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"Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste,
stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen
fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht
nahe, zur Thüre. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus
deßen Nebeln eine neue Schöpfung heranbricht!" - So will es ein
Zeitgenosse mit eigenen Augen gesehen haben, was sich während und nach
der fünfstündigen Uraufführung von
Friedrich Schillers
Drama "Die
Räuber" im »Mannheimer Nationaltheater abspielt. Auch wenn
der Bericht möglicherweise nicht authentisch ist (vgl. Schmidt
1959, S.151), gilt diese Uraufführung "als eines der ganz großen,
bahnbrechenden Ereignisse in der deutschen Theatergeschichte".
(ebd.)
Der Nachhall der Uraufführung schlägt sich auch in modernen Biographien
nieder, die dem Stück bei seiner Uraufführung einen "triumphalen" (Sautermeister
2005, S. 2) oder "achtbaren Erfolg"
(Alt Bd. I, 2004,
S. 281) attestieren. Ja, man hat sogar angemerkt, dass Schiller "nach so einem
sensationellen Erfolg [...] heute als neuer Stern im Literaturbetrieb
gefeiert, in Talkshows eingeladen und in sämtlichen Boulevard-Zeitungen
vorgestellt" werden würde (Mai
2004, S. 66).

Der Bau des Nationaltheaters geht auf den »Kurfürsten
Karl Theodor von der Pfalz und Bayern (1724-1799) zurück, der den
Umbau des kurfürstlichen Zeug- und Schütthauses in ein dreigeschossiges
Theaterhaus in Auftrag gibt. Zum Zeitpunkt der Uraufführung der "Räuber"
hat das Theater seit zwei Jahren ein festes Ensemble, dem herausragende
Schauspieler wie »August
Wilhelm Iffland, »Heinrich
Beck und »David
Beil angehören. Seit 1778 ist
Wolfgang Heribert Freiherr von Dalberg als Intendant mit der Leitung
des Theaters betraut, das auch nach dem Wegzug des kurfürstlichen Hofes
nach München in Mannheim bestehen bleibt. Unter Dalbergs Leitung beginnt
sich in Mannheim nach dem richtungsweisenden Gastspiel »Friedrich
Ludwig Schröders
(1744-1816) im Sommer 1780 ein besonderer Darstellungsstil des
Ensembles zu entwickeln, da "der große, gefeierte Kollege" den
Mannheimer Schauspielern klarmacht, "dass auch für sie der Weg zu einer
wirklichkeitsverbundenen Darstellungskunst - unmittelbar ausdrucksfähig
für Gefühle, Empfindungen und Leidenschaften - eindeutig vorgezeichnet"
ist. (Schmidt
1959, S.153) Im Jahr vor Schillers "Räubern" gehen in Mannheim
u. a. zwei literarisch unbedeutende, aber beim Publikum höchst beliebte
Stücke, das Trauerspiel "Agnes Bernauerin" eines Grafen von
Törring-Guttenzl und der »Sturm von Boxberg« des Hofgerichtsrats Maier,
in dem an die Taten des Kurfürsten Friedrichs des Siegreichen erinnert
wird,
über die Bühne, die mit ihrem Rasseln von Rüstungen und Klirren von
Sporen den Siegeszug von "Helden- und Ritterstücken" auf der Mannheimer
Bühne einläuten. Daneben macht sich aber eine zweite Tendenz bemerkbar,
die mit der Aufführung von »Otto
von Gemmingens (1775-1836) Schauspiel "Die Familie" (Nebentitel »"Der
deutsche Hausvater"), dem Erfolgsstück vieler anderer Bühnen in
Deutschland über Jahre hinweg, ihren Ausgang nimmt.

Otto von Gemmingen, der Freund Schröders und Dalbergs, gilt als Begründer des
moralisierenden bürgerlichen Familienrührstücks in Deutschland. Sogar
Schiller zollt ihm einen gewissen Beifall. Mit Gemmingens Stücken
beginnt in Mannheim die Inszenierung einer Reihe so genannter "Familiengemälde".
