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Bausteine zu Advokat / Fabrikant / Maler

Den Text von einer bestimmten Text-/Kernstelle aus interpretieren (2)

Franz Kafka: Der Prozess - Die Frauen

 
FAChbereich Deutsch
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Text des Kapitels "Advokat / Fabrikant / Maler"

Schreibaufgaben zur Interpretation literarischer Texte in der Schule, die im Zusammenhang mit Interpretation des Romans • Der Prozess von • Franz Kafka stehen, gehen häufig von einer bestimmten Textstelle aus, die in den Gesamttext eingeordnet, analysiert und ggf. mit oder ohne Vorgabe eines bestimmten Deutungsaspekts interpretiert werden soll.

Die nachfolgend vorgestellte kognitv-analytisch ausgerichtete, Schreibaufgabe in einem • gelenkten offenen Aufgabenformat kann auch als • Von-Kernstellen-aus-Interpretieren bezeichnet werden.

Hier soll exemplarisch vorgestellt werden, wie eine derartige Schreibaufgabe zum Kapitel •"Advokat / Fabrikant / Maler" in • Kafkas Prozess aussehen könnte und was bei der Bewältigung der Schreibaufgabe im Allgemeinen erwartet wird.

Der Textauszug zur Schreibaufgabe

Auszug aus dem Kapitel Advokat / Fabrikant / Maler (HL S. 89 Z. 17 - S. 91 Z. 1f.)

"Es war unbedingt nötig, dass K. selbst eingriff. Gerade in Zuständen großer Müdigkeit, wie an diesem Wintervormittag, wo ihm alles willenlos durch den Kopf zog, war diese Überzeugung unabweisbar. Die Verachtung, die er früher für den Prozess gehabt hatte, galt nicht mehr. Wäre er allein in der Welt gewesen, hätte er den Prozess leicht missachten können, wenn es allerdings auch sicher war, dass dann der Prozess überhaupt nicht entstanden wäre. Jetzt aber hatte ihn der Onkel schon zum Advokaten gezogen, Familienrücksichten sprachen mit; seine Stellung war nicht mehr vollständig unabhängig von dem Verlauf des Prozesses, er selbst hatte unvorsichtigerweise mit einer gewissen unerklärlichen Genugtuung vor Bekannten den Prozess erwähnt, andere hatten auf unbekannte Weise davon erfahren, das Verhältnis zu Fräulein Bürstner schien entsprechend dem Prozess zu schwanken - kurz, er hatte kaum mehr die Wahl, den Prozess anzunehmen oder abzulehnen, er stand mitten darin und musste sich wehren. War er müde, dann war es schlimm.

Zu übertriebener Sorge war allerdings vorläufig kein Grund. Er hatte es verstanden, sich in der Bank in verhältnismäßig kurzer Zeit zu seiner hohen Stellung emporzuarbeiten und sich, von allen anerkannt, in dieser Stellung zu erhalten, er musste jetzt nur diese Fähigkeiten, die ihm das ermöglicht hatten, ein wenig dem Prozess zuwenden, und es war kein Zweifel, dass es gut ausgehen müsste. Vor allem war es, wenn etwas erreicht werden sollte, notwendig, jeden Gedanken an eine mögliche Schuld von vornherein abzulehnen. Es gab keine Schuld. Der Prozess war nichts anderes als ein großes Geschäft, wie er es schon oft mit Vorteil für die [→HL 90] Bank abgeschlossen hatte, ein Geschäft, innerhalb dessen, wie das die Regel war, verschiedene Gefahren lauerten, die eben abgewehrt werden mussten. Zu diesem Zwecke durfte man allerdings nicht mit Gedanken an irgendeine Schuld spielen, sondern den Gedanken an den eigenen Vorteil möglichst festhalten. Von diesem Gesichtspunkt aus war es auch unvermeidlich, dem Advokaten die Vertretung sehr bald, am besten noch an diesem Abend, zu entziehen. Es war zwar nach seinen Erzählungen etwas Unerhörtes und wahrscheinlich sehr Beleidigendes, aber K. konnte nicht dulden, dass seinen Anstrengungen in dem Prozess Hindernisse begegneten, die vielleicht von seinem eigenen Advokaten veranlasst waren. War aber einmal der Advokat abgeschüttelt, dann musste die Eingabe sofort überreicht und womöglich jeden Tag darauf gedrängt werden, dass man sie berücksichtige. Zu diesem Zwecke würde es natürlich nicht genügen, dass K. wie die anderen im Gang saß und den Hut unter die Bank stellte. Er selbst oder die Frauen oder andere Boten mussten Tag für Tag die Beamten überlaufen und sie zwingen, statt durch das Gitter auf den Gang zu schauen, sich zu ihrem Tisch zu setzen und K.s Eingabe zu studieren. Von diesen Anstrengungen dürfte man nicht ablassen, alles müsste organisiert und überwacht werden, das Gericht sollte einmal auf einen Angeklagten stoßen, der sein Recht zu wahren verstand.

