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Schiller, Die Räuber - Uraufführung 13.1.1782

Überblick

 
 
 

"Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Thüre. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus deßen Nebeln eine neue Schöpfung heranbricht!" - So will es ein Zeitgenosse mit eigenen Augen gesehen haben, was sich während und nach der fünfstündigen Uraufführung von Friedrich Schillers Drama "Die Räuber" im »Mannheimer Nationaltheater abspielt. Auch wenn der Bericht möglicherweise nicht authentisch ist (vgl. Schmidt 1959, S.151), gilt diese Uraufführung "als eines der ganz großen, bahnbrechenden Ereignisse in der deutschen Theatergeschichte". (ebd.) Der Nachhall der Uraufführung schlägt sich auch in modernen Biographien nieder, die dem Stück bei seiner Uraufführung einen "triumphalen" (Sautermeister 2005, S. 2) oder "achtbaren Erfolg" (Alt Bd. I, 2004, S. 281) attestieren. Ja, man hat sogar angemerkt, dass Schiller "nach so einem sensationellen Erfolg [...] heute als neuer Stern im Literaturbetrieb gefeiert, in Talkshows eingeladen und in sämtlichen Boulevard-Zeitungen vorgestellt" werden würde (Mai 2004, S. 66).

Der Bau des Nationaltheaters geht auf den »Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz und Bayern (1724-1799) zurück, der den Umbau des kurfürstlichen Zeug- und Schütthauses in ein dreigeschossiges Theaterhaus in Auftrag gibt. Zum Zeitpunkt der Uraufführung der "Räuber" hat das Theater seit zwei Jahren ein festes Ensemble, dem herausragende Schauspieler wie »August Wilhelm Iffland, »Heinrich Beck und »David Beil angehören. Seit 1778 ist Wolfgang Heribert Freiherr von Dalberg als Intendant mit der Leitung des Theaters betraut, das auch nach dem Wegzug des kurfürstlichen Hofes nach München in Mannheim bestehen bleibt. Unter Dalbergs Leitung beginnt sich in Mannheim nach dem richtungsweisenden Gastspiel »Friedrich Ludwig Schröders (1744-1816) im Sommer 1780 ein besonderer Darstellungsstil des Ensembles zu entwickeln, da "der große, gefeierte Kollege" den Mannheimer Schauspielern klarmacht, "dass auch für sie der Weg zu einer wirklichkeitsverbundenen Darstellungskunst - unmittelbar ausdrucksfähig für Gefühle, Empfindungen und Leidenschaften - eindeutig vorgezeichnet" ist. (Schmidt 1959, S.153) Im Jahr vor Schillers "Räubern" gehen in Mannheim  u. a. zwei literarisch unbedeutende, aber beim Publikum höchst beliebte Stücke, das Trauerspiel "Agnes Bernauerin" eines Grafen von Törring-Guttenzl und der »Sturm von Boxberg« des Hofgerichtsrats Maier, in dem an die Taten des Kurfürsten Friedrichs des Siegreichen erinnert wird, über die Bühne, die mit ihrem Rasseln von Rüstungen und Klirren von Sporen den Siegeszug von "Helden- und Ritterstücken" auf der Mannheimer Bühne einläuten. Daneben macht sich aber eine zweite Tendenz bemerkbar, die mit der Aufführung von »Otto von Gemmingens (1775-1836) Schauspiel "Die Familie" (Nebentitel »"Der deutsche Hausvater"), dem Erfolgsstück vieler anderer Bühnen in Deutschland über Jahre hinweg, ihren Ausgang nimmt.

 

