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Themabereich Lesen: Bausteine

Was heißt Bücherlesen?

Johann Adam Bergk (1799) (Auszüge)

 
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Bergk, Johann Adam: Bewirkt die Aufklärung Revolutionen (1795)

Der Anhänger der Philosophie »Immanuel Kants (1724-1804) und deutsche ▪ Jakobiner »Johann Adam Bergk (1769-1834) ist Autor zahlreicher populär-philosophischer Schriften, die er unter seinem Namen, anonym oder unter dem Namen Hainichen und Jul. Frey veröffentlichte. Bergk stimmt durchaus in Teilen der autonomen, auf Idealisierung der Wirklichkeit hin ausgerichteten Funktionsbestimmung der Literatur der deutschen Klassik zu, gibt aber seine aufklärerische Konzeption von Literatur dabei nicht auf. Sein aufklärerisches, lesedidaktisches Konzept verbindet dabei "ästhetische, wissenschaftliche und allgemeinbildende Lektüreformen jeweils mit spezifischen Funktionsbestimmungen, deren Kohärenz sich im Wesentlichen durch ethische, aus der praktischen Philosophie gewonnene Gesichtspunkte ergibt. In nachdrücklicher Opposition zum unkritischen, zur Passivität verleitenden Literaturkonsum plädiert Bergk für eine lebenspraktisch und moralisch folgenreiche Lesekultur, die sich im Rahmen der literarischen und politischen Öffentlichkeit entfaltet. Einen wichtigen Orientierungspunkt bildet dabei die Forderung nach Ablösung des Feudalabsolutismus durch demokratisch-republikanische Verhältnisse." (Freis 2009, Abstract)

Sein Werk "Über das Lesen von Büchern" (1799) bezeichnet schon im Titel "den Grundzug seiner Schriftstellerei: Selber von unbeugsamer Rationalität, wollte er seinen Lesern den Weg zu intellektueller wie moralischer Autonomie und zu entsprechendem Erfolge weisen. Als unentbehrliches Orientierungsmedium galten ihm dabei die Bücher."  Seine grundsätzlich idealistische Position gegenüber Büchern hat ihn aber nicht davon abgehalten, "nüchtern den instrumentalen Charakter jeder Lektüre hervorzuheben. Bergk schwärmt also nicht vom Lesen, erkennt vielmehr dessen Nachteile in der Gefahr ersatzbefriedigenden Phantasierens" (Steinberg 1969).

"Der Eine liest, um sich die Zeit zu vertreiben, der Andere, um sich zu belehren; der Eine, um sich aufzuheitern, der Andere, um sich seine Körperschmerzen zu töten. Die Menschen wollen sich durch Lesen wie durch einen Zauberschlag in eine bessere Welt versetzen. Sie bedienen sich der Bücher wie die Türken des Opiums. Sie träumen und sie dichten, und der Weltgang entspricht ihren Wünschen.

Was ist nun das Gemeinschaftliche bei allen diesen Bemühungen und Absichten? Alle Leser wollen entweder Gefühle, oder Begriffe oder Begehrnisse in ihrem Gemüte rege machen. Wie muss man nun verfahren, wenn man beim Lesen diesen Zweck erreichen will? Es gibt Leser, welche bloß die Geschichte eines Romans interessiert, andere beobachten sorgfältig das Entstehen und den Fortgang einer Leidenschaft. Einige merken auf die Haltung und Durchführung der Charaktere, andere suchen die Bemerkungen auf, welche sentenzmäßig ausgedrückt, über die Welt und das Menschenleben ausgetreuet sind. [...] Das Erste, was man beim Lesen tun muss, ist, das Feuer der Einbildungskraft anzufachen, um den Vorstellungen Lebendigkeit einzuhauchen, und das Ganze sich anschaulich darstellen und es mit Reflexion überschauen zu können. [...] Wir müssen das Buch, das wir lesen, durch unsere eigene Tätigkeit lebendig machen und zum Sprechen bringen; [...] Wir müssen selbsttätig sein und den Inhalt des Buches durch die Bewegungen unseres Gemütes und durch die Tätigkeiten unseres Verstandes in uns erzeugen, um denselben uns verständlich zu machen. Unser Geist muss durch eigene Freiheit und Selbsttätigkeit die Saiten fortschlagen, die das Buch in ihm angeschlagen, und die Regungen lebendig halten, die es in ihm aufgeregt hat. [...] Lesen heißt daher nicht Begriffe, die uns von außen gegeben werden, auffassen, sondern den Stoff dazu in sich selbst ins Leben rufen; es heißt nicht Buchstaben und Silben zählen, sondern die mancherlei Zustände menschlichen Gemüts ins sich selbst verstehen lernen; es heißt nicht, einzelne Eindrücke aufnehmen, sondern alles unter einen Gesichtspunkt zusammenfassen; es heißt nicht den Sinn der einzelnen Worte verstehen, sondern das Ganze überschauen, und darüber Reflexionen anzustellen. Das Buch, das wir lesen, darf uns nicht als Sklaven behandeln, sondern wir müssen als freies Wesen über seinen Inhalt herrschen. [...] Wir müssen uns von dem Stoffe des Buches nicht unterjochen lassen, sondern wir müssen ihn als Selbstdenker bearbeiten, und ihn als Eigentum unseres Geistes behandeln. Unser Bestreben beim Lesen muss stets dahin gehen, uns über den Stoff zu erheben, um ihn beherrschen zu können. [...]