Wenn sich aber auch K. dies alles durchzuführen getraute, die Schwierigkeit der Abfassung der Eingabe war überwältigend.

Früher, etwa noch vor einer Woche, hatte er nur mit einem Gefühl der Scham daran denken können, dass er einmal genötigt sein könnte, eine solche Eingabe selbst zu machen; dass dies auch schwierig sein konnte, daran hatte er gar nicht gedacht. Er erinnerte sich, wie er einmal an einem Vormittag, als er gerade mit Arbeit überhäuft war, plötzlich alles zur Seite geschoben und den Schreibblock vorgenommen hatte, um versuchsweise den Gedankengang einer derartigen Eingabe zu entwerfen und ihn vielleicht dem schwerfälligen Advokaten zur Verfügung zu stellen, und wie gerade in diesem Augenblick die Tür des Direktionszimmers sich öffnete und der Direktor-Stellvertreter mit großem Gelächter eintrat. Es war für K. damals sehr peinlich gewesen, obwohl der Direktor-Stellvertreter natürlich nicht über die Eingabe gelacht hatte, von der er nichts wusste, sondern über einen Börsenwitz, den er eben gehört hatte, einen Witz, der zum Verständnis eine Zeichnung erforderte, die nun der Direktor-Stellvertreter, über K.s Tisch gebeugt, mit K.s Bleistift, den er ihm aus der Hand nahm, auf dem Schreibblock ausführte, der für die Eingabe bestimmt gewesen war. [→HL 91]

Heute wusste K. nichts mehr von Scham, die Eingabe musste gemacht werden."

Die Arbeitsanweisung der Schreibaufgabe
Aspekte der Lösung der Aufgabe

Die • mehrteilige Arbeitsanweisung der obigen Schreibaufgabe besteht aus 2 Teilen, wobei die zweite Aufgabe mit dem • übergeordneten Operator •"Interpretieren Sie" beginntund eine Vorgabe zum methodischen und aspektorientierten Gang der Analyse macht sowie den Hinweis enthält, dabei die sprachliche und erzähltechnische Gestaltung des Textes mit zu berücksichtigen.

Teilaufgabe 1:
Legen Sie kurz dar, in welcher Situation sich K. befindet.

  1. Was verlangt der Operator: "Legen Sie dar ..."?

Im • Operatorenkatalog des Landes Baden-Württemberg z. B. wird dazu ausgeführt:

  • Zusammenhänge, Probleme usw. unter einer bestimmten Fragestellung sachbezogen ausführen

  • Strukturen, Situationen, usw. objektiv abbilden

Die Ergänzung des Operators um das Modaladverb "kurz" stellt eine Präzisierung der Schreibaufgabe dar. Sie legt zweierlei fest:

  • Zum einen wird damit, absolut und in einem relativen Verhältnis zum Textganzen ausgedrückt, welchen Umfang die geforderte Einordnung der Textstelle in das Ganze des Aufsatzes haben soll: Sie soll knapp und im Verhältnis zu den beiden anderen Aufgaben kurz ausfallen.

  • Zum anderen wird damit die Aufgabe verbunden, nur das für die Situation, in der sich K. zu Beginn der Textstelle befindet, wirklich Wesentliche auszuwählen und in knapper Form zur Darstellung zu bringen.

In der Konsequenz bedeutet dies im "worst case": Wer statt knapp und kurz und auf das jeweils geforderte, ausgewählt Wesentliche beschränkt, seitenlange Inhaltswiedergaben verfasst, erfüllt die Anforderungen dieser Arbeitsanweisung nicht! Er muss trotz seiner umfangreichen reproduzierenden Ausführungen mit klaren Punktabzügen bei der Bewertung seiner Leistungen rechnen.

  1. Was bedeutet der Begriff "Situation" in diesem Zusammenhang?

Der Begriff "Situation" bezieht sich primär auf den unmittelbaren Kontext der Textstelle, verlangt aber auch einen, allerdings knapp gehaltenen, Rück- bzw. Ausblick auf die Einbettung dieser Situation in den gesamten Handlungszusammenhang des Romans.