Otto von Gemmingen, der Freund Schröders und Dalbergs, gilt als Begründer des  moralisierenden bürgerlichen Familienrührstücks in Deutschland. Sogar Schiller zollt ihm einen gewissen Beifall. Mit Gemmingens Stücken beginnt in Mannheim die Inszenierung einer Reihe so genannter "Familiengemälde". Diese stehen für eine "Stückgattung von aufdringlich rührseliger, bürgerlich-moralistischer Sentimentalität in Milieu, Konfliktsituation und Figurenzeichnung." (ebd., S.154) Ihr Schauspieltstil begünstigt eine Repertoireentwicklung, die sich zwischen dem personenreichen und handlungsgewaltigen Ritterdrama auf der einen und dem bürgerlichen Familienrührstück auf der anderen Seite bewegt. Beides bestimmt auch die Änderungen, die Dalberg Schiller im Sommer 1781 bei der Bühnenbearbeitung der "Räuber" abverlangt oder ganz ungeniert selbst vornimmt, ohne den Autor zu fragen. Dazu kommt das unüberschreitbare Credo des Intendanten und seiner Schauspieler, auf die Bühne nur das zu bringen, was sich mit Anstand und Schicklichkeit verträgt. Schiller, der sich dem allem beugen muss, hofft zwar noch durch eine Probenteilnahme - für die Übernahme der Kosten für die Reise fragt er bei Dalberg ergebnislos nach - das eine oder andere in seinem eigenen Sinne beeinflussen zu können, aber Dalberg will sich offenbar von ihm keinen Strich mehr durch die Rechnung machen lassen. Daher lädt er den Autor Schiller unter Übernahme der Reisekosten erst zu der Uraufführung des Stücks im Mannheimer Theater am 13.1.1782 ein. Erst an diesem Tag bekommt Schiller zu sehen, was Dalberg und das Mannheimer Ensemble aus seinem Stück durch ihre am Publikumsgeschmack orientierte Bearbeitung, wie sie im Mannheimer Soufflierbuch von 1781/82 erhalten ist, gemacht haben: sinnfällig gemachte bürgerliche Moralität in einem "Familiengemälde" der besonderen Art für ein nach, aller Sensationsgelüste zum Trotz, Moral dürstendes Publikum, von dem Heinrich Beck, der Darsteller des Kosinsky in einer Tagebuchnotiz ein paar Tage nach der "Räuber"-Aufführung sagt, dass es "die abgedroschenste langweiligste Moral [...] zuverlässig mit einem Bravo begleitet" (zit. n. Schmidt 1959, S.155).
Das Publikumsinteresse zur Aufführung des Stückes, das seit der Buchausgabe in Mund-zu-Mund-Propaganda in Erwartung einer Theatersensation stetig wächst, schlägt sich in einem bemerkenswerten Andrang bei der Sonntagsvorstellung am 13. Januar 1782 nieder. Wer in dem 1000 Zuschauer fassenden Theater Platz bekommen will und keine der zahlreichen Logen reservieren kann, tut gut daran, seinen Sitz schon mittags um ein Uhr einzunehmen, um diesen bis zum Beginn der Aufführung um 17.00 Uhr besetzt zu halten. Für das, was da auf der Mannheimer Bühne angekündigt ist, nimmt man auch größere Wegstrecken, selbst im Winter, auf Ross oder in der Kutsche, auf sich und reist aus der ganzen Umgebung von Darmstadt, Worms, Speyer und sogar aus Frankfurt an.
Bis es am späten Nachmittag losgeht, können sich die eingetroffenen Leute, neben anderem, mit dem eigens zur Aufführung auf Drängen Dalbergs von Schiller verfassten Theaterzettel beschäftigen. Diesem kann das Publikum neben der Besetzung moralisch-wertende Hinweise zu den wichtigsten Figuren entnehmen und zuletzt die Aufforderung an jugendliche Heißsporne, der Faszination des "großen" Räubers nicht zu erliegen und im Glauben mangelnder göttlicher Voraussicht einfach daran zu glauben, die Welt nach eigenem Gutdünken einrichten zu können. Es ist anzunehmen, dass sie nach diesen Ausführungen noch gespannter darauf sind, was es mit diesem "berüchtigten Stück" (Streicher in seinen Erinnerungen, vgl. Schmidt 1959, S.178) und seinem Autor, von dem das Gerücht die Runde macht, er werde selbst da sein, auf sich hat.
Schiller selbst versäumt den Beginn der fünfstündigen Aufführung um ein Haar. Mit seinem Freund Johann Wilhelm Petersen macht er sich heimlich, da er als Militärangehöriger ohne Erlaubnis seines Herzogs Carl Eugen von Württemberg die Landesgrenze nicht überschreiten darf, auf den Weg. Da beide unterwegs längere Zeit bei einem Kellnermädchen in Schwetzingen hängenbleiben, ist es höchste Zeit, als sie im Mannheimer Theater die für sie beide reservierte teure Loge beziehen.
Als der Vorhang aufgeht, springt der Funke, wie Schillers Freund Streicher in seinen Erinnerungen (1836) festhält, in den ersten drei des in Dalbergs Bühnenfassung auf sieben Handlungen ausgelegten Geschehens offenbar zunächst nicht so recht über. "Die ersten drei Akte machten die Wirkung nicht, die man im Lesen erwartet", notiert er und fährt fort, dass die letzten drei dafür alle Zuschauer noch voll auf ihre Kosten kommen ließen. »August Wilhelm Iffland (1759-1814), der im Stück Franz Moor verkörpert, liefert eine herausragende Leistung und zieht die anderen Schauspieler mit: Johann Michael Boeck (Karl Moor), Johann David Beil (Schweizer), Heinrich Beck (Kosinsky), Andreas Friedrich Pöschel (Spiegelberg), Christian Wilhelm Dietrich Meyer (Hermann), Johann Georg Kirchhöfer (der alte Moor) und Anna Elisabeth Toscani (Amalia).
