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Schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte
▪ Einen Erzähltext mit der Kategorientafel analysieren
▪
Die Doppelstruktur von erzählendem und erlebenden Ich in Gottfried
Kellers, Der grüne Heinrich analysieren
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Er-Erzählform mit auktorialen Ich-Kommentaren in Jean Pauls
"Siebenkäs" untersuchen
Petersens Konzept der Erzähltextanalyse
Jürgen H. Petersen
(geb. 1937) (1993,
72006)
hat in der Auseinandersetzung vor allem mit »Franz
K. Stanzels (geb. 1924)
Konzeption der ▪
Erzählsituation ein Konzept zur
Analyse
erzählender Texte entwickelt, das keine Erzähltheorie, sondern eine
"Deskriptionspoetik narrativer Texte fiktionaler Art" sein will und den
Versuch unternimmt, "alle zur Erfassung dieser Texte notwendigen
Kategorien darzustellen und einander funktional zuzuordnen." (Petersen
1993, S.8)
In Petersens ▪
Modell der
Erzähltextanalyse "(bezeichnen) alle spezifisch epischen Kategorien des
Erzählsystems bestimmte Verhältnisse in dem Beziehungsgeflecht zwischen
dem Erzählten, dem Narrator und dem Leser oder basieren auf ihnen." (ebd.,
S. 53), so wie er auch seine
Kategorientafel verstanden wissen will.
Petersens "Kategorientafel"
(ebd.), mit deren Hilfe sich in einem
erzählenden
Text wesentliche ▪ Erzählstrukturen in
ihrem Funktionszusammenhang analysieren lassen, zeichnet sich dabei nicht nur durch diese systemlogische
Struktur aus, sondern auch durch ihre beschränkte Anzahl von Kategorien in einer allgemein verständlichen
Terminologie aus, die
neueren Erzähltheorien,
die möglichst alle Strukturen erzählender Texte abbilden wollen, in der Regel abgeht. Aus
diesem Grunde ist die Erzähltextanalyse nach Petersen auch gut geeignet
für die ▪
schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte.
Eine der sechs
verschiedenen Hauptkategorien stellt dabei die Erzählform dar. Damit
bezeichnet
Petersen
(1993, S.53), das in der jenseits des Bewusstseins in der Welt als
solcher bestehende Verhältnis (ontisches Verhältnis) "des Erzählers zum
Erzählten, ob er nämlich von sich selbst, vom Angesprochenen oder von
Dritten erzählt."
Ich-Form
In dieser Form berichtet der Erzähler "(auch) von sich selbst" und
das Ich kann sowohl "als erzählendes Medium als auch als handelnde
Person" in Erscheinung treten. (Petersen
72006, 46) Dabei ist
die Verwendung des Personalpronomens
Ich zwar ein ein wichtiger Indikator für diese Erzählform, kann aber
durchaus, zumindest "streckenweise" (Petersen
1993, S.64), sie kann aber auch in der Er-Form vorkommen.
Was die Ich-Form von
der Er-Form grundsätzlich unterscheidet ist hingegen die Tatsache,
"das das Erzählen eines Ich-Erzählers einen
Doppelaspekt erhält: Es lässt den Erzählenden ebenso erkennbar
werden wie den Erlebenden, das Erzählen wird bipolar." (Petersen
1993, S.56).
Dies Struktur der
Ich-Form schafft eine bipolare Zweidimensionalität
bzw. einen Doppelaspekt: Einzig der
Ich-Erzähler ist dabei als Erzählmedium zu verstehen und zugleich
weist er eine als Ich greifbare Personalität auf.
Er erzählt die Geschichte (erzählendes Ich,
sich erinnerndes Ich), kann aber
auch innerhalb der von ihm dargestellten Welt selbst auftreten
und agieren (erinnertes Ich). So zeigt sich auch der maßgebliche
Unterschied zur Er-Form darin, "dass es zwischen Erzählendem und
Handelndem nicht nur eine Differenz, sondern eben auch eine
Identität gibt." (ebd.)
Während der Er-Erzähler grundsätzlich von anderen erzähle, tue dies
der Ich-Erzähler dazu noch von sich selbst. Die "Zweidimensionalität
ichhaften Erzählens" steht der
"Eindimensionalität
erhaften
Erzählens" (ebd.,
Hervorh. d. Verf.) gegenüber.
Petersen verdeutlicht
den Unterschied des zweidimensionalen ichhaften und
des eindimensionalen erhaften Erzählens an einem Auszug aus ▪
Gottfried Kellers Der grüne Heinrich,
den er in seiner originalgetreuen Ich-Form einer abgewandelten Er-Form
gegenüberstellt. (▪
Die Doppelstruktur von erzählendem und erlebenden Ich in Gottfried
Kellers, Der grüne Heinrich analysieren)
Natürlich hängt die
Wahrnehmung der Personalität eines Ich-Erzählers, auf das, was er als
Aussagesubjekt sagt oder auch nicht sagt, auch vom
▪
Erzählverhalten ab, das der an den Tag legt. Darüber
hinaus hat es auch eine selbstcharakterisierende Funktion.
