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Gesamttext (Kapiteleinteilung nach Max Brod)
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Gesamttext (Kapiteleinteilung nach Malcom Pasley 1990)
▪
Texte
interpretieren
▪
Überblick
▪ Didaktische und
methodische Aspekte »
▪
Schreibaufgaben
»
▪
Bearbeitungsstrategien
»
▪
Organisation des
Schreibprozesses: Arbeitsschritte »
▪
Schreibformate
»
▪
Schulische Methoden der
Textinterpretation
▪
Überblick
▪
Erschließungsverfahren
▪
Textbegleitend interpretieren
▪
Aspektorientiert und systematisch
interpretieren
▪
Von
Kernstellen aus interpretieren
▪
Überblick
▪
Aspekte der Schreibaufgabe
▪
Vergleichend interpretieren
▪
Gestaltend
interpretieren
▪
Interpretation eines
erzählenden Textes
•
Text des Kapitels
"Advokat / Fabrikant / Maler"
Schreibaufgaben zur Interpretation
literarischer Texte in der Schule, die im Zusammenhang mit
Interpretation des Romans •
Der Prozess von •
Franz Kafka
stehen, gehen häufig von einer bestimmten Textstelle aus, die in den
Gesamttext eingeordnet, analysiert und ggf. mit oder ohne Vorgabe eines
bestimmten Deutungsaspekts interpretiert werden soll.
Die nachfolgend
vorgestellte kognitv-analytisch ausgerichtete, Schreibaufgabe in einem •
gelenkten offenen Aufgabenformat kann auch als •
Von-Kernstellen-aus-Interpretieren
bezeichnet werden.
Hier soll exemplarisch
vorgestellt werden, wie eine derartige Schreibaufgabe zum Kapitel •"Advokat
/ Fabrikant / Maler" in •
Kafkas •
Prozess aussehen könnte und was bei der Bewältigung der
Schreibaufgabe im Allgemeinen erwartet wird.
Der Textauszug zur Schreibaufgabe
Auszug aus dem Kapitel Advokat / Fabrikant / Maler
(HL S. 89 Z. 17 - S. 91 Z. 1f.)
"Es war unbedingt nötig, dass K.
selbst eingriff. Gerade in Zuständen großer Müdigkeit, wie
an diesem
Wintervormittag, wo ihm alles willenlos durch den Kopf zog, war diese
Überzeugung unabweisbar.
Die Verachtung, die er früher für den Prozess
gehabt hatte, galt nicht mehr. Wäre er allein in der Welt gewesen, hätte er
den Prozess leicht missachten können, wenn es allerdings auch sicher war,
dass dann der Prozess überhaupt nicht entstanden wäre. Jetzt aber hatte ihn
der Onkel schon zum Advokaten gezogen,
Familienrücksichten sprachen mit;
seine
Stellung war nicht mehr vollständig unabhängig von dem Verlauf des
Prozesses, er selbst hatte
unvorsichtigerweise mit einer gewissen
unerklärlichen Genugtuung vor Bekannten den Prozess erwähnt,
andere hatten
auf unbekannte Weise davon erfahren, das
Verhältnis zu Fräulein Bürstner
schien entsprechend dem Prozess zu schwanken -
kurz, er hatte kaum mehr die
Wahl, den Prozess anzunehmen oder abzulehnen, er stand mitten darin und
musste sich wehren. War er müde, dann war es schlimm.
Zu übertriebener Sorge war
allerdings vorläufig kein Grund. Er hatte es verstanden, sich
in der Bank in
verhältnismäßig kurzer Zeit zu seiner hohen Stellung emporzuarbeiten und
sich, von allen anerkannt, in dieser Stellung zu erhalten,
er musste jetzt
nur diese Fähigkeiten, die ihm das ermöglicht hatten, ein wenig dem Prozess
zuwenden, und es war kein Zweifel, dass es gut ausgehen müsste. Vor allem
war es, wenn etwas erreicht werden sollte, notwendig, jeden Gedanken an eine
mögliche Schuld von vornherein abzulehnen.
Es gab keine Schuld.