Nach der Vorstellung setzt sich Schiller noch mit Dalberg, dem Mannheimer Hofbuchhändler Schwan sowie anderen Honoratioren und dem Ensemble an eine große Tafel, erörtert mit dem Intendanten Möglichkeiten einer weiteren Zusammenarbeit und schlägt ihm unter anderem vor, Goethes Drama "»Götz von Berlichingen" für die Mannheimer Bühne zu bearbeiten. Dann kehrt er sichtlich zufrieden und erfüllt von dem "Wirbel" um seine Person nach Stuttgart zurück. Noch von dieser Hochstimmung getragen lässt er Dalberg vier Tage nach der Aufführung in einem Brief wissen: " Ich glaube, wenn Deutschland einst einen dramatischen Dichter in mir findet, so muss ich die Epoche von der vorigen Woche zählen." (zit. n. Wais 2005, S. 36)
In der Literaturwissenschaft hat man sich immer wieder mit der Frage befasst, was letztlich den Ausschlag gegeben hat, dass Schillers "Räuber" als Erstlingswerk einen solchen Erfolg hat und bei seiner Uraufführung die eingangs erwähnten "tumultartigen" Zustände auslöst. Zweifelsohne müssen dafür eine ganze Reihe von Gründen herangezogen werden, die sich nicht in Schlagworten wie "jugendlicher Genialität", "jugendlichem Exzess" oder einer dem Drama zugeschriebenen "Atmosphäre wenn nicht des Gefährlichen, so doch des Monströsen" (Storz 31963, S. 21) erschöpfen. Hans-Richard Brittnacher (1998, S. 326) hebt dazu hervor: "Was nicht nur Zuschauer, sondern auch Leser […] in derartige Gefühlsstürme versetzte, kann dem Stoff des Dramas allein nicht geschuldet sein - feindliche Brüder, abgefeimte Intrigen und kraftgenialische Exzesse gehörten zum Repertoire des Sturm und Drang, Einwände gegen den Despotismus und Intoleranz hatte auch das bürgerliche Trauerspiel formuliert. Und selbst die Räuberfolklore mit ihrem Motiv des hochherzigen Briganten war keineswegs Schillers Erfindung. Zu seiner außerordentlichen Wirkung verhalfen dem Stück des Debütanten wohl eher philosophischer Mut und dramatischer Leichtsinn. Philosophischer Courage bedurfte es, die Desorientierung seiner Zeit, den Zusammenbruch einer verbindlichen Vaterwelt und das Drama der Individualität ungeschminkt darzustellen, statt sie in der bewährten Dramensprache von Aufklärung und Empfindsamkeit abzuhandeln. Dramatischer Leichtsinn oder zumindest jugendliche Unbekümmertheit war die Verschmelzung von zwei geläufigen mit zwei obsoleten Traditionen des Theaters: die unverstellte Krudität des Sturm und Drang und die schneidende Aggressivität des Aufklärungsdramas verbanden sich auf eine eigentümliche Weise mit dem hochgestimmten Pathos der Oper und der archaischen Konsequenz der attischen Tragödie." Aber auch diese Einschätzung bedarf einer gewissen Ergänzung, zumindest wenn man sich auf die Vorkommnisse bei der Uraufführung des Stückes im Mannheimer Nationaltheater bezieht. Es spricht nämlich vieles dafür, dass die Bearbeitung des Stückes, auch gegen den Willen und mancher Intentionen Schillers, durch Dalberg letztendlich entscheidend dazu beigetragen hat, dass ein im Rührstück und Ritterdrama sich gänzlich heimisch fühlendes Publikum der sentimental-rührseligen Dalbergschen Bühnenfassung emotional erliegt. (vgl. Schmidt 1959, S.153)
Natürlich ist Schiller von diesen Änderungen nicht sonderlich angetan, aber der Erfolg sowohl seines Lesedramas und der überwältigende Beifall, den die Bühnenfassung des Mannheimer Souflierbuches bei der von ihm besuchten Uraufführung erhält, tröstet ihn gewiss über vieles hinweg, was erst die Nachwelt im Rückblick auf das dichterische Genie des Autors hineininterpretiert. Und dennoch geht Schiller schon bald daran, eine eigene Bühnenfassung des Schauspiels zu schreiben, die die gröbsten Veränderungen des Mannheimer Intendanten wieder zurücknimmt und schon im Sommer 1782 in der Schwanschen Hofbuchhandlung unter der Gattungsbezeichnung "Trauerspiel" erscheint. Dabei hebt Schiller in der Selbstrezension, die er zu dieser Trauerspielfassung seines Dramas "Die Räuber" (1782) in der von ihm, zusammen mit seinem Freund Johann Wilhelm Petersenseinem Lehrer an der Karlsschule Jakob Friedrich Abel und Johann Jakob Atzel, 1782 herausgegebenen Zeitschrift .»Wirtenbergisches Repertorium der Litteratur« hervor, dass ...

 

 
     
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