Wenn vom
klassischen Ansatz im Zusammenhang mit der ▪
Repräsentation ▪ konzeptuellen Wissens
die Rede ist, dann ist damit unter kognitionspsychologischem Aspekt
in der Regel gemeint, dass Kategorien (Konzepte) über eine Liste von
Merkmalen definiert werden können, die den Kategorien einen
distinktiven Charakter geben. Ob ein Exemplar zu einer bestimmten
Kategorie gehört oder nicht, steht damit fest und: Alle Exemplare
sind dann gleich und "jedes Exemplar so gut wie jedes andere." (Wentura/Frings
2013, S.127)
Die Fragen, die
sich hinter diesem Ansatz auftürmen, sind Fragen, die aber nicht nur
die Kognitionspsychologen der Moderne, sondern vor allem Philosophen
seit der Antike immer wieder beschäftigt haben. Die Grundzüge dieser
Universalienstreit genannten philosophischen Auseinandersetzung
in der Antike soll an dieser Stelle dargelegt werden, ehe der
klassische
Ansatz der Kognitionspsychologie im Anschluss daran skizziert
wird und dessen Grenzen aufgezeigt werden.
Der Universalienstreit in der Philosophie
Lange Zeit war für Philosophen, die sich mit der Frage
beschäftigten, wie wir zu Kategorien gelangen, um unsere Welt zu
erfahren und zu erkennen und was sie selbst ausmachten, vor allem
klar, dass distinktive Kategorien durch die genaue Definition ihrer
Merkmale bzw. Instanzen gebildet würden. Schon in der
griechischen Antike standen sich dabei zwei Schulen in dem auch
Jahrhunderte danach noch währenden, sogenannten
Universalienstreit
gegenüber.
Dabei geht es im Kern um die Frage, ob es
Allgemeinbegriffe (Universalien) gibt, die in der Realität als quasi
"natürliche" Kategorien existieren oder ob Universalien Konstrukte
des menschlichen Denkens sind, die sich die Menschen selbst
schaffen, um in das, was sie mit ihren Sinnen wahrnehmen, ordnen
(kategorisieren, klassifizieren) und verarbeiten zu können und auf
dieser Grundlage zu handeln. Mensch, Tier, Pflanzen, Lebewesen, die
Götter etc. sind solche Allgemeinbegriffe (Kategorien), aber auch
andere z. B. mathematische Größen wie Zahl, Relation oder Klasse
sowie abstrakte Begriffe wie Freiheit, Glaube, Hoffnung. Die Frage,
die sich bis heute stellt, ist: Gibt es Begriffe (Kategorien,
Universalien) in der Welt, denen eine ontologische Existenz jenseits
unserer Wahrnehmungs- und Verstandestätigkeit zugeschrieben werden
kann oder nicht.
Realismus und
Nominalismus in der Antike
Der griechische
Philosoph »Platon
(428/427-348/347 v. Chr.) ging in seiner »Ideenlehre
von einer Zwei-Welten-Theorie aus. Danach gibt es
ine Welt unveränderlicher Ideen, die nur mit reiner Vernunft
erkennbar ist, und eine Welt des Vergänglichen, des gemeinhin
Sichtbaren und Wahrnehmbaren. Er nahm an, dass die unveränderlichen
Ideen das Urbild (paradeigma) aller Dinge sei, die einzelnen
wandelbaren Dinge dagegen nur mehr oder minder gut gelungene
Abbilder dieser Ideen seien. Insofern stellt die (vollkommene) Idee
auch das dar, was allen konkreten Erscheinungen, die an ihr
teilhaben, stets gemeinsam ist: Ein konkreter Baum ist deswegen ein
Baum, weil er teilhat an der Idee des Baumes. Diese ist aber weder
raumzeitlich lokalisierbar ist und kann auch nicht nur durch
Abstraktion von Merkmalen konkreter Bäume gewonnen werden. Weil für
Platon, "die Allgemeinbegriffe vorgeprägte Realität waren, die von
konkreten Objekten nur unvollkommen zum Ausdruck gebracht wird" (Hoffmann/Engelkamp
22017, 5.1, Kindle-Version), spricht man auch vom
Realismus im Universalienstreit. Platon
befasste sich dabei mit zahlreichen abstrakten Begriffen. So lässt
er in einem seiner literarisierten Dialoge (»platonische
Dialoge) die Figur des Philosophen
Sokrates (469-399 v. Chr.) die Fragen aufwerfen, die diesen auch
in andernorts überlieferten »sokratischen
Dialogen auftauchen, was nämlich tugendhaft, gerecht, tapfer,
fromm, gut usw. ist. Im Gegensatz zur heutigen empirischen
Kognitionspsychologie und zur Kognitionswissenschaft, die sich aus
bestimmten Gründen im Zusammenhang mit Fragen der Kategorisierung
auf konkrete und eher einfache Begriffe konzentriert (vgl.
