Sprechakte und ihre Theorie im Handlungsfeld des
Deutschunterrichts
Sprache als soziales Handeln
bzw. ▪ Sprechen als
besondere Form des kommunikativen Handelns zu begreifen, ist seit den
1970er Jahren fester Bestandteil der Sprach- und Literaturdidaktik.
Und auch
die ▪ Sprechakttheorie von
»John Austin (1911-1960)
und
»John R. Searle (geb. 1932) hat auf vielfältige Weise Eingang in
unterrichtliche Lehr- und Lernprozesse im Fach Deutsch gefunden und für ein
vertieftes Verstehen sprachlicher Kommunikationsprozesse in mündlicher und
schriftlicher Form gesorgt. Dies kann und soll im teachSam-Fachbereich ▪
Sprechakte nicht aufgearbeitet werden.
Neben der Sprechakttheorie und der ▪ Klassifikation
der Sprechakte durch Searle, die wir in Grundzügen darstellen, haben wir
auch die ▪
Sprechakttypologie partner- und
sprecherorientierter Akte, die »Ulrich
Engel (1928-2020) im Rahmen seiner Darstellung der
"Deutschen Grammatik" (1988,
31996,
S.35-79; Neubearbeitung 2004,22009,
S.35-58) in diesem Arbeitsbereich dargestellt. Gerade
Engels Typik der Sprechakte, die diese konsequent von ihren Intentionen her
begreift, ist auch für die sprach- und literaturdidaktische Sprechaktanalyse
von besonderem Nutzen. Darüber hinaus definiert er die einzelnen Sprechakte
nicht nur kurz, sondern liefert auch Beispiele für ihre explizit
performativen Ausdrucksformen mit in Frage kommenden performativen
Ausdrücken sowie weitere satzförmige Beispiele, Kurzäußerungen unter
besonderer Berücksichtigung von
Partikeln.
Andere Sprechaktklassifikationen bleiben außen vor. Schließlich geht es in diesem
Arbeitsbereich – wie im Übrigen auf der ganzen teachSam–Website – nicht um
eine fachwissenschaftlich erschöpfende und in jederlei Hinsicht konsistente Darstellung.
Statt
dessen ist es ein Versuch, einer/einem z. B. als Lehrkraft in der
Sekundarstufe II Tätigen, Studierenden oder daran interessierten Schülerinnen
und Schülern relevante theoretische und konzeptuelle Aspekte
der Theorie für den Deutschunterricht und die Fachdidaktik zu erschließen.
In diesem Zusammenhang soll die vielfach vernetzte Hypertextstruktur von
teachSam in gewisser Weise das Netzwerk von Wissen abbilden, in dem sich die
Agenten des Deutschunterrichts (Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler)
bewegen.
Im Handlungsfeld des
Deutschunterrichts werden die Konzepte im Umfeld von Sprachhandlungstheorien
und Sprechakten selten explizit zum Thema gemacht. Über ein paar Bemerkungen
am Seitenrand oder in zusammenfassenden Registern wird man in Schulbüchern
jedenfalls kaum fündig, wenn man sich auf die Suche macht. Das soll
andererseits nicht heißen, dass Sprache als soziales Handeln oder
sprechakttheoretisch fundierte Ansätze nicht in mannigfacher Weise Einfluss
die schulische Praxis der Analyse mündlicher und schriftlicher
Kommunikation, von mündlichen und schriftlichen Texten gefunden hat.
Der Vorzug der
Kommunikationspsychologie
Geht es um die Analyse von
mündlichen Kommunikationsereignissen hat die ▪
Kommunikationspsychologie,
die aber im Vergleich zur sprachwissenschaftlich orientierten
Sprechakttheorie einen anderen Ansatz verfolgt, der Sprechaktanalyse klar den Rang
abgelaufen.
Ihre Modelle wie z. B.
das
Vier-Seiten-Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation
werden, sehr zum Unbehagen mancher sprachwissenschaftlich orientierter
Lehrkräfte und Fachdidaktiker, allenthalben wegen ihrer strukturellen
Einfachheit, Anschaulichkeit und Umsetzbarkeit in Analyseprozessen von
Kommunikationsereignissen eindeutig
bevorzugt. Entsprechende Bücher, vor allem die von Friedemann Schulz von
Thun sind Bestseller geworden, Geht es dabei um die Analyse von mündlichen
Kommunikationsprozessen hat sie unzweifelhaft Vorzüge. So wird im Einzelfall
zu entscheiden sein, ob bestimmte Aufgaben im Zusammenhang mit der Analyse
sprachlicher Kommunikation eher kommunikationspsychologisch oder eher text-
bzw. sprachanalytisch zu bewältigen sind.
