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Den Entdeckungs- und den Begründungzusammenhang unterscheiden
Beim
Argumentieren passiert
es schnell, dass die eigentlichen Argumente und die Motive, die jemanden zur
Äußerung bestimmter Argumente veranlassen, durcheinander gebracht werden.
Dabei handelt es sich um grundverschiedene Dinge. Ihre Verwechslung kann
natürlich auch bewusst herbeigeführt werden.
Die so genannte
Ad-personam- oder Personalisierungstechnik der
Eristik, jene Methode
nichtpartnerschaftlichen Argumentierens also, bei dem die sich äußernde
Person und deren vermeintlichen Motive angegriffen werden, statt sich mit der
Wahrheit ihrer Äußerung auseinanderzusetzen, legt davon ein beredtes Zeugnis
ab.
Aus diesem Grunde wird in der Logik und Wissenschaftstheorie beides
streng voneinander abgehoben. Man unterscheidet dabei den Entdeckungs-
vom Begründungszusammenhang, denn "wie eine Behauptung zustande gekommen
ist, sagt in der Regel nichts über ihre Wahrheit oder Falschheit" aus. (Bayer
1999, S.99f.)
Genetischer Fehlschluss
In der formal-logischen Argumentationsanalyse wird, wenn Einzelheiten des
Entdeckungszusammenhangs unangemessen in den Begründungszusammenhang
eingehen, von einem genetischen
Fehlschluss gesprochen. Der genetische Fehlschluss ist dabei auch
Grundlage zahlreicher Killerphrasen, mit denen die Äußerungen eines anderen
abgewertet werden sollen. (z. B. Sie als Frau sollten das doch besser wissen
... – Mit Ihrer Vorgeschichte würde ich hier den Mund nicht so voll
nehmen... etc.)
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Der
Entdeckungszusammenhang
eines Arguments umfasst den Kontext, in dem bestimmte Argumente
vorgebracht werden. Dazu zählen psychische, soziale, historische,
persönliche etc. Faktoren.
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Zum
Begründungszusammenhang
zählen dagegen die Argumente, mit denen eine bestimmte Behauptung gestützt
wird.
Der genetische Fehlschluss kann in verschiedenen Varianten vorkommen. So
kann man z. B. den personenbezogenen, den sachbezogenen und den konsensuellen Fehlschluss
voneinander unterscheiden. (Stengel
2005, S.19ff.)
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Beim
personenbezogenen
genetischen Fehlschluss wird mit Argumenten operiert, die sich
mehr oder weniger direkt gegen die Person (ad personam, ad hominem)
richten. Dabei wird meistens ein Vorwurf erhoben oder eine Unterstellung
ausgesprochen. Dies ist z. B. bei der obigen Abbildung der Fall. (vgl.
→Personalisieren)
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Beim
sachbezogenen
genetischen Fehlschluss wird auf Weltbilder, Ideologien,
Traditionen oder einfach bestimmte Vorurteile zurückgegriffen, um die
eigentlichen Argumente zu entwerten. Beispiele: a) Sie treten doch nur für höhere Löhne ein, weil
Sie als Marxist den Klassenkampf anheizen wollen. b)
Empfängnisverhütung ist ein Teufelswerk, da braucht man nur die Bibel
zur Hand nehmen.
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Beim
konsensuellen
genetischen Fehlschluss beruft man sich auf die Allgemeinheit,
genauer: auf eine von einer größeren Zahl von Menschen geteilte
Auffassung. Mit dem Hinweis auf diesen (vermeintlichen oder auch
existierenden) Konsens soll die zuwiderlaufende Meinung beiseitegeschoben werden. Beispiele:
a) Die Todesstrafe für Mörder wäre die richtige
Antwort auf so ein Verbrechen. Das sagen alle, mit denen ich darüber
geredet habe. b) Wenn Millionen Menschen daran glauben, dass ihr
Leben in Gottes Hand liegt, dann können sich doch nicht alle irren.
(vgl.
→Gesunder Menschenverstand)
Ein Sieg-Niederlage-Modell
Wer mit genetischen Fehlschlüssen absichtlich operiert, um einem
Sieg-Niederlage-Modell folgend das, was
der Partner/der Kontrahent sagt, einfach beiseite zu schieben, ist also
nicht gerade partnerschaftlich unterwegs. Denn letzten Endes will man
damit auch die →Redefreiheit des
Gegenübers einschränken, indem man ihm die Möglichkeit nimmt, seine
Argumente ungehindert von persönlichen Angriffen vorbringen zu können.
(vgl.
Kienpointner 1996,
S.27f.)
Alltagsargumentationen sind meistens emotional gefärbt
Bei
aller Kritik an dieser Art zu argumentieren, sollte man freilich nicht
außer Acht lassen, dass gerade man in Alltagsargumentationen
realistisch bleibt.