Diese stehen für eine "Stückgattung von aufdringlich
rührseliger, bürgerlich-moralistischer Sentimentalität in Milieu,
Konfliktsituation und Figurenzeichnung." (ebd.,
S.154) Ihr Schauspieltstil begünstigt eine Repertoireentwicklung, die
sich zwischen dem personenreichen und handlungsgewaltigen Ritterdrama
auf der einen und dem bürgerlichen Familienrührstück auf der anderen
Seite bewegt. Beides bestimmt auch die Änderungen, die
Dalberg Schiller im Sommer 1781 bei der Bühnenbearbeitung der "Räuber"
abverlangt oder ganz
ungeniert selbst vornimmt, ohne den Autor zu fragen. Dazu kommt das
unüberschreitbare Credo des Intendanten und seiner Schauspieler, auf die
Bühne nur das zu bringen, was sich mit
Anstand und Schicklichkeit verträgt. Schiller, der sich dem allem
beugen muss, hofft zwar noch durch eine Probenteilnahme - für die
Übernahme der Kosten für die Reise fragt er bei Dalberg ergebnislos nach
- das eine oder andere in seinem eigenen Sinne beeinflussen zu können,
aber Dalberg will sich offenbar von ihm keinen Strich mehr durch die
Rechnung machen lassen. Daher lädt er den Autor Schiller unter Übernahme
der Reisekosten erst zu der Uraufführung des Stücks im Mannheimer
Theater am 13.1.1782 ein. Erst an diesem Tag bekommt Schiller zu sehen,
was Dalberg und das Mannheimer Ensemble aus seinem Stück durch ihre am
Publikumsgeschmack orientierte Bearbeitung, wie sie im
Mannheimer
Soufflierbuch von 1781/82 erhalten ist, gemacht haben: sinnfällig
gemachte bürgerliche Moralität in einem "Familiengemälde" der besonderen
Art für ein nach, aller Sensationsgelüste zum Trotz, Moral dürstendes
Publikum, von dem Heinrich Beck, der Darsteller des Kosinsky in einer
Tagebuchnotiz ein paar Tage nach der "Räuber"-Aufführung sagt, dass es
"die abgedroschenste langweiligste Moral [...] zuverlässig mit einem
Bravo begleitet" (zit. n.
Schmidt 1959, S.155).
Das Publikumsinteresse zur Aufführung des Stückes, das seit der
Buchausgabe in Mund-zu-Mund-Propaganda in Erwartung einer
Theatersensation stetig wächst, schlägt sich in einem bemerkenswerten
Andrang bei der Sonntagsvorstellung am 13. Januar 1782 nieder. Wer in
dem 1000 Zuschauer fassenden Theater Platz bekommen will und keine der
zahlreichen Logen reservieren kann, tut gut daran, seinen Sitz schon
mittags um ein Uhr einzunehmen, um diesen bis zum Beginn der Aufführung
um 17.00 Uhr besetzt zu halten. Für das, was da auf der Mannheimer Bühne
angekündigt ist, nimmt man auch größere Wegstrecken, selbst im Winter,
auf Ross oder in der Kutsche, auf sich und reist aus der ganzen Umgebung
von Darmstadt, Worms, Speyer und sogar aus Frankfurt an.
Bis es am späten Nachmittag losgeht, können sich die eingetroffenen
Leute, neben anderem, mit dem eigens zur Aufführung auf Drängen Dalbergs
von Schiller verfassten
Theaterzettel beschäftigen. Diesem kann das Publikum neben der
Besetzung moralisch-wertende Hinweise zu den wichtigsten Figuren
entnehmen und zuletzt die Aufforderung an jugendliche Heißsporne, der
Faszination des "großen" Räubers nicht zu erliegen und im Glauben
mangelnder göttlicher Voraussicht einfach daran zu glauben, die Welt
nach eigenem Gutdünken einrichten zu können. Es ist anzunehmen, dass sie
nach diesen Ausführungen noch gespannter darauf sind, was es mit diesem
"berüchtigten Stück" (Streicher in seinen Erinnerungen, vgl.
Schmidt 1959, S.178) und seinem Autor, von dem das Gerücht die Runde
macht, er werde selbst da sein, auf sich hat.
Schiller selbst versäumt den Beginn der fünfstündigen Aufführung um ein
Haar. Mit seinem Freund
Johann Wilhelm Petersen macht er sich heimlich, da er als
Militärangehöriger ohne Erlaubnis seines
Herzogs Carl Eugen von Württemberg
die Landesgrenze nicht überschreiten darf, auf den Weg. Da beide
unterwegs längere Zeit bei einem Kellnermädchen in Schwetzingen
hängenbleiben, ist es höchste Zeit, als sie im Mannheimer Theater die
für sie beide reservierte teure Loge beziehen.
Als der Vorhang aufgeht, springt der Funke, wie Schillers Freund
Streicher in seinen Erinnerungen (1836) festhält, in den ersten drei
des in Dalbergs Bühnenfassung auf sieben Handlungen ausgelegten
Geschehens offenbar zunächst nicht so recht über. "Die ersten drei Akte
machten die Wirkung nicht, die man im Lesen erwartet", notiert er und
fährt fort, dass die letzten drei dafür alle Zuschauer noch voll auf
ihre Kosten kommen ließen. »August
Wilhelm Iffland
(1759-1814), der im Stück
Franz Moor
verkörpert, liefert eine herausragende Leistung und zieht die anderen
Schauspieler mit: Johann Michael Boeck (Karl Moor), Johann
David Beil (Schweizer), Heinrich Beck (Kosinsky), Andreas Friedrich
Pöschel (Spiegelberg), Christian Wilhelm Dietrich Meyer (Hermann),
Johann Georg Kirchhöfer (der alte Moor) und Anna Elisabeth Toscani
(Amalia).