Insofern muss auch eine gewisse Einordnung in das Textganze erfolgen, ohne dass der Einordnung aber übermäßig Gewicht gegeben werden soll. Wäre diese der Fall, müsste die Arbeitsanweisung den Operator "Einordnen" explizit verwenden, der in Baden-Württemberg deshalb auch dem Anforderungsbereich II zugeordnet worden ist.

Daraus folgt, dass ein paar wenige Sätze zur Einordnung in das Textganze genügen, keinesfalls aber breit angelegte Inhaltswiedergaben gefordert sind. Andernfalls kann es, wie schon oben ausgeführt, zu Punktabzügen kommen.

  1. Was gehört zur Situation, in der sich Josef K. in der Textstelle im Rahmen des Kapitelzusammenhangs befindet?

    Die Textstelle im Kontext des Kapitels: Advokat - Fabrikant - Maler (HL S. 79-119)

    Da die Textstelle in ein sehr umfangreiches Kapitel gehört, in der hier stets zitierten Ausgabe der Hamburger Lesehefte (2008) umfasst es 40 Seiten), ist es nötig, sich die Binnengliederung des Kapitels vorzunehmen:

    Die drei in der Kapitelüberschrift gemachten Angaben: Advokat, Fabrikant und Maler teilen das Kapitel in drei Einheiten:

    Das (Unter-)Kapitel "Advokat, dem der zur Interpretation vorgelegte Textauszug entnommen ist, steht am Anfang des Gesamtkapitels und ist mit seinen etwas mehr als 11 Seiten Länge, das zweitgrößte Unterkapitel. Alle drei Unterkapitel bilden eine zeitliche Einheit, deren inneres und äußeres Geschehen sich an einem Wintertag ereignet.

    In den in erlebter Rede gehaltenen Reflexionen des personalen Erzählers werden dabei auch Rückwendungen zur Darstellung gebracht.

    Die Unterkapitel Advokat und Fabrikant werden dazu noch räumlich miteinander verklammert. Beide Handlungsabschnitte finden in der Bank, im Arbeitszimmer und Vorzimmer des Büros von Josef K. statt. Daraus ergibt sich eine besonders enge inhaltliche Verbindung zwischen beiden, was sich auch in der nachfolgenden Aufstellung wichtiger Handlungselemente niederschlägt.

    Auf der Handlungsebene erscheinen alle drei (Unter-)Kapitel vor allem durch die von K. ins Auge gefasste Ablösung des Advokaten, die Übernahme der Verteidigung durch K. selbst und deren Aussichten auf der einen und ihrer privaten und beruflichen Konsequenzen für K. auf der anderen Seite miteinander verknüpft.

    Für die Lösung der Teilaufgabe 1 könnten unter dem Blickwinkel einer knappen Einordnung der zu interpretierenden Textstelle in das Gesamtkapitel folgende Textstellen herangezogen werden. Dabei spielen Zitate bei der endgültigen schriftlichen Ausarbeitung dieser Arbeitsaufgabe eine untergeordnete Rolle.

    In der folgenden Auflistung sind sie zur Verdeutlichung immer wieder eingebaut. Wer Zitate sparsam verwendet und ansonsten, die eine oder andere Belegstelle im Textverweisverfahren (vgl. S. ... Z.) angeben kann, ist sicher im Vorteil.

    In jedem Falle ist es zur Lösung der Teilaufgabe 1 nötig, sich einen kurzen Überblick über das Kapitel als Ganzes zu verschaffen.

  2. Was gehört zur Situation, in der sich Josef K. in der Textstelle im Gesamtzusammenhang der Handlung befindet?

Die Textstelle im Kontext des Romans

Um die Situation, in der sich Josef K. in der zu interpretierenden Textstelle befindet, knapp in den Gesamtzusammenhang des Romans einordnen zu können, sollte man sich die bis dahin stattgefundene Handlung in Grundzügen noch einmal klarmachen.

Beantwortet werden müssen in diesem Zusammenhang bei der Erarbeitung zunächst zwei Fragen:

  • Welche wichtigen Elemente kennzeichnen die Handlung des Romans bis dahin?

  • Welche dieser Handlungselemente sind für das Verständnis der ausgewählten Situation im Kapitel "Advokat - Fabrikant - Maler" wichtig?

Bei der schriftliche Ausarbeitung geht es dabei. vor allem um ausschweifende, rein reproduzierende Textwiedergaben zu vermeiden, nur um die Antwort auf die zweite Frage, die im Rahmen des Erarbeitungsprozesses voraussetzt, dass man in der Lage ist eine begründete und gewichtende Auswahlentscheidung zu treffen, die das Wesentliche unter dem Blickwinkel der vorgegebenen Kernstelle berücksichtigt.

