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arbeitstechnik lesen
▪ Lesekompetenz
▪
Konzepte der Schreibkompetenz
Lesen ist ein Thema, das von vielen Seiten
betrachtet werden kann. In diesem Themenbereich sollen ein paar wenige,
ohne Anspruch darauf, das komplexe Thema in allen Facetten zu
erschließen, dargestellt werden. Auf die physiologische Seite des Lesens
mit ihren komplexen ▪
Wahrnehmungs- und kognitiven Verarbeitungsprozessen, bei der ▪
visuellen Wahrnehmung und der ▪
Verarbeitung der
neuronalen Informationen, gehen wir im Zusammenhang mit der ▪
Arbeitstechnik Lesen mit
einigen Informationen ein.
Ziel des ▪ Projekt- / Themenbereichs Lesen
ist es dabei, Reflexionsprozesse über das Lesen, seine
Geschichte, seine kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung sowie seine
Entwicklung im Lebenslauf alphabetisierter und damit lesekundiger
Menschen in Schule und Unterricht anzustoßen. Damit stellt er
zugleich als Kontext "Hintergrundinformationen" zur ▪
Technik des Lesens dar, die
in einem eigenen ▪ Arbeitsbereich
behandelt wird.
Lesen wird dabei als ▪ sinnkonstruierender
Prozess verstanden, der auf einer fortwährenden
Text-Leser-Interaktion beruht. Diese ist neben textgeleiteten Aspekten
vor allem vom aktiven Zutun des Lesers geprägt. Textverstehen entsteht
in Wechselwirkungen von textgeleiteten und konzept- bzw.
erwartungsgeleiteten Prozessen bei seiner kognitiven Verarbeitung.

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Was früher und heute gelesen wurde und wie man da tut, ist dem Wandel
der Zeiten unterworfen. Eines aber ist Lesen heute nicht mehr: Bloßer
Nachvollzug einer in Textform gefassten "scheinbar fest vorgegebenen
Bedeutung", die beim Vorlesen verkündet wird, wie dies früher einmal
beim Verkünden und Erklären dessen war, was die Heilige Schrift" zur
Erklärung von Gott und Welt beinhaltete. (vgl.
Bickenbach 2015,
S.395) Was im Zuge der Aufklärung, wo gedruckte Bücher ihren von
vornherein erhobenen Anspruch auf Gültigkeit und Wahrheit verloren, und
somit eine gewisse "Demokratisierung des Lesens" eintrat.
Solche Fragen haben auch später den chinesischen Revolutionsführer »Mao
Zedong (1983-1976) noch beschäftigt, als er mit seiner Schrift
"Gegen die Buchgläubigkeit" (1930) vor allem rückständige Bauern, aber
auch andere Leser kritisierte, die dogmatisch an Inhalten in Büchern
festhielten, und darin eines der Hindernisse für ihre geringe
Bereitschaft zur Revolution sah.
Ob man heute überhaupt liest, wie und was man liest, ändert sich auch im Laufe eines
menschlichen Lebens. Dabei ist die Altersentwicklung natürlich nur ein Aspekt
des Ganzen. Hinzu kommen natürlich noch eine Vielzahl anderer Gesichtspunkte,
die nur indirekt in einem Zusammenhang mit dem ▪
Lesen stehen, wie
Bildung, soziale Schichtzugehörigkeit usw. Aber meisten hat wohl die
Digitalisierung das Lesen verändert, das über viele Jahrhunderte hinweg
an die Rezeption gedruckter oder handschriftlich angefertigter Texte
gebunden war.
Lesen im kompetenzorientierten Unterricht
Beim Leseerwerb und im Literaturunterricht ist das sinnverstehende
Lesen das Hauptziel und stellt
gemeinhin "die Normalform des Umgangs
mit Schrift und Voraussetzung für Wissen und Unterhaltung" dar. (Bickenbach
2015, S. 394)
Lesen ist
und bleibt
auch in einer von Digitalisierung geprägten Informationsgesellschaft
eine, wenn nicht die grundlegende Kulturtechnik, zumal das soziale und
kommunikative Handeln und die gesellschaftliche Teilhabe gerade auch in
der modernen Mediengesellschaft von der Fähigkeit lesen zu können
offenbar mehr abhängt als von der Fähigkeit grammatikalisch und
orthografisch korrekt zu schreiben. Dennoch: ▪
Lese- und ▪
Schreibkompetenzen bleiben in vielerlei Art und Weise aufeinander
bezogen.
