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Geschichte des Lesens

Bibel, Flugschriften und Eulenspiegeleien

Lesen in der frühen Neuzeit im 16. und 17. Jahrhundert

 
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Glossar
Was sind teachSam-Projekte? Lesen Fragen zur eigenen Lesebiographie und zum eigenen Leseverhalten Überblick [ Geschichte des Lesens Überblick Lesen in der Antike bis zum Hellenismus Lesen im Römischen Reich und in der Spätantike Lesen im Mittelalter Lesen in der frühen Neuzeit (16./17. Jh.) Lesen im 18. Jahrhundert Von der Tontafel zum E-Book-Reader ] ▪ Lesen und Textverstehen (CI-Modell) Grundantriebe des Lesens und Lesertypologie Aktive und passive Lesearten Lesen und individuelle Entwicklung Lesen in digitalen Welten Stilles Lesen Verbotenes LesenWeibliches LesenOhne Lesen leben (Analphabetismus)  ▪ Lesen und gesellschaftliche Entwicklung Bausteine Links ins Internet Lesekompetenz Arbeitstechnik Lesen
 

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Lesekompetenz
Konzepte der Schreibkompetenz
Reformation und Glaubenskriege (1517-1648)

Barocke Buchgestaltung als soziologischer Ausdruck (Beispiel Kaspar Stielers "Geharnschte Venus" (1660)

Die Erfindung des »Buchdrucks im Jahre 1440 durch »Johannes Gutenberg (1400-1468) und die dadurch mögliche, nach damaligen Verhältnissen »große Verbreitung der zwischen 1452 und 1454 entstandenen »Lutherbibel, dem ersten mit beweglichen Lettern gedruckten Buch in der westlichen Welt, war nicht nur eines der wesentlichen Elemente für den Erfolg von »Martin Luthers (1483-1546) »Reformation im 16. Jahrhundert, sondern brachte auch das Lesen als Kulturtechnik breiterer Schichten der Bevölkerung langsam aber sicher voran. Die prachtvoll gestalteten Bibeln waren allerdings nicht für den Hausgebrauch einfacher Leute gedacht, die noch lange ▪ Analphabeten blieben.

Dennoch war damit, insbesondere auch durch Luthers Übersetzung des »Alten Testaments aus der »althebräischen und der »aramäischen Sprache und des »Neuen Testaments aus der »altgriechischen Sprache in die »frühneuhochdeutsche Sprache wohl der Bann gebrochen und so gingen auch achtzehn verschiedene, vorlutherische deutsche Bibeln zwischen 1466 und 1522 in Druck, die wie z. B. die »Mentelin-Bibel (1466), welche die Bibel in Volkssprache so präsentierten, dass die »biblischen Geschichten auch von einfachen Klerikern, die der lateinischen Sprache nicht so mächtig waren und von lesekundigen Bürgern gelesen und verstanden werden konnten.

Im Unterschied zum Humanismus, der sich mit seinen Publikationen nahezu ausschließlich an ein gelehrtes Publikum richtete, wollten die Reformatoren mit ihren Schriften aber auch das Laienpublikum erreichen. Dieser Adressat konnte allerdings, da Bücher bis weit ins 18. Jahrhundert hinein ein teurer Luxus waren (vgl. Kiesel/Münch 1977, S.161) nur dann erreicht werden, wenn das Angebot an Medien und ihren Publikationsformen, von Lesestoffen und dem Vertrieb des Ganzen sich wandelte und neu organisiert wurde.


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Auch wenn Luthers Übersetzung der Bibel ein regelrechter Bestseller wurde, war die Flugschrift das eigentliche "Leitmedium der Reformation (...), die zum Massenkommunikationsmittel in der reformatorischen Öffentlichkeit avancierte und im Vergleich mit Büchern schnell hergestellt werden und dementsprechend aktuell sein konnte." (Schneider 2015, S. 741) Flugschriften kamen sowohl im Diskurs der Gelehrten zum Einsatz, aber sie waren, wenn sie in deutscher Sprache verfasst waren, auch eine Möglichkeit für Lesekundige Nicht-Gelehrte Näheres über die reformatorischen Ideen und ihre Entwicklung zu erfahren. (vgl. ebd.)