Der Prozess
war nichts anderes als ein großes Geschäft, wie er es schon oft mit Vorteil
für die [→HL 90] Bank abgeschlossen hatte, ein Geschäft, innerhalb dessen, wie das
die Regel war, verschiedene Gefahren lauerten, die eben abgewehrt werden
mussten. Zu diesem Zwecke durfte man allerdings nicht mit Gedanken an
irgendeine Schuld spielen, sondern den
Gedanken an den eigenen Vorteil
möglichst festhalten. Von diesem Gesichtspunkt aus war es auch
unvermeidlich,
dem Advokaten die Vertretung sehr bald, am besten noch an
diesem Abend, zu entziehen. Es war zwar nach seinen Erzählungen etwas
Unerhörtes und wahrscheinlich sehr Beleidigendes, aber K. konnte nicht
dulden, dass seinen Anstrengungen in dem Prozess Hindernisse begegneten, die
vielleicht von seinem eigenen Advokaten veranlasst waren. War aber einmal
der Advokat abgeschüttelt, dann musste die Eingabe sofort überreicht und
womöglich jeden Tag darauf gedrängt werden, dass man sie berücksichtige. Zu
diesem Zwecke
würde es natürlich nicht genügen, dass K. wie die anderen im
Gang saß und den Hut unter die Bank stellte. Er selbst oder die Frauen oder
andere Boten mussten Tag für Tag die Beamten überlaufen und sie zwingen,
statt durch das Gitter auf den Gang zu schauen, sich zu ihrem Tisch zu
setzen und K.s Eingabe zu studieren.
Von diesen Anstrengungen dürfte man
nicht ablassen, alles müsste organisiert und überwacht werden, das Gericht
sollte einmal auf einen Angeklagten stoßen, der sein Recht zu wahren
verstand.
Wenn sich aber auch K. dies
alles durchzuführen getraute, die Schwierigkeit der Abfassung der Eingabe
war überwältigend.
Früher, etwa noch vor einer
Woche, hatte er nur mit einem Gefühl der Scham daran denken können, dass er
einmal genötigt sein könnte, eine solche Eingabe selbst zu machen; dass dies
auch schwierig sein konnte, daran hatte er gar nicht gedacht. Er erinnerte
sich, wie er einmal an einem Vormittag, als er gerade mit Arbeit überhäuft
war, plötzlich alles zur Seite geschoben und den Schreibblock vorgenommen
hatte, um versuchsweise den Gedankengang einer derartigen Eingabe zu
entwerfen und ihn vielleicht dem schwerfälligen Advokaten zur Verfügung zu
stellen, und wie gerade in diesem Augenblick die Tür des Direktionszimmers
sich öffnete und der Direktor-Stellvertreter mit großem Gelächter eintrat.
Es war für K. damals sehr peinlich gewesen, obwohl der
Direktor-Stellvertreter natürlich nicht über die Eingabe gelacht hatte, von
der er nichts wusste, sondern über einen Börsenwitz, den er eben gehört
hatte, einen Witz, der zum Verständnis eine Zeichnung erforderte, die nun
der Direktor-Stellvertreter, über K.s Tisch gebeugt, mit K.s Bleistift, den
er ihm aus der Hand nahm, auf dem Schreibblock ausführte, der für die
Eingabe bestimmt gewesen war.
[→HL
91]
Heute wusste K. nichts mehr von
Scham, die Eingabe musste gemacht werden."
Die Arbeitsanweisung der Schreibaufgabe
Aspekte der Lösung der Aufgabe
Die •
mehrteilige Arbeitsanweisung
der obigen Schreibaufgabe besteht aus 2 Teilen, wobei die zweite
Aufgabe mit dem •
übergeordneten Operator
•"Interpretieren
Sie" beginntund eine Vorgabe zum methodischen und aspektorientierten
Gang der Analyse macht sowie den Hinweis enthält, dabei die
sprachliche und erzähltechnische Gestaltung des Textes mit zu
berücksichtigen.
Teilaufgabe 1: Legen Sie kurz
dar, in welcher Situation sich K. befindet.
-
Was verlangt der Operator:
• "Legen Sie dar
..."?