Wir müssen stets, um unsern Charakter als Menschen zu behaupten, frei und selbsttätig auf die Materie derselben zurückwirken, um das Wahre und das Falsche beurteilen und prüfen zu können.

Viele Menschen erlangen zeitlebens keine Festigkeit des Charakters, weil sie bloß amüsiert sein wollen, und weil sie ein ewiger Spielball äußerer Eindrücke sind. Sie verhalten sich bei allen Einwirkungen auf ihr Gemüt bloß leidend, und wagen nie selbst zu denken und den Stoff eigentümlich und selbsttägig zu bearbeiten, den ihnen ein Buch oder das Menschenleben darreicht. Viele bringen sich durch Lesen um ihre Würde, weil sie charakterlose Bücher lesen, und sich an eine stete Passivität gewöhnen, die zwar ihrer Gemächlichkeit schmeichelt, aber ihnen alle Achtung freier Wesen raubt. Das Lesen bringt Gefahr, wenn es bloß ein empfängliches, aber kein selbsttätiges Gemüt an sich findet. [...]

Man denken sich den großen Haufen unserer Romanleser, die ein saft- und kraftloses Gericht nach dem anderen verschlingen, um sich vor der unerträglichen Leere des Geistes zu retten. Sie sehen die Begebenheiten wie in einem Zauberspiegel kommen und verschwinden, wovon die eine immer toller als die andere ist. [...] Sind wir nicht streng aufmerksam auf das, was wir lesen, so gewöhnen wir uns an Zerstreuung, und betrachten und sehen alles nur mit einem dunklen Bewusstsein. Ein solcher Zustand wird uns bald zur andern Natur. Wir müssen daher die Lektüre ganz inhaltsleerer Bücher vermeiden, weil sie uns kein Interesse einflößen. [...]

Der Leser eines Buches muss das tun, was der Schauspieler, der Künstler ist, tut. Er muss dem Dichter nachhelfen: er muss das Selbstdenken nicht aufgeben, sondern er muss ihm vor- und nachdenken. Er muss nicht Sklav fremder Materialien werden, sondern er muss als Selbstherrscher über sie regieren. Sein eigenes Nachdenken muss der Aufgabe zuvoreilen, die ihm der Schriftsteller vorlegt. Immer muss er sich fragen, gibt es noch mehrere Arten, die Ursache von dieser oder jener Erscheinung zu erklären.[...]

Was man also liest, muss man sich selbst in Leben rufen: denn was man nicht in seinem Gemütszustande findet, kann man sich nicht verständlich machen. Oft gefällt uns das beste Buch nicht, weil wir nicht in der Stimmung sind, worin das Buch geschrieben ist. [...]

Lautes Lesen vertritt die Stelle eines Spazierganges. Die Anstrengung, die es uns kostet, setzt unser Blut in Bewegung, verhütet die Stockung der Säfte, und verscheucht Krankheiten und Missvergnügen. [...]

Wer mit Affekt und Eindringlichkeit sprechen lernen will, muss öfters laut lesen, weil er bei dieser Art von Lektüre in den Sinn des Buches tiefer eindringen muss, und jeder Empfindung ihren Ton zu geben versucht.

Durch lautes Lesen kann man seine fehlerhaften Sprachorgane verbessern, wenn man nur die Töne langsam, nachdrücklich und deutlich ausspricht.

Im Stehen zu lesen ist für den Kopf und für die Füße nachteilig; jener bekommt den Schwindel, diese fühlen eine unnatürliche Schwäche, und wir sind fast nicht imstande, uns selbst zu tragen. [...]

Das Lesen von Büchern, die nicht allzu vieles Nachdenken erfordern, befördert den Schlaf. [...]

Lautes Lesen nach Tische ist eben so ungesund, als ein angestrengter Spaziergang. Wir entziehen dem Magen die zur Verdauung nötigen Säfte und fühlen daher Mattigkeit und Missbehagen.

Die schwerste Probe des Lautlesens ist die Lektüre von Schauspielern. Wir müssen dabei alle Charaktere annehmen und uns in alle Launen schmiegen; unsere Stimme und unsere Affekten müssen den auftretenden Personen entsprechen, und unsere Leidenschaften müssen sich in alle Farben kleiden. [...]

Philosophische Schriften dürfen nicht laut gelesen werden, weil und das Vernehmen der Töne an dem Überschauen des Ganzen hindert. Wir vergessen, was wir gelesen haben, und denken immer nur das, was gegenwärtig ist.[...]

Es ist viel daran gelegen, dass man langsam, vorzüglich wichtige Schriften, lese, weil man sonst leicht Gedanken übersieht, und das Ganze nicht begreift. Man kann endlich kein Buch mit Nutzen lesen, weil man sich an ein leichtsinniges Darüberhineilen auch über die schwersten Punkte gewöhnt hat."

Johann Adam Bergk (1769-1834), Die Kunst, Bücher zu lesen: nebst Bemerkungen über Schriften und Schriftsteller, Jena 1799, S.60-72, Auszüge http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb1ß400331-5 

Bergk, Johann Adam: Bewirkt die Aufklärung Revolutionen (1795)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 17.12.2023

 
 

 
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