfe.«(Waldberg, S.102)."
(ebd.)
Nehmen Sie zu dieser Aussage Stellung.
|
|