Im
•
Operatorenkatalog des Landes Baden-Württemberg
z. B. wird dazu ausgeführt:
-
Zusammenhänge, Probleme usw. unter einer bestimmten Fragestellung
sachbezogen ausführen
-
Strukturen, Situationen, usw. objektiv abbilden
Die Ergänzung des Operators
um das Modaladverb "kurz" stellt eine Präzisierung der
Schreibaufgabe dar. Sie legt zweierlei fest:
-
Zum einen wird damit, absolut und in einem relativen Verhältnis zum
Textganzen ausgedrückt, welchen Umfang die geforderte Einordnung
der Textstelle in das Ganze des Aufsatzes haben soll: Sie soll knapp
und im Verhältnis zu den beiden anderen Aufgaben kurz ausfallen.
-
Zum anderen wird damit die
Aufgabe verbunden, nur das für die Situation, in der sich K. zu
Beginn der Textstelle befindet, wirklich Wesentliche auszuwählen
und in knapper Form zur Darstellung zu bringen.
In der Konsequenz bedeutet
dies im "worst case": Wer statt knapp
und kurz und auf das jeweils geforderte, ausgewählt Wesentliche
beschränkt, seitenlange Inhaltswiedergaben verfasst, erfüllt die
Anforderungen dieser Arbeitsanweisung nicht! Er muss trotz seiner
umfangreichen reproduzierenden Ausführungen mit klaren Punktabzügen bei
der Bewertung seiner Leistungen rechnen.
-
Was bedeutet der Begriff
"Situation" in diesem Zusammenhang?
Der Begriff "Situation"
bezieht sich primär auf den unmittelbaren Kontext der Textstelle,
verlangt aber auch einen, allerdings knapp gehaltenen, Rück- bzw.
Ausblick auf die Einbettung dieser Situation in den gesamten
Handlungszusammenhang des Romans.
Insofern muss auch eine gewisse
Einordnung in das Textganze erfolgen, ohne dass der Einordnung aber
übermäßig Gewicht gegeben werden soll. Wäre diese der Fall, müsste die
Arbeitsanweisung den Operator "Einordnen"
explizit verwenden, der in Baden-Württemberg deshalb auch dem
Anforderungsbereich II zugeordnet worden ist.
Daraus folgt, dass ein paar wenige Sätze zur Einordnung in das Textganze
genügen, keinesfalls aber breit angelegte Inhaltswiedergaben gefordert
sind. Andernfalls kann es,
wie schon oben
ausgeführt, zu Punktabzügen kommen.
-
Was gehört zur Situation, in der sich Josef K. in der Textstelle
im Rahmen des Kapitelzusammenhangs befindet?
Die Textstelle im Kontext des Kapitels:
Advokat - Fabrikant - Maler (HL S. 79-119)
Da die Textstelle in ein sehr umfangreiches Kapitel gehört, in der
hier stets zitierten Ausgabe der Hamburger Lesehefte (2008) umfasst es
40 Seiten), ist es nötig, sich die Binnengliederung des Kapitels
vorzunehmen:
Die drei in der Kapitelüberschrift gemachten Angaben: Advokat,
Fabrikant und Maler teilen das Kapitel in drei Einheiten:
Das (Unter-)Kapitel "Advokat, dem der zur Interpretation vorgelegte
Textauszug entnommen ist, steht am Anfang des Gesamtkapitels und ist mit
seinen etwas mehr als 11 Seiten Länge, das zweitgrößte Unterkapitel.
Alle drei Unterkapitel bilden eine zeitliche Einheit, deren inneres und
äußeres Geschehen sich an einem Wintertag ereignet.
In den in
erlebter Rede gehaltenen Reflexionen des
personalen Erzählers werden dabei auch
Rückwendungen zur Darstellung gebracht.
Die Unterkapitel Advokat und
Fabrikant werden dazu noch räumlich miteinander verklammert. Beide
Handlungsabschnitte finden in der Bank, im Arbeitszimmer und Vorzimmer
des Büros von Josef K. statt. Daraus ergibt sich eine besonders enge
inhaltliche Verbindung zwischen beiden, was sich auch in der
nachfolgenden Aufstellung wichtiger Handlungselemente niederschlägt.
