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Erzählerbericht und Figurenrede (Ältere
Erzähltheorie) Der
▪
innere Monolog
ist eine Form der ▪
Figuren-/Personenrede
bei der ▪ Darstellung
von Gedanken
einer Figur durch den Erzähler
die eine besonders herausragende Stellung in der modernen Erzähltechnik
besitzt. Sie grenzt sich mal mehr, mal weniger deutlich von anderen Formen
der Bewusstseinswiedergabe (Gedankenbericht,
erlebte Rede,
Bewusstseinsstrom) ab. Ein
▪
Vergleich mit der
erlebten Rede bei der ▪ Darstellung von Rede und mentalen Vorgängen
kann dabei die jeweiligen Besonderheiten aufzeigen.
"Prinzip ist es, das Figurenbewusstsein selbst 'sprechen' zu
lassen: Wahrnehmungen, Empfindungen, Assoziationen aller Art,
Erinnerungen, Überlegungen, auch bloße Lautfolgen ohne ausdrückliche
Ankündigung oder Eingriff einer Erzählinstanz 'aufzuzeichnen'." (Vogt
1990, S.182f.)

Aber: Die
Definition des Begriffs innerer
Monolog ist nicht ganz einheitlich, so dass die Abgrenzung gegenüber der
Darbietungsform
des Bewusstseinstroms nicht immer leicht ist. So versteht man
darunter, z.B.:
-
die von
»James Joyce
(1882-1941) (»Ulysses, 1922, dt. 1927)
und Édouard Dujardin (1887) inspirierte Technik zur inneren
Versprachlichung von Bewusstseinsinhalten
-
die eher konventionellen Formen der Gedankenwiedergabe
(Gedankenbericht,
psycho-narration,
Selbstgespräch...)
-
die Gesamtheit aller dieser Techniken zur Wiedergabe
von Bewusstseinsinhalten mit Ausnahme des
auktorialen
Gedankenberichts
(vgl.
Vogt
1990, S.191)
Grundsätzlich sollten vier Aspekte berücksichtigt
werden, nämlich die innere Versprachlichung, die syntaktischen
Besonderheiten, das literarisches Verfahren und die psychologische
Existenz dieser Bewussteinsinhalte.
Merkmale
-
Ich-Form, 1. (ersatzweise auch 2.) Person Indikativ
Präsens;
-
syntaktisch unabhängig im
Vergleich zur indirekten Rede
-
Innensicht ohne kommentierende Einmischung des Erzählers bzw. der
Erzählinstanz; sowohl in vollständiger oder unvollständiger grammatischen Form;
unbeschränkte Zeichensetzung, aber ohne Anführungszeichen
-
Erzähler schlüpft in eine
Figur hinein und versucht deren Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen wiederzugeben; Erzähler während des inneren Monologs nicht mehr präsent.
Beispiel 1
[In der im Jahre 1900 entstandenen Erzählung »Leutnant Gustl«
von
Arthur Schnitzler (1862‑1931)
wird von einem jungen Leutnant berichtet, der nach einem Konzert von
einem Handwerker beleidigt worden ist. Da der Leutnant erkennen muss, dass
sein Beleidiger nicht satisfaktionsfähig ist, glaubt er keine andere Wahl
mehr zu haben, als sich zu erschießen. Von diesem Schicksal bleibt er
jedoch dadurch bewahrt, dass der Bäckermeister noch in der gleichen Nacht,
vom Schlag getroffen, eines natürlichen Todes stirbt. Der Leutnant erfährt
dies, nachdem er die ganze Nacht durch Wien gezogen ist und über seine
Lage nachgesonnen hat. Der nachfolgende Textauszug beinhaltet die
Situation, in der es zu den vom Leutnant als Beleidigung aufgefassten
Worten kommt. Der innere Monolog (hier zu einer
Monologerzählung gestaltet)
wird von der
direkten Rede deutlich
abgehoben, da bei der wörtlichen Rede
Anführungszeichen gesetzt
sind.
»Herrgott, ist das ein
Gedränge bei der Garderobe! … Warten wir lieber noch ein bissel … So!
Ob der Blödist meine Nummer nehmen möcht'? … "Sie,
zweihundertvierundzwanzig! Da hängt er! Na, hab'n Sie keine Augen? Da
hängt er! Na, Gott sei Dank! … Also bitte?" … Der Dicke da
verstellt einem schier die ganze Garderobe … Bitte sehr!" … "Geduld, Geduld!"