Um hier rasch zu begründeten Ergebnissen zu gelangen, kann man im Clustering-Verfahren vorgehen. Das nachfolgende Cluster, das sowohl Kapitelüberschriften, wie einzelne Handlungsmomente enthält, ist vergleichsweise schnell erstellt und kann als Grundlage für weitere Überlegungen dienen:

Ausgehend von diesem Cluster lässt sich erwägen, welche Handlungselemente für die Situation, um die es geht, bedeutsam sind. Diese lassen sich dann mit Symbolen, Markierungen und Notizen dem Cluster hinzufügen.

Für die Einordnung in den Gesamtkontext des Romans kommt es darauf an, die ausgewählten wichtigen Handlungsmomente, die in Bezug zur Kernstelle stehen, darzustellen. Dazu gehören z. B. die folgenden Momente:

  • Bis zu der in der Textstelle dargestellten Situation glaubt K. nämlich daran, dass sein Eingehen auf den Prozess mehr oder weniger gezwungermaßen erfolgt sei (HL S.41 Z. 21f.), und natürlich ohne jede Form von Schuldanerkenntnis oder daraus resultierendem Rechtfertigungszwang. Sein Auftritt vor dem Untersuchungsrichter und der Versammlung war von K. ja zunächst auch noch im Bewusstsein zu Ende gegangen, dass er, indem er die Anklage mit seinem selbstbewussten Auftreten umgedreht hatte ("Ihr seid ha die korrupte Bande, gegen die ich sprach“, HL S.39 Z.5f.), die Anklage mehr oder weniger zu Fall gebracht habe.

  • Allerdings ist diese nach außen demonstrierte Selbstsicherheit und Auflehnung K.s gegen den ihm aufgezwungenen Prozess, in ihren psychischen Resultaten gespiegelt, schon mehr als brüchig. So weist die Tatsache, dass er ohne unmittelbare Aufforderung zur ersten Untersuchung erscheint, als auch sein, wiederum unaufgefordertes, Wiederaufsuchen des Gerichtssaals, eine Woche später, dass es um die zur Schau getragene Selbstsicherheit K.s ("Ihr Lumpen … ich schenke euch alle Verhöre“, HL S.39 Z. 26f.) nicht gerade bestens bestellt ist.
    Was K. als Teil seiner äußeren Realität noch nicht anerkennen will, nämlich ein Gerichtsverfahren gegen seine Person, wird jedoch mehr und mehr innerpsychische Realität. Das Gericht bzw. seine Instanzen verlagern sich mehr und mehr in die Psyche Josef K.s.
    So glaubt er zwar, getäuscht von der Tatsache, dass er trotz seiner "angeblichen“ (HL S.41 Z. 21f.) Verhaftung nicht arrestiert worden ist, immer noch daran, so frei zu sein, "das ganze Gericht, wenigstens soweit es ihn betraf, sofort zerschlagen“ (HL S.45 Z.15f.) zu können. Und wenn er sich einmal dazu durchringt, den Prozess gegen sich als Tatsache anzusehen, bescheinigt er diesem jedenfalls keine Erfolgsaussichten. So ficht ihn auch äußerlich nicht an, als er  z.B. vom Gerichtsdiener erfährt, dass von diesem Gericht "in der Regel keine aussichtslosen Prozesse geführt“ werden (HL S.49 Z.29)

  • Zugleich zeigen sich aber deutliche Symptome der seelischen Konflikte, in die er geraten ist. Die seelische Dynamik, die der Prozess freisetzt, alarmiert seine psychische Abwehr, und so wirkt auch die folgende Entwicklung K.s stets widersprüchlich.
    So lässt K. im Gespräch mit dem Angeklagten auf dem Dachboden diesen seine ganze, von Selbstüberschätzung und sozialer Arroganz gezeichnete Herablassung spüren, als er betont: "ich z. B. bin auch angeklagt, habe aber, so wahr ich selig werden will, weder einen Beweisantrag gestellt noch sonst irgendetwas Derartiges unternommen.“ HL S.51 Z. 20)

  • Aber K.s vollständiger körperlicher und psychischer Zusammenbruch auf dem Dachboden ("fast jeder bekommt einen solchen Anfall, wenn er zum ersten Mal herkommt“ (HL S.53 Z. 37f.).), zeigt auch, dass diese psychische Abwehr zumindest zeitweise versagt.  Das geht dann so weit, dass K. in einen Zustand der körperlichen und geistigen Desorientierung und Kontrollverlusts gerät. Auch wenn K. sich diesen Zustand nicht wirklich erklären kann (HL S. 58 Z. 7f.) und damit die Alarmsignale verleugnet, kann er sich mit einer einfachen Selbstversicherung darüber, dass der Anfall ganz im Gegensatz zu seiner ansonsten ausgesprochenen Gelassenheit gegenüber dem Prozess stehe ("Wollte etwa sein Körper revolutionieren und ihm einen neuen Prozess bereiten, da er den alten so mühelos ertrug?“, HL S.58, Z.7ff.), für eine Weile wieder aus seiner seelischen Bedrängnis befreien, indem er alles rationalisiert und damit verdrängt.