Auf
der Handlungsebene erscheinen alle drei (Unter-)Kapitel vor allem durch
die von K. ins Auge gefasste Ablösung des Advokaten, die Übernahme der
Verteidigung durch K. selbst und deren Aussichten auf der einen und
ihrer privaten und beruflichen Konsequenzen für K. auf der anderen Seite
miteinander verknüpft.
Für die Lösung der
Teilaufgabe 1 könnten unter dem Blickwinkel
einer knappen Einordnung der zu interpretierenden Textstelle in das
Gesamtkapitel folgende Textstellen herangezogen werden. Dabei spielen
Zitate bei der endgültigen schriftlichen Ausarbeitung dieser
Arbeitsaufgabe eine untergeordnete Rolle.
In der folgenden Auflistung
sind sie zur Verdeutlichung immer wieder eingebaut. Wer Zitate sparsam
verwendet und ansonsten, die eine oder andere Belegstelle im
Textverweisverfahren (vgl. S. ... Z.) angeben kann, ist sicher im
Vorteil.
In jedem Falle ist es zur Lösung der
Teilaufgabe 1 nötig, sich
einen kurzen Überblick über das Kapitel als Ganzes zu verschaffen.
-
K. sitzt an einem trüben Wintervormittag mit Schneefall (HL
S.79 Z. 31), es ist wahrscheinlich so gegen 9 Uhr (HL
91 Z 28: "Es
war elf Uhr, zwei Stunden, eine lange, kostbare Zeit, hatte er
verträumt [...]" , "äußerst
müde" (HL S.79 Z.32) in seinem Büro und "träumt" vor sich
hin. Um nicht gestört zu werden, hat er untersagt, bei der Arbeit
gestört zu werden.
-
"Mit
gesenktem Kopf" bleibt Josef K. die beiden Stunden "unbeweglich
sitzen" (HL
S.80 Z.3), bis er gegen 11 Uhr von einem Diener darauf
aufmerksam gemacht wird, dass vor seinem Büro zwei "sehr
wichtige Kundschaften der Bank" (HL
S. 91 Z. 34) warteten und Josef K., "müde
von dem Vorhergegangenen und müde das Folgende erwartend" (HL
S. 91 Z. 38f.), den Fabrikanten empfängt. In diesen zwei Stunden
macht er sich Gedanken darüber, wie er seine eigene Verteidigung
organisieren könne, nachdem er dem Advokaten das Mandat entzogen
hätte. Dabei erinnert sich K. an bisher stattgefundene Unterredungen
mit dem Advokaten, in denen dieser von seinen Aktivitäten, über das
Gerichtswesen im Allgemeinen und über die prinzipielle Rolle der
Verteidigung in einem Prozess erzählt hatte.
-
Im Fortgang des Gesprächs mischt sich der
Direktor-Stellvertreter ein (HL
S.92 Z. 37f), von K. "wie
hinter einem Gazeschleier" (HL
S. 92 Z. 37) wahrgenommen und zieht sich für eine Weile mit dem
Fabrikanten in das Direktionszimmer zurück. (HL
S.93 Z. 41)
-
Währenddessen macht sich K., der froh ist "endlich
[...] allein" (HL
S. 94 Z. 3) zu sein, weitere Gedanken über seinen Prozess,
insbesondere über die Schwierigkeiten bei seiner fortan geplanten
Selbstverteidigung (vgl.
HL S. 94 Z. 18-41) und den Konsequenzen, die sich daraus für
seine berufliche Position in der Bank ergeben konnten. (vgl.
HL S. 94 Z.42 -
S.95 Z. 30)
-
Als der Fabrikant von seinem Gespräch mit dem
Direktor-Stellvertreter wieder zu K. zurückkommt (HL
S.95 Z. 37f.), erhält K. von dem Fabrikanten, der von dem
Prozess gegen K. weiß, ein Empfehlungsschreiben für den in
Prozessangelegenheiten angeblich gut unterrichteten Gerichtsmaler
Titorelli [HL
S.97 Z.40).