Jäkel/Meyer 2013, S.310), ging es ihm bei seinen Ideen also um
sehr abstrakte Begriffe.
»Aristoteles
(384-322 v. Chr.), der Erzieher von »Alexander
dem Großen (356-323 v. Chr.) nahm hingegen eine andere Position ein.
Er orientierte sich eher am sogenannten
Nominalismus, "für den Objekte das einzig Reale und
Allgemeinbegriffe lediglich Zusammenfassungen von Objekten waren" (Hoffmann/Engelkamp
22017, 5.1, Kindle-Version). Mit seiner dreistufigen
Abstraktionslehre richtete er sich auch gegen den idealistischen
Ansatz Platons. Was er als das Allgemeingültige ansieht, ist vom
konkreten Objekt abstrahiert, d. h. auch, dass Universalien, also
die Allgemeinbegriffe, gar nicht ohne die Einzeldinge gedacht werden
können und die Einzeldinge der abstrakten Kategorie oder Idee
vorausgehen, die aber dazu da sind, das Wesen (eidos) eines
Einzeldings greifbar zu machen.
Der Universalienstreit vom Mittelalter bis in die Neuzeit
Der seit der Antike ununterbrochen fortgesetzte
Universalienstreit ist auch heute noch nicht zu Ende, können und
sollen hier aber nicht weiter dargestellt werden. Er zieht sich
jedenfalls von der
»mittelalterlichen Scholastik über die »Neuzeit
(z. B.
»Thomas Hobbes, »John Locke,
»Immanuel
Kant) bis »ins
19 Jahrhundert und von da bis in die »Moderne,
in der sich noch immer »realistische
Positionen ( z. B. »Charles
Peirce, »Edmund
Husserl, »Theodor
W. Adorno) und »nominalistische
Positionen (z. B. in der »analytischen
Sprachphilosophie »Ludwig
Wittgenstein, »W.
V. O. Quine,
»Peter Strawson, »Nelson Goodman) gegenüberstehen.
Kritik an der realistischen Position
Es gibt heute eine ganze Reihe von Einwänden gegen die
realistische Position. Unter anderem wird eingewandt, dass die
Vorstellung, dass Kategorien vorgeprägt sind, schon deshalb
fragwürdig ist, weil schließlich immer wieder neue Allgemeinbegriffe
wie z. B. Laptop, Seifenoper, oder Heizpilz gebildet werden, die
kategoriale Zusammenfassungen von Objekten oder Erscheinungen
darstellen, die neu erfunden worden sind, und sich erst lernabhängig
ausbilden. (vgl. (Hoffmann/Engelkamp
22017, 5.1, Kindle-Version)
Die klassische Sicht der Kognitionspsychologie
Bis in die 1960er
Jahre hinein erklärte man in der Kognitionspsychologie Kategorien
(Konzepte) vor allem mit Hilfe klar definierter Merkmale, "die die
notwendigen und hinreichenden Bedingungen der
Kategorienzugehörigkeit spezifizieren" (Waldmann
2017, S.359) So lässt sich die Kategorie Dreieck oder die
Kategorie Tempo-30-Zone so definieren, dass distinktiv klar ist,
welche Exemplare unter die jeweilige Kategorie fallen. Auf dieser
Basis sind per definitionem alle Mitglieder sind gleich gute
Exemplare für die jeweilige Kategorie. Wer die Kategorie lernen
will, muss also die definierten Merkmale kennen.