Teilaufgabe 2:
Interpretieren Sie die Textstelle aus dem Roman und zeigen Sie dabei ausgehend von dieser Textstelle auf, mit welcher Strategie er zu seinem Recht kommen will. - Beziehen Sie dabei auch die sprachliche und erzähltechnische Gestaltung der Textstelle in ihre Untersuchung mit ein.

Ausgangspunkt der Analyse könnte K.s Gedanke zu Beginn seiner Reflexion über den Advokaten sein: "Der Gedanke an den Prozess verließ ihn nicht mehr.“ (HL S.80)  K. überlegt sich, eine eigene Verteidigungsschrift zu verfassen, obwohl er die Anklage nicht einmal kennt. Damit hat K. das, was er im Gespräch mit Leni bei ihrer ersten Begegnung einige Zeit vorher (wahrscheinlich liegen Monate dazwischen, HL S. 80 Z 15) noch als einen Fehler angesehen hat ("ich denke wahrscheinlich sogar zu wenig an ihn“, HL S. 76 Z.41), äußerlich korrigiert.

Allerdings hat er damit aus Lenis damaliger Andeutung ("Sie sind zu unnachgiebig, so habe ich es gehört“, HL S.76 Z. 42f.) keine Konsequenzen gezogen.
Die Tatsache, dass K. noch nicht weiß, was ihm vorgeworfen wird, lässt ihn ihm den Gedanken aufkommen, eine "kurze Lebensbeschreibung“ (HL 80 Z. 7) zu verfassen, die er als eine "Verteidigungsschrift“ bei Gericht einzureichen gedenkt (HL 80 Z. 5f.).
Mit der Bereitschaft, sich selbst nun aktiv im Rahmen vermeintlich regelkonformer, irgendwie rechtsstaatlich verfasster Prozessabläufe engagieren will, verändert er seine Prozessstrategie grundlegend und zeigt damit eine neue Einstellung zu seinem Prozess.

Folgende Textstellen sollten bei der Analyse des Romanauszuges besondere Beachtung finden:

  • "Es war unbedingt nötig, dass K. selbst eingriff. "(HL S.89 Z. 16] "Die Verachtung, die er früher für den Prozess gehabt hatte. galt nicht mehr.“ (HL S.89 Z. 20f.)

  • "[…] seine Stellung war nicht mehr vollständig unabhängig von dem Verlauf des Prozesses" (HL S.89 Z.25f.)

  • "kurz, er hatte kaum mehr die Wahl, den Prozess anzunehmen oder abzulehnen, er stand mittendrin und musste sich wehren. […] Zu übertriebener Sorge war allerdings vorläufig kein Grund.“ (HL S. 89 Z. 31ff.)

  • "Es gab keine Schuld.“ (HL S.89 Z. 42)

  • "Der Prozess war nichts anderes als ein großes Geschäft, wie er es schon oft mit Vorteil für die Bank abgeschlossen hatte, innerhalb dessen, wie dies die Regel war, verschiedene Gefahren lauerten, die eben abgewehrt werden mussten.“ (HL S.89f. Z.42)

  • "Zu diesem Zwecke durfte man allerdings nicht mit Gedanken an irgendeine Schuld spielen, sondern den Gedanken an den eigenen Vorteil möglichst festhalten.“ (HL S.90 Z. 3f.)

  • "Zu diesem Zwecke würde es natürlich nicht genügen, dass K. wie die andern im Gang saß und den Hut unter die Bank stellte.“ (HL S.90 Z 15 f. – vgl. HL S.50 Z. 27)

  • "Er selbst oder die Frauen (!) oder andere Boten mussten Tag für Tag die Beamten überlaufen und sie zwingen, […] K.s Eingabe zu studieren. Von diesen Anstrengungen dürfte man nicht ablassen, alles müsste organisiert und überwacht werden (!), das Gericht sollte einmal auf einen Angeklagten stoßen, der sein Recht zu wahren verstand.“ (HL S.90 Z.16)

  • "…] die Eingabe musste gemacht werden.“ (HL S.91 Z. 1f.)

  • ...

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 10.12.2023

 
 

 
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