-
Nachdem K. den Fabrikanten verabschiedet hat (HL
S.98 Z.14), kümmert sich K, nicht um weitere wartende Kunden
(vgl.
HL S.98 Z. 38). Stattdessen verabschiedet er sich unter einem
Vorwand ("ich
habe einen Geschäftsgang zu machen", HL. S.99 Z.25) vom
Direktor-Stellvertreter, dem er im Bewusstsein, ihm im Augenblick "nicht
gewachsen" (HL
S.100 Z.22) zu sein, das geschäftliche (Konkurrenz-)Feld
überläst.
-
"Fast glücklich darüber, sich eine Zeit lang, vollständiger
seiner Sache widmen zu können" (HL S.100 Z. 29f.) begibt sich K.
sofort zu dem Gerichtsmaler Titorelli, der ihn über
verschiedene Strategien in Prozessen seiner Art und deren
Erfolgsaussichten unterrichtet. (vgl.
HL S.100 Z. 31 -
S.119 Z. 30) Insbesondere macht er ihm die Unterschiede zwischen
der wirklichen Freisprechung (vgl.
HL S.110 Z. 7ff.), der scheinbaren Freisprechung (HL
S. 113 Z.10) und der Verschleppung (HL
S.115 Z. 31) klar (vgl.
HL S.110 Z. 4 -
S.117 Z. 11)
-
Was gehört zur Situation, in der sich Josef K. in der Textstelle
im Gesamtzusammenhang der Handlung befindet?
Die Textstelle im Kontext des Romans Um die Situation, in
der sich Josef K. in der zu interpretierenden Textstelle befindet, knapp
in den Gesamtzusammenhang des Romans einordnen zu können, sollte man
sich die bis dahin stattgefundene Handlung in Grundzügen noch einmal
klarmachen.
Beantwortet werden müssen in diesem Zusammenhang bei der Erarbeitung
zunächst zwei Fragen:
-
Welche wichtigen Elemente kennzeichnen die Handlung des Romans
bis dahin?
-
Welche dieser Handlungselemente sind für das Verständnis der
ausgewählten Situation im Kapitel "Advokat - Fabrikant - Maler"
wichtig?
Bei der
schriftliche Ausarbeitung geht es dabei. vor allem um ausschweifende, rein
reproduzierende Textwiedergaben zu vermeiden, nur um die Antwort auf
die zweite Frage, die im Rahmen des Erarbeitungsprozesses
voraussetzt, dass man in der Lage ist eine begründete und
gewichtende Auswahlentscheidung zu treffen, die das Wesentliche
unter dem Blickwinkel der vorgegebenen Kernstelle
berücksichtigt. Um hier rasch zu
begründeten Ergebnissen zu gelangen, kann man im
Clustering-Verfahren vorgehen. Das nachfolgende Cluster, das
sowohl Kapitelüberschriften, wie einzelne Handlungsmomente enthält,
ist vergleichsweise schnell erstellt und kann als Grundlage für
weitere Überlegungen dienen:
 Ausgehend von diesem Cluster lässt sich erwägen, welche
Handlungselemente für die Situation, um die es geht, bedeutsam sind.
Diese lassen sich dann mit Symbolen, Markierungen und Notizen dem
Cluster hinzufügen. Für die Einordnung in den Gesamtkontext des Romans
kommt es darauf an, die ausgewählten wichtigen
Handlungsmomente, die in Bezug zur Kernstelle stehen,
darzustellen. Dazu gehören z. B. die folgenden Momente:
-
Bis
zu der in der Textstelle dargestellten Situation glaubt K.
nämlich daran, dass sein Eingehen auf den
Prozess mehr oder weniger gezwungermaßen erfolgt sei (HL S.41 Z.
21f.), und natürlich ohne jede Form von Schuldanerkenntnis oder
daraus resultierendem Rechtfertigungszwang. Sein Auftritt vor dem
Untersuchungsrichter und der Versammlung war von K. ja zunächst auch
noch im Bewusstsein zu Ende gegangen, dass er, indem er die Anklage
mit seinem selbstbewussten Auftreten umgedreht hatte ("Ihr seid ha
die korrupte Bande, gegen die ich sprach“,
HL S.39 Z.5f.), die
Anklage mehr oder weniger zu Fall gebracht habe.
