 
Bei der
Figuren-/Personenrede
wird häufig, besonders auch im
Wechsel
mit der direkten Rede (Fluktuation) die indirekte Rede
verwendet. Unter der indirekten Rede versteht man die
Redewiedergabe
in der 3. Person Konjunktiv Präsens (bei der
Ich-Erzählung:
1.Pers. Konj. Präs.). Für das Erzählen ergeben sich durch die
Verwendung der indirekten Rede besondere Gesichtspunkte.
"Der Erzähler zitiert nicht, sondern
referiert oder
erzählt die Personenrede. Er kann sich an deren Wortlaut halten,
häufiger jedoch zusammenfassend verkürzen und nur besonders markante
Wendungen [...] hervorheben." (Vogt
1990, S.150) Indirekte Rede fügt sich in den
Erzählfluss ein, "ihr Tempo kann vom Erzähler jederzeit verändert
werden. Andererseits ist ihre Intensität geringer; die grammatische
Verschiebung in den Konjunktiv und die Dritte Person bewirkt eine
Distanzierung des Erzählers wie der Leser von der Person und ihrer Rede."
(Vogt 1990,
S.151) Merkmale
- keine
Innensicht
- lässt kommentierende Einmischungen des Erzählers zu
- dadurch besonders in die Nähe des
auktorialen
Erzählens gerückt
- findet aber auch in der
Ich-Erzählsituation
Verwendung (keine Verschiebung in die 3. Person)
- verlangt eine vollständige grammatische Form; keine
Anführungs-,
Frage- oder Ausrufezeichen.
Beispiel 1:
In dem Roman »Die Vermessung der Welt« (2005) des mit
zahlreichen Preisen dekorierten Autors Daniel Kehlmann (geb. 1975
in München) - nach Ansicht von Ijoma Mangold "die größte Begabung der
jüngeren deutschen Literatur" (Süddeutsche Zeitung, 24.09.05) -
porträtiert der Autor zwei deutsche Geistesgrößen: Das Mathematikgenie
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und den Universalgelehrten und großen
Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859). In einer
geschickten Mischung aus Fakten und Fiktion erzählt der Roman von
Humboldts strapaziösen und zugleich abenteuerlichen Exkursionen nach
Südamerika, während Gauß dagegen eher zerrissen zwischen der hehren Welt
der Zahlen und dem schnöden Alltag, sich mit Frau und Kindern herumplagen
muss. So machen sich die beiden Protagonisten auf ganz unterschiedliche
Art daran, die Welt messbar zu machen. Humboldt kämpft sich durch den
Urwald, besteigt Vulkane, schifft auf dem Orinoko umher und kriecht in
Höhlen. Er kostet Gifte, begegnet Seeungeheuern und meidet Begegnungen mit
Frauen und Menschenfressern. Gauß dagegen kann ohne Frauen ebenso wenig
leben wie ohne seine vertraute Heimat. Exkursionen unternimmt der Astronom
und Mathematiker fast immer nur im eigenen Kopf - der allerdings auch
Brillantes birgt. Im Zentrum steht ein Treffen der beiden 1828 in Berlin,
auf einem Naturforscherkongress, für den Gauß nur sehr widerwillig sein
Göttingen verlässt. Die beiden Denker haben sich jeder auf seine Weise der
Vermessung der Welt gewidmet, kommen sich aber nur zaghaft näher. In einem Gespräch mit Walter Grond erläutert Daniel Kehlmann Intentionen
seiner Erzählweise. Dabei betont er, dass er in seinem Roman bewusst "auf
das breite Ausrollen von Szenen, Situationen, atmosphärischen
Beschreibungen" verzichtet habe und damit "den Stil distanziert und knapp
gehalten" habe, ganz wie ein Historiker, der "die Kamera auf größerer
Entfernung" auf das Geschehen richte. Dabei ist er sich zugleich bewusst,
dass die literarische Arbeit mit historischen Figuren eine besondere
Herausforderung darstellt und zugleich neue Perspektiven eröffnet. So
betont er: "Bei meiner Arbeit wurde mir schnell klar, dass das
Problematische des historischen Erzählens ganz wesentlich in den Dialogen
liegt. Eine direkte Rede behauptet inhärent, diese Worte und keine anderen
seien gesagt worden. Abgesehen davon, dass man da beim Lesen sofort ein
Gefühl von Anmaßung und Unrichtigkeit hat – denn selbst wenn einer sehr
genau weiß, was passiert ist, weiß er nicht, was nun wirklich gesagt
wurde, sogar bei Autobiografien wird man sofort skeptisch, wenn alte Leute
Gespräche wiedergeben, die sie angeblich vor vierzig Jahren geführt haben
–, entsteht bei einer so weit zurückliegenden Epoche das stilistische
Problem, dass man sich entscheiden muss, ob man die Figuren in moderner
Sprache reden lässt, vielleicht noch mit zeitgenössischem Slang vermischt,
oder in altertümelnder. Beides finde ich schrecklich. Ich kam dann auf die
Idee, diese Wahl zu umgehen und alle Dialoge in indirekter Rede zu
schreiben, auch wenn es durchaus dramatisch zugespitzte Dialoge sind, die
man normalerweise nicht indirekt schriebe; genau wie es mein schon
erwähnter verrückter Historiker tun würde. Dadurch entsteht eine ironische
Scheinauthentizität, die eigentlich auf jeder Seite von neuem klarmacht,
dass ich eben nicht vorgebe zu erzählen, wie es war." (Volltext.net-Zeitung
für Literatur, 31.08.05)
"Zur Hochzeit kamen wenige Gäste [...] Während des sparsam
zubereiteten Festmahls sprach Gauß' Vater darüber, dass man sich nicht
beugen lassen dürfe, niemals, von keinem, dann erhob sich Zimmermann,
öffnete den Mund, lächelte liebenswürdig in die Runde und setzte sich
wieder. Bartels stieß Gauß an.