Das bedeutet bei
einem
gattungsorientierten Ansatz in der Literatur, dass vorgegebene
und definierte Merkmale festlegen, was eine
Kurzgeschichte ist. Kann ein Text diese Kriterien der Gattung
Kurzgeschichte nicht, ist er eben auch keine Kurzgeschichte. Ein
Ansatz, der aber auch in der ▪
Literaturwissenschaft heute nicht mehr viele Anhängerinnen* hat.
Die wichtigsten
Einwände gegen die klassische Sicht, derzufolge Kategorien als
Definitionen repräsentiert werden (vgl.
ebd.,
S.361), zielen auf die bei vielen kognitionspsychologischen
Kategorisierungsexperimenten festgestellten Unschärfe der
Kategoriengrenzen. Oftmals gingen bei den Teilnehmerinnen* solcher
Experimente nämlich die Meinung darüber auseinander, ob ein
bestimmtes Exemplar eine Instanz bzw. ein Vertreter einer bestimmten
Kategorie war. Ferner konnte man feststellen, dass bestimmte
Exemplare eher oder weniger stark mit einer Kategorie in Verbindung
gebracht wurden. Diese bezeichnet man als
Typikalität von Exemplaren. So ist z. B. eine Amsel ein
typischeres Exemplar für die Kategorie Vogel als ein Pinguin, ein
Sofa wird wohl eher als typisches Möbelstück bezeichnet als ein
Teppich.
Dass die Kategorien
bzw. Konzepte, mit denen wir in unserem Alltag mit unserer Umwelt
interagieren, selten so trennscharf sind, wie dies die klassische
Sicht unterstellte, ist ein Wissen, das hinzukam, sobald man den
Blick von den definierten und definierbaren Kategorien auf den
Umgang mit Kategorien bzw. Konzepten im Alltag richtete.
Und ein weiteres
kommt hinzu, das aber beim Stand der gegenwärtigen
kognitionspsychologischen Forschung eher noch in das Terrain der
Philosophie oder der interdisziplinäre angelegten
Kognitionswissenschaft fällt. Ob es nämlich sogenannte "natürliche"
Kategorien (z. B. Obst, Gemüse, Baum, Vogel, Apfel )als reale
Einheiten (Entitäten) in der Welt um uns herum gibt, die wir zwar
erkennen können, aber nicht selbst mit unserem Verstand erst
konstruieren, kann die Kognitionspsychologie bis heute nicht
hinreichend beantworten. Ob es solche natürlichen Kategorien also
real gibt oder wir die "Dinge" selbst erst kategorisieren, um
Ordnung in unsere Sinneserfahrungen zu bringen, unsere Erfahrungen
verarbeiten zu können und damit überhaupt handeln zu können, ist in
vielem, zumindest empirisch noch eine ungeklärte Frage. Feststeht
aber, dass wir mit solchen Kategorien intuitiv umgehen, ohne dass
uns ihre definitorische Unschärfe im Alltag gewöhnlich zu schaffen
macht. Vielleicht sogar ist genau dies die Voraussetzung ihrer
vergleichsweise hohen Wirksamkeit und ▪
kulturellen und sozialen Wirkmächtigkeit auch in
gesellschaftlich problematischen Zusammenhängen.
Im Augenblick geht
man jedenfalls in der Forschung, die für Veränderungen bei den
bisherigen Annahmen über die Repräsentation von Kategorien im
Gedächtnis offen bleiben will, aus diesen und vielen anderen Gründen
offenbar überwiegend davon aus, dass "Konzepte theorieähnliche
Gebilde sind, die Hypothesen und Annahmen ausdrücken, ohne ein für
alle Mal auf bestimmte definitorische Relationen festzulegen." (Waldmann
2017, S.361) Aber die Zeit neuerer, elaborierterer
regelbasierter Theorien scheint damit keineswegs abgelaufen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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