-
Allerdings ist diese nach außen demonstrierte Selbstsicherheit und
Auflehnung K.s gegen den ihm aufgezwungenen Prozess, in ihren
psychischen Resultaten gespiegelt, schon mehr als brüchig. So weist
die Tatsache, dass er ohne unmittelbare Aufforderung zur ersten
Untersuchung erscheint, als auch sein, wiederum unaufgefordertes,
Wiederaufsuchen des Gerichtssaals, eine Woche später, dass es um die
zur Schau getragene Selbstsicherheit K.s ("Ihr Lumpen … ich schenke
euch alle Verhöre“,
HL S.39 Z. 26f.) nicht gerade bestens bestellt
ist. Was K. als Teil seiner äußeren Realität noch nicht anerkennen will,
nämlich ein Gerichtsverfahren gegen seine Person, wird jedoch mehr
und mehr innerpsychische Realität. Das Gericht bzw. seine Instanzen
verlagern sich mehr und mehr in die Psyche Josef K.s. So glaubt er zwar, getäuscht von der Tatsache, dass er trotz seiner
"angeblichen“ (HL S.41 Z.
21f.) Verhaftung nicht arrestiert worden
ist, immer noch daran, so frei zu sein, "das ganze Gericht,
wenigstens soweit es ihn betraf, sofort zerschlagen“ (HL S.45
Z.15f.) zu können. Und wenn er sich einmal dazu durchringt, den
Prozess gegen sich als Tatsache anzusehen, bescheinigt er diesem
jedenfalls keine Erfolgsaussichten. So ficht ihn auch äußerlich
nicht an, als er z.B. vom Gerichtsdiener erfährt, dass von
diesem Gericht "in der Regel keine aussichtslosen Prozesse geführt“
werden (HL S.49 Z.29)
-
Zugleich zeigen sich aber deutliche Symptome der seelischen
Konflikte, in die er geraten ist. Die seelische Dynamik, die der
Prozess freisetzt, alarmiert seine psychische Abwehr, und so wirkt
auch die folgende Entwicklung K.s stets widersprüchlich. So lässt K. im Gespräch mit dem Angeklagten auf dem Dachboden diesen
seine ganze, von Selbstüberschätzung und sozialer Arroganz
gezeichnete Herablassung spüren, als er betont: "ich z. B. bin auch
angeklagt, habe aber, so wahr ich selig werden will, weder einen
Beweisantrag gestellt noch sonst irgendetwas Derartiges
unternommen.“
HL S.51 Z. 20)
-
Aber K.s vollständiger körperlicher und psychischer Zusammenbruch
auf dem Dachboden ("fast jeder bekommt einen solchen Anfall, wenn er
zum ersten Mal herkommt“ (HL S.53 Z. 37f.).), zeigt auch, dass diese
psychische Abwehr zumindest zeitweise versagt. Das geht dann
so weit, dass K. in einen Zustand der körperlichen und geistigen
Desorientierung und Kontrollverlusts gerät. Auch wenn K. sich diesen
Zustand nicht wirklich erklären kann (HL S. 58 Z. 7f.) und damit die
Alarmsignale verleugnet, kann er sich mit einer einfachen
Selbstversicherung darüber, dass der Anfall ganz im Gegensatz zu
seiner ansonsten ausgesprochenen Gelassenheit gegenüber dem Prozess
stehe ("Wollte etwa sein Körper revolutionieren und ihm einen neuen
Prozess bereiten, da er den alten so mühelos ertrug?“,
HL S.58,
Z.7ff.), für eine Weile wieder aus seiner seelischen Bedrängnis
befreien, indem er alles rationalisiert und damit verdrängt.