Im Rahmen einer kompetenzorientierten Lesedidaktik hat man im Anschluss
an die »PISA-Studie
aus dem Jahr 2000 die »Lesekompetenz in
▪ 5
Kompetenzstufen eingeteilt, um Aufgaben zu modellieren, die unterschiedliche
Schwierigkeitsgrade aufweisen (vgl. ▪
kompetenzorientierter Unterricht)kann die
(vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Lesekompetenz)
Lesen war früher anders: Ein einzelnes Buch war oft Lesestoff für
ein ganzes Leben
Das Lesen als Kulturtechnik
hat eine lange Geschichte hinter sich. Die ▪
Geschichte des Lesens ist so facettenreich wie das ganze Lesen
selbst.
So, wie wir jedenfalls
heute lesen, meistens still und vergleichsweise schnell bis hin zum
▪ Scannen eines Texts hat man es früher nicht getan und auch das
Lesepublikum und seine Einstellungen zum Lesen sind heute andere.
Was an Lesestoff in einem Haushalt verfügbar war bis weit ins ▪
18. Jahrhundert hinein, überschaubar.
Der ▪ Weg von den Tontafeln der frühen
antiken Hochkulturen bis zum modernen E-Reader war dabei zwar eine
technologisch gesehen eine lange Wegstrecke, über viele Jahrhunderte
hinweg aber blieb die Medien, auf denen schriftliche Texte
niedergeschrieben wurden, unverändert.
Mal waren es ▪Tontafeln
in Mesopotamien, dann die ▪
Hieroglyphen auf den Papyrus-Rollen in Ägypten und der ▪
antiken griechischen und ▪ römischen
Welt, danach die gehefteten Bücher aus Pergament (Kodex), dann zu ▪
Beginn der Neuzeit nach der Erfindung »Buchdrucks
mit beweglichen Lettern
im Jahre 1440 durch
»Johannes Gutenberg
(1400-1468) die ersten Bücher, die so etwas wie eine frühe
Massenproduktion gedruckter Worte ermöglichten und schließlich die
modernen ▪ digitalen Formate: Alle
prägten, jede auf ihre Weise, nicht nur die Produktion, sondern auch die
Rezeption des geschriebenen bzw. gedruckten Wortes und beeinflussten mit
ihren Lesestoffen und den sozialen Praktiken ihrer Aneignung im Lesen
die gesellschaftliche, die politische und soziale Entwicklung.
Früher, in einer Zeit, in dem das wenige, was es zu lesen gab, in
Familien meistens mehrfach gelesen wurde, bewahrten sich manche Texte
"auch über Generationen hinweg" eine Autorität, die wir uns heute kaum
mehr vorstellen können. Ja, so
"ein Buch
bot oft Lesestoff für ein ganzes Leben, da einzelne Abschnitte
oder Kapitel an bestimmte Zeiten des Tages oder des Kirchenjahres
gebunden waren, wie z.B. Advent, Fastenzeit und Ostern." (Limmroth-Kranz
1997
Hervorh. d. Verf.)
Lesen (und Schreiben)
war bis ins weit ins 18. Jahrhundert ein Privileg Wohlhabender, die es
sich auch leisten konnten. Neben kirchlichen Einrichtungen waren dies
gutsituierte Mitglieder des städtischen Bürgertums, die überhaupt das
Lesen lernten und sich mit Lesestoff versorgen konnten. Die Entwicklung
zu einem Massenlesepublikum, das auch die Unterschichten einbezog,
entstand erst als auch schulische Bildung diese Menschen erreichte,
denen aber selbst dann lange wohl kaum Zeit blieb für gemütliche
Lesestunden, wenn es galt, in einem den ganzen Tag von morgens bis spät
abends dauernden Arbeitstag, den kärglichen Lebensunterhalt zu sichern. Wer von diesen "neuen" Lesern arbeiten
musste, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. dem blieb allerdings
kaum Zeit für gemütliche Lesestunden und wenn, dann war dies am ehesten
an Winterabenden der Fall, an denen in der Familie vorgelesen wurde. Und
so recht gewünscht war sogar bei Vertretern der Aufklärung nicht, wenn
sich das einfache Volk mit Lesen Zugang zum Herrschaftswissen der
gelehrten Eliten verschaffen und über das Lesen auf sozialrevolutionäre
Ideen kommen sollte. Was sie unter der von ihnen geforderten ▪
Literalisierung der Unterschichten
verstanden, waren thematisch allein Dinge, die für ihre Teilnahme am
öffentlichen Leben unbedingt erforderlich war z. B. beim Lesen von
Bekanntmachungen und Anschlägen, mit denen z. B. Verordnungen, Gesetze,
Einberufungsbefehle öffentlich plakatiert wurden oder lebenspraktische
Hilfen, die z. B. ihre Anbaumethoden in der Landwirtschaft verbessern
sollten.