Darüber hinaus können sich
beide Ansätze, insbesondere bei der Analyse von Kommunikationsereignissen in
der Schule wechselseitig sehr gut ergänzen, ohne dass sich Schülerinnen und
Schüler im Abgrenzungsdschungel unterschiedlicher theoretischer Fundierung
entsprechender Konzepte verirren, weil sie sich "durch den terminologischen
Wulst verschiedener Theorien quälen und diese Theorien nach irgendwelchen
Kriterien vergleichen und auf ihre Richtigkeit überprüfen sollen." (Häfele/Stammel
1984, S.6)
Nichts macht wohl die
unterschiedlichen didaktischen Ansätze für die wissenschaftsorientierte
Behandlung des Themas Sprechakte an der Universität und die
sprachdidaktische Orientierung in der Schule deutlicher als die
"Einführung in die
Sprechakttheorie" von Götz Hindelang (42004) und die an der
schulischen Praxis orientierten "Stundenblätter"
aus der Feder von Josef
Häfele und Hans Stammel (1984).
Induktiv statt
deduktiv: Sprechakte in Top-down- und Bottom-up-Verarbeitung
Im
Deutschunterricht spielt aus prinzipiellen didaktischen Erwägungen (z. B.
didaktische
Reduktion) und aus anderen Gründen, die auch mit der in den
verschiedenen Theorien unterschiedlichen Terminologie zusammenhängen, die
Sprechaktanalyse sowie Darstellung und die Problematik der ▪
Klassifikation von Sprechakten aufgrund
theoretischer Überlegungen naturgemäß untergeordnete Rolle.
Und es spricht
sogar einiges dafür, auf eine eingehendere Betrachtung sämtlicher Teilakte
von Sprechakten zu verzichten. (Häfele/Stammel
1984, S.43) Dies lässt sich in einem didaktischen Ansatz, der
kommunikationspsychologische Aspekte wie z. B. den von
Paul Watzlawick(1921-2007) (1974) in seinen berühmten »Axiomen
aus dem Jahr 1967/1969) betonten und vielfach dokumentierten
Beziehungsaspekt, mit sprechakt- bzw. illokutionstypischen sprachlichen
Realisierungen der Sprecherintention in sich überzeugend verbindet, ohne
Weiteres begründen.
Dies gilt zumal dann, wenn
in einem vom Alltagsverständnis von Sprechhandlungen ausgehendes Vorgehen
bei der Analyse angestrebt wird, das induktiv als
Bottom-up-Verarbeitung an der eigenen Sprachpraxis orientiert ist.
Theoretische Konzepte werden dabei dann herangezogen, wenn die induktiv
gewonnenen Erkenntnisse der Ergänzung bedürfen, um zu einem vertiefteren Verständnis von Sprechhandlungen
zu gelangen, wenn es drum geht, das Wissen, das "eigentlich" jede/r im
Vollzug seines Sprechens erworben hat, auf seine kommunikative und oder
sprachliche Bedeutung hin zu reflektieren. Was dabei in unterschiedlich
modellierten Lehr- und Lernprozessen in der Schule herauskommen soll, ist,
so besonders pointiert, gesagt: "es muss nur das ans
Licht gebracht werden, was wir unbewusst beherrschen." (ebd.,
S.43) Und diesem Zweck hat auch die Berücksichtigung der theoretischen
Konzepte zu Sprechhandlungen zu dienen.
Zugleich lässt sich die
Fokussierung auf den illokutionären Teilakt auch sprechakttheoretisch
legitimieren. Man kann in ihm ohne Weiteres den wichtigsten Aspekt des Sprechaktes
sehen, weil er, wie Searle meint, zur Bedeutung einer Äußerung hinzugehört.
Nur so kann der Adressat einer Äußerung nämlich die Intention des Sprechers erfassen
und erkennen, "dass etwas versprochen wird, das vor etwas gewarnt wird, dass
neue Information mitgeteilt werden soll usw." (Linke/Nussbaumer/Portmann,
2. Aufl., 1994, S.188). Und auch Searles eigene (engere) Definition des
Sprechaktes passt hierher, wonach ein Sprechakt die kleinste Einheit der
sprachlichen Kommunikation darstellt, die aus zwei aufeinander angewiesenen
Komponenten besteht, nämlich dem propositionalen Gehalt und der
illokutionären Funktion. (vgl.