Einstellungen, Gefühle
und Wertvorstellungen spielen gerade hier oft eine besondere Rolle und
die
emotionale Färbung bei Alltagsargumentation im Rahmen bestimmter
Grenzen gehört einfach dazu. Das führt entsprechend dazu, dass im Alltag
eine rein sachliche, "vollkommen neutrale, wertfreie Ausdrucksweise kaum
möglich ist" (Kienpointner
1996, S.21).
Es lohnt sich also nicht, jedes Argument, das als
Angriff auf die Person (ad-personam bw. ad hominem) geführt wird, als
nichtpartnerschaftlich abzutun und zurückzuweisen. Dennoch sollte man
darauf achten, seine Argumente in einer möglichst überparteilichen
Ausdrucksweise vorzubringen.
In der Alltagsargumentation ist der Entdeckungszusammenhang
besonders wichtig
Der Entdeckungszusammenhang ist einfach für die alltägliche
Argumentation besonders wichtig.
Wie
Klaus Bayer (1999, S.102) betont, bestimmt er mit seinen intuitiven und
assoziativen Verknüpfungen und Schlüssen im "freien Spiel von Intuition,
Phantasie, Kreativität und Scharfsinn" nämlich die ersten Phasen des
Erkenntnisprozesses.
Gerade dabei entfaltet er eine außerordentlich hohe
Produktivität. Aus diesem Grund müsse man sich aller "schulmeisterlichen
Versuche" enthalten, "das Denken an strenge logische Regeln zu binden", denn
sie würden "das Denken behindern und schließlich ganz ersticken."
Die Geistesblitze, Ideen, anfänglichen Eingebungen und Hypothesen
gehen nämlich der logischen Argumentationsanalyse im Allgemeinen
voraus, die "erst bei deren nachträglicher Kontrolle und Kritik von
Bedeutung ist." (ebd.)
Gegenstrategie bei einem genetischen Fehlschluss
Wer einem mit einem genetischen Fehlschluss vorgetragene Argument begegnen
und den darin u. U. enthaltenen Vorwurf zurückweisen will, tut gut
daran, darauf hinzuweisen, dass es um die Sache, nicht um die Person
geht. Eine andere Möglichkeit, um einen solchen Angriff abzuwehren, besteht
darin, die einem z. B. beim personenbezogenen Fehlschluss zugeschriebene
Eigenschaft nicht zurückzuweisen, sondern sogar zu bekräftigen, indem
man sie entsprechend umdeutet. Auf die Argumentationen: "Sie sind ein solcher Hitzkopf, da kann ich Sie
beim besten Willen nicht mehr ernst nehmen." ließe sich dann kontern:
"Wenn Hitzkopf bedeutet, dass mich diese Vorgänge auch emotional nicht
kalt lassen, sondern ich mehr und mehr wütend darüber bin, dann bin ich
gerne ein Hitzkopf." (vgl.
Herrmann u. a. 2011, S.116f.)
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pdf-Download Gert Egle, zuletzt
bearbeitet am:
17.12.2023
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Arbeitsanregungen:
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Erklären Sie mit eigenen
Worten, was man unter dem Entdeckungs- und dem Begründungszusammenhang
bei der Argumentation versteht.
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Ordnen Sie die nachfolgenden
Beispiele den verschiedenen Arten des genetischen Fehlschlusses zu.
Vervollständigen Sie - falls nötig - die betreffende
Argumentation:
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Haben Sie denn selbst
überhaupt Kinder?
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Millionen Amerikaner
besitzen Waffen, weil sie sich damit sicherer fühlen. Wenn so viele
Menschen davon überzeugt sind, kann das nicht falsch sein.
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Straftäter, die wegen
sexuellen Missbrauchs verurteilt worden sind, kann man nicht
resozialisieren. Das liegt denen im Blut.
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Sie meinen wohl, dass Sie
mit Ihrer Taktlosigkeit punkten können!
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Du hast doch nie Fußball
gespielt, wie willst du dann beurteilen, ob das ein Foul gewesen
ist.
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Die Grünen kennen sich in
Wirtschaftsfragen doch nicht aus, die kümmern sich doch fast
ausschließlich um Ökologie.
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Sie wirkte bei Ihrem
Vortrag sehr nervös. Wahrscheinlich hat sie selbst nicht daran
geglaubt, was sie gesagt hat.
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Die Opposition versucht
mit ihren Angriffen gegen unsere angeblich verfehlte Energiepolitik
nur von ihrer eigenen Konzeptionslosigkeit abzulenken.
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In welchen Grenzen lässt sich
diese Art der Argumentation im Alltag akzeptieren?
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Beurteilen Sie die
Möglichkeit der Gegenstrategie und erläutern Sie dies mit eigenen
Beispielen.
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