So wurde Lesen nach
und nach zwar eine grundlegende Kulturtechnik, blieb aber immer
zweckgerichtet, die ▪ Lesearten hatten eine kognitive und informatorische
Grundausrichtung, von Lesen zur Unterhaltung (literarisches Lesen) oder
Lesen als Ablenkung von psychischen Problemen
(eskapistisches/evasorisches oder kompensatorisches Lesen) war
jedenfalls noch nicht die Rede. ( vgl.
Lagner,
R. 1986, S.125)
Immerhin trug dies alles zur sogenannten "Demokratisierung des Lesens"
bei. Dass sich die ▪
Aufklärung die Literalisierung der Unterschichten auf
die Fahnen schrieb, hatte meisten nur eines im Sinn: Über Bücher sollten
sich möglichst viele Menschen lebenspraktisches Wissen aneignen, das zur
Teilhabe am öffentlichen Leben nötig war,
Einen gewissen Wendepunkt in der Ausrichtung des Lesens
in den jüngst vergangenen Jahrhunderten markiert die
angebliche "Lesesucht" von Frauen, die den Großteil des Lesepu blikums im 18. Jahrhundert ausmachten (vgl.
Kiesel/Münch 1977, S.166). Die Kritik daran zeigt, dass sich mit der
beginnenden Verbreitung von Romanen, die
vor allem von den zu "Vielleserinnnen" avancierten Frauen aus dem Bürgertum
verschlungen wurden, auch andere Lesearten durchzusetzen begannen. Für
diese Frauen, das Gerede von der Lesesucht war nichts anderes als "eine
ideologische Fälschung" (ebd.,
S.161) war Lesen kein Lesen zur (religiösen) Erbauung
und auch nicht zweckgerichtet, sondern Unterhaltung geworden. Das
rief so manchen "Moralapostel" auf den Plan, der meinte, dass solche
Lektüren Frauen moralisch verdürben, in jedem Falle aber "erst gestattet
werden sollte, wenn genügend Kenntnisse der Welt und der Menschen
vorhanden seien." (Limmroth-Kranz
1997) Aber zugleich gewann man daraus auch Impulse für die
Entwicklung einer eigenen Kinder- und Jugendliteratur.
Was man im Kern
an der Lesesucht kritisierte, ging später fast nahtlos in die
Argumentation ein, mit der sich bürgerliche Schichten von der
sogenannten Trivialliteratur und ihren Leserinnen und Lesern ästhetisch
und sozial distanzierten (vgl.
Bourdieu 1987/242014,
S.68f.) und diese "feinen Unterschiede" (ebd.)
bei der Auswahl vermeintlich höherwertigerer Lesestoffe in
"Klassiker-Prachtausgaben" (Limmroth-Kranz
1997) in ihrer sozialen Praxis entsprechend kultivierten.
Das im 19.
Jahrhundert allmählich entstehende lesende Massenpublikum hatte dabei
keinen Anteil an "Literatur", einen Begriff, den das gebildete
bürgerliche Lesepublikum unter allen Umständen allein für ihre
Lesestoffe und ihre soziale Lesepraxis beanspruchte.
