Formulierungen, die wir in unserer alltäglichen
Kommunikation verwenden, sind nicht selten Ursache von Missverständnissen,
weil sie unterschiedliche Interpretationen
zulassen.
Wer z. B. sagt "Paul lässt sich wieder Zeit." darf sich nicht
wundern, wenn diese Äußerung beim Empfänger verschiedene Interpretationen
zulässt.
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So könnte diese Formulierung verstanden werden als Tadel, weil Paul
etwa dazu neigt, zeitliche Vorgaben nicht einzuhalten.
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Auf der anderen Seite könnte mit dieser Äußerung aber auch Anerkennung
zum Ausdruck gebracht werden, die Pauls bedachte Art vor Entscheidungen
positiv hervorheben soll.
In der
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Kommunikationspsychologie und der
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linguistischen Pragmatik hat man sich gerade auch mit dieser Problematik
beschäftigt und verschiedene interessante Ansätze (u. a.
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Friedemann Schulz von Thuns Modell des Nachrichtenquadrats oder die
Sprechakttheorie im Gefolge der Arbeiten von Austin und Searle.)
Nicht zuletzt am Vorhandensein unterschiedlicher Interpretationen liegt
es, dass es beim Argumentieren häufig zu
Scheineinigkeit oder
Scheinuneinigkeit kommen kann, die wohl die häufigste Ursache von
Missverständnissen darstellt. (vgl.
Klaus Bayer 1999, S.77f.)
Instrumente um derartigen Missverständnissen vorzubeugen, stellen beim
Argumentieren die Präzisierung und die
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Definition dar.
Je genauer wir sagen, was wir meinen, um so geringer wird der
Interpretationsspielraum, den unsere Formulierungen unserem Gegenüber
zugestehen.
Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der Kontext, in dem bestimmte
Äußerungen vorgebracht werden, aber auch das nonverbale Verhalten häufig
genügend Informationen liefern, die eine etwas unklare Formulierung
hinreichend präzisieren. (Disambiguierung,
Monosemierung). Hier liegt aber auch einer der maßgebenden Unterschiede
zwischen der mündlichen (face-to-face) und der schriftlichen Form der
Kommunikation.
Allen Aufforderungen zur Präzisierung zum Trotz muss allerdings auch betont
werden, dass es dabei stets nur um einen Näherungswert gehen kann und
Präzisierungen immer nur im Hinblick auf ihre Angemessenheit für eine
bestimmte Kommunikationssituation beurteilt werden können.
Denn, darauf
macht
Klaus Bayer (1999, S.84) aufmerksam, wenn er betont, man dürfe sich
Formulierungen "nicht etwa als Transportbehälter vorstellen, mit denen wir
Informationen aus unserem Kopf einfach in fremde Köpfe übertragen könnten.
Eine Formulierung besteht aus materiellen Zeichen, aus Folgen von
Luftschwingungen oder Tintenfleckchen auf Papier, die den Adressaten anregen
sollen, in seinem Kopf aus den dort bereits vorhandenen Elementen einen
Gedanken zu konstruieren. Welcher Gedanke dies schließlich sein wird, hängt
deshalb ab von der gewählten Formulierung, ebenso aber auch von diesem im
Kopf des Adressaten bereits vorhandenen Elementen und von dessen
Sprachkompetenz."
Insbesondere in der Werbung, aber auch in der
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politischen Rede, finden sich zahlreiche Beispiele wie die mangelnde
Präzisierung von Formulierungen eine große Zahl von Interpretationen zulässt
und meistens auch zulassen soll. In der Rhetorik spricht man in diesem
Zusammenhang auch von
Leerformeln.
Der neue Waschvollautomat XY ist besonders wirtschaftlich.
Diese Formulierung lässt natürlich eine Vielzahl von Interpretationen zu,
z. B. die folgenden:
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Der neue Waschvollautomat hat einen vergleichsweise besonders
günstigen Preis.
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Der neue Waschvollautomat besitzt eine sehr lange Lebensdauer.
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Der neue Waschvollautomat verbraucht wenig Strom.
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Der neue Waschvollautomat verbraucht weniger Wasser als vergleichbare
Geräte.
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Der neue Waschvollautomat ist recyclebar.
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Der neue Waschvollautomat besitzt eine besonders große Wäschetrommel.
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Der neue Waschvollautomat hat zahlreiche Energiesparprogramme.
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Der neue Waschvollautomat hat einen geringen Platzbedarf. etc.
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Gert Egle, zuletzt
bearbeitet am:
17.12.2023