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Aspekte der Analyse und Interpretation

Interpretationsaspekte im Überblick

Andreas Gryphius (1616-1664): Einsamkeit


FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Andreas Gryphius (1616-1664) Lyrische Texte
Es ist alles eitel Ebenbild unseres Lebens Abend Tränen des Vaterlands Menschliches Elende EinsamkeitText [ Aspekte der Analyse und Interpretation Interpretationsaspekte im Überblick Vierfacher Schriftsinn ] Bausteine  Thränen in schwerer Krankheit (Anno 1640) ... Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

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Text

Das ▪ Sonett ▪"Einsamkeit" von ▪ Andreas Gryphius gehört zur weltlichen Lyrik in der ▪ Literaturepoche des ▪ Barock (1600-1720). Vom Sujet her gesehen gehört es zur Vanitas-Lyrik, die "in vielfältiger Gestalt den Grundgedanken der Vergänglichkeit allen Irdischen" (Mauser 1982, S.242) variiert.

Zum Themenkreis der weltlichen Lyrik zählen jene Werke, die sich um den "Zusammenhang von "vanitas (Eitelkeit), Vergänglichkeit, memento mori (Gedenke des Todes) und carpe diem (Nutze den Tag)", (Niefanger 2006, S.104) drehen, wobei sich auch in weltlichen Gedichten häufig religiöse Anklänge finden, wie sie das geistliche Lied des 17. Jahrhunderts kennzeichnen.

Die wichtigsten Themen der weltlichen Lyrik sind politische oder historische Ereignisse, Huldigung und die Liebe, sowie das Land- und Hirtenleben (Pegnitz-Schäfer). Dabei gerät in Gedichten mit politischer Thematik häufig das Leben am Hof und dessen Laster in die Kritik. (vgl. ebd.)

Aber auch Gedichte mit einer stark religiösen Ausrichtung, wie z. B. die ▪ Vanitas-Dichtung mit ihren heilsgeschichtlich-eschatologischen Bezügen etablieren sich in diesem literarischen Feld, weil ihre Werke im Vergleich zum geistlichen Lied "nicht mehr in einem kirchlichen Funktionszusammenhang" (Meid 2015, S.80) standen, sondern "sich als Sprech- und Leselyrik durch einen individuellen stilistischen und inhaltlichen Charakter" (ebd.) auszeichneten, der "sich an dem stilistischen und formalen Repertoire der weltlichen Kunstdichtung deutscher Sprache (orientierte)." (ebd.)

Die Interpretation des Gedichts ▪"Einsamkeit"" von ▪ Andreas Gryphius (1618-1664) sollte u. a. die folgenden Aspekte umfassen:

Sonett
Motiv

Einsamkeit und Natur verbinden sich in dem seit der römischen Kaiserzeit (27 v. Chr. bis 284 n. Chr.) als literarischer Topos idealisierenden fiktiven Naturschilderungen, deren stereotype Elemente (z. B. ein lichter Hain, eine Quelle, ein Bächlein oder Bach sowie oft Blumen und Vogelgezwitscher) den Eindruck einer idealen Natur erzeugen.

Als Requisit und Kulisse gehört das ▪ Motiv des lieblichen Orteslocus amoenus) zum unverzichtbaren Repertoire der »Schäferdichtung (auch Hirtendichtung), die mit ihrer Idealisierung des Hirtenlebens ein sehr beliebtes Genre der Literatur in der frühen Neuzeit (Renaissance und Humanismus) (1300-1600) und im Barock (1620-1700) gewesen ist.

Es steht in einem Zusammenhang mit dem Motiv der Idylle, die im weiteren Sinne auch eine Dichtung beschreibt, die in räumlich-statischer Weise eine "unschuldsvollem selbstgenügsam-beschaul(iche) Geborgenheit darstellt.," (Metzler Literatur-Lexikon 21990, S.217) Allerdings ist die Einsamkeit und ihr Ort im Gedicht von Andreas Gryphius eben kein lieblicher Ort.