Trotzdem: Im
deutschen Kaiserreich vollzog sich bis zur Wende zum 20. Jahrhunderts
"trotz aller obrigkeitsstaatlicher und autoritärer Elemente, eine
Demokratisierung in allen Bereichen der Gesellschaft, die die Teilnahme
an der Kultur für alle Bevölkerungskreise erweiterte. Die
Analphabetenquote sank, und Zeitungen und Zeitschriften standen
allmählich weiten Bevölkerungskreisen zur Verfügung. All dies summierte
sich zu einem Demokratisierungsschub, der die Möglichkeit am
politischen, sozialen und kulturellen Fortschritt teilzuhaben, schnell
und tiefgreifend erweiterte. Das Buch allerdings war für die unteren,
kaum oder schlecht gebildeten sozialen Schichten nach wie vor kein
vorrangig bedeutsames Medium. Da das Lektürebedürfnis dieser
Bevölkerungsteile eher von Zeitungen, Zeitschriften, Heftchen und
Fortsetzungsromanen genährt wurde, hatte das "gute Buch" als geistiger
Wertgegenstand für sie marginale Bedeutung. Das Leseverhalten der
sozialen Unterschichten bedeutete vorwiegend das Lesen von kürzeren
Texten - soweit es der Alltag zuließ. Individuen, die versuchten, sich
durch gute Lektüre 'hinaufzulesen', um ihren Sozialstatus zu verbessern,
galten immer als Ausnahme ihrer Klasse." (ebd.) Wer heute (noch) Gedrucktes liest, gehört keinem einheitlichen
Lesepublikum an. Stattdessen haben sich auf der Basis der Herausbildung
vielfältiger Lebensstile und Lebensformen in der pluralen Gesellschaft
Lese- bzw. Lesekulturen entwickelt, in denen Lesen unterschiedliche
Funktionen hat. Dabei hat der analog, in Printform präsentierte Text im
Zuge der Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens, mehr als nur
Konkurrenz gefunden.
Lesen in der
medialen Klassengesellschaft
Unter soziologischer Perspektive betrachtet hat das Lesen
einen großen Anteil an der Verteilung von Lebenschancen in unserer
Gesellschaft.
Informationsreiche "Haves" und informationsarme "Havenots"
prägen eine moderne mediale Klassengesellschaft aus, bei der am Ende nur
eine Minderheit "reich, mobil und gebildet ist. Und sie kann zugleich
die digitale Dunkelheit für die Mehrheit der Menschen bedeuten - für die
Armen, die Menschen ohne Hochschulbildung und die sogenannten
Überflüssigen." (David Kline 2000, zit. n.
Winterhoff-Spurk 2000a?)
Dietrich Schwanitz (1999, S. 433f.) hat die These von der medialen
Klassengesellschaft auf die pointierte Formel gebracht: Ohne Lesen
bleiben einem die "Fleischtöpfe der Bildung ebenso verschlossen wie der
Zugang zu den gehobenen Einkommen."
Für viele, die zu den Nichtleserinnen und Nichtlesern gehören,
enwirft
Schwanitz (1999, S. 433) ein düsteres Bild, wenn er weiter ausführt,
dass vielen von ihnen Bücher als Zumutungen (erleben)" mit fatalen
Folgen: "
im Grunde können sie Leute, die gerne lesen, nicht verstehen. Sie
misstrauen ihnen. Die Welt der Bücher ist für sie eine Verschwörung, die
dem Ziel dient, ihnen ein schlechtes Gewissen zu verschaffen. Auf diese
Weise entwickeln sie eine regelrechte Abneigung gegen Bücher, und da sie
auch ihre Fachbücher ungern lesen, geraten sie im Beruf bald ins
Hintertreffen. Deswegen meiden sie jeglichen Kontakt zum Milieu der
Bücherleser und geraten so langsam ins gesellschaftliche Schattenreich
eines neuen Analphabetismus."
Statt dem Lesen machen diese Schichten angesichts der gewachsenen
Möglichkeiten des medialen Konsums mit der Vervielfachung von Angeboten
mehr und mehr vom
Fernsehen oder Streaming-Angeboten aus dem Internet Gebrauch. Und am
Fernsehen lässt sich aber auch ein weiterer
Aspekt aufzeigen, der verdeutlicht, in welcher Weise auch dieses Medium
klassenspezifisch genutzt wird und damit auch zur Verfestigung von
sozialen Unterschieden dient.
So hat nämlich "der Aufstieg der
Privatsender seit den späten 80er Jahren [...] nicht einfach, im Sinne
einer Angebotsvermehrung, zu der kulturkritisch oft bemäkelten
»Bilderflut« geführt, sondern hat vor allem eine Klassendifferenzierung
des Fernsehens bewirkt, die es zur Zeit des Duopols von ARD und ZDF
nicht gab. Sagen wir es ruhig noch deutlicher: Sie hat mit RTL und SAT.1
ein spezielles Unterschichtfernsehen entstehen lassen, und deshalb war
es auch nur konsequent, dass sich am anderen Ende der sozialen Skala
Sender wie 3sat oder arte für die gehobenen Schichten etablierten." (Nolte
2004, S.41f.)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
24.11.2020
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