Der
stand auf, schluckte und sagte, er habe nicht erwartet, dass er etwas
wie Glück finden würde, um im Grunde genommen glaube er auch jetzt nicht
daran. Es komme ihm wie ein Rechenfehler vor, ein Irrtum, von dem er
hoffe, keiner werde ihn aufdecken. Er nahm wieder Platz und wunderte
sich über die fassungslosen Blicke. Leise fragte er Johanna, ob er etwas
Falsches gesagt habe. Aber woher denn, antwortete sie. Genau diese Rede habe sie sich immer
für ihre Hochzeit erträumt. Eine Stunde später waren die letzten Gäste gegangen und er und Johanna
auf dem Weg nach Hause. Sie sprachen wenig. Plötzlich waren sie einander
fremd. Im Schlafzimmer zog er die Vorhänge zu, trat zu ihr, spürte, wie sie
zurückweichen wollte, hielt sie sanft fest und begann, die Bänder ihres
Kleids zu öffnen. Ohne Licht war das nicht einfach: Nina hatte immer
Sachen getragen, bei denen es leichter gewesen war. Es dauerte lange,
der Stoff war so widerspenstig und der Bänder waren so viele [...] Wieso
trugen Frauen nicht Sachen, die man aufbekam? Keine Angst, flüsterte er
und war doch überrascht, als sie antwortete, sie habe keine, und mit
einem Griff, auf dessen Zielsicherheit er nicht vorbereitet war, seinen
Gürtel öffnete. Hast du das schon einmal getan? Was er denn von ihr
denke, fragte sie lachend, und im nächsten Augenblick bauschte sich ihr
Unterrock auf dem Boden, und da sie zögerte, zog er sie mit sich, und
schon lagen sie nebeneinander und atmeten schwer, und jeder wartete
darauf, dass der Herzschlag des anderen sich beruhigte. Als er seine
Hand über ihre Brust zum Bauch und dann, er entschied sich, es zu wagen,
obwohl ihm war, als müsse er sich dafür entschuldigen, weiter
hinabwandern ließ, tauchte die Mondscheibe bleich und beschlagen
zwischen den Vorhängen auf, und er schämte sich, dass ihm ausgerechnet
in diesem Moment klar wurde, wie man Messfehler der Planetenbahnen
approximativ korrigieren konnte. Er hätte es gern notiert, aber jetzt
kroch ihre Hand an seinem Rücken abwärts. So habe sie es sich nicht
vorgestellt, sagte sie mit einer Mischung aus Schrecken und Neugier, so
lebendig, als wäre ein drittes Wesen mit ihnen. Er wälzte sich auf sie,
und weil er fühlte, dass sie erschrak, wartete er einen Moment, dann
schlang sie ihre Beine um seinen Körper, doch er bat um Verzeihung,
stand auf, stolperte zum Tisch, tauchte die Feder ein und schrieb, ohne
Licht zu machen: Summe d. Quadr. d. Differenz zw. beob. u. berechn. →
Min., es war zu wichtig, er durfte es nicht vergessen. Er hörte sie
sagen, sie könne es nicht glauben und sie glaube es auch nicht, selbst
jetzt, während sie es erlebe. Aber er war schon fertig. Auf dem Weg
zurück stieß er mit dem Fuß gegen den Bettpfosten [...]".
(aus: Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt, Reinbek b.
Hamburg: Rowohlt 2005, S.148f.)
Beispiel 2: In seinem Roman »Die verlorene
Ehre der Katharina Blum« (1974) lässt Heinrich Böll den
auktorialen Erzähler im 18. Kapitel über die Vernehmung von Katharina
Blum berichten. Dabei nimmt er die Rolle eines distanzierten
Berichterstatters ein: :
"Die
Dauer der Vernehmungen ließ sich daraus erklären, dass Katharina Blum mit
erstaunlicher Pedanterie jede einzelne Formulierung kontrollierte, sich
jeden Satz, so wie er ins Protokoll aufgenommen wurde, vorlesen ließ. Z. B.
die im letzten Abschnitt erwähnten Zudringlichkeiten waren erst als
Zärtlichkeiten ins Protokoll eingegangen bzw. zunächst in der Fassung »dass
die Herren zärtlich wurden«; wogegen sich Katharina Blum empörte und
energisch wehrte. Es kam zu regelrechten Definitionskontroversen zwischen
ihr und den Staatsanwälten, ihre und Beizmenne, weil Katharina behauptete,
Zärtlichkeit sei eben eine beiderseitige und Zudringlichkeit eine einseitige
Handlung, um um letztere habe es sich gehandelt. Als die Herren fanden, das
sei sei doch alles nicht so wichtig und sie sei schuld, wenn die Vernehmung
länger dauere, als üblich sei, sagte sie, sie würde kein Protokoll
unterschreiben, in dem statt Zudringlichkeiten Zärtlichkeit stehe. Der
Unterschied sei für sie von entscheidender Bedeutung, und einer der Gründe,
warum sie sich von ihrem Mann getrennt habe, hänge damit zusammen; der sei
eben nie zärtlich, sondern immer zudringlich gewesen."
(aus: Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie
Gewalt entstehen und wohin sie führen kann, München: Deutscher Taschenbuch
Verlag 1976, S. 27)
Beispiel 3: In seinem Roman »Am Hang« (2005) hat Markus Werner
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.02.2023
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