Searle 1971,
S.30, vgl. Krämer 2001,
S.60)
Was aber von den
elaborierten Modellen der Sprechakttheorie in unterrichtlichen Lehr- und
Lernprozessen bleiben muss, wenn es nicht zu Übervereinfachungen kommen
soll, ist die Verbindung des Sprechaktes mit der "Zwei-Komponenten-Lehre" (Krämer
2001, S.61)aus propositionalem Gehalt und illokutionärer Funktion, die
darauf verweist, dass der jeweils in einem Sprechakt ausgedrückte
propositionale Gehalt stets "unselbständig (...) und angewiesen (ist) auf
seine Einbettung in die lllokutionären Akte (...) und erst im Zuge dieser
illokutionären Funktionsbestimmung (...) dann auch der propositionale
Gehalt eine Bedeutung (bekommt)." (ebd.)
Solange dieses Grundverständnis von Sprechakten erhalten bleibt, spricht aus
Gründen didaktischer
Reduktion nicht viel dagegen den illokutionären Akt als Sprechakt zu
bezeichnen.
Sprechaktklassifizierungen als Vertiefung induktiver Lernprozesse
Taxonomien und
Klassifikation von Sprechakten leiten meistens typische
Top-down-Verarbeitungsprozesse an und haben ihren Platz in der Forschung und
der universitären Lehre.
Das bedeutet aber
andererseits auch nicht, dass sie die Sprechaktanalyse in der Schule nicht
auch unterstützen können. Dabei geht es aber weniger um das Abarbeiten von
Merkmallisten als darum, die aus exemplarisch-analytischen, am intuitiven
Sprechhandlungsbegriff orientierten, selbst gewonnenen Gemeinsamkeiten und
Ähnlichkeiten bestimmter Sprechakte mit den wissenschaftlich-systematischen
Erkenntnissen zu vergleichen.
Dazu gehört im Übrigen auch
die Erkenntnis, dass auch die Wissenschaft in der Regel keine eindeutigen
Zuordnungen eines Sprechaktes zu einer bestimmten Klasse von Sprechakten
vornehmen kann. Dies ist angesichts der Tatsache, "dass sich die
Ähnlichkeiten zwischen den Sprechhandlungen überkreuzen" (Hindelang
(42004), S.46), schlichtweg kaum möglich.
Statt dessen geht es auch
hier um das aus der
Prototypensemantik
stammende Prinzip der
Familienähnlichkeit, letzten Endes also darum, wie sehr ein bestimmter
Sprechakt einem besten Vertreter seiner Art (Prototyp)
entspricht oder nicht. Dass die Fachwissenschaften dabei andere Maßstäbe an
Familienähnlichkeit anlegen, als unterrichtliche Lehr- und Lernprozesse
leisten können und sollen, ist unbestritten, schmälert aber die Bedeutung
solcher Zuordnungen auf der Grundlage von Ähnlichkeitsbeziehungen auf der
Basis des Alltagsverständnisses von Sprechhandlungen in schulischen Lehr-
und Lernprozessen nicht. Schließlich geben auch diese Orientierung und Hilfe
bei der Analyse sprachlicher Kommunikationsereignisse.
Zumindest eines ist beiden
bei der Konstruktion von Familienähnlichkeiten oder Verwandtschaften
gemeinsam: Sie können beide letztlich keine Auskunft darüber geben, ob ein
Vertreter prinzipiell einer bestimmten Kategorie zuzuordnen ist, oder nicht.
Letzten Ende können sie nur angeben, wie nah oder wie fern der jeweilige
Vertreter zu dem oder den
Prototypen steht, den
besten Vertretern einer bestimmten Kategorie (vgl.
Blank 2001, S.
47f.,
Heinemann/Heinemann 2002, S.103). Dies zum Gegenstand von
Kommunikationsprozessen in der Schule zu machen, ist Aufgabe sämtlicher
Klassifikationen von Sprechakten, seien sie bottom-up oder top-down
geleitetet oder eben in bestimmten Phasen des Lernprozesses mal so und dann
mal wieder anders.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.12.2020
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