Was sagt der Kerl? "Nur ein bissel Geduld!" Dem muss ich doch antworten … "Machen Sie doch Platz!" "Na, Sie werden's auch nicht versäumen!" Was sagt er da? Sagt er das zu mir? Das ist doch stark! Das darf ich mir
nicht gefallen lassen! "Ruhig!" "Was meinen Sie?" Ah. so ein Ton? Da hört sich doch alles auf! "Stoßen Sie nicht!" "Sie, halten Sie das Maul!" Das hätt' ich nicht sagen sollen,
ich war zu grob … Na jetzt ist's schon g'scheh'n! "Wie meinen?" Jetzt dreht er sich um … Den kenn ich, ja! - Donnerwetter, das ist ja
der Bäckermeister, der immer ins Kaffeehaus kommt … Was macht denn der
da? Hat sicher auch eine Tochter oder so was bei der Singakademie … Ja,
was ist denn das? Ja, was macht er denn? Mir scheint gar … ja, meiner
Seel', er hat den Griff von meinem Säbel in der Hand … Ja, ist der Kerl
verrückt? … "Sie, Herr…" "Sie, Herr Leutnant, sein S' jetzt ganz stad." Was sagt er da? Um Gottes willen, es hat's doch keiner gehört? Nein, er
red't ganz leise … Ja, warum lasst er denn meinen Säbel net aus? …
Herrgott noch einmal … Ah, da heißt's rabiat sein … ich bring' seine
Hand vom Griff nicht weg … nur keinen Skandal jetzt! … Ist nicht am
End' der Major hinter mir? … Bemerkt's nur niemand, dass er den Griff
von meinem Säbel hält? Er red't ja zu mir! Was red't er denn? "Herr
Leutnant, wenn Sie das geringste Aufsehen machen, so zieh' ich den Säbel
aus der Scheide, zerbrech' ihn und schick' die Stück an Ihr
Regimentskommando. Versteh'n Sie mich, Sie dummer Bub'?" Was hat er
g'sagt? Mir scheint, ich träum'! Red't er wirklich zu mir? Ich sollt' was
antworten … Aber der Kerl macht ja Ernst - der zieht wirklich den Säbel
heraus. Hergott - er tut's! … Ich spür's, er reißt schon dran. Was
red't er denn? … Um Gottes willen, nur kein' Skandal - - Was red't er
denn noch immer? "Aber ich will Ihnen die Karriere nicht verderben … Also, schön
brav sein! … So, hab'n S' keine Angst, s' hat niemand was gehört … es
ist schon alles gut … so! Und damit keiner glaubt, dass wir uns
gestritten haben, werd' ich jetzt sehr freundlich mit Ihnen sein! - Habe
die Ehre, Herr Leutnant, hat mich sehr gefreut ? habe die Ehre." Um Gottes willen, hab' ich geträumt? … Hat er das wirklich gesagt? …
Wo ist er denn? … Da geht er … Ich müsst' ja den Säbel ziehen und
ihn zusammenhauen --
«
Beispiel 2
Auch in
▪
epischen Kleinformen wie
der
▪
Kurzgeschichte kann der
innere Monolog ein interessantes Merkmal der Erzählstruktur darstellen. In
der
▪
Kurzgeschichte ▪
Der
Antrag von ▪
Gabriele Wohmann
wird dabei auf die Kennzeichnung der direkten Rede mit
Anführungszeichen
verzichtet, so dass die Übergänge zwischen
▪
direkter Rede und innerem
Monolog in einer insgesamt
▪
personalen Erzählperspektive/Erzählhaltung "fließend" sind.
Lediglich der Sprecherwechsel im Dialog der beiden Hauptfiguren wird durch
ein einleitenden Spiegelstrich signalisiert. In dieser Textstelle der
Geschichte, in der ein Mann einer Frau einen Heiratsantrag für eine
Vernunftehe stellt, versucht der Mann fast krampfhaft zu zeigen, dass er
die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen für eine "Vernunftehe"
erfüllt.
"[...]
-
Eine Frau könnte mit mir sorglos leben, gesichert. Der Kugelschreiber
notierte imaginäre[1] Zahlen in die leise flimmernde Luft.
400 für den Haushalt, 50 Taschengeld, wenn sie zäh ist, geh ich auf 70
bis 75: so denkt er jetzt. Ohne Sorgen, ohne Freuden. Ehen ohne Liebe
sollen am haltbarsten sein. Vernunft kittet den Bund der Vernünftigen.
Sein spitz zulaufender Zeigefinger.
- Das ist schön, sagte sie steif.
- Es ist außerordentlich viel wert heutzutage, verbesserte er mit leisem
Unwillen, ernsthaft.
- Ja, Ja.
Tut mir unendlich Leid, bedaure sehr, aufrichtig, nein wirklich, sie
müssen mir glauben: ein anderer Träger, weich‑weißer Othello.
[...]
(aus: Gabriele Wohmann,
Sieg über die Dämmerung, München: Piper-Verlag 1960, S.142-146)
imaginär: nur in der Vorstellung vorhanden, nicht wirklich
Othello: dunkelhäutiger, arglos-vertrauensseliger General in
William Shakespeares (1564-1616), Tragödie gleichen Namens in fünf Akten
(The Tragedy of Othello, the Moor auf Venice, 1604); Othello wird von
seinem gegen ihn intrigierenden Untergebenen Jago in Eifersucht gegen
seine von ihm über alles geliebte Frau Desdemona gestürzt, die er
schließlich tötet. Nachdem er in Erfahrung bringen muss, dass Desdemona
ihm allerdings immer treu geblieben ist, richtet er sich selbst, während
Jago seiner gerechten Strafe zugeführt wird.
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Erzählerbericht und Figurenrede (Ältere
Erzähltheorie)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.02.2023
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