Allerdings waren die Flugschriften - man geht davon aus, dass in der Hochphase der Reformation zwischen 1520 und 1526 mehr als 10.000 Flugschriften in einer Gesamtauflage von 10 bis 11 Millionen Exemplaren gedruckt wurden, darunter fast drei Viertel in deutscher Sprache (vgl. ebd.) - wohl das am meisten verbreitete Printmedium. Trotzdem zeigte auch der Erfolg von Luthers Bestseller-Bibel, dass es zumindest in den Städten schon ein Lesepublikum gab, das wenigstens rudimentär lesen konnte. Was von Luthers Bildübersetzung über den Ladentisch ging, war nämlich mehr als beachtlich: Schon die Erstausgabe aus dem Jahr 1522 brachte es auf 3.000 Exemplare, die schnell vergriffen waren und nachgedruckt wurden. Bis zum Tode Luthers 1546 hatten die zahlreichen verschiedenen Editionen wohl eine Millionenauflage erreicht.  (vgl. ebd., S.743) Ob sie allerdings auch überall da landeten, wo sie auch gelesen und verstanden werden konnte, ist zumindest zweifelhaft.

Flugschriften, Broschüren und Einblattdrucke und Luthers Bibelübersetzungen waren allerdings nicht alles, was die Reformationszeit an Medienvielfalt zu bieten hatte, zumal "nicht nur die Schrift, sondern auch das Visuelle, das Bild und die Druckgraphik wichtige Funktionen in der Rezeption übernahmen" (ebd., S.741) Kein Wunder, wenn die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nach lange Zeit Analphabeten blieben.

Zum Buchangebot der Zeit gehörten aber neben der Luthers Bibelübersetzung und anderen Werken von Reformatoren natürlich auch das traditionelle Angebot an gelehrter, in Latein abgefasster Werke, die sich mit Fragen der Theologie, des Rechts und anderen Wissenschaften befassten.

Auch wenn sich die Buchproduktion der Zeit vor allem an dem Herstellen von Werken für den zeitgenössischen gelehrten Diskurs orientierte, gab es doch auch eine ganze Reihe volksmedizinischer Schriften mit Anleitungen für Diäten oder sonstigen Therapieanleitungen, Arznei- und Kräuterbücher und sogar Kochbücher, in denen es um Gesundheitsfragen und die Heilung von Krankheiten ging. Diese Bücher in deutscher Sprache waren offenbar für einen größeren städtischen Leserkreis gedacht. (vgl. ebd., S.743)

Und sogar Unterhaltungsliteratur war schon im Angebot. Man vertrieb die "schöne Literatur" (Epen, Prosabearbeitungen antiker Dramen, Schwank- und Legendensammlungen) und mit Prosaromanen mittelalterlicher Stoffe (z. B. »Herzog Ernst, Die schöne »Melusine von Thüring von Ringoltingen (1415-1483), Historien und Schwankromanen und -sammlungen (z. B. die »Eulenspiegel-Ausgabe (1510/12) von Johannes Grüninger (1455-1532) oder »"Schimpf und Ernst" (1515) von »Johannes Pauli (1455-ca.1530)) erreichte man in den Städten lesende Frauen, die im Übrigen auf »Erbauungsliteratur und den »Katechismus zur Lektüre zurückgreifen konnten.