Von dieser quasi ex negativo kommenden Betrachtung her kann der Text erschlossen werden, zumal sich schon bei der ersten Lektüre zeigt, dass das Sonett weder ein Landschaftsgedicht ist, noch ein Gedicht das das Erleben von äußerer und innerer Einsamkeit zum Thema macht.

Dies kann ein Gedichtvergleich mit Gedichten unterstreichen, die die Themen Einsamkeit und Natur in völlig anderer Art und Weise gestalten. Aber auch der Zugang über eigene Erfahrungen mit Einsamkeit und dem Entstehen dieses Gefühls in besonderen natürlichen oder sozialen Umgebungen kann verdeutlichen, dass sich die historische Distanz und das Gefühl der Fremdheit, den dieser Text erzeugt, nicht mit den einem zur Verfügung stehenden kognitiven und emotionalen Schemata, die bei der Sinnkonstruktion als textexterne Faktoren eingebracht werden, überwunden werden kann.

Interpretationsaspekte

1. Quartett

Das Ich "beschaut" in einem Zustand der von ihm zunächst äußerlich empfundenen Einsamkeit die Dinge, die es umgeben. Die Welt, die es umgibt gleicht einer "öden Wüsten" (V 1) und auf dem Boden wuchert nur "wildes Kraut" (V 2), auf das es sich hingelegt hat. Sein Auge streift das grünlich schimmernde Wasser eines "bemosten Sees" (V 2) und blickt in die Ferne, wo es ein "Tal" (V 3) und eine felsige Erhebung ("einer Felsen Höh", V 3) registriert, wo allerdings nur "Eulen und stille Vögel nisten" (V 4), so dass kein Laut herüberdringt.

Wo sich das lyrische Ich befindet, herrscht eine lautlose Einsamkeit. Es ist kein beschaulicher oder lieblicher Ort im Sinne des Topos »locus amoenus, wo die Natur von den darin wahrnehmbaren stereotypen Elementen belebt ist und den Eindruck idyllischer Beschaulichkeit vermittelt. (▪ Motiv des lieblichen Ortes)

Die Szenerie, die das Ich (angeblich) umgibt, eignet sich zwar für ein inniges Beschauen, lädt aber eigentlich nicht ein, sich in das Wahrgenommene kontemplativ zu versenken. Es ist in topischer Terminologie ein locus desertus, ein Ort in der Einöde, der nichts Einladendes, Liebliches (locus amoenus) hat. Man kann darin eine "Anachoreten-Landschaft“ (Jöns 1996) sehen, eine Bezeichnung für die Rückzugsorte von Steuerflüchtigen im alten Ägypten und später auch für christliche mönchische Gemeinschaften oder Eremiten in derart unwirtlichen Gegenden, wo sie ihr weltabgewandtes Leben führten. Im Gedicht selbst fungiert diese Landschaft als arrangierte Kulisse, die mit topischen Requisiten versehen wird, um als Ausgangspunkt eines Erkenntnisprozesses zu dienen, welcher, der ▪ Lehre des vierfachen Schriftsinns folgend, die erste Ebene, den Wortsinn (Literalsinn), das also, was man einfach wahrnehmen kann, entspricht.

2. Quartett

Der anaphorische Verweis (Hier), mit dem das lyrische Ich zu Beginn des zweiten Quartetts seinen Standort inmitten dieser Umgebung mit seiner perspektivischen Beschränkung noch einmal unterstreicht, geht nach dem im ersten Quartett an der Realität scheiternden innig "beschauenden" Wahrnehmungsmodus über zu einer reflexiven Betrachtung.