Erzählt er durchgängig
▪ neutral, bleibt zwar die
Zweidimensionalität bzw. Bipolarität grundsätzlich erhalten, der Leser
wird jedoch kaum charakterisierende Rückschlüsse auf den Erzähler als
Person bzw. Persönlichkeit ziehen können. (vgl.
ebd., S.59)
Ein ▪
neutrales Erzählverhalten des
Ich-Erzählers über einen längeren Textabschnitt kann aber auch ohne
Weiteres dazu führen, dass die Ich-Erzählung und die Er-Erzählung so
ähnlich werden, dass man den Eindruck gewinnt, die Grenzen zwischen
ihnen seien gänzlich verschwunden. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Umgekehrt bewirkt auch "das extrem auktoriale, ichhafte Auftreten eines
Er-Erzählers" (ebd.)
keinen Übergang zur Ich-Erzählform.
Er-Form
Bei der Er-Form spricht
der Erzähler grundsätzlich von Dritten und verwendet dafür gewöhnlich
auch die Personalpronomina der dritten Person. Auch wenn man als Leser
den Eindruck gewinnen kann, dass der Erzähler bei der Er-Form völlig
verschwindet, bleibt er mit einer offenkundig distanzierten
Erzählhaltung vorhanden, wenn er z. B. etwas ironisch kommentiert oder das Erzählte
irgendwie einfärbt, Allerdings ist er weder eine fiktive oder
fingierte Person, so dass er als solche eigentlich auch nicht
verschwinden kann.
Auch wenn der Erzähler
in der Er-Form keine Personalität besitzt, sondern stattdessen ein
personalitätsloses Medium darstellt, kann er, je stärker sein
▪
Erzählverhalten ▪
auktorialer
wird (z. B. durch Kommentare) mit quasi individuellen Eigenschaften
ausstaffiert werden, die aber dennoch auf keine Person zurückverweisen.
(vgl. ebd.,
S.59)
Ich- und Er-Form
unterscheiden sich deutlich. Während in der Ich-Form nur das
dargestellt werden kann, was sich auf das Erzähler-Ich beziehen lässt
und mit diesem eng verbunden ist, ist dies bei der Er-Form nicht der
Fall. (vgl. ebd.,
S.54)
Wenn ein Ich-Erzähler z.B. in einem Briefroman oder in einer
tagebuchartigen Erzählung, darauf zu sprechen kommt, was er selbst
erlebt hat, wird dies besonders deutlich. Allerdings gibt es auch hier
Fälle, in denen sich eine "prinzipielle Zeitlosigkeit und temporale
Unbestimmtheit" (ebd.)
des Erzählten einstellt, die Ich- und Er-Form miteiander verbinden kann
und bewirkt, dass der Leser die diskrepante "zeitliche
Abschichtung zwischen dem Jetzt des Erzählens und dem Damals des
Erlebens" (ebd.)
kaum mehr herauslesen kann.
Auch die Tatsache, dass
ein Erzähler ein "Ich" verwendet und in der ersten Person spricht, zieht
indessen keinen Wechsel von der Er- zur Ich-Form nach sich, solange
seine Ausführungen, mit denen er sich z. B. auktorial kommentierend in
das Geschehen einmischt, "im Prinzip nicht von sich selbst
erzählt, sondern von anderen, auch wenn er seine Empfindungen und
Meinungen einfließen läßt." (ebd.,
S. 60). Dadurch wird zwar sein Profil geschärft, der Erzähler bleibt
aber weiterhin nur ein Erzählmedium und besitzt seine Personalität.
Petersen verdeutlicht dies am Anfang des Romans "Siebenkäs" von Jean
Paul, in der der Er-Erzähler sich in seine autorialen mit "ich"
signalisierten Komentare so sehr versteigt, dass man den Eindruck
gewinnt, er findet eigentlich nur unter großen Anstrengungen zur
eigentlichen Geschichte zurück. (▪
Er-Erzählform mit auktorialen Ich-Kommentaren in Jean Pauls
"Siebenkäs" untersuchen)
Du-Form
Die Du-Erzählform stellt im Grunde eine Variante der Ich-Erzählform
dar. Als eine Art "Halb-Dialog, in dem der angesprochene Redepartner
niemals zu Worte kommt" (ebd.,
S. 65) kann sie, sieht man vielleicht von ihrer Verwendung im inneren
Monolog ab, bei der eine Figur dann quasi mit sich selbst wie einer
anderen Person spricht, aber auch etwas befremdlich wirken.
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Schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte
▪ Einen Erzähltext mit der Kategorientafel analysieren
▪ Die Doppelstruktur von erzählendem und erlebenden Ich in Gottfried
Kellers, Der grüne Heinrich analysieren
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Er-Erzählform mit auktorialen Ich-Kommentaren in Jean Pauls
"Siebenkäs" untersuchen
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.10.2022
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