Dazu kamen noch mehr und mehr weltliche Lieder, die zunächst auf ▪ Einblattdrucken von fahrenden Händlern auf Märkten, Jahrmärkten, Wirtshäusern und vor der Kirche im Auftrag ihrer Verleger oder auf eigene Rechnung verkauft wurden. Und auch erste Sammlungen in Form von ▪ Liederbüchern sicherten nicht nur das populäre Liedgut, sondern trugen auch dazu bei, dass sich neben dem geistlichen Lied bzw. den Kirchenliedern das volkstümliche Lied als Teil der  ▪ deutschsprachigen Popularliteratur jenseits konfessioneller Orientierung behaupten konnte.

Unter den Unterhaltungsbüchern waren die so genannten »Teufelsbücher besonders beliebt und sollen zwischen 1560 und 1590 eine Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren erreicht haben. (vgl. ebd., S.744). Dazu zählten z. B. Wider den Sauffteufel ... von »Matthäus Friderich (geb. im 16. Jh.–1559) oder die »Teufelsbücher von »Andreas Musculus (1514-1581) wie Vom Hosen-Teuffel (1555) oder Wider den Eheteuffel (1556). Während er in jenem über die Mode der »Pluder- und Pumphosen herzieht, prangert er im Eheteuffel die den Ehefrieden störende Laster an, mit denen sich Eheleute gegenseitig das Leben schwer machen.

Vielleicht waren es auch solche Werke, die den englischen Dichter »Barnabe Rich (ca. 1514-1617) schon 1613 zur Bemerkung veranlasste, dass eine der größten Krankheiten seiner Zeit "die Überzahl an Büchern" sei, von denen die Welt so überladen sei, "dass es unmöglich ist, den Wust an unnützem Zeug zu verdauen, der täglich ausgebrütet und in die Welt geworfen wird."


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Durchaus eine kritische Komponente kann auch aus manchen der sogenannten »Bücherstillleben in der frühen Neuzeit  herausgelesen werden. Die Bilder zeigen immer wieder, wie die Bücher dem Zahn der Zeit genauso unterworfen sind wie alles andere auch: "Oft sind die Bücher in den Stillleben selbst bereits arg in Mitleidenschaft gezogen, und man weiß, dass das Papier bald zerfallen wird."  (van Lil 2007, S.470) So ist eben auch alles Wissen letzten Endes hinfällig und besitzt vor allem im Rahmen der christlichen Eschatologie ein Zerfallsdatum, dessen Zeitpunkt zwar nicht vorhersehbar, aber dessen ungeachtet vollkommen gewiss ist.

Mit solchen Vanitas-Bücherstillleben, in denen die Bücher selbstverständlich auch Symbole für Gelehrsamkeit waren, "führten sich die Gelehrten die Grenzen ihres wissenschaftlichen Strebens vor Augen und mahnten sich selbst zur Bescheidenheit." (ebd.) Dabei waren derartige Darstellungen an die Gelehrten adressiert, die über den gemeinsamen Code verfügten, mit denen solche Bilder verständlich waren. (vgl. auch: Bergström 1956)


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Motive der Vergänglichkeit (Vanitas) gehörten aber auch oft zur Selbstdarstellung der belesenen Gelehrten und ihre Symbole tauchten daher auch immer wieder in Porträts auf, die als Auftragsmalerei entstanden sind. Bei aller Mahnung der Symbolik vor gelehrtem Hochmut, die den oft auftauchenden Totenschädeln innewohnt, kann doch nicht übersehen werden, dass  solche Requisiten auch einem "modischen" Zeitgeist entsprachen, gelehrte Selbstdarstellung ohne ein solches Requisit offenbar kaum vorstellbar war und in den Kreisen, in denen sie präsentiert wurde, auch erwartet worden ist.


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Trotz des beginnenden literarischen Lesens las man aber vor allem aus beruflichen Gründen und zu religiös-liturgischen Anlässen etwa beim Gottesdienst, bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, für den gelehrten Disput, für administrative oder kaufmännische Zwecke.