"Hier", wo den Augen und damit den Sinnen nichts geboten ist, keine Reize von außen, die an zwei sozialen "Orten" festgemacht werden. Da ist auf der einen Seite, das Fehlen eines "Pallastes" (V 5), der metonymisch für dessen Bewohnerinnen und Bewohner, die hochgestellten Personen der Gesellschaft steht. Auf der anderen Seite stehen die triebhhaften "Lüste des Pöbels" (V 5), die, mit dem rhetorischen Mittel der Synekdoche als pars pro toto (ein Teil für das Ganze) unterstrichen, für die Unfähigkeit des ▪ gemeinen Mannes stehen, seine Affekte in seinem angeblich von animalischer Wolllust geprägten Leben wirksam so zu kontrollieren, wie es den gebildeten Oberschichten an den Höfen im Zuge ihrer sogenannten "Verhöflichung" (Elias 1939/1976., Bd. 2, S.415) eher zugeschrieben wurde. Insofern steht die schichtspezifische Reflexion über sozialen Rang und Leidenschaft auch im Kontext ▪ sozialregulierender und ▪ sozialdisziplinierenden Prozesse im Rahmen der ▪ frühneuzeitlichen Staatsentwicklung. (vgl. dazu auch: Mauser 1982, S.241)

Das Ich kann hinter die Fassaden sehen und erkennen, dass alles Irdische nur eitel, d. h. nichtig und wertlos ist in Bezug auf die »christliche Eschatologie, die Orientierung an der Vorstellung eines von göttlicher Gnade abhängigen ewigen Lebens.

lle andere Hoffnung darauf, dem Irdischen einen anderen Sinn zu geben, verfliegt angesichts dieser Erkenntnis in kurzer Zeit wie der Vergleich "Wie die vor Abend schmähn / die vor dem Tag uns grüßten" (V 8) verdeutlicht. Auch wenn das 2. Quartett noch nicht, wie es bei einer ▪ idealen Sonett-Gestaltung mit der Kompositionsfigur des vierfachen Schriftsinns oft der Fall ist (vgl. Freund 1990, S.15f.) , den Übergang zur zweiten Ebene, der Herausarbeitung des allegorischen, d. h. theologischen Sinns vollzieht, arbeitet sie dieser Ebene des Erkenntnisprozesses eben doch dadurch vor, dass sie das Ich, die dafür nötige eine meditativ-reflexive Haltung einnehmen lässt.

1. Terzett

Im dritten Terzett wendet sich das Interesse des Ichs wieder bestimmten Erscheinungen der Natur zu. Deren Zusammensetzung verdeutlicht aber, dass deren aufgezählte Elemente von keinem visuell wahrgenommenen Rundblick in eine das Ich real umgebende Natur herrühren, sondern willkürlich aneinandergereihte Naturelemente sind, deren Gemeinsamkeit darin besteht, "dass sie Träger analoger Bedeutung sind." auch  Aus diesem Grund spielt es auch keine Rolle, wenn das Bild vom "rauhen Wald" (V 9) zu der eingangs erwähnten "öden Wüsten" (V 1) eben vordergründig so gar nicht passen will.

Lediglich eine Betrachtung, die über das unmittelbar Wahrnehmbare hinausgeht (Wortsinn) und im Zuge der allegorischen Auslegung im Universum christlicher Lehre den Sinn sucht, kann die tiefer liegende Bedeutung der aufgezählten Dinge, die nur mit ihrem Bezug auf die Vergänglichkeit hin letzten Endes kohärent wird, erschließen und damit die Erkenntnisstufe des allegorischen Sinns erreichen. Nur die allegorische Deutung bringt die disparat wirkenden Elemente der "Natur" die "Höll", den "rauhen Wald", den "Totenkopf", den selbst im Laufe der Zeit zerfallenden "Stein"  und das "abgezehrte Bein" (V 9 und 10) auf den nötigen Nenner der christlichen Glaubenslehre. Und der "Kenner" weiß und hat wohl bei der Textrezeption auch seinen "Spaß" daran, die dem "reichen Arsenal der enzyklopädisch-allegorischen Handbücher" (Mauser 1982, S.234) und Zusammenstellungen von Texten antiker Schriftsteller (Florilegien) entstammenden Versatzstücke dieser Kulissenwelt wiederzuerkennen. Und dem Dichter gab es Gelegenheit zu zeigen, wie virtuos er das, was er mit seinem durch die Imitatio-Poetik des Barock flankierten Griff in solche "poetische Schatzkammern" (Szyrocki 1979/1994, S.41) so zu arrangieren wusste, dass in dem von den Humanisten sorgsam gepflegten Fundus topischer "Allgemeinpätze" in Bildsprache und Rhetorik seine eigene Kunstfertigkeit noch immer gebührend sichtbar wurde und wertgeschätzt werden konnte.

