Gedankenbericht zum Ausdruck von Unausgesprochenem,
Gefühlen und Gedanken
Um die unausgesprochenen Gedanken, Gefühle oder Wahrnehmungen von Figuren
auszudrücken, wird in epischen Texten neben den Formen der
erlebten
Rede, des
inneren
Monologes und des
Bewusstseinsstromes
der so genannte Gedankenbericht
verwendet.
Gedankenbericht klingt, wie Vogt betont, heutzutage etwas
antiquiert, wenn man in Betracht zieht, dass sich Form und Inhalt dieser
Form des Erzählerberichts in der erzählenden Literatur der vergangenen
Jahrhunderte bis in die Gegenwart sehr verändert hat. (vgl.
Vogt
1990, S.157)
Psycho-narration und ihre thematischen Schwerpunkte
In der modernen Erzähltheorie hat sich daher der
von Dorrit Cohn geprägte Begriff der "psycho-narration"
verbreitet (Cohn
1978).
Psycho-narration
hat drei wichtige thematische Schwerpunkte:
-
sehr oft Gedanken und Gefühle von Kindern
-
Äußerungen, mit denen der Erzähler eine Figur samt ihrer
Gedanken
und Gefühle ironisieren möchte, ohne sie selbst zu Wort kommen
zu lassen ("ganz von oben herab")
-
Träume, Halluzinationen, visionäre Erlebnisse(FAQ)
Wenn der Erzähler die Träume,
Halluzinationen oder visionären Vorstellungen einer Figur in Form der
"Psycho-narration"
(Gedankenbericht) darstellt, lässt er die Figur im Allgemeinen
"Bilder schauen".
Das bedeutet: Im
Gedankenbericht
werden visuelle Eindrücke vermittelt, die die Figur zwar
wahrnimmt, aber noch nicht verstandesmäßig erfasst hat.
Die Wiedergabe dieser visuellen Eindrücke (das "Schauen"
dieser Bilder) kann sprachlich dadurch verdeutlicht werden, dass bestimmte
Textsignale vorzufinden sind. Die Verben des Denkens werden dann durch
Verben des Sehens ersetzt.
So heißt es also z.B. bei dieser Form der
Psycho-narration
statt "er dachte..." "Ihm stand vor Augen..", "er
sah..." etc.
Unterschiede zwischen innerem Monolog (quoted monologue), erlebter Rede
(narrated monologue) und psycho-narration
Gerade dadurch, dass bei dieser Form der Bewusstseinswiedergabe die
Figur eben überhaupt nicht spricht, können vom Erzähler Dinge erzählt
werden, die der Figur nicht in einer Weise bewusst sind, dass sie von ihr
selbst artikuliert werden könnten.
Cohn betont, dass der narrated monologue von seiner Bedeutung her,
seiner Funktion und seiner grammatischen Gestaltung die
Zwischenposition einnimmt zwischen quoted monologue und psycho-narration,
wobei jene das figurale Denken eher indirekt, letztere eher direkt
wiedergibt. (vgl.
Cohn
1978, S.105) An Beispielen zeigt sie die Unterschiede auf, die im
Tempusgebrauch und bei der Person sichtbar werden. (ebd.,
S.105f.)
quoted monologue
(Innerer
Monolog) |
narrated monologue
(Erlebte
Rede) |
psycho-narration |
(Er dachte:) Ich bin spät dran.
(Er dachte:) Ich war spät dran.
(Er dachte:) Ich werde spät dran sein.
(Er dachte:) Bin ich spät dran? |
Er war spät dran.
Er war spät
dran gewesen.
Er würde spät dran sein.
War er spät dran? |
Er wusste, er war spät dran.
Er
wusste, er war spät dran gewesen.
Er wusste, er würde spät dran sein.
Er fragte sich, ob er spät dran war. |
Psycho-narration führt in die
vorsprachlichen Tiefen des Bewusstseins (Cohn)
Die "Psycho-narration"
kann in die tiefsten psychischen Schichten, bis ins Unterbewusstsein einer
Figur hineinreichen. Grundsätzlich handelt es "sich dabei stets um Situationen, in denen
eine Erzählfigur nicht fähig oder willens ist, ihre Wahrnehmungen,
Gedanken oder Gefühle auch nur 'stumm' zu artikulieren, wo also die
Techniken des stummen Selbstgesprächs, der erlebten Rede oder des Inneren
Monologs nicht greifen." (Vogt
1990, S.159)
Beispiel
Am Beispiel der
Figurenrede
in
Thomas Manns »Die
Buddenbrooks« zeigt Jochen
Vogt
(1996, S. 305f.) die Fluktuation zwischen Psycho-narration, narrated monologue und
quoted monologue auf.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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