Nach der Vorstellung setzt sich Schiller noch mit
Dalberg, dem Mannheimer
Hofbuchhändler
Schwan sowie anderen Honoratioren und dem Ensemble an
eine große Tafel, erörtert mit dem Intendanten Möglichkeiten einer
weiteren Zusammenarbeit und schlägt ihm unter anderem vor,
Goethes
Drama "»Götz
von Berlichingen" für die Mannheimer Bühne zu bearbeiten. Dann kehrt er
sichtlich zufrieden und erfüllt von dem "Wirbel" um seine Person nach
Stuttgart zurück. Noch von dieser Hochstimmung getragen lässt er Dalberg
vier Tage nach der Aufführung in einem Brief wissen: " Ich glaube, wenn
Deutschland einst einen dramatischen Dichter in mir findet, so muss ich
die Epoche von der vorigen Woche zählen." (zit. n.
Wais 2005, S. 36)
In der Literaturwissenschaft hat man sich immer wieder mit der Frage
befasst, was letztlich den Ausschlag gegeben hat, dass Schillers
"Räuber" als Erstlingswerk einen solchen Erfolg hat und bei seiner
Uraufführung die eingangs erwähnten "tumultartigen" Zustände auslöst.
Zweifelsohne müssen dafür eine ganze Reihe von Gründen herangezogen
werden, die sich nicht in Schlagworten wie "jugendlicher Genialität",
"jugendlichem Exzess" oder einer dem Drama zugeschriebenen "Atmosphäre
wenn nicht des Gefährlichen, so doch des Monströsen" (Storz
31963, S. 21) erschöpfen. Hans-Richard
Brittnacher (1998, S. 326) hebt dazu hervor: "Was nicht nur
Zuschauer, sondern auch Leser […] in derartige Gefühlsstürme versetzte,
kann dem Stoff des Dramas allein nicht geschuldet sein - feindliche
Brüder, abgefeimte Intrigen und kraftgenialische Exzesse gehörten
zum Repertoire des Sturm und Drang, Einwände gegen den Despotismus und
Intoleranz hatte auch das bürgerliche Trauerspiel formuliert. Und selbst
die Räuberfolklore mit ihrem Motiv des hochherzigen Briganten war
keineswegs Schillers Erfindung. Zu seiner außerordentlichen Wirkung
verhalfen dem Stück des Debütanten wohl eher philosophischer Mut und
dramatischer Leichtsinn. Philosophischer Courage bedurfte es, die
Desorientierung seiner Zeit, den Zusammenbruch einer verbindlichen
Vaterwelt und das Drama der Individualität ungeschminkt darzustellen,
statt sie in der bewährten Dramensprache von Aufklärung und
Empfindsamkeit abzuhandeln. Dramatischer Leichtsinn oder zumindest
jugendliche Unbekümmertheit war die Verschmelzung von zwei geläufigen
mit zwei obsoleten Traditionen des Theaters: die unverstellte Krudität
des
Sturm und Drang und die schneidende Aggressivität des
Aufklärungsdramas verbanden sich auf eine eigentümliche Weise mit dem
hochgestimmten Pathos der Oper und der archaischen Konsequenz der
attischen Tragödie." Aber auch diese Einschätzung bedarf einer gewissen
Ergänzung, zumindest wenn man sich auf die Vorkommnisse bei der
Uraufführung des Stückes im Mannheimer Nationaltheater bezieht. Es
spricht nämlich vieles dafür, dass die Bearbeitung des Stückes, auch
gegen den Willen und mancher Intentionen Schillers, durch Dalberg
letztendlich entscheidend dazu beigetragen hat, dass ein im Rührstück
und Ritterdrama sich gänzlich heimisch fühlendes Publikum der
sentimental-rührseligen
Dalbergschen Bühnenfassung emotional erliegt. (vgl. Schmidt
1959, S.153)
Natürlich ist Schiller von diesen Änderungen nicht sonderlich angetan,
aber der Erfolg sowohl seines Lesedramas und der überwältigende Beifall,
den die Bühnenfassung des
Mannheimer
Souflierbuches bei der von ihm besuchten Uraufführung erhält,
tröstet ihn gewiss über vieles hinweg, was erst die Nachwelt im
Rückblick auf das dichterische Genie des Autors hineininterpretiert. Und
dennoch geht Schiller schon bald daran, eine eigene Bühnenfassung des
Schauspiels zu schreiben, die die gröbsten Veränderungen des Mannheimer
Intendanten wieder zurücknimmt und schon im Sommer 1782 in der
Schwanschen Hofbuchhandlung unter der Gattungsbezeichnung "Trauerspiel"
erscheint. Dabei hebt Schiller in der
Selbstrezension, die er zu dieser
Trauerspielfassung
seines
Dramas "Die
Räuber" (1782)
in
der von ihm, zusammen mit
seinem Freund
Johann Wilhelm Petersen, seinem Lehrer an der
Karlsschule
Jakob Friedrich Abel und Johann Jakob Atzel,
1782 herausgegebenen Zeitschrift .»Wirtenbergisches
Repertorium der Litteratur« hervor, dass ...
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