Strukturbildend im Sinne der Kompositionsfigur des vierfachen Schriftsinns sind für dieses Terzett und den Fortgang der "Meditationsschritte von grundlegender Bedeutung" (Mauser 1982, S.234), den das Sonett benennt, das Verb entwerfen und der Begriff des Muts. (V 11)

Entwerfen steht dabei für eine über den Wortsinn, d. h. die unmittelbare Anschauung und Wahrnehmung hinausgehende Betrachtung der Dinge der Welt. Mut steht, so erklärt das auf die »beiden Brüder Grimm, »Jakob Grimm (1785-1863) und »Wilhelm Grimm (1786-1859) zurückgehende »Deutsche Wörterbuch den Begriff, für "das innere eines menschen nach allen seinen verschiedenen seiten hin, aber stets auf dem deutlichen grunde des bewegten gefühlslebens im gegensatz zum bloszen walten des verstandes oder der erinnerung " (Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21,<https://www.woerterbuchnetz.de/DWB>, abgerufen am 18.11.2021)

Angesichts der Erscheinungen der Natur drängen sich dem Menschen bei der Suche nach ihrer "wahren" Bedeutung also viele Eindrücke und Gedanken auf, die selbst, wenn er sie im Zuge der ▪ Allegorese zu deuten versteht, noch nicht da angelangt sind, wohin sie letzten Endes führen sollen.

Noch weiß er damit eben nicht, was er tun soll, wenn er die Eitelkeit der Welt und ihrer Elemente erkannt hat. Auch der allegorische Sinn muss einer neuen Erkenntnisstufe zugeführt werden, soll er eine handlungsethische Bedeutung für den Menschen gewinnen und ihm dabei helfen, das aus der bisherigen Erkenntnis Folgende zu tun. Dazu muss er sich den moralischen Sinn, den sogenannten tropologischen Schriftsinn, durch die handlungsethische Auslegung erschließen.

2. Terzett

Das zweite Terzett dreht sich um das persönliche Seelenheil des Einzelnen, was mit der Formulierung "ist schön und fruchtbar mir" (V 12) zum Ausdruck gebracht wird. Damit wird die handlungsethische Dimension des meditativen Erkenntnis- bzw. Argumentationsprozesses erreicht und damit der Übergang zum moralisch-tropologischen Sinn vollzogen. Hat das Ich erst einmal diese Ebene der Erkenntnis erreicht, dann bekommt selbst "Der Mauern alter Graus" (V 11) und "dies unbebaute Land" (V 11), die ansonsten schroff und lebensfeindlich wirken, einen Sinn. Und diese erschließt sich dem Ich erst völlig, wenn er ihn heilgeschichtlich ausdeutet, wie dies im letzten Vers des Gedichts verdeutlicht wird. Mit der Erkenntnis, "dass alles, ohn' ein' Geist, den Gott selbst hält" (V 14) letzten Endes sinnlos ist, erreicht das Ich "mit dem Ausblick auf die im Jenseits, in Gott sich erfüllende Verheißung den anagogischen Sinn des vorgestellten Bildes." (Mauser 1982, S.238) In dem es die dritte Ebene des geistlichen Sinns erreicht, richten sich sich  seine Aussagen über die unsichtbare himmlische Welt und die Zukunftserwartung an der christlichen  ▪ Eschatologie aus, daran also,  was am Ende aller Tage mit dem Jüngsten Gericht von Bedeutung ist.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 27.01.2024

 
 

 
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