-
…
Teilaufgabe 2: Interpretieren
Sie die Textstelle aus dem Roman und zeigen Sie dabei ausgehend von
dieser Textstelle auf, mit welcher Strategie er zu seinem Recht
kommen will. - Beziehen Sie dabei auch die sprachliche und
erzähltechnische Gestaltung der Textstelle in ihre Untersuchung mit
ein. Ausgangspunkt der
Analyse könnte K.s Gedanke zu Beginn seiner Reflexion über den Advokaten
sein: "Der Gedanke an den Prozess verließ ihn nicht mehr.“ (HL S.80)
K. überlegt sich, eine eigene Verteidigungsschrift zu verfassen, obwohl er
die Anklage nicht einmal kennt. Damit hat K. das, was er im Gespräch mit
Leni bei ihrer ersten Begegnung einige Zeit vorher (wahrscheinlich liegen
Monate dazwischen,
HL S. 80 Z 15) noch als einen Fehler angesehen hat ("ich
denke wahrscheinlich sogar zu wenig an ihn“,
HL S. 76 Z.41), äußerlich
korrigiert.
Allerdings hat er damit aus Lenis damaliger Andeutung ("Sie sind zu
unnachgiebig, so habe ich es gehört“,
HL S.76 Z. 42f.) keine Konsequenzen
gezogen. Die Tatsache, dass K. noch nicht weiß, was ihm vorgeworfen wird, lässt ihn
ihm den Gedanken aufkommen, eine "kurze Lebensbeschreibung“ (HL 80 Z. 7) zu
verfassen, die er als eine "Verteidigungsschrift“ bei Gericht einzureichen
gedenkt (HL 80 Z. 5f.). Mit der Bereitschaft, sich selbst nun aktiv im Rahmen vermeintlich
regelkonformer, irgendwie rechtsstaatlich verfasster Prozessabläufe
engagieren will, verändert er seine Prozessstrategie grundlegend und zeigt
damit eine neue Einstellung zu seinem Prozess. Folgende
Textstellen sollten bei der Analyse des Romanauszuges besondere Beachtung
finden:
-
"Es war
unbedingt nötig, dass K. selbst eingriff. "(HL S.89 Z. 16] "Die
Verachtung, die er früher für den Prozess gehabt hatte. galt nicht
mehr.“ (HL S.89 Z. 20f.)
-
"[…] seine
Stellung war nicht mehr vollständig unabhängig von dem Verlauf des
Prozesses" (HL S.89 Z.25f.)
-
"kurz, er
hatte kaum mehr die Wahl, den Prozess anzunehmen oder abzulehnen, er
stand mittendrin und musste sich wehren. […] Zu übertriebener Sorge
war allerdings vorläufig kein Grund.“ (HL S. 89 Z. 31ff.)
-
"Es gab
keine Schuld.“ (HL S.89 Z. 42)
-
"Der Prozess
war nichts anderes als ein großes Geschäft, wie er es schon oft mit
Vorteil für die Bank abgeschlossen hatte, innerhalb dessen, wie dies
die Regel war, verschiedene Gefahren lauerten, die eben abgewehrt
werden mussten.“ (HL S.89f. Z.42)
-
"Zu diesem
Zwecke durfte man allerdings nicht mit Gedanken an irgendeine Schuld
spielen, sondern den Gedanken an den eigenen Vorteil möglichst
festhalten.“ (HL S.90 Z. 3f.)
-
"Zu diesem
Zwecke würde es natürlich nicht genügen, dass K. wie die andern im
Gang saß und den Hut unter die Bank stellte.“ (HL S.90 Z 15 f. –
vgl. HL S.50 Z. 27)
-
"Er selbst
oder die Frauen (!) oder andere Boten mussten Tag für Tag die
Beamten überlaufen und sie zwingen, […] K.s Eingabe zu studieren.
Von diesen Anstrengungen dürfte man nicht ablassen, alles müsste
organisiert und überwacht werden (!), das Gericht sollte einmal auf
einen Angeklagten stoßen, der sein Recht zu wahren verstand.“ (HL
S.90 Z.16)
-
"…] die
Eingabe musste gemacht werden.“ (HL S.91 Z. 1f.)
-
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Text des Kapitels
"Advokat / Fabrikant / Maler"
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.12.2023
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