Privater Bücherbesitz in größerem Umfang war zwar auch weiterhin eher selten, aber es kam schon vor, dass sich wohlhabende Kaufleute, manchmal sogar Handwerker und kleinere Gewerbetreibende eine größere Anzahl von Büchern leisteten. Privater, nicht aus professionellen Gründen motivierter Bücherbesitz fußte dabei vor allem, wie im »pietistischen Umfeld mit seiner häuslichen Bibellektüre, auf religiösen Motiven. Das, was Adelige im »Barockzeitalter (Ende des 16. Jh. bis gegen 1750/50) in ihren Sammlungen an prächtig ausgestatteten Büchern und Folianten zusammentrugen, waren hingegen Statussymbole und Prestigeobjekte, die vor allem repräsentative Funktion besaßen.

Was an Lesestoffen in einem meist städtischen Haushalt verfügbar war, war, ob Bücher oder andere gedruckte Produkte, also mehr als überschaubar. Was es gab, wurde von den Familienmitgliedern meistens "mehrfach gelesen, und die Texte verloren so auch über Generationen hinweg nicht an Autorität. Ein Buch bot oft Lesestoff für ein ganzes Leben, da einzelne Abschnitte oder Kapitel an bestimmte Zeiten des Tages oder des Kirchenjahres gebunden waren, wie z.B. Advent, Fastenzeit und Ostern." (Limmroth-Kranz 1997, Hervorh. d. Verf.)

Im Übrigen musste man zu dieser Zeit auch nicht unbedingt selbst lesen können, um am allgemeinen Lesen von Büchern teilzuhaben. Lesen war nämlich meistens an die soziale Praxis des Vorlesen gebunden, ▪ stilles Lesen, wie wir es heute kennen, noch kaum verbreitet.

Wer also nicht lesen konnte und sich auch kein Buch leisten konnte, wurde Rezipient der frühneuzeitlichen sozialen Hörbuchpraxis: Er oder sie hörte einfach zu, wenn, wie üblich vorgelesen wurde. Das war keine Schande, "denn Lesen, Vorlesen und Zuhören standen als Rezeptionsweisen relativ gleichberechtigt nebeneinander." (vgl. Schneider 2015, S.745) Im Übrigen blieb vielen potentiellen Leserinnen und Lesern, die jeden Tag in einem harten Arbeitstag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang ihren oft kümmerlichen Lebensunterhalt sichern mussten, kaum Gelegenheit, bei Tageslicht Zeit mit Lesen zu verbringen. Wenn, dann war dies am ehesten in den Wintermonaten der Fall, in denen gerne in der Familie vorgelesen wurde

Lesen war in dieser Zeit aber stets ein Vorgang, der mit Sorgfalt praktiziert wurde und verlief im Gegensatz zu unserem heutigen Lesen langsam. Das veränderte sich erst im 18. Jahrhundert. (vgl. Bickenbach 2015, S. 403)

Während des ▪ Dreißigjährigen Krieges (1618-48), von dem Friedell (1928/1969, S.414) sagte, dass er "unter den vielen langen und sinnlosen Kriegen, von denen die Weltgeschichte zu berichten weiß, (...) einer der längsten und sinnlosesten (war)", ging die Buchproduktion von vorher etwa 1600 Neuerscheinungen pro Jahr auf knapp 600 Titel zurück und es dauerte fast 150 Jahre, bis sich die Buchproduktion von diesem Einbruch erholte.

Was im »Barockzeitalter (Ende des 16. Jh. bis gegen 1750/50) an Büchern, meistens ins lateinischer Sprache herauskam und vertrieben wurde, richtete sich vor allem an das gelehrte Publikum, das diese Bücher aus professionellen Gründen gelesen hat. Eine weitaus höhere Verbreitung als das Buch hatten aber im 17. Jahrhundert periodische erscheinende Zeitungen, die mit über 250.000 Lesern eine weitaus größere Leserzahl hatten. (vgl. ebd., S.746)

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Reformation und Glaubenskriege (1517-1648)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 17.12.2023

 
 

 
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